„Unterm Strich würde ich gerne in dem Baden-Württemberg leben, das Kretschmann da grade entwirft.“, schrieb ich bei Twitter als Fazit zur „Heimat, Hightech, Highspeed“-Regierungserklärung, und das ist vielleicht erklärungsbedürftig.
Um ganz vorne anzufangen: eine Regierungserklärung im baden-württembergischen Landtag funktioniert so, dass der Ministerpräsident (oder eine andere VertreterIn der Landesregierung) sich ausführlich, grundsätzlich und übergreifend äußert, und – üblicherweise – die Fraktionsvorsitzenden darauf reagieren. Und zwar in „Debatte mit freier Redezeit“, was ganz schön lang sein kann. In dieser Regierungserklärung ging es um „Digitalisierung“, und um die (insbesondere auch wirtschaftlichen) Chancen von Dingen, die mit so schönen Buzzwords wie „Induschdrie 4.0«, „digitaler Wandel“, „Cloud“ oder „Cybersecurity“ umreißen lassen.
Die Debatte fand ich – ehrlich gesagt – weniger spannend als die eigentliche Regierungserklärung. Die FDP, vertreten durch Fraktionschef Rülke, überraschte mich ein wenig, weil zumindest am Anfang der Rede am stärksten technikkritische Momente durchschienen. Interessant war die Rede der CDU. Da sprach nämlich nicht der Fraktionsvorsitzende Peter Hauk, sondern Guido Wolf, Landtagspräsident und Kandidat für die Kandidatschaft der CDU. Entsprechend stellte er sich dann auch da, habituell nämlich als die „kraftvollere“ Kopie Kretschmanns.
Inhaltlich blubberte Wolf eher, neben „zu spät“, „mehr“, „besser“, „Offensive“ etc. fehlten die inhaltlichen Konzepte. Das Space Shuttle als Benchmark für Hightech – das galt vielleicht zu Lothar Späths Zeiten. Der übrigens jeden Tag fünf Ideen hatte. Ein „digitales Kompetenzforschungszentrum, dass die Forschungskompetenzen bündelt und vernetzt“ (so in etwa nannte Wolf das) einzufordern, ist das einzige, was mir neben den Punkten, in denen Baden-Württemberg bereits reichlich aktiv ist, in Erinnerung geblieben ist. Und die Krebsforschung mit Big Data führend zu machen. Keine Ahnung, was das DKFZ in Heidelberg im Detail so macht, aber vielleicht sowas ähnliches? Buzzwords hatte er auch, da ging’s zum Beispiel darum „Stärken in einem digitalen Ökosystem zu vernetzen, um kreatives Wachstum zu entfalten“. Ja, prima. Lustig der – eigentlich inhaltlich ja gar nicht so blöde – Gedanke am Schluss von Wolfs Rede. Da forderte er nämlich einen Ausbau der Technikfolgenabschätzung. Also sowas wie die Akademie für Technikfolgenabschätzung, die wer – ja, genau: die CDU – 2002 geschlossen hat. Aus Gründen des Ideologieverdachts der Kosten. Oder sowas wie das ITAS am KIT mit Armin Grunwald, oder die Leute rund um Ortwin Renn an der Uni Stuttgart. Die fleißig Technikfolgenabschätzung betreiben. Passte zum Eindruck, dass Wolf von lauter Offensivkraft wenig informiert darüber wirkte, was eigentlich im Land so passiert.
Und Kretschmann? Ein konservativer Grüner, der über Digitalisierung redet, und dabei vor allem Chancen betont? Ich finde, dass das durchaus gelungen ist. Auch wenn einem zum Teil ganz schwindlig wurde vor lauter Clustern, Allianzen und Task-Forces, die Digitalisierung, IT-Sicherheit oder „Induschdrie 4.0« vorantreiben sollen. Im Kern blieben – neben der Aufzählung der ganzen laufenden Programme und Projekte, von der Breitbandinitiative II über die E‑Science-Aktivitäten des Wissenschaftsministeriums bis zum Förderkonglomerat „Forward IT“ – für mich fünf Aussagen übrig:
1. Die Bedeutung von Sicherheit und Vertrauen: Kretschmann spannte hier den Bogen von der IT-Sicherheit in den Unternehmen (und der dafür neu aufzubauenden Landesagentur am FZI Karlsruhe) bis zur Frage danach, welche Folgen Digitalisierung eigentlich für Arbeitsverhältnisse hat, und wie soziale Sicherheit und Gute Arbeit unter den Bedingungen des digitalen Wandels ermöglicht werden kann. Da hängt, ohne dass er das explizit erwähnte, letztlich auch die ganze Debatte um Uber, Sharing Economy und das neue Prekariat dran.
