Einige Überlegungen anlässlich des Workshops „Nachhaltige Hochschulen“

Ges­ternVor einem Jahr fand in Ber­lin eine gemein­sa­me Tagung von Hein­rich-Böll-Stif­tung und Cam­pus­Grün zur Zukunft der Hoch­schu­len statt. Die­ser Fra­ge wur­de in unter­schied­li­chen Work­shops nach­ge­gan­gen; ich war damals gebe­ten wor­den, einen Work­shop „Nach­hal­ti­ge Hoch­schu­len“ vor­zu­be­rei­ten und zu lei­ten. Mit dem kon­kre­ten Work­sh­op­er­geb­nis bin ich ganz zufrie­den. Weil das The­ma aber ja viel­leicht auch Men­schen außer­halb der grü­nen Hoch­schul­grup­pen­sze­ne inter­es­siert, hier die Foli­en mei­nes Inputs (bei Slidesha­re) sowie ein paar Wor­te dazu.

Titel »Nachhaltige Hochschulen«
Prä­sen­ta­ti­on bei Slideshare

1. Nachhaltige Entwicklung ist mehr als Umweltschutz

Der Schwer­punkt des Work­shops lag – bewusst – auf einer kon­zep­tio­nel­len Ebe­ne. Obwohl „Nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung“ inzwi­schen in aller Mun­de ist, hat­te ich doch den Ein­druck, dass es sinn­voll sein könn­te, noch­mal in die Begriffs­ge­schich­te zurück­zu­ge­hen. Neben den (mehr oder weni­ger ein­fluss­rei­chen) forst­li­chen Wur­zeln einer eher öko­no­misch gepräg­ten Nach­hal­tig­keit (Wald muss für die Fol­ge­ge­nera­ti­on als Wirt­schafts­fak­tor erhal­ten blei­ben) ist es vor allem die Brund­landt-Kom­mis­si­on, die den Begriff 1987 geprägt hat. Wie Gro­ber (2002) zeigt, gibt es auch hier durch­aus Vor­läu­fer, und die Über­set­zungs­va­ri­an­te „nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung“ für „sus­tainable deve­lo­p­ment“ muss­te sich auch erst­mal durch­set­zen (z.B. gegen­über der Vari­an­te „zukunfts­fä­hi­ge Ent­wick­lung“). Popu­la­ri­siert wur­de die nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung dann mit dem UN-Umwelt- und Ent­wick­lungs­gip­fel in Rio 1992.

Wich­tig ist, dass bereits im Begriff zwei The­men­fel­der ver­wo­ben sind (inso­fern ist nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung eben mehr als nur Umwelt­schutz). Auf der einen Sei­te steht, kurz gesagt, das öko­lo­gi­sche Inter­es­se des „Nor­dens“. Zusam­men­ge­bracht wur­de er mit dem Inter­es­se des „Südens“ an (wirt­schaft­li­cher) Ent­wick­lung bzw. Armuts­be­kämp­fung. Nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung stellt inso­fern also von Anfang an ein Kom­pro­miss­kon­zept dar, bzw. freund­li­cher for­mu­liert, einen mehr­di­men­sio­na­len Ansatz. Neben den übli­cher­wei­se her­an­ge­zo­ge­nen Dimen­sio­nen Öko­lo­gie, Öko­no­mie und sozia­ler Gerech­tig­keit wird manch­mal auch noch Kul­tur oder gar Spi­ri­tua­li­tät hin­zu­ge­nom­men. Für mei­nen Geschmack wei­tet das so ein Kon­zept dann aller­dings doch zu weit aus.

Ana­ly­ti­sches Zen­trum des Nach­hal­tig­keits­be­griffs ist die Ver­knüp­fung von Gerech­tig­keit zwi­schen den leben­den Men­schen einer­seits und den heu­ti­gen und zukünf­ti­gen Men­schen ande­rer­seits – jeweils bezo­gen auf die unter­schied­li­chen Ziel­di­men­sio­nen. Damit wird auch klar, dass nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung 1. ein nor­ma­ti­ves Kon­zept, also einen poli­tisch vor­ge­ge­be­nen Rah­men dar­stellt, und dass 2. nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung anthro­po­zen­trisch ori­en­tiert sein muss. Es geht nicht um den Erhalt von Natur per se, son­dern um den Erhalt von Natur als Res­sour­ce für das Über­le­ben zukünf­ti­ger Generationen.

