Hoffnung am Ende der Welt

SEC, Glasgow - II

Die Welt drau­ßen ist mal wie­der ziem­lich am Ende. Zeit­ge­nös­si­sche Sci­ence Fic­tion reagiert dar­auf auf drei Arten: sie setzt sich ers­tens direkt damit aus­ein­an­der – da sind wir dann bei „Cli­Fi“, Cli­ma­te Fic­tion und Ver­wand­tem, sei es Kim Stan­ley Robin­son, sei es T.C. Boyle, sei es mit ande­rer Per­spek­ti­ve Neal Ste­phen­son. Oder bei Wer­ken, die ande­re Pro­ble­me, die wir gera­de haben, direkt lite­ra­risch ver­ar­bei­ten. Aus­gren­zung und Inklu­si­on beispielsweise. 

Die zwei­te Reak­ti­on ist Eska­pis­mus. Das muss nichts schlech­tes sein. Sci­ence Fic­tion lan­det dann bei­spiel­wei­se bei der neus­ten Form der Space Ope­ra. Einen sehr guten Über­blick dar­über, was da alles drun­ter passt, gibt Jona­than Stra­han in sei­ner gera­de erschie­ne­nen Antho­lo­gie New Adven­tures in Space Ope­ra. Mit Nor­man Spin­rad spricht er davon, dass es sich bei Space Ope­ra nach wie vor um „straight fan­ta­sy in sci­ence fic­tion drag“ han­delt. Das gilt auch für das, was in den 2020er Jah­ren pas­siert, nach dem Höhe­punkt der „new space ope­ra“. Nur dass die­se Tex­te diver­ser und mul­ti­per­spek­ti­vi­scher sind, und sich kri­ti­scher mit den Poli­ti­ken und Macht­ver­hält­nis­sen in den jeweils ima­gi­nier­ten Wel­ten aus­ein­an­der­set­zen, als dies davor der Fall war. 

Drit­tens, und damit sind wir beim The­ma die­ses Tex­tes, erschei­nen eine Viel­zahl von Geschich­ten und Büchern, die irgend­wo zwi­schen „cozy“, Hope­punk und Solar­punk ein­sor­tiert wer­den kön­nen. Obwohl es Über­schnei­dun­gen gibt, ist Solar­punk doch noch ein­mal etwas ande­res als Cli­ma­te Fic­tion, und ist „cozy“ SF&F nicht iden­tisch mit der 2020er-Fas­sung von Space Ope­ra. Wir kom­men gleich zu Defi­ni­tio­nen – hier sei aller­dings schon ein­mal gesagt, dass die­se Grenz­zie­hun­gen weni­ger hart sind, als sie manch­mal erschei­nen, und teil­wei­se noch im Ent­ste­hen befind­lich sind. Mir geht es vor allem dar­um, einen Blick auf etwas zu wer­fen, was ich als aktu­el­len Trend in Sci­ence Fic­tion (und ein­ge­schränkt: Fan­ta­sy) wahrnehme.

Cyberpunk und Globalisierung – vergangene Katastrophen

Dass die Welt ziem­lich am Ende ist – und dass Sci­ence Fic­tion dar­auf reagiert, ist nun aller­dings nicht ganz neu. Umwelt­ka­ta­stro­phen, das Ver­sa­gen der kapi­ta­lis­ti­schen Moder­ne und die Block­kon­fron­ta­ti­on im Kal­ten Krieg der 1970er Jah­re fin­den sich nicht nur bei Ursu­la Le Guin (ihre ambi­va­len­te Uto­pie The Dis­pos­s­es­sed fei­ert gera­de das 50. Jubi­lä­um), son­dern bei­spiels­wei­se auch in den Roma­nen von John Brun­ner. Stand on Zan­zi­bar ist von 1968, The Sheep Look Up von 1972 und The Shock­wa­ve Rider erschien 1975 – alle drei the­ma­ti­sie­ren damals und teil­wei­se heu­te zen­tra­le poli­ti­sche Fra­gen im Gewand der Sci­ence Fiction.

