Homöopathie und die Deutsche Bahn im Sommerloch

Vor­ne­weg: Die­se Woche gibt es unge­fähr drei Din­ge, die eine Dead­line haben; des­we­gen kann ich das fol­gen­de Argu­ment nicht wirk­lich aus­führ­lich dar­le­gen. Trotz­dem kann ich sowohl das Pro­blem der Bahn mit ihren ICEs als auch die anschwel­len­de Homöo­pa­thie­de­bat­te nicht ganz außen vor las­sen – das juckt doch in den Fin­gern … und ist deut­lich län­ger gewor­den als geplant. 

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Zur Bahn-Debat­te: Ich fah­re gern und viel Bahn, trotz­dem oder gera­de des­we­gen fin­de ich das Kri­sen­ma­nage­ment der Bahn bedenk­lich. Letzt­lich geht’s um die Fra­ge, wie­viel tech­ni­sche Red­un­danz – ein gro­ßes Sicher­heits­merk­mal der Eisen­bahn – weg­op­ti­miert wer­den kann, um betriebs­wirt­schaft­lich erfolg­reich zu sein. Darf ein für ein geschlos­se­nes Sys­tem im Extrem­fall lebens­not­wen­di­ges Teil wie eine Kli­ma­an­la­ge so gestal­tet sein, dass sie aus­fal­len kann? Oder muss ein Aus­fall­ri­si­ko hin­ge­nom­men wer­den – und was ist dann jen­seits der Tech­nik zu tun (War­tungs­in­ter­val­le, ein Wagen­park, der groß genug ist, um Ersatz­zü­ge bereit­zu­stel­len …)? Wie das gan­ze poli­tisch ein­zu­schät­zen ist, ver­rät Win­ne Her­mann MdB in einem Inter­view mit tagesschau.de.

Etwas all­ge­mei­ner: wie muss ein gro­ßes tech­ni­sches Sys­tem, eine Infra­struk­tur, gestal­tet und regu­liert sein, um auch bei Win­ter­wet­ter und Hoch­som­mer­hit­ze zu funktionieren?

Zum The­ma Homöo­pa­thie: Unter gro­ßem Bei­fall der Natur­wis­sen­schafts­com­mu­ni­ty brin­gen SPD und cDU die Idee ins Spiel, Homöo­pa­thie aus dem Leis­tungs­ka­ta­log der Kran­ken­kas­sen zu strei­chen. Rena­te Kün­ast macht die Sache nicht bes­ser, indem sie Homöo­pa­thie und Natur­heil­kun­de gleich­setzt. Auf Twit­ter hau­en sich die Leu­te kräf­tig die Köp­fe ein – Fak­ten fin­de ich nur weni­ge. (Ja, es gibt hun­der­te Stu­di­en, dass Homöo­pa­thie nicht funk­tio­niert, und es gibt viel­fäl­ti­ge Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en von Leu­ten, die trotz­dem möch­ten, dass die Kran­ken­kas­sen Homöo­pa­thie bezah­len*). Aber das mei­ne ich nicht. Viel­mehr ist die eigent­li­che Fra­ge doch ers­tens, wie groß das Ein­spar­po­ten­zi­al eigent­lich ist, über das hier gere­det wird – es hat ja sei­nen Grund, war­um die­se Debat­te gera­de im begin­nen­den Som­mer­loch auf­bricht. Rich­tig hand­fes­te Zah­len sind schwer zu fin­den, es scheint sich aber um unge­fähr 1 bis 5% des Kran­ken­kas­sen­bud­gets zu handeln.

Und zwei­tens geht es für mich auch um die Beob­ach­tung, dass hier unter­schied­li­che Logi­ken auf­ein­an­der pral­len. Die eine Sei­te sieht sich im Besitz der wis­sen­schaft­li­chen Wahr­heit, das heißt sie ope­riert im Bezugs­sys­tem Wis­sen­schaft mit der Unter­schei­dung wahr/falsch, um den guten alten Luh­mann her­aus­zu­ho­len. In die­ser Logik ist „klar“, dass Homöo­pa­thie falsch ist, und des­we­gen kein ratio­nal den­ken­der Mensch auf die Idee kom­men könn­te, dafür öffent­li­che Leis­tun­gen ein­zu­for­dern. Die­se Posi­ti­on wird ganz gut vom heu­ti­gen xkcd-Comic illustriert:


Quel­le: xkcd, Lizenz

Poli­tik ope­riert nicht im Phi­lo­so­phen­kö­nig-Modus wahr/falsch, son­dern im Medi­um Macht. Und auch die öffent­li­che Mei­nung (das Sys­tem der Mas­sen­me­di­en) hat ande­re Leit­dif­fe­ren­zen. Von der Wirt­schaft – und den Kran­ken­kas­sen als Orga­ni­sa­ti­ons­sys­te­men – gar nicht erst zu spre­chen (Zahlung/keine Zah­lung). Inso­fern fin­de ich es über­haupt nicht ver­wun­der­lich, dass die natur­wis­sen­schaft­li­che Logik eben nicht 1:1 in Poli­tik umge­setzt wird. ((Wer sich umschaut, wird eine gan­ze Rei­he von Bele­gen dafür fin­den, dass auch vie­le ande­re poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen irra­tio­nal sind.))

Oder noch ein­mal anders ange­setzt, und Luh­mann bei­sei­te gelas­sen: wir kön­nen auch unter­schei­den zwi­schen dem wis­sen­schaft­li­chen Wis­sen, in dem es Mög­lich­kei­ten gibt, die Wirk­sam­keit von Homöo­pa­thie zu tes­ten, dem „eso­te­ri­schen“ Wis­sen der Homöo­pathIn­nen selbst – und dem All­tags­wis­sen der Men­schen, die davon über­zeugt sind, dass Homöo­pa­thie ihnen hilft (war­um auch immer sie davon über­zeugt sind: auch das All­tags­wis­sen von Men­schen folgt eben nicht der wis­sen­schaft­li­chen wahr/­falsch-Logik, son­dern lässt sich zunächst ein­mal ein­fach nur so beschrei­ben, wie es eben ist bzw. wie es sich eben beob­ach­ten lässt). 

