Seit einigen Jahren beschäftige ich mich ehrenamtlich und inzwischen auch beruflich mit grüner Hochschul- und Forschungspolitik. Hochschul- und Forschungspolitik ist dabei eines dieser mittelgroßen Politikfelder, das oft als weniger wichtig angesehen wird. Wer etwas auf sich hält, macht Außenpolitik, oder Wirtschaftspolitik, oder doch zumindest Innenpolitik. Oder eben Ökologie. Aber Hochschulpolitik? Forschungspolitik gar? Was soll denn daran grün sein?
Das jedenfalls ist eine Haltung, die einem manchmal entgegenschlägt, bei entsprechenden Anträgen, auf der Suche nach Zeitfenster oder Ressourcen in der Partei. Hochschule? Klar sind Studierende eine wichtige WählerInnen-Gruppe, aber die zwei Millionen alleine machen den Kohl auch nicht fett. Und der Mittelbau wählt uns doch sowieso wegen der großen Politikfelder. So oder ähnlich wird dann gerne mal argumentiert.
Und dann bleibt es zunächst einmal eine offene Frage, ob es den tatsächlich sowas wie eine grüne Hochschul- oder Forschungspolitik sui generis gibt. Oder ob es sich dabei nicht einfach um eine Mischung aus den gerade üblichen Modetrends und Allgemeinplätzen und aus Klientelpolitik für Studierende bzw. AkademikerInnen handelt. Oder um ein doch stark technokratisches Feld, in dem Politik eigentlich gar nicht stattfindet.
Ich bin überzeugt davon, dass das nicht so ist, dass es in der Tat einen grünen Faden gibt, der sich durch die Hochschul- und Forschungspolitik der Partei durchzieht, auch wenn er vielleicht gar nicht so bewusst ist. Wer den Faden aufdrösselt, findet – so meine ersten, gerne ergänzbaren Überlegungen dazu – drei Komponenten, aus denen grüne Hochschul- und Forschungspolitik zusammengedreht ist. Und ich schreibe das jetzt einfach mal auf, ohne Programmtexte etc. heranzuziehen, um meine Eindrücke zu belegen. Insofern ist auch Widerspruch gern gesehen.
1. Was für eine Hochschule wollen wir?
In der Hochschulpolitik gibt es eine Reihe grundlegender Vorstellungen davon, was eine Hochschule überhaupt ist, was sie also für Aufgaben hat – und wie sie dafür idealerweise organisiert sein soll.
Vor den 1960er Jahren wurde Hochschule, insbesondere Universität, vor allem als Professorenhochschule verstanden, als ein höchst hierarchisches Gebilde. Idealtypisch vereinten sich hier humboldt’sch Forschung und Lehre, eine an der Zahl kleine Gruppe von Studierenden erhielt die Möglichkeit, im Studium die eigene Persönlichkeit zu entfalten. (Real diente die Universität lange Zeit vor allem dazu, den Nachwuchs an Priestern, Medizinern und juristisch ausgebildeten Beamten hervorzubringen).
Mit den Umbrüchen und der Bildungsexpansion der 1960er Jahre ff. tauchte die Idee der demokratischen Hochschule auf, die zum einen nicht mehr nur einer Elite offenstand, sondern sich geöffnet hatte, und die zum anderen nach innen entlang demokratischer Prinzipien kritisch, diskursiv und selbstorganisiert sein sollte, möglichst auf Augenhöhe zwischen StudentIn und HochschullehrerIn. (Faktisch aber doch schön nach den Gruppen getrennt).
Ungefähr mit den 1980er oder 1990er Jahren betraten dann zwei neue Vorstellungen die hochschulpolitische Bühne, oft zusammengedacht. Ein Schlagwort ist hier das der „unternehmerischen Hochschule“, die nicht mehr unter dem Leitgedanken der professoralen Wissenschaftlichkeit oder unter dem Leitgedanken der Demokratie organisiert sein sollte, sondern ihre Prozesse und Abläufe bitteschön effizient und stromlinienförmig zu ordnen habe, um mit einem möglichst geringen Ressourcen-Input einen maximalen Output in der Standortkonkurrenz zu erreichen, messbar anhand von Rankingpositionen für Forschung bzw. für Lehre, anhand von Indikatoren wie der Zahl der AbsolventInnen pro Jahr, der Zitierhäufigkeit der Publikationen oder der eingeworbenen Forschungsgelder.
