C.P. Snow hat 1959 die – rhetorisch zugespitze – These aufgestellt, dass es zwischen „science“ (mehr oder weniger Naturwissenschaft) und „humanities“ (Sozial‑, Kultur- und Geisteswissenschaften) einen tiefen Graben gäbe, dass es sich um zwei Kulturen handle. (Nebenbei bemerkt: Wolf Lepenis hat 1985 in einem Buch „Die drei Kulturen“ noch eine zweite Trennlinie gezogen, um die Sozialwissenschaft bzw. die Soziologie gesondert behandeln zu können – ich musste ganz am Anfang meines Studiums mal ein Essay dazu schreiben).
Wie dem auch sei: wenn ich die gestrige Debatte (Synopse der Tweets, rückwärts zu lesen) bei Twitter mit @fischblog, @jbenno, @weitergen und @werkstatt Revue passieren lasse, scheint der Graben zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Kulturen so lebendig zu sein wie eh und je. Ausgangspunkt für das ganze war ein (eher wissenschaftsphilosophischer) Blogbeitrag bei den Scienceblogs – stellvertretend für dort immer wieder hochkommende Fragen danach, welcher Maßstab denn an einen guten Wissenschaftsblog-Beitrag anzulegen sei, und wie dafür zu recherchieren ist.
In der Debatte auf Twitter gestern ging es dann munter hin und her – nicht nur der bereits erwähnte Snow kam zu Ehren, sondern auch Christian Huygens (einer der ersten Wissenschaftler), Adorno und Popper. Letztlich ging es aber doch vor allem darum, ob der Gültigkeitsanspruch von (Natur-)Wissenschaft in Frage gestellt werden darf, ob der der wissenschaftlichen Methode inhärente Skeptizismus sich auch auf die Genese, Praxis und Gültigkeit der wissenschaftlichen Methode erstrecken soll, ob es legitim ist, wenn unterschiedliche Wissenschaften unterschiedliche Gütemaßstäbe entwickeln, und ob denn der Status wissenschaftlichen Wissens durch den Vergleich mit anderen Wissensarten – in der sozialwissenschaftlichen Wissenschaftsforschung gang und gäbe – relativiert werden dürfe, oder ob das dann doch eher in Richtung Häresie ginge.
Letztlich bleibt bei mir nicht unbedingt die Skepsis, ob gute sozial- und geisteswissenschaftliche Blogbeiträge möglich sind (da gibt es durchaus Beispiele), sondern erstens, ob solche Blogs in einer vornehmlich naturwissenschaftlich geprägten Community wie den scienceblogs gut aufgehoben sind, oder ob es da nicht einfach anderer Öffentlichkeiten bedarf (ein Beispiel dafür sind die Society Pages der University of Minnesota, die verschiedene soziologische Blogs hosten).
Zweitens geht es dabei aber auch um die größere Frage danach, welche Anstrengungen zu unternehmen sind, um Interdisziplinarität tatsächlich zu ermöglichen. Und ob das überhaupt geht. Meine Erfahrung hier, aber auch aus diversen Forschungsprojekten ist jedenfalls, dass Interdisziplinarität nicht „von selbst“ entsteht, sondern dass dahinter harte Arbeit liegt, dass es um einen aktiven Verständigungsprozess geht, nicht zuletzt darum, boundary objects zu definieren, an deren Gemeinsamkeiten unterschiedliche Wissenschaftspraktiken kristallisieren können. Für mich steht das unter dem Begriff „Interdisziplinaritätsmanagement“. Das heißt auch: Eigentlich bräuchten größere inter- (oder gar trans-)disziplinäre Projekte hier eine richtige Begleitforschung und „ÜbersetzungsaktivistInnen“ – fände ich eine interessante Sache.
Warum blogge ich das? Um doch irgendwas aus der ziemlich hart geführten Debatte herauszuziehen, zusammenzubringen, zu intergrieren und aufzuschreiben. Und weil ich mir manchmal gar nicht so sicher bin, ob ich eigentlich „science blogging“ betreibe oder nicht.
