Kurz: Hitzetod des Internets, oder: neue Anpflanzungen

In den letz­ten Tagen sind mir drei ganz unter­schied­li­che Tex­te über den Weg gelaufen:

  • Heat Death of the Inter­net ist ein nur ein klein wenig zuge­spitz­ter Text, der wun­der­bar auf den Punkt bringt, was gera­de falsch läuft mit dem Netz, AI und Co.
  • Wir müs­sen zurück zum wil­den Inter­net wur­de in die­sen Tagen auf netzpolitik.org ver­öf­fent­licht – ein Essay, das mit der Meta­pher des „Rewil­ding“ Ideen dafür ent­wi­ckelt, wie ein Zurück zu einem wil­de­ren Öko­sys­tem im Netz aus­se­hen kann
  • We can have a dif­fe­rent web dreht das Gan­ze schließ­lich kom­plett ins Kon­struk­ti­ve und macht Vor­schlä­ge, wo ein Weg zurück zu einem orga­ni­sche­ren Netz begin­nen kann

Dass die­se Tex­te alle mehr oder weni­ger zeit­gleich in mei­nen Feeds auf­ge­taucht sind, mag Zufall sein. Aber viel­leicht ist es auch ein Indiz dafür, dass die­ses The­ma gera­de sehr vie­le Leu­te umtreibt. Da schwingt viel­leicht auch ein Hauch Nost­al­gie für den Som­mer vor einem der ewi­gen Sep­tem­ber mit, das wun­der­ba­re MAUS/­FIDO­NET-Netz, das wun­der­ba­re Use­net-Netz, das wun­der­ba­re Geo­ci­ties-WWW der Anfangs­zei­ten, das wun­der­ba­re gol­de­ne Zeit­al­ter der Blogs, das wun­der­ba­re Mikro­blog­ging, bevor Elon Musk alles kaputt gemacht hat. Je nach Alter/Sozialisation dürf­te der Nost­al­gie­punkt ein ande­rer sein. Gemein­sam ist aber die Fest­stel­lung, dass ein durch Mono­po­le, „Ens­hit­ti­fi­ca­ti­on“ und KI-Müll­hal­den gekenn­zeich­ne­tes Netz nichts schö­nes ist – und das Wis­sen, dass es anders geht. Das Netz ist noch da. Nut­zen wir es. 

Work in progress: Computergestützte Kommunikation gestern und heute

In einem Anflug von Irri­ta­ti­on dar­über, wie vie­le Men­schen sich, wenn sie sich auf­grund der Twit­ter­däm­me­rung nach ande­ren Orten im Netz umschau­en, ohne mit den Wim­pern zu zucken, wie­der in die sel­ben Abhän­gig­kei­ten bege­ben, ohne offe­ne Schnitt­stel­len, ohne Open-Source-Code, ohne Inter­ope­ra­bi­li­tät – ja, ich spre­che hier von post.news und Hive und der­glei­chen mehr -, habe ich ges­tern Abend mal nach einer Zeit­li­nie der unter­schied­li­chen Platt­for­men und Sys­te­me gesucht. Und weil ich bis auf die­se schö­ne Gra­fik erst ein­mal nichts gefun­den habe, habe ich dann „schnell mal eben“ selbst eine Zeit­li­nie zusam­men­ge­bas­telt. Das gab rege Reak­tio­nen (Debat­te auf Mast­o­don hier und auf Twit­ter hier), und mir sind dabei drei Din­ge klar geworden:

1. Sozia­le Netz­wer­ke im wei­te­ren Sin­ne sind kei­ne ganz neue Erfin­dung, son­dern beglei­ten als Mai­ling­lis­ten, BBS-Sys­te­me, als Use­net oder als Chat-Platt­form wie IRC unse­re ver­netz­te Com­pu­ter­nut­zung schon ziem­lich lange.

