Ein Monat nach den baden-württembergischen Landtagswahlen stecken wir mitten in der Verhandlungen mit der CDU über eine zweite grün-schwarze Koalition; diesmal nicht als Komplementärkoalition, sondern als Aufbruch für Baden-Württemberg angelegt, in dem sich die deutlich verschobenen Kräfteverhältnisse widerspiegeln. 32,6 Prozent als bestes Landtagswahlergebnis Grüner überhaupt (58 der 70 Direktmandate im Land!), und 24,1 Prozent für die CDU. Das hat nicht nur dazu geführt, dass die CDU-Spitzenkandidatin ihren Abschied von der Politik erklärt hat, sondern auch klare grüne Erfolge bereits in den Sondierungsgesprächen ermöglicht.
Insbesondere beim Klimaschutz ist das Sondierungspapier „grasgrün“, aber auch in anderen Politikfeldern wurden erste Pflöcke eingerammt. In anderen Feldern wird es jetzt in den Koalitionsverhandlungen richtig spannend – zu wie vielen Zugeständnissen ist die CDU bereit, etwa in der Bildungs‑, Hochschul- und Gesellschaftspolitik?
Direkt am Wahlabend sah es eine Zeit lang so aus, als könne es knapp für eine Neuauflage der grün-roten Koalition reichen. Um es so platt zu sagen: verhindert haben das Stimmen, die an kleine Parteien gingen. Es bringt wenig, über vergossene Milch zu jammern, aber rechnerisch ist es klar, dass ein paar hundert Stimmen mehr für Grüne in ein oder zwei knappen Wahlkreisen eine andere Koalition möglich gemacht hätten. Der Ärger am Wahlabend ergoss sich dabei insbesondere in Richtung Klimaliste Baden-Württemberg, die mit landesweit 0,9 Prozent ihre eigenen Ziele deutlich verfehlt haben, aber jetzt dazu beigetragen haben, dass entweder die CDU oder die FDP an der Regierung beteiligt ist.
Beides wurde parallel sondiert. Gerade im klimabewegten, linken, jüngeren Spektrum der Partei lagen die Sympathien dabei zunächst bei der Ampel (SPD und FDP erreichten jeweils etwa 10 Prozent). Dass die Entscheidung der Sondierungsgruppe dann doch für Grün-Schwarz ausfiel, war zunächst erklärungsbedürftig. Dabei half die FDP tüchtig mit – direkt nach der Entscheidung für Grün-Schwarz deutete deren Spitzenkandidat Rülke das als „Unterwerfung der CDU“ und sprach von einer „Kapitulation“. Mit der FDP sei ein derartiges Regulierungsprogramm nicht zu machen.
Und genau da lag das Problem – denn wie bitte soll, erst recht in Zeiten deutlich knapperer Kassen, Klimaschutz ohne Regulierung, ohne Ordnungspolitik funktionieren. Insofern ist es bei allen Sympathien für neue Modelle und für ein Regieren ohne CDU zweifelhaft, dass in der Ampel das hätte vereinbart werden können, was jetzt im Sondierungspapier steht.
Geholfen hat auch nicht, dass viele, vor allem Journalist:innen, gleich von einem Signal für den Bund gesprochen hatten. Klar, im September ist Bundestagswahl, und auch dort stehen dann möglicherweise die Varianten Grün-Schwarz bzw. Schwarz-Grün oder eben eine Ampel zur Auswahl. Aber Baden-Württemberg ist nicht der Bund, und es ist falsch, landespolitische Entscheidungen immer nur im Raster „Signal“ zu lesen und zu deuten. Fünf Jahre in eine Koalition zu gehen, nur um ein Signal zu setzen – das kann’s ja auch nicht sein.