Inso­fern Poli­tik auf Wah­len rekur­riert, ist das die popu­lis­ti­sche Fra­ge danach, ob ein Ver­bot von Homöo­pa­thie als (Zusatz-)Kassenleistung anschluss­fä­hig an das All­tags­wis­sen ist. Ich ver­mu­te: eher nein. Es ist daher auch die Fra­ge nach dem Pro­jekt der Auf­klä­rung: wie wis­sen­schaft­li­che Ratio­na­li­tät ins All­tags­wis­sen brin­gen. Und es ist nicht zuletzt die Fra­ge danach, wie­so die­se Debat­te gera­de jetzt eini­gen Poli­ti­ke­rIn­nen als hin­rei­chend anschluß­fä­hig erscheint, um sie in Gang zu brin­gen. (Und wie­so gera­de die­se, und kei­ne der ande­ren vie­len mög­li­chen Debat­ten um Unzu­läng­lich­kei­ten des Gesundheitssystems).

Aber ich schwei­fe ab: Was hat nun das groß­tech­ni­sche Sys­tem Bahn und die sozio­tech­ni­schen Pro­ble­me, die eine Aus­rich­tung an öko­no­mi­scher Logik mit sich brin­gen, mit der Homöo­pa­thie-Debat­te zu tun? Ich sehe eine Gemein­sam­keit, und die liegt letzt­lich in den Lücken. Mit der Fra­ge nach der sozio­tech­ni­schen Red­un­danz ist das für die Bahn schon ange­spro­chen: wie groß sind die Spiel­räu­me, um auf Feh­ler reagie­ren zu kön­nen? Gibt es Ersatz­sys­te­me? Gibt es Ersatz­zü­ge? Sehen die Fahr­plä­ne so aus, dass auch ein anhal­ten­der Zug nicht gleich alles durch­ein­an­der bringt? Je fes­ter gekop­pelt das Sys­tem ist, um das mal so zu sagen, des­to wahr­schein­li­cher ist die Gefahr eines Aus­falls, wenn etwas ausfällt.

Auch unse­re Kran­ken­kas­sen sind eine Infra­struk­tur, ein gro­ßes (sozio-)technisches Sys­tem. Noch dazu eines, das extrem schwer­fäl­lig zu steu­ern und zu ver­än­dern ist. Auch hier kann über die Neben­ef­fek­te betriebs­wirt­schaft­li­cher Effi­zi­enz dis­ku­tiert wer­den (u.a. im Bereich Pfle­ge, aber auch im Hin­blick auf die For­ma­li­sie­rung von Hand­lun­gen durch infor­ma­ti­ons­tech­ni­sche Abrech­nungs­sys­te­me – und deren Kon­se­quen­zen). Aber die eigent­li­che Gemein­sam­keit in den Lücken, die ich sehe, ist eine ande­re: Wie weit darf sich das Sys­tem von Ide­al­pa­ra­me­tern (Wet­ter ohne Extrem­ereig­nis­se, Bezah­lung nur des neu­es­ten Stan­des der Wis­sen­schaft) ent­fer­nen, um noch zu funk­tio­nie­ren? Wie­viel Spiel­raum für „Quatsch“ ist not­wen­dig, um ein weit­ge­hend rei­bungs­lo­ses Funk­tio­nie­ren des Gesamt­sys­tems zu ermög­li­chen? Wie­viel Res­sour­cen dür­fen „ver­schwen­det“ wer­den (in Red­un­dan­zen, in wohl wir­kungs­lo­se Therapien)?

Die wis­sen­schaft­lich-wah­re Ant­wort der Öko­no­mie lau­tet ver­mut­lich: kei­ne. Aber ein Just-in-time-Sys­tem ist stör­an­fäl­lig. Inso­fern kann ich mir vor­stel­len, dass das Gesund­heits­sys­tem sei­ne Leis­tung bes­ser erbringt, wenn ein gewis­ses Maß – 5%, 10% – an Spiel­raum, an Red­un­dan­tem, gar an Aber­glau­ben vor­han­den ist. Da passt Homöo­pa­thie rein, da passt auch nicht­ab­rech­nungs­fä­hi­ge Gesprächs­zeit rein. 

Natür­lich hilft einem die Öff­nung von Spiel­räu­men nicht bei poli­ti­schen Grund­satz­fra­gen wei­ter. Es ist gut mög­lich, dass Homöo­pa­thie wis­sen­schaft­lich weit­ge­hend wider­leg­bar ist, oder dass der eigent­li­che Wirk­me­cha­nis­mus bei denen, die glau­ben, dass das funk­tio­niert, das Gespräch mit den Ärz­tIn­nen und letzt­lich die Über­zeu­gung sind, dass es wirkt.

Inso­fern ende ich mit einem etwas para­do­xen Plä­doy­er: Dafür, einer­seits einen gewis­sen Spiel­raum für (schein­ba­ren?) Unsinn, für Feh­ler zuzu­las­sen, ande­rer­seits die­sen aber auch zu begren­zen. Spiel­raum für Feh­ler bei der groß­tech­ni­schen Infra­stru­kur Bahn heißt: den Fahr­plan nicht gleich durch­ein­an­der brin­gen, wenn tech­ni­sche Kom­po­nen­ten aus­fal­len. Also (mög­li­cher­wei­se mit prä­zi­ser Tech­nik unter­stütz­te) Feh­ler­to­le­ranz statt Abhän­gig­keit von der Prä­zi­si­on. Aber in Maßen: die Attrak­ti­vi­tät des Ver­kehrs­sys­tems Bahn hängt ja auch davon ab, dass die­se pünkt­lich ist, dass die­se stan­dar­di­siert und „prä­zi­se“ genutzt weren kann.