Oft eng damit verknüpft materialisierte sich zudem die Idee der Hochschulautonomie: Ein erfolgreiches Bestehen im Wettbewerb ist demzufolge einfacher möglich, wenn Entscheidungen in der Hochschule fallen statt im fernen Stuttgart oder Berlin. Die autonome Hochschule ist nicht nur nach innen fast wie ein Unternehmen geführt, sondern richtet sich auch selbst strategisch optimal aus. In dieser neoliberalen Variante von Hochschulautonomie (bei der Autonomie vor allem als Instrument zur Effizienzsteigerung gesehen wird, nicht als Element der Subsidiarität oder demokratischer Nähe) wird dann Wert auf zentrale Führung in der Hochschule gelegt und das Rektorat (pardon, die Vorstandsvorsitzende) entsprechend gestärkt. Gesteuert wird über Kontextsetzungen – und über Zielvereinbarungen und Leistungsindikatoren, nicht mehr direkt.
Studierende tauchen in dieser Denkweise zuförderst als (zahlende) KundInnen der Hochschule auf, die von dieser eine bestimmte Leistung (Erwerb von Kompetenzen im Fach A) einkaufen, und sich ansonsten nicht weiter dafür interessieren, wie die Hochschule arbeitet.
Meine erste These ist nun, dass die Idee der autonomen Hochschule zwar auch in grünen Kreisen auf fruchtbaren Boden gefallen ist, hier aber nicht (nur) neoliberal interpretiert wird, sondern Autonomie tatsächlich als Selbstverwaltung verstanden wird. Eine im grünen Sinne autonome Hochschule wird nicht aus der gesellschaftlichen Verantwortung entlassen, und verliert auch nicht die Aufgaben der Grundlagenforschung und der Persönlichkeitsentwicklung, die beide historisch weit zurückreichen. Zudem wird Autonomie als demokratisches Prinzip und nicht als BWL-Instrument interpretiert, d.h. Studierende und die unterschiedlichen Beschäftigten der Hochschule werden tatsächlich als Hochschulmitglieder wahrgenommen, die gemeinsam darüber mitentscheiden sollen, wie sich die Hochschule ausrichtet, welche Schwerpunkte sie setzt, wie sie sich vor Ort organisiert, und was für ein Angebot sie macht.
In dieser Perspektive sind Studierende erwachsene Menschen, an die mit einer Entscheidung für ein Hochschulstudium auch Verantwortung übertragen wird – ohne per se vorauszusetzen, dass Studierende einer „verantwortungstragenden“ Schicht angehören. Hochschule soll deshalb Studierende schnell dazu befähigen, dass diese neben dem Studium auch „BürgerInnen“ der Hochschule werden.
Auch in der grünen Variante der autonomen Hochschule bleibt der Einfluss „der Politik“ reduziert. Aber an erster Stelle steht als Ersatz dafür nicht die Kontextsteuerung über Zielvorgaben, sondern die Vorstellung des politischen Diskurses. Die Hochschule wird als Einrichtung verstanden, die gesellschaftliche Aufgaben hat, die über Innovation im engeren Sinne und über die Ausbildung von Fachkräften hinausgehen. Um diesen übergreifenden gesellschaftlichen Aufgaben gerecht zu werden, muss die Hochschule mit der Gesellschaft in Dialog treten, und sich für ihre inneren politischen Entscheidungen rechtfertigen.
Mit diesem Modell von Hochschule verbindet sich also ein Dreiklang aus weitgehender Autonomie, zu der im Gegenzug – und im Unterschied zur unternehmerischen Hochschule – jedoch ein starkes Element der Demokratisierung nach innen tritt. Die Organe und Mitglieder der Hochschule sollen tatsächlich etwas zu entscheiden haben (das heißt dann auch, dass es ein begrenztes und intern umkämpftes Budget gibt). Als drittes Element kommt die Verantwortung und Rechenschaft nach außen dazu, die sich beispielsweise zeigt in weitgehenden Transparenz- und Offenlegungsregelungen, aber auch in einer engen Kooperation zwischen Hochschule und Region.