Am nächs­ten Tief­punkt, aus der No-Future-Stim­mung der 1980er Jah­re, erwächst Cyber­punk als eine lite­ra­ri­sche Bewe­gung. Wil­liam Gib­sons Neu­ro­man­cer als Arche­typ des Sub­gen­res erscheint 1984: eine düs­te­re, durch­di­gi­ta­li­sier­te Welt, in der über­mäch­ti­ge Kon­zer­ne auf der einen Sei­te und Hacker und Out­laws auf der Stra­ße auf der ande­ren Sei­te ste­hen. Das Label ist noch etwas älter. Bereits 1983 ver­öf­fent­licht Bruce Beth­ke eine Kurz­ge­schich­te unter dem Titel „Cyber­punk“.

Die von Bruce Ster­ling her­aus­ge­ge­be­ne zen­tra­le Antho­lo­gie Mir­ror­s­ha­des erblick­te 1986 das Licht der Welt. Im Vor­wort beschreibt Ster­ling die Autor:innen des Cyber­punk als Grup­pe, die im Aus­tausch unter­ein­an­der das Sub­gen­re erschaf­fen hat; den Nukle­us bil­de­ten – so Ster­ling – Gib­son, Rucker, Shi­ner, Shir­ley und er selbst. Er grenzt Cyber­punk von der Gegen­kul­tur der 1960er Jah­re ab. Die­se war „rural, roman­ti­ci­zed, anti-sci­ence, anti-tech“. Dem gegen­über setzt Cyber­punk sich mit der Tech­nik der 1980er Jah­re aus­ein­an­der. Ster­ling nennt als Bei­spie­le den Walk­man, den Per­so­nal­com­pu­ter, das trag­ba­re Tele­fon – Tech­nik, die nah am Kör­per ist, für die, mit Gib­son, die Stra­ße ihre eige­ne Ver­wen­dung fin­det, die gehackt wer­den kann und wei­ter zu Pro­the­sen und Gehirn-Inter­faces gedacht wer­den kann. Der lite­ra­ri­sche Zugriff auf die­se Tech­no­lo­gien ver­bin­det sich mit der nun eben nicht mehr tech­nik­feind­li­chen Gegen­kul­tur und Pop­kul­tur der 1980er Jah­re. Cyber­punk braucht eine glo­ba­li­sier­te Welt als Kulis­se und erkun­det deren Unterseite. 

Aber eigent­lich war Cyber­punk als Gen­re schon 1986 wie­der vor­bei. Alle zen­tra­len Autor:innen beweg­ten sich in unter­schied­li­che Rich­tun­gen davon. (Im Kon­text die­ses Arti­kels inter­es­sant dürf­te der nicht beson­ders erfolg­rei­che Ver­such von Ster­ling sein, 1998 mit dem Viri­di­an Design Move­ment eine Bewe­gung ins Leben zu rufen, die öko­lo­gi­sche Fra­gen und eine fort­schritt­li­che Hal­tung zu Tech­no­lo­gie zusam­men­denkt – 2008 been­det Ster­ling den Ver­such. Lite­ra­risch taucht die­se tech­no-öko­lo­gi­sche Hal­tung in sei­nen Büchern Hea­vy Wea­ther (1994), Holy Fire (1996) und ins­be­son­de­re Dis­trac­tion (1998) auf.) 