Spiel­raum für Feh­ler beim Gesund­heits­sys­tem heißt: sich damit abfin­den, dass medi­zi­ni­sche Prak­ti­ken nicht durch­gän­gig wis­sen­schaft­lich sind (auch in der All­o­pa­thie gibt es da ver­mut­lich bei genau­em Hin­se­hen viel an nicht­wis­sen­schaft­li­chem Wis­sen in der Wis­sen­schaft). Ein opti­mier­tes und finan­zi­ell trag­fä­hi­ges Sys­tem schaf­fen, aber nicht um den Preis, jeg­li­che lose Kopp­lung aus­zu­mer­zen und jeg­li­che Pra­xis zu stan­dar­di­sie­ren. Und auch hier: die Begren­zung der Feh­ler­to­le­ranz im Sin­ne einer poli­ti­schen Regu­lie­rung der Gren­zen (aber eben bit­te nicht zu eng). 

Das wäre jeden­falls, so mei­ne ich zumin­dest, ein sozio­lo­gisch-wah­res Wis­sen über gesell­schaft­li­che Sys­te­me und deren Gestal­tung. Um das para­do­xe Plä­doy­er abzu­schlie­ßen: es geht dar­um, die­ses Wis­sen eben auch zur Kennt­nis zu neh­men, es anzu­wen­den, sich bewusst zu sein, dass es auch bei der Anwen­dung sozio­lo­gi­schen Wis­sens Neben­ef­fek­te gibt – und trotz­dem wei­ter­hin für Auf­klä­rung zu kämp­fen (aber eben nicht über die Köp­fe der Leu­te hinweg).

War­um blog­ge ich das? Weil ich ver­su­chen woll­te, mein Unbe­ha­gen an der und mei­ne ambi­va­len­te Posi­ti­on in der Homöo­pa­thie-Debat­te irgend­wie auf den Punkt zu brin­gen. Wer möch­te, darf’s aber auch als schlich­ten Ver­such lesen, die Exis­tenz eso­te­ri­scher Wis­sens­be­stän­de im grü­nen Pro­gramm zu rationalisieren.

* Die Homöo­pa­thie-Debat­te hat auch einen inner­grü­nen Aspekt – dazu habe ich vor einem Jahr was gebloggt; inter­es­sant ist vor allem die Debat­te in den Kommentaren.

P.S.: Wer sich eher für Infra­struk­tu­ren als sozio­tech­ni­sche Netzwerke/Systeme denn für die Homöo­pa­thie-Debat­te inter­es­siert, soll­te bei ihld weiterlesen.

24 Antworten auf „Homöopathie und die Deutsche Bahn im Sommerloch“

  1. „Inso­fern kann ich mir vor­stel­len, dass das Gesund­heits­sys­tem sei­ne Leis­tung bes­ser erbringt, wenn ein gewis­ses Maß – 5%, 10% – an Spiel­raum, an Red­un­dan­tem, gar an Aber­glau­ben vor­han­den ist.“

    Ich kann mir das nicht vor­stel­len. Im Gegen­teil, ich bin mir sicher, dass der aktu­el­le Zustand gefähr­lich ist. War­um wird Homöo­pa­thie bezahlt, Wall­fahr­ten aber nicht? Und soll­te man nicht auch Stüh­le­rü­cken bezah­len? Oder Kartenlegen?

    Natür­lich nicht.

    Wis­sen­schaft muss Vor­fahrt haben. Alles ande­re ist blan­ker Wahnsinn.

  2. Ich bin mir nicht sicher, ob du mei­nen Punkt ver­stan­den hast. Und „Vor­fahrt“ hat die Wis­sen­schaft ja – 95% wür­de ich jeden­falls als „Vor­fahrt“ betrachten.

    Nicht­de­sto­trotz die Gegen­fra­ge: War­um genau ist der aktu­el­le Zustand gefährlich?

  3. „Ich bin mir nicht sicher, ob du mei­nen Punkt ver­stan­den hast.“

    Weiß ich auch nicht, Dein Arti­kel ist ziem­lich wirr. Jeden­falls hast Du mei­ne Fra­ge nicht beant­wor­tet: war­um wer­den mei­ne Wall­fahr­ten nach Tai­ze nicht finan­ziert, Dei­ne Zucker­kü­gel­chen aber schon?

    „Nicht­de­sto­trotz die Gegen­fra­ge: War­um genau ist der aktu­el­le Zustand gefährlich?“

    Das erklärst Du dann dem klei­nen Jun­gen, der an einer Lun­gen­ent­zün­dung qual­voll ster­ben muss, weil sich sei­ne Mut­ter gegen die böse Schul­me­di­zin und für die gesun­de Homöo­pa­thie entscheidet.

  4. Dass der Text ein biss­chen wirr gewor­den ist, damit hast du sicher­lich recht – ist auch nicht als polier­te Ver­öf­fent­li­chung gedacht, son­dern als „rohes“ öffent­li­ches Nachdenken.

    Ich blei­be aber bei mei­ner Gegen­fra­ge: Du argu­men­tierst damit, dass es poten­zi­ell töd­li­che Krank­hei­ten gibt, bei denen der Ver­zicht auf „Schul­me­di­zin“ letzt­lich eine Art Kör­per­ver­let­zung oder schlim­me­res ist. Das beant­wor­tet aller­dings mei­ne Gegen­fra­ge nicht (Weil ich nicht davon aus­ge­he, dass der sta­tus quo – man­che Kran­ken­kas­sen zah­len auch bestimm­te homöo­pa­thi­sche Behand­lun­gen – auf die­ses Bei­spiel zutrifft. Soll hei­ßen: wür­de die fik­ti­ve Mut­ter in dei­nem Bei­spiel anders han­deln, wenn ihre Kran­ken­kas­se das homöo­pa­ti­sche Mit­tel gegen Lun­gen­ent­zün­dug – so es dass denn gibt – nicht finan­zie­ren würde?). 

