Welches Grün hätten’s denn gern?

Division by zero

Nach der Som­mer­pau­se geht’s mit der Poli­tik wei­ter. Die Bun­des­tags­wahl 2017 zieht am Hori­zont auf. Und weil Bünd­nis 90/Die Grü­nen eine betei­li­gungs­ori­en­tier­te Par­tei sind, gibt es – wie bereits 2013, aber mit deut­lich ver­schärf­tem Regle­ment, um Spaß- und Rand­kan­di­da­tu­ren aus­zu­sie­ben – auch die­ses Jahr wie­der eine Urwahl der Spitzenkandidat*innen für die Bundestagswahl. 

Jetzt könn­te ange­fan­gen wer­den, dar­über zu läs­tern, dass Spit­zen­kan­di­da­tu­ren für eine Par­tei, die im Bund anders als in Baden-Würt­tem­berg ver­mut­lich nicht in die Ver­le­gen­heit kom­men wird, den Kanz­ler oder die Kanz­le­rin zu stel­len, nur bedingt wich­tig sind. Jein, denn mit den Per­so­nen ist doch auch eine Rich­tungs­ent­schei­dung verbunden. 

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Kurz: Wozu es etwas zu sagen gäbe …

Irgend­wie bin ich nicht so recht in der Lau­ne, etwas zu blog­gen. Soll vorkommen. 

Dabei gibt es eini­ges, wozu es gera­de etwas zu sagen gäbe. Also zum Bei­spiel dazu, dass der drei­ßigs­te Jah­res­tag der Tscher­no­byl-Kata­stro­phe wohl ins­be­son­de­re in Deutsch­land ein Erin­ne­rungs­an­lass war. Oder dazu, dass es gro­ßer Quatsch ist, wenn der neu­en SINUS-Jugend­stu­die vor­ge­hal­ten wird, dass sie nichts wert ist, weil sie als qua­li­ta­ti­ve Stu­die „nur“ auf 72 Inter­views beruht (ich habe die Stu­die noch nicht gele­sen, inso­fern kann ich nichts fun­dier­tes dazu sagen, ob sie rele­van­te Aus­sa­gen trifft, aber die Kri­tik an der Metho­de auf­zu­hän­gen, hat, wie ich es bei Face­book las, etwas vom Wis­sen­schafts­ver­ständ­nis aus den 1950er Jah­ren). Zu der Exzel­lenz­in­itia­ti­ve und zum Stand trans­for­ma­ti­ver Wis­sen­schaft müss­te jemand was schrei­ben. Und natür­lich lie­ße sich sehr viel zu den baden-würt­tem­ber­gi­schen Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen sagen. Aber solan­ge der Koali­ti­ons­ver­trag nicht steht – Mon­tag soll es soweit sein – sind Ein­schät­zun­gen dazu müs­sig. Spe­ku­la­tio­nen dar­über, wer wel­ches Minis­te­ri­um erhält, erst recht. Zum Pro­gramm­pro­zess der grü­nen Bun­des­par­tei, zum angeb­li­chen „Links­ruck“, den Jür­gen Trit­tin aus­ruft, und dazu, ob ein Kanz­ler­kan­di­dat Win­fried Kret­sch­mann sinn­voll sein könn­te, wie es Gere­on Asmuth in der taz vor­schlägt (nein, fal­sche Are­na und fal­sche Leh­re aus dem baden-würt­tem­ber­gi­schen Wahl­er­folg) – auch das könn­te bebloggt wer­den. Oder eben auch nicht. Und ein Debat­ten­bei­trag zur Debat­te, wie unnö­tig die Dop­pel­spit­zen­de­bat­te und die Debat­te über die Dop­pel­spit­zen­de­bat­te sind, muss auch nicht sein. Und auch zum Nie­der­gang der SPD, zur Bun­des­prä­si­den­ten­wahl in Öster­reich und zur AfD, die dem­nächst dann also im baden-würt­tem­ber­gi­schen Land­tag sit­zen wird, schrei­be ich jetzt nichts, genau­so wie zum xten Ver­such der FDP, sich als coo­le­re Alter­na­ti­ve zur AfD darzustellen. 

Und ja – auch die ganz gro­ßen Welt­pro­ble­me blei­ben heu­te mal außen vor. Viel­leicht ein ande­res Mal.

P.S.: Und die re:publica zehn igno­rie­re ich auch.

Vertrauensbildende Maßnahmen

Ice shadow II

Am Mon­tag schrieb ich noch dar­über, dass der BDK etwas feh­le, und ges­tern tauch­te dann ein Papier auf. Das Papier – »Grü­ner Auf­bruch 2017« – löst nicht das ges­tern ange­spro­che­ne Pro­blem, aber es ist, mei­ne ich, eine ver­trau­ens­bil­den­de Maß­nah­me, die genau zur rich­ti­gen Zeit kommt. Des­we­gen unter­stüt­ze ich die­ses Papier. 

