Grüne: Zerreißprobe – Zeit für Zusammenhalt

Grün aus Verantwortung - Die Landesdelegiertenkonferenz in Pforzheim
Foto: Bünd­nis 90/Die Grü­nen Baden-Würt­tem­berg, CC-BY-SA

Die Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz der baye­ri­schen Grü­nen hat sich ges­tern extrem knapp gegen einen Antrag aus­ge­spro­chen, der das am Frei­tag im Bun­des­rat durch­ge­wun­ke­ne „Asyl­pa­ket“ abge­lehnt hät­te. Ande­re pos­ten Aus­tritts­er­klä­run­gen, wech­seln Lan­des­ver­bän­de (aus NRW nach Thü­rin­gen) oder erklä­ren laut, nicht mehr Grün wäh­len zu wollen. 

Gegen­schnitt: Vor einer Woche, Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz der baden-würt­tem­ber­gi­schen Grü­nen, in der Pres­se als „Krö­nungs­mes­se“ bezeich­net: nach einer 75-minü­ti­gen Rede, die etwa zur Hälf­te die Flücht­lings­si­tua­ti­on und das Han­deln der Lan­des­re­gie­rung, aber in recht deut­li­cher Form auch die anste­hen­de Zustim­mung zum „Asyl­pa­ket“ behan­del­te, gibt es minu­ten­lang Bei­fall für Minis­ter­prä­si­dent Win­fried Kret­sch­mann, kurz dar­auf wird er mit einem Traum­er­geb­nis von 97 Pro­zent als Spit­zen­kan­di­dat für 2016 aufgestellt.

Im Bun­des­rat mel­den sich unge­wöhn­lich vie­le Regie­rungs­chefIn­nen zum TOP Asyl­ver­fah­rens­be­schleu­ni­gungs­ge­setz zu Wort. 

Vie­les von dem, was Kret­sch­mann dort sagt, kann­te ich schon aus sei­ner Regie­rungs­er­klä­rung und aus sei­ner Par­tei­tags­re­de. Er beton­te die Her­aus­for­de­rung, warb für Zuver­sicht, mach­te aber auch deut­lich, dass die ganz kon­kre­te lan­des- und kom­mu­nal­po­li­ti­sche Lösung der Her­aus­for­de­run­gen, z.B. ein Dach über dem Kopf zu orga­ni­sie­ren, wei­ter­hin eine „Fahrt auf Sicht“ sei. Auch bei Kret­sch­mann wur­de der „Kom­pass“ deut­lich; ande­re wirk­ten in die­ser Hin­sicht noch kla­rer – etwas Tarek Al-Wazir, oder auch Schles­wig-Hol­steins Minis­ter­prä­si­dent Tors­ten Albig (SPD). Ich habe mit­ge­nom­men, dass sich vie­le Län­der, auch sol­che, die dem „Asyl­pa­ket“ zuge­stimmt haben, mit die­sem Kom­pro­miss nicht leicht tun, dass sie durch­aus auch die Tei­le sehen, die mit Bauch­weh ver­bun­den sind. Anders als bei den Rede­bei­trä­gen aus Sach­sen oder Bay­ern wur­de die Zustim­mung jedoch nicht mit der For­de­rung nach wei­te­ren Ver­schär­fun­gen (Ober­gren­zen, „Tran­sit­zo­nen“, …) ver­bun­den, und wur­de das Schick­sal der Flücht­lin­ge – und eben nicht das der „besorg­ten Bür­ger“ in den Mit­tel­punkt gestellt. Das macht die – Aus­nah­me: Nie­der­sach­sen, Bre­men, Thü­rin­gen – grü­ne und rote Zustim­mung nicht bes­ser, zeigt aber, dass zwi­schen einem „wir brau­chen das Geld, es gibt ein paar Ver­bes­se­run­gen, also stim­men wir zu“, nen­nen wir’s prag­ma­ti­scher Huma­nis­mus, und einem „ers­ter Schritt zur Ver­schär­fung des Asyl­rechts, wei­te­re müs­sen fol­gen“ von CSU bis AFD wei­ter­hin Wel­ten lie­gen. Zum Glück.