    (Oder um es noch­mal anders auf den Punkt zu brin­gen: wie viel medi­zi­ni­sche Wahl­frei­heit bil­ligst du Eltern (als Lai­en und Lai­in­nen) zu?)

  5. Ich bin mir auch nicht ganz so sicher, ob ich dei­nem Argu­ment zustim­men möch­te – aber gera­de nicht, weil ich das „Ich will aber Glo­bu­li“ der Homöo­pa­tie-Freun­de oder das „Alles Unsinn“ der Geg­ner für wie­der­ho­lens­wert halte. 

    Der Ver­gleich Bahn/Gesundheitssystem hat für mich einen klei­nen Haken: die Spiel­räu­me für ande­re Wege, die in sozio­tech­ni­schen Sys­te­men not­wen­dig ein­ge­baut sind, sind ja nicht nur wel­che für Feh­ler, son­dern wel­che für loka­le, unge­plan­te Adap­tio­nen. Sie sind es vor allem, die ein sol­ches Sys­tem weit sta­bi­ler machen als jede rigi­de Pla­nung (sie­he Such­mans „Plans and Situa­ted Action“). 

    Ein Äqui­va­lent im Gesund­heits­sys­tem wäre da ja eher ein Spiel­raum für im Kata­log nicht berück­sich­tig­te Leis­tun­gen, den Arzt und Pati­ent lokal aus­tes­ten kön­nen, nicht die Auf­nah­me nicht wis­sen­schaft­lich geprüf­ter Leis­tun­gen in den Kata­log. Oder, um es mit Luh­mann zu sagen: Unent­schie­den­heit müss­te Ent­schei­dungs­prä­mis­se sein.

  6. @Jan-Hendrik: Dan­ke – du bringst auf den Punkt, was ich mit mei­nem dahin­ge­rotz­ten Nach­den­ken eigent­lich sagen woll­te: es muss (not­wen­di­ger­wei­se im Kata­log ;-) …) einen Spiel­raum für im Kata­log nicht berück­sich­tig­te Leis­tun­gen geben. Und in die­sen Spiel­raum darf dann mei­net­we­gen auch die Homöo­pa­thie fal­len – also nicht als ins Kata­log­sche­ma gepress­te und nicht recht hin­ein­pas­sen­de Pseu­do­wis­sen­schaft, die dann irgend­wie eben auch Nach­wei­se erbrin­gen muss, son­dern als mög­li­che Fül­lung eines unde­fi­nier­ten, begrenz­ten, aber vor­han­de­nen Handlungsspielraums.

  7. Ich den­ke nicht dass es klug ist, wenn Poli­tik sich am „All­tags­wis­sen“ ori­en­tiert, wohl wis­send, dass es nicht der wis­sen­schaft­li­chen Evi­denz ent­spricht – und übli­cher­wei­se tut sie das ja auch nicht: So wird ja gegen das „All­tags­wis­sen“, dass Migran­ten wahl­wei­se ent­we­der kri­mi­nel­ler oder arbeits­un­wil­li­ger als ein­hei­mi­sche Mit­bür­ger sind, eben­falls mit Image- und Auf­klä­rungs­kam­pa­gnen ange­gan­gen, anstatt zu sagen „Ja mei, die Leu­te den­ken halt so, da pas­sen wir uns an“. Und was den medi­zi­ni­schen Bereich betrifft: Dass HIV nur Homo­se­xu­el­le betrifft, war auch mal Teil des „All­tags­wis­sens“ – und auch dage­gen wur­de mit Auf­klä­rung angegangen.

    Will sagen: „All­tags­wis­sen“ empi­ri­schen Bele­gen zum Trotz als gege­be­ne Grö­ße zu betrach­ten und poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen dar­an aus­zu­rich­ten, anstatt zu einer Ände­rung eben die­sen Wis­sens bei­zu­tra­gen, hal­te ich für einen Kar­di­nal­feh­ler. Auch zum Kli­ma­wan­del oder zu AKWs gab und gibt es jede Men­ge fal­sches und der wis­sen­schaft­li­chen Evi­denz wider­spre­chen­des „All­tags­wis­sen“, das ja von den Grü­nen auch nicht ein­fach so als gege­ben akzep­tiert wird – und war­um soll­te man da aus­ge­rech­net im Gesund­heits­be­reich einen ande­ren Weg gehen…?

  8. Chris­ti­ans Bemer­kung, daß Wis­sen­schaft Vor­fahrt haben muß, stim­me ich im Gesund­heits­sys­tem aus zwei Grün­den zu:

    1. Mit­tel sind end­lich. Wir soll­ten uns daher auf das kon­zen­trie­ren, was durch wis­sen­schaft­li­che Metho­den nach­ge­wie­sen Wir­kung zeigt. Und da sind wir bei der Homöo­pa­thie noch lan­ge nicht am Ende. Vie­len selbst in der Schul­me­di­zin aner­kann­te Metho­den und Medi­ka­men­ten fehlt es an einem gesi­cher­ten Wir­kungs­nach­weis. Da müß­te mal kräf­tig auf­ge­räumt wer­den. Jüngs­tes Bei­spiel ist das Anti­de­pres­si­vum Edro­nax, das seit 12 Jah­ren auf dem Markt ist und bei dem sich nun auf ein­mal her­aus­ge­stellt hat, daß eine Wir­kung nicht beleg­bar ist.

    2. Und da sind wir beim zwei­ten Punkt: Mit­tel oder Metho­den, deren Wirk­sam­keit nicht belegt ist, sind gefähr­lich. Neh­men wir wie­der das Anti­de­pres­si­vum als Bei­spiel. Depres­sio­nen gehen in vie­len Fäl­lem mit Sui­zi­da­li­tät ein­her. Wirkt ein Anti­de­pres­si­vum, das des­we­gen ver­ord­net wird, nicht, kann das für Betrof­fe­ne töd­li­che Fol­gen haben.