Cyber­punk ist tot, auch wenn die Ästhe­tik wei­ter­lebt. Tro­pen und Memes blei­ben. Cyber­punk ist im kul­tu­rel­len Gedächt­nis ver­an­kert, hat spä­tes­tens mit der Matrix-Film­se­rie den Sprung in den Main­stream geschafft und kann nicht nur refe­ren­ziert, son­dern gege­be­nen­falls auch neu belebt wer­den kann. Mir fällt dazu Aiki Miras Neon­grau von 2022 ein. Mira schafft hier ein Ham­burg, das so sehr 2020 schreit, wie Gib­sons Tokyo ein Tokyo von 1980 war. Miras Ham­burg nimmt das zen­tra­le Ele­ment des Cyber­punk – Unter­grund und Stra­ße, High­tech und vir­tu­el­le Wel­ten – und aktua­li­siert die­se für die Gegenwart.

Eine wei­te­re Hin­ter­las­sen­schaft der Cyber­punk-Bewe­gung ist das Suf­fix „-punk“, das viel­fäl­tig ver­wen­det wird. Zwi­schen Atom­punk, Die­sel­punk oder Bio­punk dürf­te aber „Steam­punk“ – eben­falls bereits in den 1980er Jah­ren als Ver­weis auf den Cyber­punk geprägt – das ein­zi­ge Label sein, dem bis dato eine umfang­rei­che­re Zahl an Wer­ken zuge­ord­net wer­den kann. 

Von Cyberpunk zu Solarpunk

Jetzt also Solar­punk, Hope­punk und irgend­wo dane­ben oder dazwi­schen cozy SF&F. Solar­punk betritt 2008 die Büh­ne, so beschreibt es jeden­falls der Ein­trag in der Ency­clo­pe­dia of Sci­ence Fic­tion – zunächst ein­mal nicht als lite­ra­ri­sches Gen­re, son­dern als Idee in einem Blog­post im Blog „Repu­blic of the Bees“. Als Auf­hän­ger wählt der Autor zum einen eine Pres­se­mit­tei­lung zu Con­tai­ner­schif­fen, die von Dra­chen (also dem Flug­ge­rät, nicht dem Fabel­we­sen) statt von Schiffs­schrau­ben ange­trie­ben wer­den, zum ande­ren das Gen­re des „Steam­punk“. Steam­punk beschreibt er als Lite­ra­tur, in der alter­na­ti­ve Zukünf­te erzählt wer­den, in denen nicht auf Öl, son­dern gut vik­to­ria­nisch auf Koh­le und Dampf gesetzt wird, und in die dann moder­ne Tech­no­lo­gien oder „modern, cyni­cal atti­tu­des towards govern­ment, capi­ta­lism, and tra­di­tio­nal mora­li­ty“ ein­ge­fügt wer­den. Solar­punk wird dem­entspre­chend als Lite­ra­tur defi­niert, in der – kon­tra­fak­tisch oder tat­säch­lich – sola­re Ener­gie­trä­ger an die Stel­le von Koh­le, Öl und Gas rücken. Gleich­zei­tig wird es dadurch not­wen­dig, alte Tech­no­lo­gien (hier: das Segel­schiff) in moder­nem Gewand neu zu den­ken (das wind­kraft­be­trie­be­ne Containerschiff). 

Der Blog­au­tor hofft, dass er – anders als beim Steam­punk – eines Tages tat­säch­lich in einer Solar­punk-Welt leben wird. Gleich­zei­tig weist er dar­auf hin – und gibt damit eine gewis­se Legi­ti­ma­ti­on für den „Punk“-Teil des Wor­tes – dass der Wan­del hin zu einer sol­chen Welt nicht ohne poli­ti­sche Kon­flik­te ablau­fen wird. Er ver­mu­tet, dass „some serious poli­ti­cal fights bet­ween the good citi­zens of the world and the cor­rupt forces who will ine­vi­ta­b­ly attempt to sabo­ta­ge the tran­si­ti­on for their own per­so­nal gain“ statt­fin­den wer­den oder erzählt wer­den müs­sen. Da wäre dann der Rück­be­zug zum „Stra­ße gegen Groß­kon­zern“ des Cyber­punk (und ver­mit­telt auch des Steam­punk). Und wäh­rend in dem kur­zen Blog­post zwar diver­se Tech­no­lo­gien benannt wer­den, klingt doch durch, dass eine Poli­tik einer refor­me­ri­schen öko­lo­gi­schen Moder­ni­sie­rung nicht genügt. Hier liegt mög­li­cher­wei­se auch eine Soll­bruch­stel­le zwi­schen Solar­punk und dem Teil von Cli­ma­te Fic­tion, die sich nicht auf die Beschrei­bung des Unter­gangs allei­ne fokus­siert, son­dern Lösun­gen anbie­ten möchte.