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Welche Wirklichkeit hätten’s denn gerne?

Soap bubble

Einen Sozi­al­kon­struk­ti­vis­ten soll­te das eigent­lich nicht über­ra­schen. Wir leben nicht nur in Fil­ter­bla­sen, son­dern tat­säch­lich in so etwas wie aus­ein­an­der­drif­ten­den Wel­ten. Die Syn­chro­ni­sa­ti­ons­funk­ti­on der Mas­sen­me­di­en stot­tert, und wenn es dann doch ein­mal gemein­sa­me media­le Groß­ereig­nis­se gibt – wie etwa das „TV-Duell“ zwi­schen Mer­kel und Stein­brück, das wohl mehr als 17 Mio. Men­schen gese­hen haben -, dann wird die Unter­schied­lich­keit der Lebens­wel­ten, Wer­te, vor­herr­schen­den Deu­tun­gen und Wis­sens­be­stän­de umso sichtbarer. 

Dass zwei Mei­nungs­um­fra­gen direkt nach dem Duell dia­me­tra­le Ergeb­nis­se her­vor­brin­gen, mag etwas mit metho­di­schen Arte­fak­ten zu tun haben – also viel­leicht damit, was genau gefragt wur­de [Nach­trag, 5.9.: so ist es] – aber mög­li­cher­wei­se ist auch das nicht viel mehr als ein Aus­druck davon, wie unter­schied­lich die ver­schie­de­nen Wahr­neh­mun­gen – und damit die ver­schie­de­nen Wirk­lich­kei­ten – sind. 

Da hilft dann auch das Kret­sch­mann­wort von den har­ten Fak­ten nichts – selbst die las­sen sich völ­lig unter­schied­lich inter­pre­tie­ren. Das wur­de nicht nur bei dem Dop­pel­in­ter­view von Stein­brück und Mer­kel deut­lich, son­dern auch in der heu­ti­gen Run­de zwi­schen Gysi, Brü­der­le und Trit­tin. Wir leben gleich­zei­tig in einem Land, in dem es allen wun­der­bar geht, und das super dasteht, und in einem Land, in dem es mas­si­ve Armut und eine aus­ein­an­der­ge­hen­de Wohl­stands­sche­re gibt. Wir leben in einem Land, in dem die Solar­ener­gie die Strom­prei­se ver­teu­ert hat, und in einem Land, in dem die Bevor­zu­gung der ener­gie­in­ten­si­ven Unter­neh­men – und deren Her­aus­nah­me aus der Umla­ge – die Strom­prei­se ver­teu­ert hat. (Ja, wir leben in einem Land, in dem Indus­trie­strom­prei­se sin­ken und Ver­brau­cher­strom­prei­se stei­gen). Wir leben in einem Land, in dem Über­wa­chung das zen­tra­le Pro­blem ist, und wir leben gleich­zei­tig in einem Land, in dem sich nie­mand dafür interessiert.

Übli­cher­wei­se lässt es sich mit die­sen unter­schied­li­chen Wirk­lich­kei­ten recht gut leben. Die „Ande­ren“ kön­nen, wenn sich Wege kreu­zen, selt­sam ange­schaut wer­den, aber meist blei­ben wir ja doch unter uns. Ganz egal, in wel­cher Bla­se, oder wel­cher Schnitt­men­ge, wel­cher Ver­schach­te­lung von Bla­sen. Ein klein wenig Stö­rung mag attrak­tiv erschei­nen, Per­tur­ba­ti­on erhöht die Krea­ti­vi­tät – aber im Gro­ßen und Gan­zen bestä­ti­gen wir uns das, was wir schon wis­sen, und bestä­ti­gen uns dar­in, dass das, was wir wis­sen, rich­tig ist – und das es völ­lig selbst­ver­ständ­lich falsch ist, das anders zu sehen. 

Nur in Zei­ten des Wahl­kampfs sto­ßen unter­schied­li­che Inter­pre­ta­tio­nen der Welt so deut­lich und so schmerz­haft auf­ein­an­der, wie das sonst nie der Fall ist. Nur in sol­chen Zei­ten wird uns so rich­tig bewusst, dass wir aus Sicht der „Ande­ren“ die­je­ni­gen sind, die selt­sa­men Irr­glau­ben nach­hän­gen und auch noch mei­nen, ver­nünf­tig zu sein. Ratio­na­li­tät ist was fei­nes – solan­ge sie mit der eige­nen Logik übereinstimmt.