    Was ich aber nicht ver­ste­he, Chris­ti­an, ist der Gegen­satz, den du zwi­schen Wall­fahr­ten u. ä. und „Wis­sen­schaft“ auf­machst. Es gibt schlicht kein The­ma, das per se unwis­sen­schaft­lich wäre. Auch die Behaup­tung, daß sowas wie Wall­fahr­ten, Tische­rü­cken usw. wirkt, kann, inso­fern sich fal­si­fi­zier­ba­re Hypo­the­sen ablei­ten las­sen, wis­sen­schaft­lich unter­sucht wer­den. Ich weiß das aus Erfah­rung. Ich befas­se mich seit über 10 Jah­ren mit dem The­ma Parawissenschaften.

  9. Klar: wenn wis­sen­schaft­lich bewie­sen wür­de, dass Wall­fahr­ten wirk­sam sind, dann wäre es viel­leicht okay, sie von der Kran­ken­kas­se zah­len zu las­sen; Kur­fahr­ten wer­den ja auch teil­wei­se gezahlt.

  10. Noch­mal zu zwei Punkten.

    Der Bezug zum All­tags­wis­sen (Chris­ti­an R.): mir geht es nicht dar­um, All­tags­wis­sen als allei­ni­ges „Leit­wis­sen“ für die Poli­tik zu neh­men, son­dern schlicht dar­um, dass es sehr schwie­rig ist, poli­ti­sche Pro­jek­te umzu­set­zen, die dem All­tags­wis­sen der Men­schen wider­spre­chen. (Um das Bei­spiel AKWs auf­zu­grei­fen: erst die Popu­la­ri­sie­rung „gegen“-wissenschaftlichen Wis­sens durch die Umwelt­be­we­gung hat im All­tags­wis­sen die Pro­po­si­ti­on „AKWs sind gefähr­lich“ ver­an­kert, und macht seit­dem eine strik­te „fort­schritt­li­che“ Pro-AKW-Poli­tik schwierig). 

    Zu Alex: mein Plä­doy­er ist es, zwei­glei­sig zu fah­ren – und neben dem letzt­lich an nor­mier­ten Vari­an­ten wis­sen­schaft­li­chen Wis­sens ori­en­tier­tem „Stan­dard“ – der das Gros der Res­sour­cen bekom­men soll – einen Raum für ande­res (und begrenz­te Res­sour­cen dafür) offen­zu­las­sen, um das Sys­tem ins­ge­samt feh­ler­freund­li­cher zu machen. Die von Jan-Hen­drik ins Spiel gebrach­ten loka­len Aus­hand­lungs­pro­zes­se sind da viel­leicht sogar noch ein bes­se­res Bei­spiel als Homöopathie.

  11. Auch wenn die Kran­ken­kas­sen gera­de das „Alltagswissen“-Argument gebracht haben, ist die Unter­schei­dung hier gar nicht die zen­tra­le. Die Fra­ge, um die es geht, ist auch nicht, ob nun Wall­fahr­ten, Glo­bu­li, Ohr­ker­zen oder Aspi­rin wirk­sam sind und des­halb bezahlt wer­den sollen. 

    Die Fra­ge, auf die Till – ich hof­fe, ich ver­ste­he dich da rich­tig – hin­ge­wie­sen hat, ist: Muss man nicht im Gesund­heits­sys­tem wie in jedem ande­ren sozio-tech­ni­schen Sys­tem einen gewis­sen Spiel­raum an Unent­schie­den­heit ein­bau­en, gera­de um sei­ne Sta­bi­li­tät zu stär­ken. Wir wis­sen ja aus der For­schung über ande­re sozio-tech­ni­sche Sys­te­me, dass loka­le Anpas­sun­gen, Aus­hand­lun­gen, Umnut­zun­gen etc. an der Tages­ord­nung sind und dass der Ver­such ihrer Regle­men­tie­rung eigent­lich nie Sta­bi­li­tät, son­dern nur noch mehr Umnut­zun­gen hervorbringt.

  12. Genau! Mit der klei­nen Modi­fi­zie­rung, dass ich behaup­ten wür­de (das kommt dann aus der Arbeits­wis­sen­schaft), dass sozio-tech­ni­sche Sys­te­me, die kei­ne der­ar­ti­gen Spiel­räu­me haben, nicht nur an Sta­bi­li­tät ver­lie­ren, son­dern auch ganz zusam­men­bre­chen kön­nen, bzw. die Netz­werk­ef­fek­te kleins­ter Stö­run­gen das gan­ze Sys­tem zum Still­stand brin­gen können.

    Bei der Bahn ist offen­sicht­lich, wie sich genau das in letz­ter Zeit mehrt. 

    Beim Gesund­heits­sys­tem wäre ein (fik­ti­ves) Bei­spiel für der­ar­ti­ge sich aus­brei­ten­de Stö­run­gen eine nicht erkann­te Pan­de­mie, weil deren unspe­zi­fi­schen Sym­pto­me im Stan­dard des Leis­tungs­ka­ta­logs zu Fehl­klas­si­fi­zie­run­gen füh­ren und erst in Set­tings hoher Gesprächs­in­ten­si­tät – die eben bei­spiels­wei­se die homöo­pa­thi­sche Ana­mne­se bie­tet, obwohl es der gar nicht dar­um geht – als neu­ar­tig wahr­ge­nom­men werden. 

    Also der Neben­ef­fekt von Spiel­räu­men, dass die­se dazu füh­ren, dass das Sys­tem auf Unvor­her­ge­se­he­nes – nicht bekann­tes Nicht­wis­sen! – reagie­ren kann, ohne zusammenzubrechen. 