Als mög­li­ches lite­ra­ri­sches Bei­spiel für Solar­punk nennt der Blog­au­tor in der „Repu­blic of Bees“ Nor­man Spin­rads Songs from the Stars aus dem Jahr 1985, in dem – so jeden­falls die Beschrei­bun­gen, ich habe die­ses Buch selbst nicht gele­sen – eine post­apo­ka­lyp­ti­sche Zivi­li­sa­ti­on auf Mus­kel­kraft, Wind und Son­ne setzt. 

2008 ist also der Begriff Solar­punk in der Welt, und es kann damit ange­fan­gen wer­den, retro­spek­tiv einen Kanon zu schaf­fen. Neue Solar­punk-Lite­ra­tur gibt es zu die­sem Zeit­punkt noch nicht. Was sich aller­dings sehr schnell ent­wi­ckelt, ist eine Solar­punk-Ästhe­tik, die der dys­to­pi­schen Neon­welt des Cyber­punk Bil­der von sanf­ten Hügel­land­schaf­ten mit Wind­rä­dern, Solar­zel­len und Do-It-Yours­elf-Hüt­ten­dör­fer ent­ge­gen­setzt. Das ist der Hin­ter­grund, vor dem Geschich­ten erzählt wer­den kön­nen: vom Zusam­men­halt in Gemein­schaf­ten, vom gemein­sa­men Tun, vom erfolg­rei­chen Kampf und von den Kon­flik­ten inner­halb einer Solarpunk-Gesellschaft. 

Wäh­rend eine Rei­he von Büchern (auch Ernest Cal­len­bachs Eco­to­pia, 1975, Le Guins Always Coming Home, 1985, oder Kim Stan­ley Robin­sons Paci­fic Edge aus dem Jahr 1990) rück­bli­ckend in das jun­ge Gen­re ein­sor­tiert wer­den kön­nen, ent­ste­hen neu zunächst eine gan­ze Rei­he von Kurz­ge­schich­ten unter­schied­li­cher Qua­li­tät. Die Sam­mel­bän­de Solar­punk: his­tóri­as ecoló­gi­cas e fan­tá­sti­cas em um mun­do sus­ten­táv! (2013), her­aus­ge­ge­ben von Ger­son Lodi-Ribei­ro, Sunvault (2017), her­aus­ge­ge­ben von Phoe­be War­ner Bron­të und Chris­to­pher Wie­land, sowie Glass and Gar­dens: Solar­punk Sum­mers (2018) und Glass and Gar­dens: Solar­punk Win­ters (2020), bei­de von Sare­na Uli­bar­ri her­aus­ge­ge­ben, brin­gen eini­ge die­ser Geschich­ten zusam­men. Zudem gibt es eini­ge spe­zia­li­sier­te Zines, etwa das Solar­punk Maga­zi­ne oder die Web­site solarpunks.net/.

Den­noch bleibt Solar­punk ein Kno­ten­punkt eines sich noch fin­den­den Gen­res. Auch die Ency­clo­pe­dia of Sci­ence Fic­tion tut sich schwer mit einer Definition. 