Inter­es­sant fand ich, wie vie­le Par­tei­freun­dIn­nen wohl erst durch die Abstim­mun­gen im Bun­des­tag (Grü­ne: dif­fe­ren­ziert, im End­ergeb­nis über­wie­gend Ent­hal­tung) und im Bun­des­rat dar­auf auf­merk­sam wur­den, dass die­ses „Asyl­pa­ket“ eben auch unter der Betei­li­gung des grü­nen Minis­ter­prä­si­den­ten zustan­de gekom­men ist, und dass mit hoher Wahr­schein­lich­keit eine gan­ze Rei­he grü­ner Vize-Regie­rungs­chefIn­nen eben­falls dar­an betei­ligt waren. Dabei hat bereits die gemein­sa­me Erklä­rung „Ver­ant­wor­tung für Flücht­lin­ge“ deut­lich gemacht, in wel­che Rich­tung eine grü­ne Zustim­mung gehen könn­te. Schnel­le­re Asyl­ver­fah­ren, finan­zi­el­le Hil­fen des Bun­des und als Gegen­stück Gesund­heits­kar­te und Kor­ri­dor für Arbeits­zu­wan­de­rung vom West­bal­kan sind hier bereits ange­legt. Inso­fern mei­ner­seits Ver­wun­de­rung dar­über, dass die­se Debat­te erst jetzt so rich­tig wahr­ge­nom­men wird und hochkocht.

Und: es geht nicht um Baden-Würt­tem­berg gegen den Rest der grü­nen Welt, auch wenn das ger­ne so dar­ge­stellt wird. Anders als vor einem Jahr fand die Posi­tio­nie­rung dies­mal zwi­schen den Län­dern, Bun­des­tags­frak­ti­on und Bun­des­vor­sit­zen­den abge­stimmt statt. Auch des­we­gen waren es dies­mal eben nicht nur Baden-Würt­tem­berg, son­dern auch Län­der wie Hes­sen, Ham­burg, NRW und Rhein­land-Pfalz, in denen mit­re­gie­ren­de Grü­ne mit für das „Paket“ gestimmt haben. Selbst ein Sche­ma wie „Real­po­li­tik“ gegen „Lin­ke“, auch wenn der der­zeit eher dys­funk­tio­na­le lin­ke Flü­gel wohl eine Rol­le spielt, trägt aus mei­ner Sicht nicht wirk­lich als Erklär­mus­ter, eher schon „Regie­rungs­ver­ant­wor­tung“ ver­sus „Oppo­si­ti­on“.

Wie dem auch sei – ein gewis­ses Beben in der Par­tei ist defi­ni­tiv zu spü­ren. Kon­ti­nen­ta­le Mas­sen bewe­gen sich in unter­schied­li­che Rich­tun­gen, das ist eben auch an seis­mi­schen Aus­schlä­gen abzu­le­sen. Stellt sich die Fra­ge, wie lan­ge das noch gut geht. Eine Soll­bruch­stel­le ist die Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz in Hal­le im Novem­ber. Ich bin sehr gespannt, und nicht nur zuver­sicht­lich, wie die­ser Par­tei­tag ver­lau­fen wird. (An die­ser Stel­le sei ein Quer­ver­weis auf mei­nen Text zu zwei „Zurück-zur-Basis“-Anträge zur BDK in Hal­le erlaubt).

Ein wei­te­rer Häu­tungs­pro­zess, mit grö­ße­ren Aus­tritts­zah­len, so wie in den Jah­ren nach der Regie­rungs­über­nah­me auf Bun­des­ebe­ne, als prag­ma­ti­sche Ent­schei­dun­gen, die nicht 100 Pro­zent in Ein­klang mit dem Pro­gramm stan­den, Mit­glie­der zum Aus­tritt brach­ten? Eine Implo­si­on des lin­ken Flü­gels, der zumin­dest in orga­ni­sier­ter Form eine bür­ger­lich-öko­lo­gi­sche Par­tei zurück­lässt? Oder wäre gar das Sze­na­rio einer Spal­tung rea­lis­tisch (die aktu­el­len Wahl­er­geb­nis­se in der Schweiz, wo es neben der Grü­nen Par­tei auch die Grün­li­be­ra­len gibt, zei­gen, dass so eine Spal­tung in den Kon­se­quen­zen eher eine Schwä­chung darstellt)? 

Jeden­falls: die Zustim­mung zum „Asyl­pa­ket“ stellt die Par­tei vor eine Zer­reiß­pro­be, oder ist zumin­dest ein Sym­ptom einer sol­chen Zerreißprobe. 