    Letzt­lich: resi­li­en­z­ori­en­tier­tes Sys­tem­de­sign. (In dem Zusam­men­hang kann ich natür­lich auch gleich noch drauf hin­wei­sen, dass die Nach­wuchs­grup­pe Umwelt­so­zio­lo­gie am 16.–18.09. eine Tagung „Ent­schei­dun­gen mit Umwelt­fol­gen zwi­schen Frei­heit und Zwang“ ver­an­stal­tet – das ist, abs­trakt betrach­tet, qua­si die ande­re Sei­te der hier geführ­ten Debatte).

  13. Man kann ja immer über alles reden, aber mir scheint die Homöo­pa­thie-Debat­te ein Schein­ge­fecht. Schon heu­te zahlt nur ein Teil der Kran­ken­kas­se für Homöo­pa­thie. Und laut Spie­gel online ent­fal­len nur 0,06 Pro­zent der Gesamt­aus­ga­ben für Arz­nei­mit­tel auf homöo­pa­thi­sche Prä­pa­ra­te. Rund neun Mil­lio­nen Euro für Homöo­pa­thie stün­den mehr als 170 Mil­li­ar­den Gesamt­aus­ga­ben der Kas­sen gegen­über. Was ein­mal mehr belegt, dass man mit dem Han­tie­ren von Zah­len (du spe­ku­lierst ja mit 1 bis 5% des Kran­ken­kas­sen­bud­gets) sehr vor­sich­tig sein soll­te. (Wobei ich natür­lich auch nicht weiß, ob die Zah­len des Spie­gel stimmen)

  14. Bei der Fra­ge der Unent­schie­den­heit stim­me ich euch, Till und Jan-Hen­drik, abso­lut zu. Aber Unent­schie­den­heit darf nicht zur Belie­big­keit wer­den. Da hat Chris­ti­an das Pro­blem schon rich­tig erfaßt. Was las­se ich noch zu? Wo ist die Gren­ze? Die ist doch je nach Welt­an­schau­ung flie­ßend. Die einen fin­den Homöo­pa­thie noch ok, die ande­ren nicht mehr, wäh­rend Drit­te viel­leicht Sogar Fern­hei­lung oder Hand­auf­le­gen drin­ha­ben wol­len. Wie­viel Unent­schie­den­heit las­se ich denn zu? Nach wel­chen Kri­te­ri­en wäh­le ich die unent­schie­de­nen Ver­fah­ren, die ich noch zulas­sen will, aus?

    Ich den­ke, auch hier hel­fen nur wis­sen­schaft­li­che Kri­te­ri­en. Eine para­me­di­zi­ni­sche Metho­de, deren Wir­kung noch nicht hun­dert­pro­zen­tig belegt ist, für die aber bereits eini­ges spricht, zuzu­las­sen, hal­te ich in die­sem Rah­men für abso­lut legi­tim. Ein Bei­spiel wäre die Aku­punk­tur. Da gibt es wenigs­tens auch aus qua­li­ta­tiv brauch­ba­ren Stu­di­en hin­rei­chend Hin­wei­se dar­auf, daß eine Wirk­sam­keit, auch gegen­über der Schein-Aku­punk­tur, gege­ben ist, so z. B. auch aus einer ganz aktu­el­len Stu­die aus Hei­del­berg. In die­sem Fal­le fand ich die Über­nah­me durch die Kran­ken­kas­sen schon immer ok. Hier haben wir es in der Tat mit Unent­schie­den­heit zu tun, über die man dis­ku­tie­ren kann.

    Aber der Fall unter­schei­det sich klar von dem der Homöo­pa­thie, wo sich ein­deu­tig zei­gen läßt, daß die weni­gen posi­ti­ven Ergeb­nis­se nega­tiv mit der Stu­di­en­qua­li­tät kor­re­lie­ren und zuver­läs­si­ge Stu­di­en seit Jah­ren kei­ner­lei Wirk­sam­keit gezeigt haben. Hier spricht alles dage­gen, das von der Kran­ken­kas­se über­neh­men zu las­sen, auch in Form des von Jan-Hen­drik vor­ge­schla­ge­nen Modells. Denn von Unent­schie­den­heit kann hier wahr­lich kei­ne Rede mehr sein. Der Fall Homöo­pa­thie ist wis­sen­schaft­lich längst ent­schie­den. Und zwar gegen sel­bi­ge. Es kann m. E. nicht sein, daß ange­sichts die­ses kla­ren For­schungs­stan­des noch öffent­li­che Gel­der dafür ver­pul­vert werden. 

    Auch der sozio­lo­gisch und psy­cho­lo­gisch sicher­lich ernst­zu­neh­men­de immer noch vor­han­de­ne Glau­be vie­ler Men­schen an die Wirk­sam­keit der Homöo­pa­thie ist kein Grund. Denn wenn man sich das mal ver­glei­chend anschaut, glau­ben bei­spiels­wei­se ähn­lich vie­le Men­schen an Geis­ter. Mit wel­cher Begrün­dung also ver­wei­gert man Men­schen, die zu einem „Scha­ma­nen“ gehen, der behaup­tet, „böse Geis­ter aus­trei­ben“ zu kön­nen, die Über­nah­me der Kos­ten durch die Kas­se, wäh­rend Homöo­pa­thie bezahlt wird? Der ein­zi­ge Grund ist m. E., daß Homöo­pa­thie für die meis­ten Men­schen in einem wis­sen­schaft­li­che­ren Gewand daher­kommt. Aber das kann und darf kein Grund sein.