Solarpunk’s gro­wing popu­la­ri­ty can be seen as an oppo­sing force to Cyber­punk, which typi­cal­ly por­trays dys­to­pian socie­ties in which tech­no­lo­gi­cal pro­gress has an inver­se cor­re­la­ti­on with living stan­dards, and the influence of mega-cor­po­ra­ti­ons has divi­ded com­mu­ni­ties and redu­ced the auto­no­my of indi­vi­du­als. […] Solar­punk, howe­ver, does not requi­re its aut­hors to depict the harnes­sing of solar power. While one typi­cal model for an sf sto­ry is to stretch con­tem­po­ra­ry pro­blems to night­ma­rish pro­por­ti­ons („if this goes on …“), Solar­punk advo­ca­tes for the oppo­si­te. It takes solu­ti­ons to radi­cal con­clu­si­ons, be they brea­king civi­liza­ti­on down into com­mu­nes, rest­ric­ting popu­la­ti­on growth (see Over­po­pu­la­ti­on), or buil­ding Dys­on Sphe­res. It is a rebel­li­on against a rebel­li­on, born out of dys­to­pia fatigue.

Eine recht umfang­rei­che – und trotz Offen­heit für ganz unter­schied­li­che Wege zu einer bes­se­ren Zukunft recht bekennt­nis­las­ti­ge – Eigen­de­fi­ni­ti­on mit 22 Punk­ten fin­det sich im A Solar­punk Mani­festo. „Punk“ heißt hier: gegen den Main­stream, für Rebel­li­on, Deko­lo­nia­li­sie­rung und Enthu­si­as­mus, Sci­ence Fic­tion wird als eine Form des Akti­vis­mus beschrie­ben und mög­li­che ästhe­ti­sche Aus­for­mun­gen (Ori­en­tie­rung­punk­te: 1800, Art Deco und Jugend­stil, ange­pass­te Tech­no­lo­gie und Stu­dio Ghi­b­li) dar­ge­legt. Die 22 Punk­te des Mani­festo umfas­sen auch Nach­hal­tig­keit, öko­lo­gi­sche Gerech­tig­keit, eine Ko-Exis­tenz von Spi­ri­tua­li­tät und Wis­sen­schaft, Suf­fi­zi­enz, die fuß­gän­ger­freund­li­che Stadt und die Wie­der­ver­wer­tung von alten Mate­ria­li­en. Zudem wird auf die Wech­sel­wir­kung zwi­schen Sci­ence Fic­tion und Poli­tik hingewiesen.

Wört­lich genom­men redu­ziert das Mani­festo Solar­punk auf ein didak­ti­sches Tool, um eine bestimm­te Vor­stel­lung einer opti­mis­ti­schen, von unten her gewach­se­nen öko­lo­gi­schen Zukunft zu ver­brei­ten. Gleich­zei­tig machen sich eini­ge Men­schen in die­sem Umfeld Sor­gen, dass ein Auf­grei­fen der Solar­punk-Ideen durch „den Main­stream“ zu einem „Green­wa­shing“ füh­ren könn­te. Also lie­ber kein Solar­punk-Block­bus­ter, kein über­all dis­ku­tier­ter Roman? 

Wie weit Sci­ence Fic­tion nach­hal­ti­ge Zukünf­te vor­an­brin­gen kann, war auch auf der World­con in Glas­gow The­ma. Neben diver­sen Panels zu Sus­taina­bi­li­ty und SF gab es meh­re­re, die sich kon­kret mit Solar­punk aus­ein­an­der­ge­setzt haben. Auch dort über­wog zumin­dest bei mir aber der Ein­druck, dass eini­ge Solar­punk ger­ne als Vehi­kel nut­zen wür­den, um eine ganz bestimm­te Vor­stel­lung einer öko­lo­gi­schen Zukunft pro­pa­gan­dis­tisch zu ver­brei­ten, wäh­rend ande­re dar­un­ter eher sowas wie „öko – aber in cool“ ver­stan­den, und auf eine bestimm­te Ästhe­tik setz­ten. Geht es dar­um, Hoff­nung zu ver­kau­fen oder dar­um, die Zukunft zu deko­lo­nia­li­sie­ren? Soll das herr­schen­de Nar­ra­tiv ver­än­dert wer­den, oder ist’s in der Nische unter Gleich­ge­sinn­ten auch ganz ange­nehm? Das sind Debat­ten, die ich aus poli­ti­schen Zusam­men­hän­gen ken­ne – und mög­li­cher­wei­se ist es eine poli­ti­sche Über­frach­tung, mit der sich Solar­punk gera­de selbst ein Bein stellt.