Nachtrag: Weil das mit den Trackbacks nur begrenzt klappt, hier noch von Hand der Link zum inzwischen im Netz stehenden, aus der Debatte entstandenen Text von Jörg Blumtritt mit dem schönen Titel „Metaphysik, Spekulation und die „Dritte Kultur“, wobei er mit letzterem nicht wie Lepenis die Soziologie meint, sondern auf die im Netz entstehende wissenschaftlichkeitsnahe Öffentlichkeit setzt, die nach Übersetzungsarbeit, Erläuterung und Begründung verlangt. Zuviel des Optimismus?
Danke für Deine Gedanken. Meine spontanen Einschätzungen dazu:
Wenn Du schreibst, Du hättest Zweifel, „ob solche Blogs in einer vornehmlich naturwissenschaftlich geprägten Community wie den Scienceblogs gut aufgehoben sind, oder ob es da nicht einfach anderer Öffentlichkeiten“ bedürfe, dann verstehe ich Dich und muß doch gleichzeitig reklamieren. Denn: wo sonst sollen auch sozialwissenschaftliche oder wissenschaftsphilosophische Beiträge ihren Ort haben? Natürlich ist es richtig, daß bei den ScienceBlogs zu 80% die Naturwissenschaftler dominieren, aber erstens sind Naturwissenschaftler nicht gleich Naturwissenschaftler, zweitens haben wir auch Leser mit anderen Professionen und drittens bin ich der Überzeugung, daß man die Perspektiven, die bspw. die Sozialwissenschaftler auf die Laborwissenschaften haben, diesen durchaus zumuten darf und soll. ;-)
Es stimmt zwar, daß im realen, alltäglichen wissenschaftlichen Bloggeschäft die Beiträge zu wissenschaftsphilosophischen oder soziologischen Themen oftmals einen schweren Stand haben und leider zu oft (meine Wahrnehmung) vorschnell kritisiert und unmöglich gemacht werden. Das geschieht oftmals gar nichtmal aus böser Absicht, sondern „passiert“ einfach im Eifer des Gefechts. Da gibt es gewisse Formulierungen, gewisse Argumentationsmuster, die offenbar (für die Naturwissenschaftler, die in mühseligen Diskussionen mit Esos, Cranks und Phantasten ermüdet und genervt sind) ein rotes Tuch oder ein Tabu sind. Der arglose Philosophieblogger tappt prompt in die Falle, er verwendet „verbotene“ Argumente (ohne sich diese zu Eigen zu machen oder evtl. in anderem Kontext oder mit anderer Intention), aber das interessiert dann kaum noch, weil die Kritikwelle rollt.
Das ist in meinen Augen oft das Problem. (Und die Tatsache, daß es zu wenige Blogger gibt, die solche heiße Eisen überhaupt anfassen).
Mein 2. Punkt im Hinblick auf die zwei Kulturen: ich glaube, daß Snow richtig und falsch zugleich liegt. Zunächst: ja, es gibt verschiedene Kulturen und Grabenkämpfe und diese sind kaum zu überwinden. Aber, nein: die Fronten verlaufen nicht einfach entlang der Trennlinie zwischen Natur- und Sozial+Geisteswissenschaften. Da gibt es noch einige andere Sollbruchstellen innerhalb und quer zu den Fraktionen. Und es gibt überraschende Koalitionen zwischen Gruppen oder einzelnen Akteuren, von denen man das kaum ahnte.
Wenn ich einmal Zeit habe (was aber dauern kann), schreibe ich vielleicht auch mal meine Erfahrungen zusammen, die ich in den letzten Jahren so gemacht habe. So inmitten der Kriege und Schlachten, inmitten das Getümmels des alltäglichen Wissenschaftsbloggefechts.
„Letztlich ging es aber doch vor allem darum, ob der Gültigkeitsanspruch von (Natur-)Wissenschaft in Frage gestellt werden darf“
Das stimmt nicht. Es ging um etwas völlig anderes, aber das jetzt zum dritten mal aufzurollen habe ich keine Lust mehr.
@Lars: Vielleicht muss ich korrigieren: es ging mir in der Debatte schon darum. (Mit etwas mehr Zeit wäre es ein interessantes Unterfangen, den Debattenverlauf … wer bringt welche Deutungsmuster und rhetorischen Argumente ein, wie wandeln die sich … mal mit etwas Distanz zu analysieren. Auch deswegen meine Google-Tabelle oben).