  15. @Till: Ohne die durch­aus span­nen­den Über­le­gun­gen zur Spiel­räu­men bei sozio-tech­ni­schen Sys­te­men in Fra­ge stel­len zu wol­len, wür­de ich noch ger­ne einen wei­te­ren Aspekt ins Spiel brin­gen: die Ver­mit­tel­bar­keit der Kos­ten. Da eine Kran­ken­kas­se letzt­end­lich eine Soli­dar­ge­mein­schaft ist, muss den Mit­glie­dern jeder­zeit ver­mit­tel­bar sein, war­um und wofür die Mit­glieds­bei­trä­ge ver­wen­det wer­den – und da hapert es eben bei der Homöo­pa­thie, ins­be­son­de­re wenn man sich die zig­fa­chen Nega­tiv-Stu­di­en ansieht. Will sagen: Wenn jemand pri­vat Geld für eine homöo­pa­thi­sche Behand­lung aus­ge­ben möch­te – kein Pro­blem. Wenn aber die Kos­ten auf die Soli­dar­ge­mein­schaft umge­legt wer­den, dann muss auch ein nach­weis­ba­rer Nut­zen erkenn­bar sein, ansons­ten droht in der Tat die Beliebigkeit.

    „Um das Bei­spiel AKWs auf­zu­grei­fen: erst die Popu­la­ri­sie­rung »gegen«-wissenschaftlichen Wis­sens durch die Umwelt­be­we­gung hat im All­tags­wis­sen die Pro­po­si­ti­on »AKWs sind gefähr­lich« ver­an­kert, und macht seit­dem eine strik­te »fort­schritt­li­che« Pro-AKW-Poli­tik schwierig.“

    Rich­tig. War­um soll­te es dann aber kei­ne Auf­ga­be (auch grü­ner) Poli­tik sein, fal­sche Vor­stel­lun­gen von der Wirk­sam­keit unwirk­sa­mer Medi­zin­pro­duk­te eben­so zu kor­ri­gie­ren, wie man auch fal­sche Vor­stel­lun­gen von der Sicher­heit von AKWs kor­ri­giert hat? In bei­den Fäl­len geht schließ­lich von den Fehl­vor­stel­lun­gen eine gesund­heit­li­che Gefahr aus (die ist – zuge­ge­be­ner­ma­ßen – bei AKWs ganz anders zu bewer­ten als bei der Homöo­pa­thie, es bleibt ja aber das von Chris­ti­an S. ange­führ­te Beispiel…).

  16. Mei­nes Erach­tens ist die­se gan­ze Debat­te eine Nebel­ker­ze und Scheindebatte. 

    - Die Gesprä­che von den Kas­sen nicht gezahlt. Nur die Medi­ka­men­te wer­den teil­wei­se von den Kas­sen gezahlt. Dabei han­delt es sich aller­dings um Zusatz­leis­tun­gen, nicht um Regel­leis­tun­gen. Wer also kei­ne Homöo­pa­thie zah­len möch­te, kann jeder­zeit die Kas­se wechseln.

    - Die tat­säch­li­chen Kos­ten für die Homöo­pa­thie sind gering. Für rezept­freie Arz­nei­mit­tel wur­den in dt. Apo­the­ken im Jahr 2008 ins­ge­samt 5,42 Mrd. Euro (End­ver­brau­cher­prei­se) aus­ge­ge­ben. Ver­ord­ne­te homöo­pa­thi­sche Arz­nei­mit­tel sind davon 2%, also 108,4 Mios (die ande­ren Medi­ka­men­te sind nicht ver­ord­net). Wie­viel davon tat­säch­lich erstat­tet wur­de, ist unbe­kannt, da nicht alle Kas­sen erstat­ten. => Das ist gera­de­zu lächerlich.

    Die Kos­ten für sämt­li­che Medi­ka­men­te belau­fen sich auf 39,6 Mrd. Euro.

    Sämt­li­che Gesund­heits­kos­ten belie­fen sich 2008 auf 263 Mil­li­ar­den Euro.

    Und hier wird so ein G’schiss wega den paar Schar­la­ta­nen gemacht. Das ein­zi­ge was bedenk­lich ist, ist, wenn Kin­dern eine ange­mes­se­ne ärzt­li­che Ver­sor­gung vor­ent­hal­ten wird. Sonst nichts. Die Kos­ten sind nicht der Rede wert, da sind die Mehr­kos­ten der Elb­phil­har­mo­nie höher.

  17. Das von Chris­ti­an S. auf­ge­führ­te Bei­spie­le fin­de ich im Kon­text „Kran­ken­kas­se“ immer noch nicht son­der­lich stichhaltig. 

    Zum Punkt Soli­dar­ge­mein­schaft: genau da wird es span­nend, weil ich eben mei­ne, dass es da – um den Preis von „Effi­zi­enz­ver­lus­ten“ – eben not­wen­dig ist, in einem begrenz­ten Umfang Res­sour­cen für nicht fest­ge­leg­te Räu­me zu allo­zie­ren. Oben sagt jemand, dass es bei den Homöo­pa­thie­kos­ten um 0,6 % des Bud­gets der Kran­ken­kas­sen geht. Je nach Sicht­wei­se ist das viel oder wenig. Für mich ist die Fra­ge, was damit bezahlt wird – wenn dass die Zusatz­kos­ten sind, um „Löcher“ im Sys­tem offen zu hal­ten, dann hal­te ich 0,6 % nicht für beson­ders teu­er und für etwas, das durch­aus auch im Sin­ne der Soli­dar­ge­mein­schafts­idee ver­tret­bar ist. 

    (Nota bene: ich argu­men­tie­re hier gar nicht auf der Ebe­ne der (feh­len­den) Stich­hal­tig­keit von Homöo­pa­thie, son­dern auf der Ebe­ne damit ver­bun­de­ner Systemeffekte).

  18. Flin, ich hal­te das nicht für eine Schein­de­bat­te, son­dern für eine drin­gend not­wen­di­ge Debat­te. Du stellst m. E. eine fal­sche Rech­nung auf, wenn du aus­rech­nest, was allein für Homöo­pa­thie aus­ge­ge­ben wur­de. Nicht dar­in ent­hal­ten sind näm­lich Fol­ge­kos­ten, die die Spät­fol­gen sol­cher Fehl­be­han­dun­gen ent­hält. Denn eine Krank­heit wird in der Regel nicht bes­ser, wenn man sie falsch oder – wie in die­sem Fal­le man­gels Wirk­sam­keit – schlicht nicht behandelt. 