2. Wenn ich mich näher damit befas­sen wol­len wür­de, wäre es gut, für Ord­nung zu sor­gen und zu über­le­gen, was ich eigent­lich mei­ne, wenn ich von sozia­len Netz­wer­ken spre­che. Was unter­schei­det Twit­ter von Face­book, was Face­book von ICQ, und was ICQ von Goog­le Groups? Und wie weit soll das eigent­lich gefasst wer­den – sind You­tube, Tin­der, Wer­kennt­wen, Stay­Fri­ends und Lamb­da­MOO auch sozia­le Netzwerke?

3. Für die meis­ten sozia­len Netz­wer­ke (was auch immer dar­un­ter zu ver­ste­hen ist), sind die Anfangs­da­ten (ers­te Nut­zung, wann wur­de die Fir­ma gegrün­det, wann kam das Pro­dukt auf den Markt, …) gut doku­men­tiert, auch die Wiki­pe­dia ist hier sehr hilf­reich. Viel weni­ger klar ist das Ende sozia­ler Netz­wer­ke. Eini­ge Diens­te wur­den ein­ge­stellt (Orkut zum Bei­spiel, oben grau dar­ge­stellt), ande­re schei­nen auch heu­te noch zu exis­tie­ren, sind aber aus der öffent­li­chen Wahr­neh­mung kom­plett ver­schwun­den (FIDO­Net beispielsweise). 

Was ich jetzt wei­ter mit die­sem Impuls, zurück zu gucken, anfan­ge, ist mir noch nicht ganz klar. Jeden­falls: es gab ein Leben vor Twit­ter, und es wird ein Leben nach Twit­ter geben. Bis dahin sam­me­le ich mal wei­ter – etwas über­sicht­li­cher als die Gra­fik oben hier bei Datawrap­per. Tipps und Hin­wei­se ger­ne in den Kommentaren. 

25 Jahre Neuland

Bei Auf­räu­men – ja, das mit dem Weg­wer­fen ist nicht so ein­fach – bin ich auf eine Bro­schü­re des Pres­se- und Infor­ma­ti­ons­amts der Bun­des­re­gie­rung gesto­ßen. A5, mit CD (kei­ne Ahnung, wo die hin­ge­kom­men ist), 75 Sei­ten – mit dem ver­hei­ßungs­vol­len Titel „Chan­cen durch Mul­ti­me­dia – Was bringt die neue Tech­nik?“. Für die Nach­ge­bo­re­nen: die Bro­schü­re stammt aus dem Jahr 1996. Und was damals als Mul­ti­me­dia bezeich­net wur­de, war kurz dar­auf so nor­mal, dass es kei­ner beson­de­ren Bezeich­nung mehr bedurfte.

Zum Kon­text: 1996 war ich im drit­ten Semes­ter an der Uni­ver­si­tät. Com­pu­ter kann­te ich schon, aber die waren bis dahin nicht wirk­lich mul­ti­me­di­al, zumin­dest die meis­ten PCs nicht. Da über­wog noch die Ori­en­tie­rung an Text; die PCs in der Schu­le, auf denen ich Tur­bo Pas­cal gelernt hat­te, hat­ten mono­chro­me Bild­schir­me (also grün auf schwarz), mein Ami­ga konn­te zwar vie­le Far­ben, aber kein Inter­net, und das 1992 1991 erfun­de­ne World Wide Web steck­te noch in den Kin­der­schu­hen. Auf neue­ren PCs lief Win­dows 3.1, auf ganz neu­en das schon halb­wegs wie heu­ti­ge Betriebs­sys­te­me aus­se­hen­de Win­dows 95. Dass Haus­ar­bei­ten an der Uni auf dem PC geschrie­ben wur­den, wur­de erwar­tet, war aber eine Neue­rung. Und Video­ka­me­ras, moder­ne Brow­ser wie Mosaic und Net­scape waren noch eine Beson­der­heit – ich erin­ne­re mich jeden­falls dar­an, dass das eines der Allein­stel­lungs­merk­ma­le der SUN-Work­sta­tions in der Infor­ma­tik war. Was ich sagen will: in den 1990er Jah­ren gab es einen rasan­ten Umbruch des­sen, was als Com­pu­ter­tech­no­lo­gie als selbst­ver­ständ­lich galt. Maus und Fens­ter waren gera­de erst dabei, sich flä­chen­de­ckend durch­zu­set­zen, Daten­fern­über­tra­gung und Mail war zum Teil noch Hob­by eher selt­sa­mer Gestal­ten. In die­ser Situa­ti­on also die ver­mut­lich bei der CeBIT 1996 ver­teil­te Bro­schü­re der dama­li­gen schwarz-gel­ben Bundesregierung.