2. Die nachhaltige Hochschule
Was ich grade eben mit gesellschaftlicher Verantwortung umschrieben habe, bezieht sich etwa auf die volkswirtschaftliche Bedeutung von Wissen und Innovation in einer Wissensgesellschaft. Aber dieser Punkt kann auch noch stärker konkretisiert werden. Hochschulen und Forschungseinrichtungen kommt dann die Aufgabe zu, Lösungen großer gesellschaftlicher Probleme zu finden (das EU-Forschungsrahmenprogramm wird inzwischen zum Teil anhand dieser Idee ausgerichtet). Hochschulen werden, auf die Spitze getrieben, als Maschinen betrachtet, die gesellschaftliche Probleme lösen, indem sie a. Ideen, Innovationen und Inventionen ausspucken, und b. jungen Menschen das richtige Mindset vermitteln, um diese Probleme zu lösen.
Am stärksten zugespitzt findet sich die Idee einer an gesellschaftlichen Problemlösung orientierten Hochschule im Diskurs um die Nachhaltige Hochschule wieder, etwa bei Uwe Schneidewind. Ziel einer nachhaltigen Hochschule ist es nicht nur, im Betrieb und in den Forschungszielen das Thema Nachhaltigkeit aufzunehmen. Darüber hinausgehend soll sich auch die ganze Struktur der Studiengänge und der Forschungsprojekte ändern – Stichworte sind hier Interdisziplinarität, insbesondere auch eine breite, interdisziplinäre Grundausbildung in den ersten Semestern des Bachelor-Studienganges; eine Orientierung an Problemfeldern, nicht an Disziplinen; Praxisnähe und Lernen durch Anwendung (auch im Sinne von Transdisziplinarität) sowie – last but not least – damit verbunden eine Abkehr vom Prinzip der Werturteilsfreiheit der Wissenschaft. Wenn dieses Szenario zu Ende gedacht wird, ist die Frage, ob Forschung bzw. Lehre dazu beiträgt, die Menschheit zu befähigen, sich nachhaltig zu entwickeln (oder eben nicht), ein hartes Kriterium dafür, ob eine bestimmte Forschungsausrichtung „gut“ oder „schlecht“ ist.
Nachhaltigkeit ist nicht das einzige inhaltliche Thema, das – um das einfach mal festzustellen – grüne Hochschul- und Forschungspolitik motiviert. Gesellschaftlicher Zusammenhalt, Diversität, auch Geschlechtergerechtigkeit – alles das sind von grüner Seite an Hochschulen und Forschungseinrichtungen herangetragene Kernthemen.
3. Die Frage nach der Forschungsfreiheit
Damit bin ich bei der vielleicht schwierigsten Frage, wenn es darum geht, was spezifisch grüne Hochschul- und Forschungspolitik ausmacht – bei einer höchst widersprüchlichen Haltung zur Forschungsfreiheit und zur Rolle von Rationalität und Wissenschaft. Auf der einen Seite sind grüne AnhängerInnen überdurchschnittlich oft selbst AkademikerInnen. Zum Selbstbild vieler Grüner und meiner Meinung nach auch der grünen Partei gehört eine Orientierung an Vernunft, an der Kraft des besseren Arguments – das allerdings einer kritischen Hinterfragung stand halten muss. Die Geschichte der Umweltbewegung ist auch eine Geschichte des Infragestellens des offiziellen Stands von Wissenschaft und Technik mit Hilfe von Gegengutachten und alternativen ExpertInnen – die aber selbst wiederum wissenschaftliche Denkschemata herangezogen haben. Insofern sind Bündnis 90/Die Grünen eine Partei, die Wissenschaft und Forschung nahesteht, und bei der zu vermuten ist, dass sie sich in der Frage Grundlagenforschung oder (industrienahe) Zweckforschung sofort auf die Seite der Grundlagenforschung stellen wird. Wissenschafliche Neugierde und Forschungsfreiheit, der Blick über den Tellerrand, die Kreativität auch im Studium – das müsste doch grün sein.