    Mir geht es aber dabei gar nicht pri­mär um die Höhe der Kos­ten. Denn dabei ent­ste­hen dann nicht nur mate­ri­el­le Schä­den, son­dern es wer­den – viel schlim­mer – mit­un­ter Men­schen­le­ben auf’s Spiel gesetzt oder Men­schen irrepa­ra­bel geschä­digt. Das Leid, das dadurch ent­steht, läßt sich nicht in Geld bemes­sen. Mir geht es daher pri­mär dar­um, daß wir Stan­dards auf­wei­chen, wenn wir zulas­sen, daß Metho­den, deren Wirk­sam­keit nun über Jahr­zehn­te hin­weg mit stan­dar­di­sier­ten wis­sen­schaft­li­chen Metho­den in keins­ter Wei­se belegt wer­den konn­ten, im Sys­tem belas­sen. Das kann nicht zum Woh­le der Pati­en­ten sein. Und das, Fin, ist nicht nur bei Kin­dern bedenk­lich. Wenn ein Erwach­se­ner durch eine sol­che Fehl­be­hand­lung stirbt oder irrepa­ra­ble Schä­den erlei­det, macht das die Sache nicht besser.

    Fazit: Die von dir, Till, ange­sto­ße­ne Sys­tem­de­bat­te um nicht fest­ge­leg­te Räu­me kann man m. E. zwin­gend erst dann füh­ren, wenn sicher­ge­stellt ist, daß Metho­den, die die­se nicht fest­ge­leg­ten Räu­me fül­len sol­len, Min­dest­stan­dards erfül­len, die gewähr­leis­ten, daß nie­mand zu Scha­den kommt. Das ist bei der Homöo­pa­thie m. E. nicht der Fall. Daher hal­te ich die Debat­te in dem Fall nicht für zielführend.

  19. Alex, damit wären wir dann aber in einer ganz ande­ren Debat­te: näm­lich in der, wie unkri­tisch bzw. kri­tisch „Schul­me­di­zin“ zu betrach­ten ist. Mei­ne per­sön­li­che Posi­ti­on ist dabei eher eine skep­ti­sche: eine rela­tiv gro­ße Zahl an „Krank­hei­ten“ sind kei­ne, oder sind jeden­falls nicht so, dass eine „Behand­lung“ jen­seits von Haus­mit­tel­chen etc. not­wen­dig wäre, auch wenn die Phar­ma­in­dus­trie hier ger­ne ande­res ver­brei­tet. Und gera­de hier spielt sich mei­ner Wahr­neh­mung nach ein gro­ßer Anteil der real exis­tier­ten­den Homöo­pa­thie ab – ohne Fol­ge­kos­ten, Spät­fol­gen und Fehlbehandlungen.

  20. An alle, die hier argu­men­tie­ren, dass Homoöpha­tie nicht so gro­ße Kos­ten ver­ur­sacht und des­halb ruhig von den Kas­sen bezahlt wer­den kann:

    Fän­det ihr es auch OK, wenn von Euren Steu­er­gel­dern Krea­tio­nis­mus-Bio­bü­cher gekauft werden? 

    Letzt­lich ist das eine ähn­li­che Sor­te Pseu­do- bzw. Anti-Wis­sen­schaft, die in den letz­ten Jah­ren eben­falls in Mode gekom­men ist. Sol­che Anti-Wis­sen­schaf­ten flo­rie­ren ver­mut­lich auf­grund einer Legi­ti­ma­ti­ons­kri­se der klas­si­schen Naturwissenschaften.

    Was ist, wenn die Schü­ler selbst sagen, dass sie sich in einem „christ­li­chen“ Bio-Unter­richt woh­ler fühlen?

    Wenn man vom Kos­ten­stand­punkt argu­men­tiert, könn­te man höchs­tens sagen, dass ein Schü­ler, der krea­tio­nis­ti­schen Bio­un­ter­richt vor­zieht, höhe­re exter­ne Kos­ten ver­ur­sacht (weil er auf jeden Fall ein bestimm­tes in der Arbeits­welt wert­vol­les Bio-Wis­sen nicht hat), wäh­rend der mit Homöo­pha­tie behan­del­te Pati­ent viel­leicht sogar Kos­ten spart (wenn das kon­ven­tio­nel­le Medi­ka­ment teu­rer gewe­sen wäre und nicht spä­ter doch noch eine kon­ven­tio­nel­le Behand­lung erfor­der­lich ist)

  21. @Niklas:
    Der Ver­gleich mit Krea­tio­nis­mus-Bio­lo­gie-Unter­rich­t/­Bü­chern hinkt doch sehr.
    Beim Schul­un­ter­richt wird ja gera­de der Anspruch erho­ben, die Schü­le­rIn­nen ziem­lich fun­dier­tes Grund­wis­sen bei­zu­brin­gen bzw. ein­zu­flö­ßen. Es ist ja gar nicht mög­lich, dass in dem sozio„technischen“ Sys­tem Schu­le eine klei­ne Grup­pe indi­vi­du­ell heraussticht.

    Viel nahe­lie­gen­der wäre es, den Ver­gleich zu den anthro­po­so­phi­schen Wal­dorrf-Schu­len zu zie­hen. Da wird es dann spä­tes­tens mit den Thesen/Gedanken von Till (die mich übri­gens sehr erhellt haben) kritisch.

  22. (Noch ein klei­ner Nach­trag zum The­ma der gesell­schaft­li­chen Reso­nanz­fä­hig­keit – im gest­ri­gen Sonn­tag in Frei­burg gab’s einen lan­gen Arti­kel zum The­ma Homöo­pa­thie – inkl. des Hin­wei­ses dar­auf, dass in der Schweiz ein Volks­ent­scheid mit einer Mehr­heit von 70% Homöo­pa­thie zur Kas­sen­leis­tung (o.ä.) gemacht hat.)

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