Wir halten zusammen. Hartnäckig. Visionär. Verantwortlich.

2016-backdrop-alternative

„Wir hal­ten zusam­men. Hart­nä­ckig. Visio­när. Ver­ant­wort­lich. Grün.“ stand nicht auf dem Back­drop, also dem Büh­nen­hin­ter­grund, bei der Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz in Müns­ter, die an die­sem Wochen­en­de statt­ge­fun­den hat. Wäre kei­ne wer­be­tech­nisch tol­le Zuspit­zung gewe­sen. Ein biss­chen viel Text viel­leicht. Statt­des­sen stand da „Wir blei­ben unbe­quem“. Das ist kür­zer, und wur­de von vie­len, vie­len Men­schen auf­ge­grif­fen – in Reden, in Tweets, auch in Arti­keln und Berich­ten. Die dann lei­der oft mit „… haben es sich bequem ein­ge­rich­tet“ endeten.

Wenn es stimmt, dass wir in erns­ten Zei­ten leben, wenn es stimmt, dass eine der ganz gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen – neben dem Kli­ma­wan­del – die Fra­ge ist, wie eine Gesell­schaft im Ange­sicht von Hass zusam­men­ge­hal­ten wird, dann hät­te ich mir eine Bot­schaft der BDK gewünscht, die weni­ger das Auf-die-Füße-Tre­ten zum Mar­ken­kern erklärt als viel­mehr die sehr ernst­haf­te Bereit­schaft, im Ange­sicht der zu lösen­den Welt­pro­ble­me Ver­ant­wor­tung zu über­neh­men. Durch­aus nicht als bes­se­res Ver­wal­tungs­han­deln, und auch nicht im Modus bür­ger­li­cher Behä­big­keit, son­dern so, wie wir Grü­ne sind, also hart­nä­ckig, und mit kla­ren Zie­len. Die kön­nen auch ger­ne als Visio­nen bezeich­net werden. 

Unbe­quem zu sein ist für mich kein Wert an sich. Unbe­quem zu sein kann die Fol­ge davon sein, hart­nä­ckig Visio­nen und Pro­blem­lö­sun­gen zu ver­fol­gen, ohne Sche­re im Kopf und ohne den immer gleich schon mit­ge­dach­ten Kom­pro­miss. Wenn es so ist, dann ist es gut, unbe­quem zu sein. Aber „wir blei­ben unbe­quem“ – da ist mir zu viel Weg, und Mit­tel, und viel zu wenig Zweck und Mitte.

So oder ähn­lich klin­gen in mei­nem baden-würt­tem­ber­gi­schen Umfeld doch eini­ge Zusam­men­fas­sun­gen des Par­tei­tags. Und das ist auch ein Pro­blem. Denn die Abstim­mun­gen und der Applaus haben eben immer wie­der sehr deut­lich gemacht, wo der baden-würt­tem­ber­gi­sche Lan­des­ver­band in der west­fä­li­schen Tagungs­hal­le sitzt. Es gab ein­zel­ne Abstim­mun­gen, da konn­te aus der Vogel­per­spek­ti­ve ganz genau abge­zir­kelt wer­den, wo Baden-Würt­tem­berg auf­hört, und wo Hes­sen, Sach­sen oder Ber­lin anfängt. Das soll jetzt nicht hei­ßen, dass die baden-würt­tem­ber­gi­schen Dele­gier­ten immer ein­heit­lich abge­stimmt hät­ten. So war es nicht. 

Und es soll auch nicht hei­ßen, dass es nicht vie­le Abstim­mun­gen auf die­sem lan­gen Arbeits­par­tei­tag gege­ben hat, bei denen mit gro­ßer Ein­hel­lig­keit Beschlüs­se gefasst wur­den, bei denen der gan­ze Saal geschlos­sen einer Mei­nung war. Alyn Smith von der schot­ti­schen Natio­nal­par­tei hat für sein Plä­doy­er für Euro­pa eben­so zurecht von allen Sei­ten Bei­fall bekom­men wie der HDP-Abge­ord­ne­te Mit­hat Sancar. Und auch der Bei­trag von Bas­ti­an Her­mis­son, dem Lei­ter der Hein­rich-Böll-Stif­tung Washing­ton, stieß auf gro­ße Zustim­mung. Und ja, auch die Fei­er für das grü­ne Frau­en­sta­tut – mit einer groß­ar­ti­gen Rede von Clau­dia Roth – war etwas sehr Gemeinsames.