Inter­es­se an dem The­ma war und ist jeden­falls da, die Panels fan­den in vol­len Räu­men statt, und zumin­dest ein­zel­ne Aspek­te tauch­ten auch an ganz ande­ren Stel­len wie­der auf.

Cyber­punk war ein Begriff, der als Label für eine bestimm­tes Sub­gen­re ver­wen­det wur­de und erst danach zu einer ver­all­ge­mei­ner­ten und all­ge­mein refe­ren­zier­ba­ren Ästhe­tik wur­de. Gleich­zei­tig waren die trei­ben­den Kräf­te des Sub­gen­res lite­ra­risch inspi­riert (v.a. von der New Wave der 1960er Jah­re) und inter­es­siert dar­an, gute Geschich­ten zu schrei­ben – mit gemein­sa­men The­men, mit ähn­li­chen Moti­ven und Bil­dern, aber ohne Check­lis­te und ohne poli­ti­schen Überbau. 

Kein Manifest, aber dafür Anschlussfähigkeit: Cozy SF&F und Hopepunk

Mög­li­cher­wei­se ist Solar­punk zu eng gefasst. Auf der World­con kur­sier­te der Begriff „Hope­punk“ als Gegen­pol zu „Grim­dark“ in der Fan­ta­sy-Lite­ra­tur, als düs­te­ren, von Intri­gen durch­drun­ge­nen Wel­ten im Nie­der­gang; im Bereich der Sci­ence-Fic­tion passt „Dys­to­pie“ ver­mut­lich bes­ser, um ähn­li­ches zu beschrei­ben wie „Grim­dark“ in der Fan­ta­sy. „Hope­punk“ wur­de 2017 von Alex­an­dra Row­land geprägt. Und auch hier geht es eher um eine bestimm­te Ästhe­tik, um Nied­lich­keit und Hoff­nung, und zugleich ste­hen stär­ker noch als beim Solar­punk steht Gemein­schaft und Zusam­men­halt im Mit­tel­punkt. Ales­san­dra Reß bringt es bei TOR auf den Punkt, dass bei allen Bezug zu Bie­der­mei­er und Nied­lich­keit eben nicht Self-Care im Mit­tel­punkt steht, son­dern „viel­mehr ‚World­ca­re‘ – und die ist weit ent­fernt von Resi­gna­ti­on und Weltflucht.“

Wäh­rend es bei Solar­punk eine Bewe­gung, ein Mani­fest, viel­leicht auch meh­re­re, und eine star­ke prä­skrip­ti­ve poli­ti­sche Auf­la­dung gibt, scheint mir Hope­punk – trotz aller Ähn­lich­kei­ten – offe­ner gefasst zu sein. Es geht schlicht dar­um, Mensch­lich­keit in den Vor­der­grund der Geschich­ten zu stel­len – und zu zei­gen, dass und wie „taking action“ (im Sin­ne von „Punk“) mög­lich ist, um das hinzukriegen. 

Hier liegt dann wohl die Dif­fe­renz zu „cozy“, also Geschich­ten, die ohne Mord und Tot­schlag aus­kom­men, mög­li­cher­wei­se sogar ohne roman­ti­sche Kon­flik­te, und Wohl­fühl­ge­schich­ten erzäh­len. Auch sol­che Tex­te haben eine Funk­ti­on. Gera­de – Stich­wort: Space Ope­ra und Eska­pis­mus – in düs­te­ren Zei­ten sind Geschich­ten, in denen Pro­ble­me klein und Zukünf­te hoff­nungs­froh sind, eine wich­ti­ge Res­sour­ce. Ganz ohne Hand­lung kom­men die wenigs­ten Geschich­ten aus, auch cozy SF&F braucht Her­aus­for­de­run­gen und Kon­flik­te, um eine Geschich­te erzäh­len zu kön­nen. Aber die Welt muss nicht geret­tet werden.