Wenn ich sie heu­te durch­blät­te­re, ist das teil­wei­se depri­mie­rend, weil eini­ge der damals gemach­ten Ver­spre­chun­gen und Pro­gno­sen heu­te, 25 Jah­re spä­ter, noch längst nicht ein­ge­trof­fen sind. Bei ande­ren Din­gen wird deut­lich, dass damals die fal­schen Wei­chen gestellt wur­den. Dazu gleich mehr.

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Google-Welt und/oder Wikipedia-Welt

Dandelion world VIII (the dancer)

Heu­te hat das Euro­päi­sche Par­la­ment mehr­heit­lich ent­schie­den, die Emp­feh­lung des Rechts­aus­schus­ses für ein euro­päi­sches Leis­tungs­schutz­recht und Upload­fil­ter nicht direkt anzu­neh­men, son­dern im Sep­tem­ber im Ple­num zu behan­deln und damit auch Ände­rungs­an­trä­ge zu ermög­li­chen. Das passt ganz gut zu einer Unter­schei­dung, die mir vor ein paar Tagen ein­fiel, als es dar­um ging, sich die Zukunft der Medi­en im Jahr 2030 vorzustellen. 

Mei­ne The­se war: wir kön­nen 2030 (naja, eigent­lich heu­te schon) ent­we­der in einer Goog­le-Welt oder in einer Wiki­pe­dia-Welt auf­wa­chen. Bei­de Begrif­fe sind unscharf und erklä­rungs­be­dürf­tig, und statt Goog­le-Welt könn­te da auch Face­book-Welt oder Ama­zon-Welt oder Ten­cent-Welt ste­hen, statt Wiki­pe­dia-Welt auch Linux-Welt oder Open-Know­leg­de-Welt. Unscharf sind die Begrif­fe, weil es fak­tisch nicht um zwei getrenn­te Wel­ten geht, son­dern unzäh­li­ge Quer­ver­bin­dun­gen bestehen. Wiki­pe­dia wäre ohne Goog­le nie zu dem gewor­den, was sie heu­te ist, viel­leicht wäre auch die füh­ren­de Such­ma­schi­ne weni­ger erfolg­reich, wenn sie nicht auch auf das in der Wiki­pe­dia ange­sam­mel­te Wis­sen zurück­grei­fen wür­de. Oder, um einen Blick auf Android zu wer­fen: das Goog­le-Betriebs­sys­tem beruht zu gro­ßen Tei­len auf Open-Source-Soft­ware, und anders­her­um flie­ßen Ent­wick­lun­gen von Goog­le auch in die Open-Source-Welt zurück.

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Kurz: Medienwandel kompakt, zum Dritten