Eben­so ver­lie­fen die End­ab­stim­mun­gen der Anträ­ge zumeist recht ein­hel­lig. Nach lan­gen Debat­ten – von denen in der Pres­se dann meist nur die eine Zuspit­zung rüber kam, die weni­gen har­ten und kon­tro­ver­sen Abstim­mun­gen – gab es umfang­rei­che, kon­struk­ti­ve und durch­aus auch visio­nä­re Beschlüs­se zu Euro­pa, zur Inves­ti­ti­on in den sozia­len Zusam­men­halt in all sei­nen Facet­ten, zur Reli­gi­ons- und Welt­an­schau­ungs­po­li­tik und auch zur Ener­gie- und Ver­kehrs­wen­de. Damit sind wir pro­gram­ma­tisch ins­ge­samt gut auf­ge­stellt. Dass dabei an der einen oder ande­ren Stel­le viel­leicht auch ein Über­maß an visio­nä­rem Geist auf­blitzt, fin­de ich nicht schlimm. Für irgend­was müs­sen wir schließ­lich ste­hen, müs­sen wahr­ge­nom­men wer­den – und dass wir als nach wie vor in der Oppo­si­ti­on ste­hen­de Bun­des­par­tei kla­re Ansa­gen machen, wo wir hin­wol­len, um gehört zu wer­den, ist aus mei­ner Sicht nicht das Pro­blem. Egal, ob es jetzt um den Aus­stieg aus dem Ver­bren­nungs­mo­tor, den Koh­le­aus­stieg, die Wei­ter­ent­wick­lung von Hartz-IV oder die ach so geschol­te­nen stär­ke­re Steu­er­ge­rech­tig­keit geht. Da haben wir jetzt Beschlüs­se, und damit auch eine Grund­la­ge für das Bun­des­tags­wahl­pro­gramm 2017.

Schwie­ri­ger fin­de ich, wie es zu die­sen Beschlüs­sen kam (das hat auch eine Dimen­si­on in Rich­tung Betei­li­gungs­par­tei, die ich jetzt aber aus­spa­re), wie sie teil­wei­se dis­ku­tiert wur­den, und wie weit die Tole­ranz geht, unbe­que­me Mei­nun­gen inner­halb der eige­nen Par­tei zu akzep­tie­ren. Die war näm­lich teil­wei­se extrem gering aus­ge­prägt. Ich nen­ne jetzt kei­ne Namen, aber man­che kön­nen gar nicht anders, als in fast schon dem­ago­gi­scher Manier zuzu­spit­zen. Das gibt schnel­le Sym­pa­thie und schnel­le Zustim­mung. Ande­re kön­nen gar nicht anders, als zu pro­vo­zie­ren und damit den eige­nen Ast abzu­sä­gen, weil – gewollt oder unge­wollt – klu­ge Rede­bei­trä­ge auf den einen über­spitz­ten Neben­satz redu­ziert wer­den, und von dem, was sie mög­li­cher­wei­se eigent­lich sagen wol­len, wenig ankommt. 