Und ja, gemein­sam geteil­te Vor­an­nah­men machen das Leben leich­ter. Ohne wäre es kaum mög­lich, sich über­haupt zu ver­stän­di­gen. Umso schwie­ri­ger wird es, wenn eine Ver­stän­di­gung durch Sei­fen­bla­sen­wän­de hin­durch erfol­gen muss. Nicht von den glit­zern­den Far­ben ablen­ken las­sen, und auch nicht davon, dass alles ver­zerrt ist! 

War­um blog­ge ich das? Als Meta­kom­men­tar zu den TV-Duel­len und aus einer gewis­sen Wahl­kampf­ver­zweif­lung – mit Blick auch auf Umfra­ge­wer­te – her­aus. Und aus einer nai­ven, roman­ti­schen Hoff­nung, dass es doch so etwas wie eine gemein­sa­me Basis geben müss­te, die über­haupt als Grund­la­ge von Poli­tik die­nen könnte.

Kurz: Steuerpflichtige und Wutreiche

In Reak­ti­on auf die grü­nen Vor­schlä­ge zur Steu­er­re­form setz­te ein lau­tes Geheu­le ein. Jür­gen Trit­tin hat hier den schö­nen Begriff der „Wut­rei­chen“ gefun­den, die jetzt laut­stark auf sich auf­merk­sam machen. Gleich­zei­tig hal­ten 72 Pro­zent der Bevöl­ke­rung zu Steu­er­erhö­hun­gen für sinn­voll (laut Deutsch­land­trend Mai 2013) – ich ver­mu­te ja, dass damit vor allem gemeint ist, dass die Steu­ern der ande­ren erhöht wer­den sollen.

Ein Pro­blem in der Debat­te ist die Unklar­heit, ob Ein­künf­te, Brut­to­ein­kom­men oder das zu ver­steu­ern­de Jah­res­ein­kom­men (Brut­to mit diver­sen Abzü­gen wie Kin­der­frei­be­trä­gen, Ver­lust­vor­trä­gen etc.) gemeint ist. Und was dann tat­säch­lich im Geld­beu­tel ankommt, ist noch ein­mal eine ganz ande­re Fra­ge. Dazu kommt die Dif­fe­renz zwi­schen mitt­le­rem, tat­säch­lich gezahl­ten Steu­er­satz und dem Spit­zen­steu­er­satz, der erst ober­halb von 80.000 € zur Anwen­dung kommt. Alles nicht so ein­fach, also. 

Trotz­dem scheint mir ein Blick in die Sta­tis­tik (hier 2007, neue­re Zah­len lie­gen noch nicht vor) hilf­reich. So lag die Sum­me der Ein­künf­te pro Steuerpflichtigem/r bei gut 40.000 Euro (Medi­an: 29.198 Euro), das tat­säch­lich zu ver­steu­ern­de Ein­kom­men aber nur bei etwa 34.000 Euro (Medi­an: 24.204 Euro pro Jahr). Anders gesagt: bei der Hälf­te aller Steu­er­pflich­ti­gen (Ein­zel­per­so­nen, etwa 2/3 aller Fäl­le, genau­so wie gemein­sam ver­an­lag­te Ehe­part­ner nach Split­ting­ta­bel­le, etwa 1/3 aller Fäl­le) lag das zu ver­steu­ern­de Jah­res­ein­kom­men 2007 bei weni­ger als 24.204 Euro. 

Damit wird deut­lich, dass hier das Phä­no­men zutrifft, dass vie­le Men­schen sich sub­jek­tiv sozi­al höher­la­gig ein­schät­zen, als dies real der Fall ist. Wer sieht sich nicht zur obe­ren Mit­tel­schicht gehö­rend? Fak­tisch sah die Ein­kom­mens­ver­tei­lung (wie­der­um nach dem zu ver­steu­ern­den Ein­kom­men) unter den 38,4 Mio. Steu­er­pflich­ti­gen im Jahr 2007 so aus: 86,9 Pro­zent lie­gen unter­halb von 50.000 Euro, wer­den nach grü­nen Plä­nen also ent­las­tet!, wei­te­re 8,4 Pro­zent der Steu­er­pflich­ti­gen zwi­schen 50.000 und 75.000 Euro zu ver­steu­ern­dem Jah­res­ein­kom­men. Ober­halb von 75.000 Euro lie­gen nur 4,6 Pro­zent der Steu­er­pflich­ti­gen. Die, oder die, die sich dafür hal­ten, sind jetzt laut­stark zu hören. Selbst wenn nicht das zu ver­steu­ern­de Jah­res­ein­kom­men, son­dern das Brut­to­ein­kom­men her­an­ge­zo­gen wird, dürf­te die Ver­tei­lung ganz ähn­lich aussehen.