2. Das ganze war ja als wirtschaftspolitische Regierungserklärung angekündigt, z.T. schrieben die Medien vorher auch von einer Regierungserklärung zu „Industrie 4.0«. Entsprechend großen Raum nahm der Ruf nach tüftlerischen GründerInnen, nach technologischer und an Geschäftsmodellen orientierter Innovation ein. Dass es hier einen Wagniskapitalfonds mit Unterstützung des Landes geben wird, ist dabei ebenso wichtig wie die hohe Priorität, die Wissenschaft und Hochschulen im Landeshaushalt bekommen. Und natürlich ging es hierbei auch um Industrie 4.0 im engeren Sinne, insbesondere mit Blick auf die Frage, wie kleinere und mittlere Unternehmen von digitalisierten und automatisierten Produktions- und Logistikprozessen profitieren können. Hier ist das Finanz- und Wirtschaftsministerium recht rührig und bildet nicht nur Allianzen, sondern hat auch vorhandene Kompetenzen und Strukturen erforschen lassen.
Soweit erstmal – mehr oder weniger – business as usual. Oder: Der Pflichtteil. Spannender dann die Kür, mit den drei Themen Bildung, ländlicher Raum und ökologischer Modernisierung.
3. Baden-Württemberg soll in Zukunft (junge) Menschen dazu befähigen, kompetent mit digitalen Medien umzugehen und so den Wandel mitzugestalten. Das ganze Kretschmann-typisch recht reflektiert dargestellt. Dazu wird die Medienbildung als eine von sechs Leitperspektiven durchgängig im Bildungsplan verankert; in Klasse 5 wird es einen Grundkurs Medienbildung geben. Das ganze steht nicht isoliert, sondern wird durch einen derzeit laufenden Strategieprozess begleitet, aus dem (das hatte Kretschmann meine ich nicht erwähnt, ist aber trotzdem wichtig) im nächsten Jahr so etwas wie ein übergreifendes Medienbildungs-Leitbild für Baden-Württemberg erwachsen soll.
Ein bisschen zu kurz kam mir der Blick auf Informatik (muss ja nicht gleich Sigmar Gabriels Ruf nach der Programmiersprache als moderner Fremdsprache sein). Ich glaube, dass zu einem kompetenten Umgang mit einer zunehmend digitalisierten Welt (die ja eben keine Online-Welt im Gegensatz zu einer Offline-Welt ist, sondern in der mehr und mehr das Digitale zum integralen Bestandteil wird) auch ein gewisses algorithmisches Verständnis dazugehört. Das muss nicht heißen, selbst programmieren zu können, aber abschätzen zu können, was Algorithmen können und was nicht – eine Aufgabe, an der gerade das bildungsbürgerliche Feuilleton gerne scheitert. Neben der Frage der Teilhabe, des digitalen Citoyens, steht hier natürlich auch die simple Tatsache, dass eine „Industrie‑4.0«-Wirtschaft noch sehr viel stärker als bisher auf Fachkräfte aus dem MINT-Feld angewiesen ist, seien sie nun akademisch ausgebildet oder nicht. Auch da dürfte guter Informatik-Unterricht in der Schule (inkl. entsprechender Profilbildung) eine gewisse Relevanz haben.
4. Statt auf die Lederhose setzt Kretschmann auf Heimat. Entsprechend nahm der ländliche Raum recht großes Gewicht ein. Dabei geht es nicht nur um die Breitbandförderung (die Mittel hierfür werden verdreifacht), um die Stärken der starken ländlichen Räume in Baden-Württemberg zu betonen, sondern auch um kulturelle Fragen. Bei Digitalisierung schwingt ja immer auch Globalisierung, so etwas wie ein globaler informationeller Kapitalismus, mit. Das Ziel, ländliche Räume durch Digitalisierung lebenswert zu erhalten, hat damit einen dialektischen Charakter – und ist eine interessante Herausforderung, der Grüne, Stichwort reflexive Modernisierung, möglicherweise besser gewachsen sind als z.B. die CDU, die entweder auf das Museumsdorf setzt (über das Wolf allerdings herzog) oder aber auf das „moderne“ Großprojekt, aber die Zwischenräume nicht sieht.
5. Und dann schließlich die Digitalisierung als Chance für die ökologische Modernisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Das war ein Thema, auf das die Redner der anderen Fraktionen kaum eingegangen sind – zum Teil hatte ich den Eindruck, dass sie schlicht nicht verstanden haben (oder nicht verstehen wollten), dass so etwas wie die „intelligente Fabrik“ tatsächlich auch ein Modell sein kann, um das Wirtschaftswachstum vom Naturverbrauch zu entkoppeln. Es geht dabei um Ressourceneffizienz und eine nachhaltige Ressourcenökonomie, es geht um den sparsamen Einsatz von Energie (das hat die Opposition definitiv nicht verstanden), aber auch um die Chancen, die in intelligenten und vernetzten Prozessen für eine echte Verkehrswende liegen. Und in all diesen Bereichen passiert in Baden-Württemberg heute schon einiges.