Eben­so pro­ble­ma­tisch fin­de ich inzwi­schen den nach innen gewand­ten Pro­test­zir­kus. Demos, Ban­ner, Tril­ler­pfei­fen, das Lus­tig­ma­chen über den poli­ti­schen Geg­ner – das hat sei­ne Funk­ti­on. Aber sind wir wirk­lich ein so dik­ta­to­ri­scher Ver­ein, dass die­se Instru­men­te auch nach 36 Jah­ren immer noch – oder gar wie­der? – gezo­gen wer­den müs­sen, um manch­mal eher unver­ständ­li­che Bot­schaf­ten rüber­zu­brin­gen? Kon­struk­tiv ist das nicht, und Brü­cken­bau­en sieht anders aus. Manch­mal habe ich da fast den Ein­druck, dass die eige­ne Insze­nie­rung – bis hin zum Bild in der Tages­schau – weit, weit über das Wohl der Par­tei gestellt wird. Beson­ders pein­lich fand ich das im Zusam­men­hang mit der Zet­sche-Rede. Da sinkt dann mei­ne Tole­ranz dafür, unbe­que­me und ner­vi­ge Aktio­nen ertra­gen zu müssen. 

Und erzäh­le mir bit­te kei­ner, dass das die ein­zi­ge Mög­lich­keit gewe­sen sei, dis­si­den­te Posi­tio­nen sicht­bar zu machen. Ers­tens war es über­haupt nicht so, dass da eine Par­tei­tags­mehr­heit für Win­fried Kret­sch­manns Kurs da gewe­sen war. Das zeig­ten doch auch die Abstim­mungs­er­geb­nis­se. Da haben die Pro­test­ak­tio­nen kein biss­chen zu bei­getra­gen, weder so noch so. Zwei­tens, da muss ich Cem Özd­emir recht geben, hat sich doch gera­de am Bei­spiel der Rede des Daim­ler-Chefs Zet­sche wun­der­bar gezeigt, dass Grü­ne sich über­haupt nicht ein­lul­len las­sen von schwa­chen Argu­men­ten und vagen Ver­spre­chun­gen. Egal, ob es um die Ver­kehrs­wen­de oder die Rüs­tungs­kon­trol­le geht: Rede und – auf Pro­test hin zuge­ge­be­ne Dis­kus­si­ons­run­de, das gebe ich zu – haben doch viel­mehr gera­de­zu deut­lich gemacht, wie not­wen­dig hier, bei aller Dia­log­be­reit­schaft, regu­la­ti­ve Poli­tik ist.

(Gleich­zei­tig hat die Ein­la­dung von Herrn Zet­sche eines erreicht: eine Mel­dung bei Reu­ters und damit in der inter­na­tio­na­len Nach­rich­ten­zir­ku­la­ti­on, aus der die Not­wen­dig­keit eines Umsteu­erns in der Auto­mo­bil­in­dus­trie klar hervorgeht.)

Ich schrieb ja, dass ich mir mehr Ver­trau­en in die jeweils ande­ren 60.733 Par­tei­mit­glie­der wün­sche. Hören wir doch ein­fach mal auf, uns anzu­schrei­en. Da war die­se BDK lei­der kein Glanz­licht. Neh­men wir sie als Gene­ral­pro­be für die Pro­gramm-BDK im Juni 2017. Da erhof­fe ich mir dann mehr Zusam­men­halt, mehr Brü­cken­bau (das geht bei tie­fe­ren Grä­ben am bes­ten von zwei Sei­ten!) und eine Par­tei­tags­re­gie, bei der als Bot­schaft ein ernst­haf­ter, gemein­sa­mer Wil­le zur Gestal­tung rüber­kommt – und kei­ne nost­al­gi­sche Rück­be­sin­nung auf, jeden­falls aus baden-würt­tem­ber­gi­scher Per­spek­ti­ve, Zerr­bil­der grü­ner Identität. 