Allerdings ist das nur die eine Seite der Medaille. Wir Grüne sind auch eine Partei mit spirituellen, anthroposophischen und manchmal dogmatischen Wurzeln. Das führt zu Widersprüchen und Paradoxien, die vom harten Kern der wissenschaftlichen Gemeinde gerne aufgespitzt werden. Oder anders gesagt: zur Offenheit gehört oft auch die Offenheit für lebenspraktische Unwissenschaftlichkeit.
Und mehr noch: Wenn die Frage Grundlagenforschung vs. Lösung konkreter Probleme heißt, dann dürfte auch hier die Präferenz klar sein – diesmal allerdings liegt sie, vermute ich, bei der problemlösungsorientierten Forschung. Zumindest dann, wenn die damit verbundenen Risiken einschätzbar erscheinen, und wenn hohe ethische Standards eingehalten werden.
Diese Konfliktlage äußert sich, wenn es um (grüne) Gentechnik geht, um Tierversuche, um Militärforschung oder auch um Nuklearforschung. In all diesen Fällen wird Forschungsfreiheit nicht unhinterfragt hingenommen, sondern als begründungsbedürftig und möglicherweise im gesellschaftlichen Konsens verbietbar angesehen.
Oder andersherum: Forschungsfreiheit wird aus grüner Perspektive vielfach als ein mit großer Verantwortung verbundenes Recht angesehen, dessen Ausübung zum Teil mit – manchmal ja durchaus begründetem – Argwohn betrachtet wird. Dabei wird eingefordert, dass die Argumente Dritter von ForscherInnen angehört und berücksichtigt werden müssen, und dass insbesondere öffentlich bezahlte ForscherInnen der Öffentlichkeit rechenschaftspflichtig über ihr Tun sind.
Aus Sicht vieler WissenschaftlerInnen ist diese Haltung unbequem, falsch, vielleicht sogar völlig daneben. Es wäre aber unehrlich, diese interne Widersprüchlichkeit innerhalb grüner Programmatik zu ignorieren. Dass heißt nicht, dass grüne ForschungspolitikerInnen sich nicht für Forschungsfreiheit und entsprechende Rahmenbedingungen an Hochschulen und Forschungseinrichtungen stark machen würden. Aber ob das in jedem Fall Mehrheitposition in der Partei ist, hängt vom einzelnen Fall und von den jeweiligen besseren Argumenten ab, die dabei nicht alleine einer wissenschaftlichen Logik folgen.
Zusammengezwirbelt
Meiner Wahrnehmung nach beschreiben diese drei Komponenten so etwas wie die grundsätzliche Matrix, in der grüne Hochschul- und Forschungspolitik derzeit stattfindet: Hochschulen und Forschungseinrichtungen werden als weitgehend autonome – d.h. selbstverwaltete -, dabei nach innen demokratisch organisierte und zur Gesellschaft geöffnete Institutionen verstanden. Offenheit heißt auch, dass eine hohe Studierquote angestrebt wird. Zu den Aufgaben dieser Einrichtungen gehört die Lösung gesellschaftlicher Probleme wie der Frage nachhaltiger Entwicklung (wobei auch Grundlagenforschung als Forschung zur Lösung gesellschaftlicher Probleme verstanden werden kann), sie sind nicht völlig zweckfrei. Insbesondere sind sie der Gesellschaft gegenüber rechenschaftspflichtig. Von ForscherInnen verlangt grüne Hochschul- und Forschungspolitik, dass diese ihr Handeln reflektieren, begründen können und dass sie die damit verbundenen Risiken abwägen.
Deutlich wird dabei auch, dass grüne Hochschul- und Forschungspolitik nicht widerspruchsfrei ist. Jeder der drei Punkte kann auch als Konfliktfeld verstanden werden: politische Steuerung vs. Eigenverantwortung, Zweckfreiheit vs. Orientierung an nachhaltiger Entwicklung, Forschungsfreiheit vs. ethisch-moralische Bindung. Die Relevanz dieser Konfliktfelder erscheint mir typisch grün, die Positionierung innerhalb dieser Konfliktfelder ist dagegen eine, die einer gewissen Dynamik unterworfen ist, und nicht auf alle Zeiten gleich bleiben muss.
