Am Montag schrieb ich noch darüber, dass der BDK etwas fehle, und gestern tauchte dann ein Papier auf. Das Papier – »Grüner Aufbruch 2017« – löst nicht das gestern angesprochene Problem, aber es ist, meine ich, eine vertrauensbildende Maßnahme, die genau zur richtigen Zeit kommt. Deswegen unterstütze ich dieses Papier.
Der Sinn und Zweck des Aufbruch-Papiers wurde von den Medien durchaus richtig erkannt. Astrid Geisler schreibt in der taz, dass der Antrag „frei von inhaltlichen Sensationen [sei] und trotzdem ein wirklich bemerkenswertes Opus“ darstelle – aufgrund der UnterzeichnerInnen, zu denen nicht nur die fünf stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion und Malte Spitz gehören, sondern auch Claudia Roth und Jürgen Trittin, Alexander Bonde und Boris Palmer. Viel breiter und flügelübergreifender geht es nicht. Und insofern hat auch Florian Gathmann Recht, wenn er bei Spiegel Online unter der Überschrift „Versöhnen statt Spalten“ schreibt, dass die Botschaft des Papiers sei: „Wir Grünen können nur gemeinsam erfolgreich sein. Das ist nicht besonders originell – aber angesichts der aktuellen Lage bei den Grünen mehr als ein Allgemeinplatz.“
Wer bei den UnterzeichnerInnen fehlt, sind die Hessen – die mit F04, zu dem der „Aufbruch 2017“ eine „Globalalternative“ darstellt, in gewisser Weise die ganze Sache mit ausgelöst haben.
Noch einmal: Der »Aufbruch 2017« ist keine rhetorische Glanzleistung. Er ist kein strategisches Meisterwerk. Vieles, was dort beschrieben wird, ist – eigentlich – Minimalkonsens der Partei. Oder sollte es zumindest sein. Große Innovationen fehlen, dafür finden sich Floskeln zuhauf. Aber um all das geht es nicht. Und der Antrag ist erst recht keine weitere Aufarbeitung der verlorenen Bundestagswahl, auch wenn manche Absätze so wirken, sondern der Versuch, jetzt nach vorne zu schauen – gemeinsam. Deswegen finde ich die Kritik (wie hier von Jörg Rupp), die die symbolische Handlungsdimension ignoriert und allein auf inhaltliche Schwächen und fehlende Themen verweist, an dieser Stelle und zu diesem historischen Moment schlicht falsch. Kurzum: Es geht darum, das innerparteiliche Vertrauen wieder herzustellen, das in den letzten zwölf Monaten verloren gegangen ist. Und damit die Grundlage dafür zu legen, auch nach außen als eine Partei auftreten zu können.
Nun ist es mit dem Vertrauen in einer Partei so eine Sache. Dazu muss nicht auf den Niedergang der Piraten geblickt werden. Am Schluss geht es immer um die Konkurrenz um Ämter (und, weil ich es falsch finde, uns darauf zu reduzieren: natürlich ebenso um die programmatische Konkurrenz). Parteitage können wie Familientreffen wirken, aber wenn, dann sind sie Familientreffen von weitverzweigten Clans, in denen längst nicht nur Harmonie herrscht. Jedenfalls ist Vertrauen innerhalb von Parteien eine zerbrechliche Angelegenheit, dünnes Eis, das nur bis dahin trägt, und nicht weiter. Trotzdem geht es nicht ohne – wenn jede politische Handlung nur noch nach dem Maßstab „für mich oder gegen mich“ beurteilt wird, bleibt von einer Partei nur eine leere Hülle. Insofern gehört zu den größten Herausforderungen, die eine gute Parteiführung hinkriegen muss, die Balance zwischen Grundvertrauen und Gemeinschaftlichkeit auf der einen Seite und Konkurrenz und „Streitkultur“ auf der anderen Seite. Denn es geht ja um etwas – insofern hilft es auch nicht, sich auf formale Kompromisse zu einigen, und Konflikte nicht auszutragen. Aber der Boden sollte doch ein gemeinsamer sein, und wenn am Ende des Tages Blut aufgewischt werden muss, ist etwas falsch gelaufen.