Ein letz­ter Punkt: auch wenn das Urwahl­fo­rum aus­ge­fal­len ist, hat mich die BDK doch noch ein­mal erheb­lich neu­gie­ri­ger dar­auf gemacht, wie die Urwahl aus­ge­hen wird. Sowohl Toni Hof­rei­ter als auch Cem Özd­emir hat­ten rich­tig gute Reden gehal­ten – selbst­ver­ständ­lich ganz unter­schied­lich akzen­tu­iert. Robert Habeck muss­te kurz­fris­tig sei­ne Dienst­pflich­ten in Schles­wig-Hol­stein wahr­neh­men – hier hät­te mich doch sehr inter­es­siert, auf wie viel Zustim­mung eine Par­tei­tags­re­de von ihm gesto­ßen wäre. Jeden­falls bin ich gespannt, und auch das ist Betei­li­gungs­par­tei, wer das Ren­nen machen wird. Und ob die Ein­schät­zung stimmt, dass die Grund­ge­samt­heit der Mit­glie­der und die Aus­wahl der Dele­gier­ten nicht unbe­dingt iden­tisch „ticken“. Wir wer­den es sehen.

War­um blog­ge ich das? Auf mehr­fa­chen Wunsch, und als Rea­li­täts­check zu mei­ner Wunsch­lis­te.

P.S.: 2015 – man­ches ver­fes­tigt sich, ande­res nicht.

Eine Antwort auf „Wir halten zusammen. Hartnäckig. Visionär. Verantwortlich.“

  1. Viel­leicht scha­det auch ein kur­zes Feed­back nicht, nach den Ein­drü­cken, die man so haben konn­te oder die ich jeden­falls so hat­te via Stream.

    Ins­ge­samt fand ich es erstaun­lich okay. Mit inhalt­li­chem Licht: schnel­ler Koh­le­aus­stieg, Ende Hartz-Sank­tio­nen, grund­sätz­li­ches Bekennt­nis zur Umver­tei­lung. Und Schat­ten: Kret­sch­manns unkri­ti­sche Über­nah­me eines rech­ten Kampf­be­grif­fes, Ehe­gat­ten­split­ting, Popu­lis­mus vor Klar­heit bei eini­gen Begrif­fen. „Super­reich“ heißt, so reich zu sein, daß man nicht mal mehr die Grü­nen wählt, las ich zwi­schen­durch irgendwo.
    Der Zet­sche-Auf­tritt war wirk­lich kein Grund zur Panik, da wäre auch im Vor­feld etwas mehr Gelas­sen­heit wün­schens­wert gewe­sen. Sei­ne Rede war ja ziem­lich lahm und beim The­ma „Lob­by­ar­beit“ wur­de er ja auch zurecht aus­ge­lacht. Der inhalt­li­che Kon­trast zu Jür­gen Resch war deut­lich und aus­sa­ge­kräf­tig. Die Dis­kus­si­on im Anschluß hät­te man sich spa­ren kön­nen, ein zusätz­li­cher gesetz­ter Rede­bei­trag für Bar­ba­ra Loch­bih­ler hät­te gereicht.

    Eini­ge Grund­kon­flik­te wur­den deut­lich, die vor der Wahl zum Pro­blem wer­den könn­ten. Der weit­aus bedeu­tends­te ist der Gegen­satz zwi­schen Baden-Würt­tem­berg und dem Rest. Das sieht jede und jeder auch aus der Distanz, aber ich habe nicht den Ein­druck, daß zum Bei­spiel die Spit­ze der Bun­des­par­tei dem The­ma genü­gend Auf­merk­sam­keit widmet.
    Eine ande­re Fra­ge ist, ob Pro­gramm und Per­so­nal am Ende zuein­an­der pas­sen wer­den. Die Vari­an­te, daß das eine das ande­re aus­glei­chen soll, funk­tio­niert im Zwei­fel nicht. Damit mei­ne ich aber nicht nur die Urwahl, son­dern beson­ders auch die Zusam­men­stel­lung der Lan­des­lis­ten. Es gibt Wähler*innen wie mich, die sich sowas genau anschauen.

    Völ­lig rich­tig in Dei­ner Zusam­men­fas­sung ist schließ­lich der Hin­weis, man möge doch bit­te nicht stän­dig so viel schrei­en, wenn man an einem Rede­pult steht. Das nervt. Wer was zu sagen hat, kann das doch ganz in gewöhn­li­chem Ton­fall tun.

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