Warum blogge ich das? Lautes Nachdenken darüber, was an tatsächlicher grüner Hochschul- und Forschungpolitik grün ist. Vielleicht ist dabei noch ein Nachsatz wichtig: Das hier ist tatsächlich ein Nachdenken, eine Beschreibung eines von mir wahrgenommenen Zustands, den andere möglicherweise anders – auch differenzierter – sehen und wahrnehmen, und nur begrenzt ein politisches Manifest oder ein normativ-programmatischer Text. Und einen Anspruch auf Vollständigkeit hat’s auch nicht ;-)
Du greifst da einen wichtigen Punkt auf. Mein Eindruck von grüner Hochschulpolitik lässt sich am Besten als „Unbehagen an ihrer Nichtexistenz“ jenseits von Nachhaltigkeits- und Genderforderungen beschreiben. Über Fehlwahrnehmungen lasse ich mich natürlich gerne aufklären.
Wir haben der neoliberalen Autonomie bisher konzeptionell nichts entgegenzusetzen außer den Schlagworten der 70er (VS, Parität in den Gremien). Wir sollten darüber nachdenken, ob die Gruppenhochschule überhaupt noch sinnvoll ist oder, ob die Gruppen nicht Konstrukte sind, die Konfliktlinien zementieren, die heute eigentlich ganz woanders verlaufen? Was ist unser Weg zwischen Fakultätsklüngel und Rektoratsdominanz?
Das selbe gilt für die unternehm. Hochschule. Nur das wir hier m.E. de facto dem konservativen Wissenschaftsmanagermainstream hinterherlaufen und eben jenseits der Rhetorik keine eigenständige Position haben, wie die Wissenschaftslandschaft aussehen soll. Wie stehen wir zum Verhältnis von Unis und FHen, zum Verhältnis Hochschulen und außeruniversitäre Forschung, zum Verhältnis Drittmitteln, Grundfinanzierung und LoM? Theresia Bauer findet die Exzellenzini toll und unterstützt das Differenzierungsparadigma des Wissenschaftsrates. Die Frage, nach der sozialen Konstruktion von Exzellenz und ob so ein Pseudowettbewerb der Wissenschaft nützt oder sogar langfristige strukturelle Schäden hervorruft, wird überhaupt nicht gestellt.
Was mir ebenfalls fehlt, ist eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit den Personalstrukturen: Qualifikationssystem (mit/ohne Habil), Lehrstuhlfürstentümer und die Abhängigkeiten des Mittelbaus, Lehrknechte mit 12–18 SWS Deputat, dauerhafte akademische Juniorpositionen unterhalb der Professuren, … Eine demokratische Reform der Hochschule setzt eine Reform der Personalstrukturen voraus. Das wird gerne vergessen.
Soweit erstmal. Mir würden noch mehr Sachen einfallen.
Nur zu.
Ich habe ein bisschen den Eindruck, dass die Antworten auf all diese Fragen leichter fallen, wenn eine (oder, diff. System mehrere) grundsätzliche Vorstellung von Hochschule geklärt ist.
Wobei ich meine, in Punkt 1 ein mögliches grünes Modell von Hochschule skizziert zu haben. Ob das trägt, ist eine andere Frage.
Deine Skizze grüner Hochschulpolitik gefällt mir insgesamt gut und ich teile das allermeiste von dem was du sagst, ich frage mich tatsächlich nur, ob eine solche Hochschulpolitik nicht zu wenig radikal ist. Ist sie nicht in erster Linie eine Abwehr von anderen Dingen (unternehmerische Hochschule, konservative Zentralisierungsforderungen …), die dann mit den von dir in den Punkten 2 und 3 erhobenen – und völlig richtigen Forderungen – garniert wird.