Unter­schie­de gibt es dar­in, ob alle Ziel­di­men­sio­nen als gleich­ran­gig ange­se­hen wer­den („schwa­che Nach­hal­tig­keit“, Mög­lich­keit zur Erset­zung von „Kapi­tal“ aus einer Dimen­si­on durch „Kapi­tal“ der ande­ren Dimen­si­on), oder ob im Zwei­fel ein Pri­mat der Öko­lo­gie gilt („star­ke Nach­hal­tig­keit“). In bei­den Fäl­len bleibt jedoch der prin­zi­pi­el­le Anthropozentrismus.

Damit las­sen sich auch die übli­chen Kri­tik­punk­te an Nach­hal­tig­keits­kon­zep­tio­nen nen­nen: die Kom­pro­miss­för­mig­keit des Kon­zepts; die feh­len­de „Sys­tem­kri­tik“; die feh­len­de öko­lo­gi­sche Radi­ka­li­tät – und last but not least – die durch die Viel­schich­tig­keit mög­lich gewor­de­ne brei­te Ver­wen­dung, bis hin uni­ver­sell ver­wend­ba­ren Adjek­tiv „nach­hal­tig“, das nichts mehr mit dem his­to­ri­schen Bedeu­tungs­ge­halt („lang­fris­tig wirk­sam“) zu tun, son­dern plötz­lich als „Plas­tik­wort“ sowas meint wie „modisch gut für die Umwelt“ (vgl. zur Begriffs­kri­tik auch Kauf­mann 2004). Bes­tes Bei­spiel dafür sind Ange­bo­te der gro­ßen Ener­gie­kon­zer­ne für „nach­hal­tig kli­ma­scho­nen­den Strom“ etc. (sie­he zu die­sen „Greenwash“-Versuchen auch den Kli­ma-Lügen­de­tek­tor und die Green­wa­sh-Stu­die von Lob­by­con­trol (pdf)).

2. Nachhaltigkeit an und für Hochschulen

Was hat Nach­hal­tig­keit nun mit Hoch­schu­len zu tun? Seit 1990 wird dar­über dis­ku­tiert, wie Nach­hal­tig­keit an Hoch­schu­len aus­se­hen kann. Eini­ge wich­ti­ge Schrit­te dabei sind 1993 die COPER­NI­CUS-Char­ta (pdf) sowie 2004 das Memo­ran­dum „Hoch­schu­le neu den­ken“ (pdf) der Grup­pe 2004. Seit 2005 befin­den wir uns in der UNESCO-Welt­de­ka­de „Bil­dung für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung“ (noch bis 2014). (Mehr zur Bil­dung für nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung in der Wiki­pe­dia und 

Auch die aus der COPER­NI­CUS-Char­ta erwach­se­nen COPERNICUS Gui­de­lines (pdf) zur Umset­zung nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung im Bereich höhe­rer Bil­dung soll­ten hier erwähnt werden.

Ich sehe vier Hand­lungs­ebe­nen für Hoch­schu­len für nach­hal­ti­ge Entwicklung:

  1. Hoch­schu­len in der Gesell­schaft: die Erzeu­gung von gesell­schaft­li­chem Reflektionswissen
  2. Hoch­schu­len als Ort der For­schung (dis­zi­pli­nä­re und inter­dis­zi­pli­nä­re Nach­hal­tig­keits­for­schung, aber auch eine Fol­gen­ab­schät­zung für For­schung ins­ge­samt aus der nor­ma­ti­ven Nachhaltigkeitsperspektive)
  3. Hoch­schu­len als Orte des Ler­nens – von spe­zi­el­len Stu­di­en­gän­gen zu Nach­hal­tig­keits­kom­pe­ten­zen bis zur Inte­gra­ti­on die­ser Aspek­te in alle Studiengänge
  4. Hoch­schu­len als Lebens­welt – hier sind kon­kre­te Umset­zungs­mög­lich­kei­ten vom Solar­pa­nel bis zum Bioes­sen in der Men­sa auf dem Hoch­schul­cam­pus ange­spro­chen, die im Sin­ne eines Erfah­rungs­ler­nens aber auch zur Sozia­li­sa­ti­on der dort Ler­nen­den (und Arbeitenden/Lehrenden) beitragen

Etwas genau­er und aus­führ­li­cher aus­ge­führt wird dies im Posi­ti­ons­pa­pier Bei­trag der Hoch­schul- und For­schungs­po­li­tik zu einer nach­hal­ti­gen Ent­wick­lung, dass die grü­ne BAG WHT im April 2009 beschlos­sen hat.