@Marc: Zur Frage nach dem Ort sozialwissenschaftlicher und wissenschaftsphilosophischer Debatten: um mein Argument nochmal auf den Punkt zu bringen – und damit vermutlich dem interdisziplinären Anspruch von ScienceBlogs (hat das einen?) in Frage zu stellen – mir scheint, als würden manche Debatten „innergroßdisziplinär“ bzw. in einer „like-minded community“ überhaupt erst die Möglichkeit haben, sich zu entfalten. Der Link auf die Minnesota-Soziologie-Blog-Seite ist für mich ein Beispiel dafür. Denn immer wieder die gleichen Gegenargumente durchzukauen, die letztlich die eigene disziplinäre und wissenschaftliche Identität in Frage stellen, macht vermutlich weder NaturwissenschaftlerInnen noch SozialwissenschaftlerInnen noch … Spaß.
Danke aber auch für den Hinweis darauf, dass die Trennlinien „fraktaler“ verlaufen – da fände ich ein bißchen Reflexion drüber tatsächlich sehr spannend. (Wenn’s jemand finanzieren würde, wäre „Wissenschaftliches Bloggen als Kristallisationskern für Auseinandersetzungen zwischen Wissenschaftskulturen – was sehen WissenschaftsbloggerInnen als gute Praxis an, und wie wird diese im Spannungsfeld zwischen Disziplinen und zwischen Wissenschaft und Teilöffentlichkeiten immer wieder neu bestimmt“ ein Thema, zu dem ich durchaus gerne mal arbeiten würde …)
„L“ bin natürlich ich. Sorry fürs schlampige Ausfüllen der Felder.
Als (derzeit) nicht bloggender Blog-Konsument möchte ich Marc recht geben, was die verbotenen Argumente anbelangt. Mir kommt die Bloggerszene oft wie eine Agententruppe von Purity Control*) vor, die das Netz scannt, immer auf der Suche nach verbotenen Wörtern, Argumenten und Personen. Stoßen die wissenschaftlichen Reinheitswächter auf ein solchen Internettextschnippsel, blasen sie es zum Skandal auf, stellen die Quelle an den Pranger und erzeugen ironischerweise dabei selbst Verschwörungstheorien, die sie sonst bekämpfen.
Diese Reinheitskontrolle durch die Bloggerszene hat für mich als interessierten Leser eine enorme Bedeutung erlangt. Es ist einfach grandios, dass wir dank der Blogs in einer Zeit leben, in der schlechter Journalismus und Scharlatanerie nicht einfach geschieht, sondern angeprangert und entlarvt wird.
ABER: Wie das Immunsystem auch kann Purity Control außer Kontrolle geraten und zum Krebsgeschwür werden. Dann beschäftigen sich Blogs und Blogger nur noch mit den angeblichen Unzulänglichkeiten der anderen und verhindern so, dass überhaupt noch Neues entsteht, sich überhaupt noch jemand getraut zu bloggen oder noch allgemeiner zu publizieren (was wäre der Bild-Blog ohne Bild-Zeitung?)
Ich würde daher sagen: achtet nicht so sehr darauf, was Eurer Meinung nach Leute wie „Arte Fakten“ oder andere falsch machen, sondern nutzt die Zeit lieber um Texte abzuliefern, die Ihr selber besser findet. Versucht nicht die reine Lehre durchzusetzen, in dem ihr missliebige Blogger niedermacht, sondern stellt Eure Texte auf den Markt und lasst die Leser entscheiden.
Nie käme ich als Leser auf die Idee ganze Blogportale wie sciLogs oder scienceblogs zu hinterfragen, nur weil mir einzelne Blogger nicht genehm sind.
Und Außerdem: Habt Mut zur Meinung. Diese auf strenge Korrektheit ausgelegten, faktengeschwängerten Wissenschaftsbloggereien sind zumindest für mich eh nicht interessant, da bevorzuge ich Bücher oder spezielle Zeitschriften (in meinem Fall „Sterne und Weltraum“).