Ich frage mich vielmehr, ob es aus grüner Sicht nicht wünschenswert wäre, Universität komplett neu zu denken, also ein radikal eigenständiges Universitätsmodell zu entwickeln. Ob das dann 1:1 umgesetzt werden kann, mag – in Analogie zu unseren Vorstellungen in der Schulpolitik – dann noch eine ganz andere Frage sein.
Ich frage mich das, weil ich die von jk skizzierte Kritik am deutschen Hochschulsystem absolut teile. Wollen wir als Grüne wirklich weiterhin eine „Lehrstuhluniversität“? Wollen wir weiterhin eine auf den akademischen Hauptgewinn der Professur ausgerichtete Universität? Wollen wir weiterhin der blinden Forderung von „Einheit von Forschung und Lehre“ hinterherlaufen, ohne zu berücksichtigen, dass diese meist auf Kosten der Lehre geht (bsw. in Berufungsverfahren)? Wollen wir weiterhin, dass wissenschaftliches Fortkommen gleichbedeutend mit einem Verständnis von Wissenschaft als Berufung denn von Wissenschaft als Beruf ist?
Aus meiner Sicht wäre es deshab viel grundlegender notwendig, Ziele grüner Hochschulpolitik zu formulieren und zu diskutieren, um dann zu überlegen, ob und wie diese in unserem bestehenden Hochschulsystem umgesetzt werden können. Mit als wichtigstes Ziel scheint mir dabei, das Feudalsystem Universität grundlegend zu entmotten und neue akademische Karrieren zu ermöglichen (mag im Übrigen sein, dass das in den Natur- und Ingenieurwissenschaften längst besser ist als in den Geistes- und Sozialwissenschaften).
Vielleicht noch ein ceterum censeo zur Autonomie der Hochschulen. Ich bin eigentlich kein Freund von grundsätzlicher zentraler Kontrolle und Planung, aber ich frage mich, wie man in einem von Drittmittelsehnsüchten genährten Universitätssystem verhindern kann, dass Autonomie der Hochschule zu einem Hinterherlaufen von Forschungstrends führt und vor allem wie man verhindern kann, dass sogenannte Orchideenfächer dabei unter die Räder kommen.
Solange die „Orchideenfächer“ ein Hochschulprofil schmücken, sind sie glaube ich weniger stark gefährdet, als viele das vermuten. Aber der dahinter stehende Punkt ist natürlich trotzdem richtig: Wenn alle Entscheidungen über die strategische Entwicklung von Hochschulen lokal getroffen werden, und höchstens noch durch finanzielle Anreize gesteuert werden, gibt es keine Garantien dafür, dass nicht plötzlich alle „Life Sciences“ machen wollen und fünf Jahre später MINT-Sicherheitsforschung (oder was auch immer). Ich persönlich glaube, dass gute Hochschulen sich dadurch auszeichen, sich von solchen Trends nur wenig beeinflussen zu lassen und ihr Ding machen. Dabei bleibt offen, wie viele „gute Hochschulen“ es gibt ;-)
Ich verstehe eine nach außen verantwortliche, nach innen demokratische Hochschule mit echten Entscheidungsspielräumen durchaus als ein radikal grünes Modell, und nicht als Abwehrkampf. Aber vielleicht bin ich da auch nicht Fundi genug, um das noch radikaler zu denken.
Ein Punkt, den du und jk angesprochen habt, ist die Personalstruktur (und auch das Verständnis, was Studierende sind, was Forschung ist, was Lehre ist, …). Die kann unter den skizzierten Vorzeichen tatsächlich so professoral zentriert sein wie bisher, oder sie kann, und das wäre vielleicht in der Tat ein Punkt vier, durch, hmm, schlanke Hierarchien und einen projekt- bzw. aufgabenorientierten Fokus abgelöst werden. Soll heißen: mehr Problemfokus, weniger Disziplinfokus, mehr akademische Gemeinschaft, weniger Lehrstuhlinhaber, mehr Mittelbau, auch als längerfristige Karriereoption – und meiner Meinung nach mehr Einheit von Forschung und Lehre, wenn Studierende tatsächlich in Forschungsprojekte involviert sind.