Hope­punk dage­gen braucht ein „Wir“ und dann doch ein grö­ße­res, akti­vis­ti­sches Ziel, einen Kon­flikt, der über das Innen­le­ben einer Gemein­schaft hin­aus­geht, oder einen ent­spre­chen­den Gegen­spie­ler. Das wäre jeden­falls mein Ver­such, Row­lands Bemer­kun­gen zu „Punk“ in „Hope­punk“ ein­zu­ord­nen. Also: Sci­ence Fic­tion bzw. Fan­ta­sy, in denen eine mensch­li­che Hal­tung gewinnt – nicht weil sie per se bes­ser ist, son­dern weil sie aktiv gemein­sam gegen Wider­stän­de durch­ge­setzt wird, ohne zynisch zu werden.

Bei­de die­ses Jahr mit dem Hugo aus­ge­zeich­ne­ten Geschich­ten von Nao­mi Krit­zer („Bet­ter living through algo­rith­ms“ und „The year wit­hout suns­hi­ne“) wür­de ich in die­ses Feld einordnen.

Neben Becky Cham­bers – deren bei­den Monk-and-Robot-Novel­len wohl expli­zit als Solar­punk beauf­tragt wur­den, und deren Way­fa­rer-Serie irgend­wo zwi­schen cozy und Hope­punk liegt – fal­len mir eine gan­ze Rei­he neue­rer Roma­ne ein, die für mich in die­ses Spek­trum passen:

Cory Doc­to­rows Wal­ka­way (2018) in einem futu­ris­ti­sche­rem Set­ting, mehr noch sein The Lost Cau­se (2023) in einer Zukunft, die sich sehr nah anfühlt. Doc­to­row gelingt es hier her­vor­ra­gend – ähn­lich wie bei Krit­zer in „The year wit­hout suns­hi­ne“ – das Gefühl zu ver­mit­teln, das sich aus erfolg­rei­chem Akti­vis­mus und dadurch neu gefun­de­nem Zusam­men­halt ergibt. Mög­li­cher­wei­se ist die­ses Gefühl Essenz des­sen, was Hope­punk ausmacht.

Rut­han­na Emrys A Half-Built Gar­den (2022) spielt in den 2080er Jah­ren und ist einer­seits eine First-Cont­act-Geschich­te, ande­rer­seits aber eben auch ein sehr gut erzähl­tes Buch über Mensch­lich­keit, Hoff­nung und eine solar­pun­ki­ge Tech­no­lo­gie, die dies unter­stützt. (Und auch ihre Inns­mouth-Lega­cy-Serie – die Love­craft von der ande­ren Sei­te zeigt – könn­te in die Kate­go­rie Hope­punk fallen). 

L.X. Beckett erzählt in Game­ch­an­ger (2019) und Dealb­rea­k­er (2021) von einer Zukunft etwa eine Gene­ra­ti­on nach dem gro­ßen Zusam­men­bruch durch Kli­ma­kri­se etc. – ent­spre­chend ste­hen der Wie­der­auf­bau und die Erneue­rung öko­lo­gi­sche Kreis­läu­fe im Vor­der­grund. Die Bounce­back-Gene­ra­ti­on ver­kör­pert ent­spre­chen­de Wer­te, ist akti­vis­tisch und prosozial. 