Ich persönlich bin ja nach wie vor nicht ganz überzeugt davon, das der Weg ökologischer Modernisierung ausreicht, um den großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen. Die Effizienzgewinne der smarten Industrie und der smarten Haushaltsgeräte (an denen immer auch Datenschutzfragen und Fragen von – siehe Punkt 1 – Vertrauen und Sicherheit hängen, und die dann gleich die Frage: „Wollen wir die überhaupt?“ nach sich ziehen, siehe auch Smart Grid) werden von Rebound- und Lebensstileffekten aufgefressen. Da kommt dann die Wachstumsfrage mit ins Spiel, und damit auch die ganz große Frage nach sozialen Innovationen. Dieses Fass hat Kretschmann nicht aufgemacht, was einerseits schade ist; andererseits weiß ich auch nicht so genau, ob ich die Debatte gerne im Landtag und in der Landespresse sehen würde. Ich habe so ein Bauchgefühl, dass das Land noch nicht so weit ist. Schade eigentlich.
Jedenfalls gefällt es mir, Digitalisierung eben nicht nur als Wirtschaftsfrage zu verstehen, sondern auch als ökologische Frage. Und da ist ökologische Modernisierung immer noch um Weiten besser als der Status Quo.
Mein Eindruck: Das Staatsministerium hat – anders als andere – begriffen, um was es geht, wenn eine „digitale Agenda“ aufgestellt werden soll. Schnelles Breitband und eine wirtschaftspolitische Orientierung an digitaler Innovation sind das eine, aber ohne Bildung, gesellschaftliche Teilhabe und die integrale Verknüpfung mit der ökologischen Frage hilft die Zielsetzung Digitalisierung eben nicht weiter. Und deswegen finde ich es gut, dass all diese Themen in Kretschmanns Regierungserklärung durchaus prominent vertreten waren. Insgesamt, um zum Eingangszitat zurückzukommen, lässt sich aus diesen Puzzlesteinen durchaus die übergreifende Vision eines digitalisierten, aber (um das Kretschmann-Wort zu verwenden) weiterhin lebenswerten und deutlich nachhaltigeren Baden-Württembergs zusammensetzen. Und dieser Kompass ist wichtig.
Gleichzeitig zeigt sich hier auch ein Paradox der Vermainstreamung der Netzpolitik: Datenschutz, NSA und Überwachung wurde angesprochen, aber all die schönen Lieblingsnischenthemen – von der Open-Source-Wirtschaft über die Informationsfreiheit bis zur Netzkultur und der Social-Media-Etikette – spielten keine Rolle. Das hat die baden-württembergische Digitalisierungsdebatte durchaus gemeinsam mit anderen Digitalisierungsdebatten. Dass diese Themen nicht angesprochen wurden, heißt nicht unbedingt, dass sie politisch nicht vorkommen. Beispielsweise ist Open Access ein zentraler Bestandteil der E‑Science-Aktivitäten des Wissenschaftsministeriums. Explizit aufgerufen wurde das Thema aber nicht. Hier und bei ähnlichen Punkten stellt sich mir schon länger die Frage, wie der Mainstream-Diskurs (zu dem u.a. auch die erstaunliche Resonanz auf Jaron Laniers Friedenspreis in der Öffentlichkeit gehört) und der Nischen-Diskurs fruchtbar zusammengebracht werden können.
Insgesamt muss ich noch einmal betonen, dass eine Regierungserklärung zur Digitalisierung eine massive Aufwertung dieses Themas bedeutet. Das ist gelungen – und zugleich ist damit nur der Auftakt für eine Debatte gesetzt, die noch längst nicht zu Ende ist. So wird die baden-württembergische Landespartei von Bündnis 90/Die Grünen auf ihrem Parteitag im November in Tuttlingen unter der großen Überschrift Nachhaltigkeit und Innovation über einen umfassenden Wirtschaftsantrag beraten, in dem der digitale Wandel einen zentralen Stellenwert hat, in dem aber auch soziale Innovationen und die Frage nach Spielräumen der Share Economy (welche damit gemeint ist, müssen wir klären) angesprochen werden. Grün und innovativ zusammenzudenken, ist die richtige Richtung – die prominente Digitalisierungsdebatte im Landtagsplenum kann aus meiner Sicht ein wichtiger Baustein dafür sein. Am Schluss steht ein grünes Haus, das digitale Strategien verinnerlicht hat, und damit letztlich auch zu einer anderen Technologiepolitik gefunden hat.
Warum blogge ich das? Weil ich dazu natürlich was sagen muss, selbst wenn’s nur ein Reload meiner Tweets ist.
Eine Antwort auf „Digitalisierung als Baustein einer grünen Innovationspolitik“