Ent­spre­chend sind eine gan­ze Rei­he Akteu­re in unter­schied­li­cher Wei­se in der Lage, Nach­hal­tig­keit an Hoch­schu­len zu bringen:

Akteure nachhaltiger Entwicklung an Hochschulen
Akteu­re nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung an Hochschulen

3. Von Nachhaltigkeit an Hochschulen zu nachhaltigen Hochschulen

Wenn die­se vier Punk­te nicht ein­zeln betrach­tet wer­den, son­dern als ver­netz­te Ganz­heit – Trans­dis­zi­pli­na­ri­tät – , sind wir unge­fähr beim „Lüne­bur­ger Ansatz“ der Grup­pe 2004, die Nach­hal­tig­keit als neu­en Modus von Ler­nen und For­schen beschreibt. Damit geht es dann nicht mehr nur um die Imple­men­ta­ti­on ein­zel­ner Ele­men­te in exis­tie­ren­de Hoch­schu­len, son­dern um Nach­hal­tig­keit als Rah­men für Hoch­schul­ent­wick­lung und die Ver­än­de­rung der Art und Wei­se, wie an Hoch­schu­len gelernt und geforscht wird. Also bei­spiels­wei­se im Kon­text der Bolo­gna-Refor­men. Die neus­ten Über­le­gun­gen aus die­sem Umfeld stam­men aus dem Jahr 2008 (vgl. Michel­sen et al. 2008).

Der Gedan­ken­gang – die „Ver­nach­hal­ti­gung“ des Wis­sen­schafts- und Hoch­schul­sys­tems – wird wei­ter­hin von Uwe Schnei­de­wind vor­an­ge­trie­ben. Eini­ges dazu steht in sei­nem Blog „nach­hal­ti­ge Wis­sen­schaft“, noch eini­ges mehr in sei­nem in die­sem Jahr erschie­ne­nem Buch Nach­hal­ti­ge Wis­sen­schaft: Plä­doy­er für einen Kli­ma­wan­del im deut­schen Wis­sen­schafts- und Hoch­schul­sys­tem (ama­zon). Vor eini­gen Wochen fand dazu eine Ver­an­stal­tung der Hein­rich-Böll-Stif­tung statt (ich konn­te lei­der nicht dran teil­neh­men). Dazu lässt sich eini­ges im Ver­an­stal­tungs­be­richt von Ste­phan Ert­ner nachlesen.

4. Zitierte Literatur

Brand, Karl-Wer­ner / Jochum, Georg (2000): Der deut­sche Dis­kurs zu nach­hal­ti­ger Ent­wick­lung. MPS-Tex­te 1/2000, Mün­chen: Mün­che­ner Pro­jekt­grup­pe für Sozi­al­for­schung e.V.
Brundt­land, Gro Har­lem et al.(1987): Our Com­mon Future: World Com­mis­si­on on Envi­ron­ment and Deve­lo­p­ment. Oxford Uni­ver­si­ty Press.
Gro­ber, Ulrich (2002): „Mode­wort mit tie­fen Wur­zeln – Klei­ne Begriffs­ge­schich­te von ’sus­taina­bi­li­ty‘ und ‚Nach­hal­tig­keit‘ “, in Gün­ter Alt­ner et. al (Hrsg.): Jahr­buch Öko­lo­gie 2003, Mün­chen: C.H. Beck, S. 167–175.
Kauf­mann, Ste­fan (2004): „Nach­hal­tig­keit“, in Bröck­ling, Ulrich / Kras­mann, Susan­ne / Lem­ke, Tho­mas (Hrsg.): Glos­sar der Gegen­wart. Frank­furt am Main: Suhr­kamp, S. 174–181.
Luks, Fred (2002): Nach­hal­tig­keit. Ham­burg: Euro­päi­sche Verlagsanstalt. 
Michel­sen, Gerd / Adom­ßent, Maik / Gode­mann, Jas­min (Hrsg.) (2008): „Sus­tainable Uni­ver­si­ty“. Nach­hal­ti­ge Ent­wick­lung als Stra­te­gie und Ziel von Hoch­schul­ent­wick­lung. Ham­burg: VAS.
Poli­ti­sche Öko­lo­gie (2005), Heft 93, The­ma „Bau­stel­le Hochschule“.
Schnei­de­wind, Uwe (2009): Nach­hal­ti­ge Wis­sen­schaft. Plä­doy­er für einen Kli­ma­wan­del im deut­schen Wis­sen­schafts- und Hoch­schul­sys­tem. Mar­burg: Metropolis.

War­um blog­ge ich das? Manch­mal blei­ben ange­fan­ge­ne Blog­bei­trä­ge lan­ge lie­gen. Die­ser hier z.B. gut ein Jahr. Aber irgend­wie woll­te ich ihn dann doch nicht löschen – son­dern habe ihn dann lie­ber unten noch ein biß­chen aktu­ell ange­rei­chert und dann doch veröffentlicht.

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