Chris­toph Kap­pes, Jan Kro­ne und Leo­nard Novy haben vor kur­zem die drit­te Aus­ga­be ihres Buchs Medi­en­wan­del kom­pakt vor­ge­stellt (nähe­res zum Buch). Das Kon­zept die­ses Buches sieht vor, dass rele­van­te „Netz­ver­öf­fent­li­chun­gen“ zu – so der Unter­ti­tel – „Medi­en­öko­no­mie, Medi­en­po­li­tik und Jour­na­lis­mus“ gebün­delt auf Papier bzw. in ein e‑Book gebracht wer­den. Also, wie bereits beim Vor­gän­ger­band, qua­si eine Blog­bei­trag­samm­lung auf Papier. Die­ses Mal deckt das Buch den Zeit­raum 2014–2016 ab. Der Arti­kel­aus­wahl der Her­aus­ge­ber zufol­ge sind domi­nie­ren­de The­men in die­ser Peri­ode etwa die Debat­te um Fil­ter­bla­sen und Echo­kam­mern. Bots und Algo­rith­men tau­chen auf, das Ver­hält­nis von Autoren­schaft zu Platt­for­men, aber auch poli­tisch-recht­li­che Fra­gen rund um The­men wie Pri­vat­heit, Netz­neu­tra­li­tät und Hate Speech. Der weit­aus größ­te Teil der Bei­trä­ge befasst sich mit der (inner­jour­na­lis­ti­schen) Debat­te um die Zukunft, Arbeits­wei­sen und Finan­zie­rungs­for­men des Journalismus. 

Ich freue mich, dass auch ein kur­zer Text von mir (War­um Click-Akti­vis­mus etwas ändern kann) es in die­se Samm­lung geschafft hat. Trotz­dem bin ich mir nach wir vor nicht sicher, wo der Mehr­wert des Medi­en­wan­del kom­pakt liegt. Mir fehlt eine Ein­ord­nung der Tex­te, auch im zeit­li­chen Ver­lauf. Mit dem inzwi­schen drit­te Band böte es sich ja gera­de­zu an, Aus­sa­gen dazu zu tref­fen, wie sich Dis­kur­se ver­scho­ben haben, wel­che The­men neu auf­tre­ten, und wel­che in der Ver­sen­kung ver­schwun­den sind. Ich kann mir vor­stel­len, wie viel Arbeit damit ver­bun­den ist, pas­sen­de Tex­te her­aus­zu­su­chen, mit den Autoren (und zah­len­mä­ßig immer noch weni­gen Autorin­nen) zu ver­han­deln, mit dem Ver­lag zu ver­han­deln und so wei­ter. Den­noch wird das vor­lie­gen­de Buch dem selbst gesetz­ten Anspruch der Her­aus­ge­ber, „einen kom­pak­ten Über­blick über die Debat­ten der ver­gan­ge­nen drei Jah­re zur Medi­en­trans­for­ma­ti­on zu lie­fern“, nur bedingt gerecht. 

Als Mate­ri­al­samm­lung ist der Medi­en­wan­del kom­pakt (trotz der Fra­ge nach Reprä­sen­ta­ti­vi­tät, und trotz der nach wie vor unbe­frie­di­gen­den Abbil­dung von Blog­tex­ten auf Papier, ins­be­son­de­re hin­sicht­lich des Umgangs mit Links und Kom­men­ta­ren) wun­der­bar. Aber die weni­gen Sei­ten Ein­lei­tung rei­chen nicht aus, die sam­mel­band­ty­pisch kon­text­lo­sen – und blog­ty­pisch meist kur­zen und nicht aka­de­misch refe­ren­zier­ten – Tex­te hin­sicht­lich Medi­en­ent­wick­lung und Kom­mu­ni­ka­ti­ons­wan­del ein­zu­ord­nen, und ihre Rele­vanz für den betrach­te­ten Zeit­raum sicht­bar zu machen. Oder anders gesagt: die Selbst­be­ob­ach­tung der Netz­dis­kur­se ist nicht durch ihre Samm­lung abge­schlos­sen. Wenn Algo­rith­men (hier das gute alte wordle.net) den feh­len­den ein­ord­nen­den Ver­gleich (hier: die häu­figs­ten 75 Wör­ter aus den bei­den Inhaltls­ver­zeich­nis­sen) vor­neh­men wür­den, käme mög­li­cher­wei­se das Bild oben her­aus – links der Dis­kurs 2011–2013, rechts der Dis­kurs 2014–2016. „War­um Jour­na­lis­mus?“ – das scheint der Kern zu sein.