Mit einem solchen Verständnis verändert sich allerdings auch – ein Punkt, auf den Schneidewind in „Nachhaltige Wissenschaft“ wiederholt hinweist – die Idee, was Wissenschaft bzw. wissenschaftliche Erkenntnis eigentlich ist. Der geniale Professor, der ungestört forscht, um dann zu blitzartigen, einsamen Einsichten zu kommen, ist eine andere wissenschaftslogische Figur als ein Team aus Lehrenden und Lernenden, das anhand konkreter Anwendungsfälle wissenschaftliche Praktiken einübt.
Bei der Kritik an den Personalstrukturen kann ich mich den beiden Vorrednern nur anschließen. Angesichts der Verfasstheit der Hochschulen und der Abhängigkeit des wissenschaftlichen Nachwuchses von eben den Professoren, die zu entmachten wären, ist das aber eine sehr langfristige Angelegenheit. Professoren haben de facto eine Veto-Macht an den Hochschulen, und die haben sie bei bei der Bolognareform auch kräftig genutzt. Ich denke aber auch an die Widerstände gegen die Juniorprofessur oder gegen eine stärkere Entpersonalisierung der Promotion.
Ich will daher lieber den Fokus noch einmal auf die Forschungs- und Wissenschaftspolitik lenken. Forschungs- und Wissenschaftspolitik ist ein Politikfeld, das meines Erachtens insgesamt wenig politisiert ist. Hochschulpolitik wird wenigstens noch in den Gremien diskutiert und in den Medien. Es gibt wohl in jeder Tageszeitung zumindest eine Person, die sich auch für kompetent hält und zur Hochschulpolitik eine Meinung hat. Mit der Forschungs- und Wissenschaftspolitik sieht das anders aus. Wer hat zum letzten Mal einen Artikel zu KMU-innovativ, Spitzencluster oder Innovationsallianzen gelesen – und zwar nicht nur einen, in dem die Finanzierungsquelle eines Projekts genannt wird? Wo findet die Debatte über die Steuerung der dt. Forschungsförderung über Projektträgerschaften statt? Wer ist in der Lage, in einem Satz zu formulieren, was die Hightech-Strategie ist? Dazu gehört natürlich, dass die Forschungssteuerung in erster Linie das Geschäft der Exekutive ist. Das Parlament als Haushaltsgesetzgeber ist mit allgemein formulierten Rahmenprogrammen und Haushaltstiteln konfrontiert, unter denen sich alles Mögliche fassen lässt. Die Projektauswahl wird dagegen von der staatlichen bzw. wissenschaftsinternen Verwaltung getroffen. Handgreiflich für breitere Bevölkerungsschichten wird Forschungspolitik erst durch Skandalisierungen, wie den Nacktscanner, die Kernfusion oder die Affenversuche in Bremen – dann ist man aber auf der Ebene einzelner Beispiele.
Meines Erachtens gibt es aber dennoch einen explizit grünen Ansatz in der Forschungs- und Wissenschaftspolitik, der durch die Matrix von Till schon ansatzweise beschrieben wurde und der deshalb nicht unbedingt als grüner identifiziert wird, weil er auch in anderen Parteien reüssiert. Ich meine die Kritik am Fortschrittsoptimismus der sozialdemokratischen und sozialistischen Strömungen und den Glauben an eine (lineare) technologische Entwicklung. Im Gegensatz zu den Konservativen (alter Prägung) ging diese Kritik aber nicht mit einer schlichten Ablehnung neuer Technologien daher (auch wenn sich solche Anteile bei den Grünen finden). Gefragt waren wissenschaftliche Kritiken, Technikfolgenabschätzung, andere Technologien und der Umgang mit Nichtwissen. Die Pointe scheint mir zu sein, dass Technik und Wissen nicht länger als gegeben, sondern als sozial konstruiert wahrgenommen wurde. Damit öffnete sich freilich auch die Spannbreite möglicher technologischer Entwicklungen, und Wissenschaft und Forschung gerät unter Rechtfertigungsdruck gegenüber der Gesellschaft. Welche Organisationsformen für die Wissensproduktion daraus folgen, ist freilich eine Frage, die erst ansatzweise zu beantworten ist. Ich würde aber die These wagen, dass unser ausdifferenziertes Wissenschaftssystem – neben der Hochschulforschung: außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, Ressortforschung, Projektförderung – bereits eine Reaktion auf diese gesellschaftliche Wiedereinbettung von Forschung und Wissenschaft ist Auch sollte nicht vergessen werden, dass sich der Status von Wissenschaft verändert, wenn bald mehr als die Hälfte eines Jahrgangs eine Hochschule besuchen und sich mit wissenschaftlichen Methoden vertraut machen können. Die wahrhaft explosionsartige Ausbreitung wissenschaftlichen Wissens schafft freilich wiederum ganz eigene neue Organisationsanforderungen.