Deswegen finde ich es gut, dass hier – über die ganze Breite der Partei hinweg – gemeinsam der Blick nach vorne geübt wird. Das ist eine vertrauensbildende Maßnahme. Es ist auch ein Akt der Einhegung.
Wenn Jörg auf die „Alphamännchen“ – ich meine, jeglichen Geschlechts – in der Partei verweist, dann ist das nicht ganz falsch. Aber es ist nicht das eigentliche Problem. Der Evolutionsdruck in Parteien, wenn wir schon bei biologischen Metaphern sind, bringt einen gewissen Narzissmus, eine gewisse Eitelkeit hervor. Wer nicht auffällt, wird nicht gewählt, und wer nicht mit den Medien spielt, um sich als Führungspersönlichkeit zu inszenieren, wird auch nicht für eine gehalten. Aber es braucht einen Gegenpol, und der kann in einer grünen Partei nur die „Basis“ sein – es ist unsere Verantwortung als aktive Mitglieder der Partei, für Erdung zu sorgen. Hinter der Floskel davon, die „Partei mitzunehmen“ (die Mitglieder mitzunehmen, die Menschen mitzunehmen) steckt eben auch die Bringschuld der Partei, der Mitglieder, der Menschen, sich gegebenenfalls entgegenzustemmen, jedenfalls: als merkliches Gewicht spürbar zu sein, wenn es dem bedarf.
Aber dieses Kräfteverhältnis darf nicht mit der – bis ins Selbstzerstörerische gehenden – Selbstbeschäftigung verwechselt werden. Auch deswegen finde ich den zentralen Kern des „Aufbruchs 2017« relevant: Grüne stehen als Partei für eine bestimmte Vorstellung von Zukunft, für die andere Parteien nicht stehen.
Unter diesen demokratischen Verhältnissen [der Groko] ist heute und in Zukunft eine werteorientierte, glaubwürdige, verlässliche und über den Tag hinaus denkende Partei, die Ökologie, Demokratie, Gerechtigkeit sowie Freiheit und Selbstbestimmung miteinander verbindet, notwendiger denn je. Das treibt uns an, das motiviert uns. Wir brauchen keine Nabelschau, keine gegenseitigen
Ermahnungen. Deshalb geht es für uns nicht um den Blick zurück, sondern um den Blick nach vorne.
Und natürlich ist der Aufruf, keine Nabelschau zu betreiben, zunächst doch noch einmal Nabelschau. Aber ich sehe darin eine Brücke, wieder zu einem vertrauensvollen Umgang in der Partei zurückzukehren und ein klares Bild nach außen abzugeben, wofür wir stehen, wohin wir wollen, wie es mit Grün weitergeht. Dass heißt auch: Einstehen für Gestaltungswillen und für Eigenständigkeit.
Der Grüne Aufbruch für 2017 braucht Ideen und Visionen mit dem Willen zur (langfristigen) Veränderung und nicht den Zwängen möglicher Koalitionsverhandlungen folgend. Unser politisches Handeln, ob außenparlamentarisch, in Regierung oder Opposition, muss sich daran messen lassen, ob es uns gelingt, Veränderungen im Sinne unserer Werte umsetzen zu können. Dabei muss die Richtung stimmen: ökologischer, sozialer, gerechter, demokratischer und friedlicher.
Was es heißt, in diese Richtung zu gehen, welche Instrumente und Strategien die richtigen sind – über all diese Fragen wird es auch nach diesem Papier weiter intensive Debatten geben. Auch das gehört zur grünen Kultur dazu. Aber es wird sie, so jedenfalls meine Hoffnung, wieder ein Stück weit mehr geben als Streit um den besseren Weg, und nicht als Misstrauenserklärung. Darum geht es.
Warum blogge ich das? Um öffentlich zu machen, dass und warum ich den Aufbruch 2017 unterstütze.
P.S.: Zum Thema Vertrauen/Misstrauen in der grünen Partei bzw. im linken Spektrum fiel mir grade noch dieser Text von mir (von 2012) ein. Passt ganz gut.