Zu *) http://spookyverse.de/index.php/Purity_Control
Die „zwei Kulturen“ von Snow erinnern mich immer an den „Kampf der Kulturen“ von Huntinton. es gibt auf Huntington eine Antwort von Sen, die hier vielleicht ganz gut passt, das Buch heißt auf Deutsch „Die Identitätsfalle. Warum es keinen Kampf der Kulturen gibt“
Sen argumentiert in seinen Buch dafür, dass es eine Identität, die die Person aus der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur zieht, gar nicht gibt, da jede Person (unter unterschiedlichen Aspekten) verschiedenen Kulturen zugehörig sei, also verschiedene Identitäten hat. Außerdem kann die Person seine Identität (in diesem Sinne) in einem gewissen Ausmaß frei wählen.
Man muss Sen nicht in vollem Umfang zustimmen, aber mir scheint sein Ansatz als Lösungsidee für solche Kulturkampf-Phänomene ganz hilfreich. Man beginnt dann, jeden Einzelnen nicht als zugehörig zu einer bestimmten Kultur, sondern zu vielen Kulturen zu sehen, und es gibt auch immer Überlappungen, bei denen man zur gleichen Kultur gehört (und zwar durchaus in relevanten Bereichen).
Andererseits bin ich pessimistisch dass das wirklich funktionieren wird. Einerseits scheint es ja für viele wichtig zu sein, ihre Identität über eine Zugehörigkeit zu einer klar bestimmbaren Kultur zu definieren (hier meist die der Wissenschaftler). Solche Klare definition ist immer mit einer klaren Grenzziehung verbunden, die eben andere auch ausgrenzt. grenzziehung heißt: Die eigenen Kultur-Merkmale werden als Norm definiert, und wer diese Norm nicht nur nicht einhält, sondern sie sogar infrage stellt, wird selbstverständlich als grundsätzlich fremd (oder sogar als Feind) angesehen.
Nur als Anmerkung von jemand der mit Faust einiges in seinem Monolog im Studierzimmer mitsprechen kann (unter Vermeidung des Wörtchens „leider“, vermutlich).
Den Kampf der Kulturen gab es auch schon früher, zB traditionell in der Anglistik. Lit vs. Lang, Literaturwissenschaftler gegen Sprachwissenschaftler. Ich verweise auf J.R.R. Tolkien als Vertreter der Linguisten gegen C.S.Lewis als Vertreter der Literaturwissenschaftler, dazu gibt es auch in der HOME manche lesenswerte Marginalie.
Spannend finde ich als historisch interessierter Mensch und Akademiker (immerhin 5 Jahre habe ich an der Uni mein Geld verdient und das „ad fontes“ jungen Studierenden zugerufen, historische Hilfswissenschaften auch den sprachlichen MediävistInnen an die Hand gegeben) auch den Streit um die Kelten.
Soziologie und typische Laborwisschaften haben dazu kaum etwas beizutragen. Wenn aber Klassische Archäologen, Althistoriker und Historisch Vergleichende Sprachwissenschaftler darüber reden was oder auch nur wann die Kelten sind finden sie keinen Konsens, selbst wenn sie die sich zuständig fühlenden Vor- und Frühgeschichtler aussen vor lassen. Für ein Seminar die zusammenzubringen ist unmöglich, allenfalls geht eine Studium Generale Reihe, in der Vorlesungen nebeneinander stehen bleiben.
Was lernen wir daraus? Wissenschaft hat viele Gesichter und unwissenschaftlich ist es meiner Überzeugung nach vor allem, Erkenntnisse der anderen Wissenschaftszweige und ‑methoden zu ignorieren.
Um noch mal ordentlich Öl ins Feuer zu gießen: Es ist ja nicht so, als hätte jeder dahergelaufene Naturwissenschaftler überhaupt einen halbwegs soliden wissenschaftstheoretischen Hintergrund: Nicht wenige derer, die stolz darauf sind „echte“ oder „harte“ Wissenschaft zu betreiben, schreiben in ihre paper ungerührt so Worte wie „beweist“ oder glauben, dass Determinismus notwendiger Bestandteil von versuchsbasierter Forschung ist. Das ist doch ein Armutszeugnis.