Eine Anmerkung noch zur Forschungsfreiheit: Forschungsfreiheit bezog sich im traditionellen Sinne ja stets auf den Lehrstuhlinhaber, die Wissenschaftler an den außeruniversitären Forschungseinrichtungen jammerten schon seit den sechziger Jahren, dass sie nicht frei seien. Insofern würde ich dafür plädieren, Forschungsfreiheit weniger persönlich als vielmehr gesellschaftlich zu denken: Aus der Unmöglichkeit, Forschung zu planen, folgt so die Notwendigkeit zu einem ausreichenden Maß an Forschungsfreiheit. Je heterogener die Ansätze sind, desto wahrscheinlicher sind gangbare Lösungen. Anders ausgedrückt: Zum Glück gab es in den sechziger Jahren Forschungsfreiheit, sonst wäre angesichts der damaligen Mehrheitsverhältnisse die Energieforschung komplett auf Atomforschung umgestellt worden.
@ Till – ich wollte Dir, um Gottes Willen nicht absprechen Fundi genug zu sein und vielleicht habe ich in der Hinsicht dann auch endlich meine „Fundiecke“ gefunden, die laut Edith Sitzmann jeder Grüne irgendwo hat. Ich bin nur mittlerweile irgendwie zur Einsicht gelangt, dass es – trotz aller Widerstände – sich lohnen würde, eine radikal andere Personalstruktur der Universität zu denken!
Fundi zu sein darfst du mir gerne absprechen, wir nennen uns Linke ;-)
Aber werd‘ mal konkreter: Wie würde eine solche radikal andere Personalstruktur an einer Universität aussehen?
Hallo zusammen,
da sprechen ja Leute über Forschung.
Vielleicht über Kernforschung ? Nein
Mitochondrienreplikationsmechanismen? Nein
Nachweisgrenzenniedersetzung der ausgespülten Plastikweichmacher? Nein !!
Fernerkundungsprogramme zur Überwachung von sowohl Ernteerfolgen, wie aber auch der Problematik des Gletscherrückzugs? Nein !!!!
Die hochwichtige Problematik der zunehmenden Demenzfälle überall in der Gesellschaft? Nein !!!!!!!!!!!
Die Beeinflussung des allgemeinen ‚Volkswillens´ so, daß er nicht mehr in der Lage ist, seine Rechte aber auch Möglichkeiten zu erkennen? Nein !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Der Tatsache, daß die Klimaziele Makulatur sind und nur mehr Kostensenkungen die Grundlage all´des Handelns sind? Nein !!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!!
Ja – über was wird gesprochen, wenn nicht über Elektroautos, Wasserstoffbasierte Infrastruktursysteme, barrierenfreies Leben(aller), Schleichende Vergiftung durch den Gebrauch ‚allgemeiner´ Nahrungsmittel, Vergiftung unserer Kinder und Kindeskinder, die Beeinflussung des Normalmenschen durch Werbung und die Zunahme der Volkskrankheiten etc. usf ?
Pardon – aber mir kommt es so vor, als würde über die Art und Weise gestritten, wie zu diskutieren sei. Mit einem Hut auf – oder ein Bein angewinkelt. Oder nur mit Schlipps, oder zumindest mit einem Jackett? Und auf alle Fälle – nicht ins Detail gehen. Oder gar die Realität bemühen, wie Forschung wirklich auf unser Leben Einfluß nimmt …
Schade – eine verpasste Chance.
MfG
Reinhold