Apropos Bundestagswahl: derzeit sind wir im grünen Hoch. Annalena Baerbock und Robert Habeck klären die Frage, wer als Kanzlerkandidat:in antritt, professionell – nächste Woche wissen wir es. Auf der anderen Seite ist eine SPD, die nicht über die 15, 16 Prozent hinauskommt, und deren Kandidat Olaf Scholz sich wenig bemerkbar macht – und eine CDU/CSU, die gerade kein Bild von Union und Einigkeit abgibt, sondern jede Menge Chaos produziert. Politiker, die unter Korruptionsverdacht zurücktreten, eine Maskenaffäre, eine unschlüssige Corona-Politik gerade im Bundesland NRW, dessen Ministerpräsident Armin Laschet Kanzlerkandidat werden will, eine rhetorisch starke Corona-Politik in Bayern, dessen Ministerpräsident Markus Söder jetzt vielleicht doch auch Kanzlerkandidat werden will … Stabilität und Klarheit sehen anders aus.
Insofern wurde auf dem grünen Landesparteitag bereits darüber spekuliert, ob es diesmal statt der bisherigen 13 vielleicht sogar 40 grüne Bundestagsmandate aus Baden-Württemberg sein können. Ich bin hier skeptischer. Zum einen klappt das nur, wenn Grüne in Baden-Württemberg nochmal deutlich besser als im Bund abschneiden. Unser aktuelles grünes Hoch ist aber ein bundesweites, das in vielen Ländern seinen Niederschlag findet. Und zum anderen steckt die leidvolle Erfahrung von 2013 und 2017 in den Knochen – von hohen Zustimmungswerten aus gestartet, dann aber doch bei rund neun Prozent gelandet. Das muss sich nicht wiederholen, erst recht dann, wenn die andere Seite Fehler macht. Aber es ist schon jetzt klar, dass alle anderen Parteien sich massiv auf uns einschießen werden. Ob das glimpflich ausgeht, bleibt abzuwarten. Nach jetzigem Stand können wir im September mit einem sehr guten Ergebnis rechnen, vielleicht sogar die Zahl der Abgeordneten verdoppeln (das wären dann 26). Aber 40 Mandate halte ich dann doch für unwahrscheinlich.
Aufgestellt wurde jedenfalls höchstvorsorglich eine grüne Liste mit 60 Plätzen, routiniert und diszipliniert digital gewählt. Das Ganze muss jetzt noch per Briefwahl bestätigt werden.
Bis hin zu den letzten Plätzen gab es einige sehr starke Vorstellungen – insbesondere bei einigen Bewerberinnen hätte ich mir ein Antreten weiter oben gut vorstellen können. Eine mangelnde Personalreserve sehe ich jedenfalls nicht.
Spannend waren einige extrem knappe Duelle zwischen profilierten jüngeren Grünen und amtierenden Bundestagsabgeordneten, bei denen sich dann Ricarda Lang, Marcel Emmerich und Zoe Mayer auf den Plätzen 11, 12 und 13 durchsetzten; auf Platz 15 wurde ebenso knapp Chantal Kopf aus Freiburg nominiert. Auf Platz 14 wurde Tobias Bacherle ohne Gegenkandidat gewählt, auf Platz 17 setzte sich Melis Sekmen durch. Alle genannten haben – bei durchaus unterschiedlichen politischen Haltungen – die Gemeinsamkeit, noch keine 30 Jahre alt zu sein. Und damit ist jetzt schon klar, dass die grüne Bundestagsfraktion in ihrem baden-württembergischen Teil deutlich jünger werden wird. Damit setzt sich ein Trend fort, der auch schon bei den Vorstandswahlen und bei den Neueintritten zu beobachten ist, und sicherlich auch etwas mit den stärker werdenden sozialen Bewegungen der letzten Jahre zu tun hat. Mit der personellen Erneuerung ist zumindest teilweise auch eine programmatische Erneuerung verbunden.
Damit schließt sich der Kreis zu den Koalitionsverhandlungen. Auch hier sind die Erwartungen hoch, dass sich große Teile des vollgepackten und an einigen Stellen programmatisch durchlüfteten grünen Regierungsprogramms dann auch im Koalitionsvertrag wiederfinden werden, zuvorderst – aber nicht nur dort – im Klimaschutzsofortprogramm. Und ich denke, dass es in der Partei auch die Erwartung gibt, dass im Kabinett jüngere Gesichter nach vorne rücken. Im Vordergrund stehen in den nächsten Wochen jedoch erst einmal die Inhalte.
Eine Antwort auf „Grünes Hoch, hohes Grün“