Umso wich­ti­ger wäre es, wenn die Bun­des­par­tei (und das kann nur die Bun­des­par­tei) noch ein­mal stär­ker als bis­her die Auf­ga­be annimmt, Zusam­men­halt in der Par­tei her­zu­stel­len. Das muss kein Kon­sens sein und erst recht kein Burg­frie­den, aber doch eine gemein­sa­me Are­na, um inhalt­li­che Streits aus­zu­fech­ten. Die Län­der, ins­be­son­de­re die neun Regie­rungs­län­der, schaf­fen es, sich auf einen gemein­sa­men Kurs zu ver­stän­di­gen. Gege­be­nen­falls neh­men sie die Bun­des­tags­frak­ti­on mit. Hier fehlt aber ein ver­hand­lungs­fä­hi­ger Reprä­sen­tant, eine ver­hand­lungs­fä­hi­ge Reprä­sen­tan­tin der Gesamt­par­tei, die bzw. der auch das Inter­es­se der „Oppo­si­ti­ons­grü­nen“ mit im Blick hat, ohne sich in inner­par­tei­li­cher Fun­da­men­tal­op­po­si­ti­on zu verbeißen. 

Ich schät­ze vie­les von dem, was der aktu­el­le Bun­des­vor­stand macht (und mit etwas ver­än­der­ten Schwer­punk­ten lie­ße sich ähn­li­ches über die Bun­des­tags­frak­ti­on sagen). Orga­ni­sa­ti­ons­re­form, Pro­fes­sio­na­li­sie­rung, Auf­ar­bei­tung des Miss­brauch­skan­dals der 1980er Jah­re, neu­es Cor­po­ra­te Design, Arbeit zu TTIP und zur Kli­ma­kon­fe­renz, inhalt­li­che Schwer­punk­te etwa bei der Digi­ta­li­sie­rung oder bei der Zeit­po­li­tik. Das ist schön grün. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es aus­reicht, um zwi­schen Flens­burg und Pas­sau, zwi­schen Frei­burg mit einer gefühl­ten bür­ger­lich-grü­nen Mehr­heit und der ost­deut­schen Stu­di­stadt-Dia­spo­ra Gemein­sam­keit und Zusam­men­halt her­zu­stel­len; also in einer hete­ro­ge­ner gewor­de­nen Par­tei. Denn die Her­stel­lung von Zusam­men­halt ist ein akti­ver Pro­zess; sich selbst über­las­sen, drif­ten unter­schied­lich kon­tex­tu­ier­te Poli­ti­ken aus­ein­an­der (oder knal­len auch mal aufeinander). 

In Hal­le müs­sen Cem Özd­emir, Simo­ne Peter und Micha Kell­ner plau­si­ble Ant­wor­ten auf die­se Her­aus­for­de­rung geben kön­nen. Sie müs­sen sagen, wie sie es sich vor­stel­len, gemein­sam grün, stark und sicht­bar zu wer­den. Nicht als wei­ter so, und nicht als Unter­ord­nung unter die Bin­nen­lo­gik der Lan­des­re­gie­rungs­po­li­tik. Auch davon wird abhän­gen, mei­ne ich jetzt schon sagen zu kön­nen, wie die­ser Bun­des­par­tei­tag ver­lau­fen wird und was für ein Signal davon aus­geht und in der Par­tei wahr­ge­nom­men wer­den wird. Und das ist gera­de in Zei­ten wie die­sen, mit selt­sam quer­lie­gen­den poli­ti­schen Kon­stel­la­tio­nen, mit einer erdrü­cken­den gro­ßen Koali­ti­on und sich her­aus­ge­for­dert füh­len­den Län­dern wich­ti­ger denn je.

War­um blog­ge ich das? Weil ich mir Sor­gen um mei­ne Par­tei mache, und weil – ganz ego­is­tisch betrach­tet – die grü­nen Lan­des­ver­bän­de in Rhein­land-Pfalz, Sach­sen-Anhalt und Baden-Würt­tem­berg der­zeit, kurz vor den Land­tags­wah­len, alles ande­re als eine zer­brö­seln­de Bun­des­par­tei gebrau­chen können.

P.S.: Das ist jetzt ein sehr inner­par­tei­lich fokus­sier­ter Text gewor­den. Oder: die Par­tei als Mikro­kos­mos der Gesellschaft.

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