Immer wie­der wer­den auch Ter­ry Prat­chetts Bücher als Bei­spie­le für Hope­punk genannt – gera­de für die Tif­fa­ny-Aching-Roma­ne fin­de ich das durch­aus nach­voll­zieh­bar. Hier sind wir dann aber erneut im Feld der retro­ak­ti­ven Gen­re-Zuschrei­bung – und auch Le Guins The Dis­pos­s­es­sed (1974) oder eini­ge der oben genann­ten Wer­ke von Kim Stan­ley Robin­son lie­ßen sich eben­falls gut nennen. 

Veränderte Narrative

Inso­fern mag das Bedürf­nis, nicht nur über düs­te­re Zukünf­te zu schrei­ben und War­nun­gen an die Wand zu malen, son­dern zu zei­gen, wie wich­tig Mensch­lich­keit, Empa­thie und gemein­schaft­li­ches Han­deln sind, um etwas zu errei­chen, kei­ne ganz neue Erschei­nung sein – mit oder ohne poli­ti­sche Pro­gram­ma­tik als Überbau. 

Den­noch lässt sich fest­stel­len, dass die­ser Aspekt von Sci­ence Fic­tion und Fan­ta­sy in den letz­ten Jah­ren wie­der stär­ker in der Vor­der­grund tritt. Wenn Sci­ence Fic­tion in die­sen Zei­ten mit Hil­fe nähe­rer und fer­ne­rer Zukünf­te erleb­bar macht, was mensch­li­che aus­macht, dann auch des­we­gen, weil die­se Hal­tung und ent­spre­chen­de Vor­bil­der heu­te drin­gend gebraucht werden.

Ob Sci­ence Fic­tion Poli­tik – oder min­des­tens die Wis­sen­schaft und die Tech­no­lo­gie­ent­wick­lung – beein­flusst, ist strit­tig. Poli­tik greift jedoch auf Bil­der und Ideen zurück, die da sind. Inso­fern spielt es eine Rol­le, wel­che Geschich­ten erzählt wer­den, und wel­che Ästhe­ti­ken prä­sent sind.

Cyber­punk hat es geschafft, eine düs­te­re Ästhe­tik im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis zu ver­an­kern. Das ist des­we­gen gelun­gen, weil die­se Geschich­ten, weil die­se Ästhe­tik einen bestimm­ten Zeit­geist ange­spro­chen haben, ein Echo her­vor­ge­ru­fen haben. 

Ich möch­te glau­ben, dass wir in Zei­ten leben, in denen her­vor­ra­gen­de Hope­punk-Roma­ne mit ihrer sozi­al­psy­cho­lo­gi­schen Tie­fen­struk­tur (und von mir aus auch mit einer solar­pun­ki­gen Ästhe­tik) ein Bedürf­nis erfül­len und das Zeug dazu haben, zu kol­lek­ti­ven Anker­punk­ten zu wer­den. Viel­leicht ist das Gegen­stück zum Neu­ro­man­cer noch nicht geschrie­ben oder noch nicht über­setzt wor­den; viel­leicht ist es auch unnö­tig, auf den einen gro­ßen Roman zu set­zen. Ver­satz­stü­cke von Solar­punk und Hope­punk fin­den sich in vie­len Tex­ten, Bil­dern und auch in Seri­en und Fil­men, kur­sie­ren auf Tumb­lr und Insta­gram. Viel­leicht reicht das aus, um eine sol­che Ästhe­tik zu ver­an­kern. Zu hof­fen wäre es.

Eine Antwort auf „Hoffnung am Ende der Welt“

  1. Dan­ke für den Ver­weis auf Ernst Cal­len­bach, das Buch suche ich seit den 80er Jah­ren – hat­te aber weder Titel noch Autor. This saved my day :-)
    In die Rei­he der Brun­ner Bücher kann heu­te auch Marc Els­berg fol­gen , Titel wie Grad Cel­si­us oder Black­out beschrei­ben eine mög­li­che Ver­si­on der Zukunft.
    Dies sind etwas mehr in der rea­li­täts­na­hen Öko Sci­Fi angesiedelt

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