Gestern tagte der grüne Länderrat – unser kleiner Parteitag mit etwa 60 Delegierten – in der schönen Stadt Lübeck. Dass der Länderrat nach Schleswig-Holstein kam, war sicherlich ebenso wenig Zufall wie die Tatsache, dass eine andere Partei ihren Bundesparteitag zeitgleich im nicht weit entfernten Neumünster stattfinden ließ. Eine Woche vor den Wahlen in Schleswig-Holstein, zwei Wochen vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen war dieser Länderrat vor allem Schaubühne, um grüne Politik (aufgelockert durch ein paar Pony-Scherze) sichtbar zu machen.
Robert Habeck und Sylvia Löhrmann hielten dementsprechend aufmunternde Wahlkampfreden, und auch die gestern verabschiedete Lübecker Erklärung ist vor allem ein programmatischer Ritt quer durch den Gemüsegarten grüner Regierungsbeteiligung und aller damit verbundener Wohltaten. Ähnlich die beiden programmatischen Reden zur aktuellen Lage von Claudia Roth und Renate Künast.
Alle vier gingen auch auf andere Parteien ein – die Piraten, aber auch die FDP. Mir war das fast zu viel Blick auf die anderen. Wohltuend: inzwischen haben wir eine aus meiner Sicht ganz gute Tonalität hinsichtlich der in Neumünster tagenden Piratenpartei gefunden, was in allen vier Statements deutlich wurde:
Piraten nicht in Grund und Boden verdammen, sondern die klare Aussage, dass die „Jungs“ eine andere, mit uns konkurrierende Partei sind. Wo es inhaltliche Übereinstimmungen gibt, ist eine Zusammenarbeit durchaus denkbar. Aber an die Piraten erging – und ich meine, zu recht – auch die Aufforderung, klar zu machen, auf welcher Wertegrundlage sie stehen, und wohin die Reise mit ihnen gehen soll. Claudia Roth brachte das auf das Bild, das unklar sei, ob die Augenklappe verdecke, dass Piraten auf dem rechten Auge blind sind. Renate Künast forderte zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung darum auf, wie eine ausgleichende Reform des Urheberrechts in digitalen Zeiten am besten geschehen kann. Auch Tarek Al-Wazir sprach in seinem Redebeitrag später die Piraten an – es gebe zwar die Intelligenz des Schwarms, aber auch die Dummheit des Rudels. Hier sei es wichtig, zu differenzieren.
Soweit der Blick auf die politische Konkurrenz. Um Inhalte wurde bei diesem Länderrat wenig gestritten, aber kontroverse Debatten sind eh kein Merkmal des kleinen Parteitags. Ich bin ja seit einigen Jahren als einer der Delegierten des LV Baden-Württemberg dabei, und habe heftig zugespitzte fachliche Debatten bisher selten erlebt. Zu den inhaltlichen Beschlüssen gab es zwar zum Teil Änderungsanträge, aber doch überwiegend mit einem eher redaktionellen Charakter. Zum Teil wurden Widersprüche auch nur in der Debatte vorgetragen, jedoch nicht durch Änderungsanträge begleitet, was mir immer etwas halbherzig erscheint.
Hoch her ging es kurzfristig vor allem an einem Punkt: Soll neben der Betonung grüner Eigenständigkeit und Stärke in der Lübecker Erklärung explizit stehen, dass für 2013 eine Regierung mit der SPD angestrebt wird, oder soll das offen gelassen werden? Mit deutlicher Mehrheit entschied sich der Länderrat letztlich für den Hinweis auf die SPD – wie Cem Özdemir in seiner Gegenrede zu
Inhaltliche Beschlüsse (soweit ich sehe, in den redaktionell überarbeiteten Fassungen noch nicht online, Anträge siehe hier) wurden zur Inklusionspolitik, zur Finanzpolitik (mit einer großen Rede von Jürgen Trittin), zur Energiepolitik, zum Thema „1. Mai – nazifrei“, zum iranischen Atomprogramm und für eine emanzipatorische Jugendpolitik gestellt und beschlossen.
Geändert – das war in vielen Medien neben Ponys das einzig berichtenswerte – wurde zudem die Urabstimmungsordnung, die nun explizit Regularien für zukünftige Urwahlen von SpitzenkandidatInnen enthält. Ob eine solche Urwahl stattfinden wird, soll laut Steffi Lemke gegebenenfalls auf einem zweiten Länderrat in diesem Jahr entschieden werden.
Gewählt wurden erstmals vier Mitglieder für die Antragskommission (in Zukunft wird dies die BDK selbst übernehmen) – mit Felix Pahl, Ska Keller MEP, Konstantin v. Notz MdB und Claudia Maicher eine gute Mischung. gewählt wurden zudem die Delegierten des Bundesverbands für den Rat der europäischen Grünen. Dem Europaabgeordneten Reinhard Bütikofer wurde ein Votum dafür ausgesprochen, für den Vorsitz der europäischen Grünen zu kandidieren.
Ein weiterer Antrag kombinierte inhaltliches und organisatorisches: Die Mitgliederverwaltung ist aufgerufen, in Zukunft auch eine neutrale Kategorie in der Geschlechtszuordnung in der Mitgliederdatenbank und auf Formularen einzuführen, um Inter- und Transsexuellen, die sich nicht eindeutig als Mann oder als Frau sehen, eine zum Selbstgefühl passende Datenbankzuordnung zu ermöglichen (Australien hat eine solche neutrale Kategorie inzwischen auf Personalausweisen erlaubt – wäre bei uns auch sinnvoll). Finde ich einen richtigen Schritt.
Zum großen Erstaunen der Bundesgeschäftsführerin war der Länderrat deutlich früher als geplant zu Ende – Zeit für die eine oder andere inhaltliche Kontroverse wäre allerdings gewesen. Andererseits sind dafür eigentlich die Bundesarbeitsgemeinschaften und die Bundesparteitage der richtige Ort – insofern ist die relative Stromlinienförmigkeit vielleicht nicht nur dem Wahlkampf geschuldet.
Warum blogge ich das? Um meiner Transparenzzusage als Delegierter nachzukommen. Ein bisschen – bis zum Ende meines Akkus – habe ich (wie viele andere Delegierte auch) mit dem Hashtag #lr12 gestern auch getwittert.
2 Antworten auf „Länderrat in Lübeck: Ritt durch den Gemüsegarten“