In letzter Zeit wabberte an verschiedenen Ecken und Enden ja immer mal wieder das Thema „Bio ist bäh“ ins Licht der medialen Aufmerksamkeit. Sei es durch die Stanford-Studie, die keine Unterschiede beim Vitamingehalt feststellen konnte (und Pestizidbelastungen nicht berücksichtigte), sei es durch diverse genüsslich wiedergekäute Skandale und Skandälchen, sei es durch SPIEGEL-Kolumnisten, die der SPD das Karottenkuchenmilieu madig machen wollen. Und trotzdem halte ich es nach wie vor für sinnvoll, „bio“ einzukaufen (und für „fair“ gilt ganz ähnliches). Warum? Dazu zehn Thesen.
Windup Girl und Peak oil, oder: Nach der Globalisierung
Ein interessanter Aspekt von Paolo Bacigalupis neuem Science-Fiction-Werk „The Windup Girl“ – übrigens zurecht als zeitgenössisches Gegenstück zu William Gibsons Neuromancer-Trilogie gehandelt und in einem Atemzug mit Ian McDonald genannt – ist die Tatsache, dass Bacigalupi seine Erzählung in einer Zukunft stattfinden lässt, die nach der Globalisierung angesiedelt ist. Für „The Windup Girl“ ist das mehr oder weniger nur der szenische Hintergrund einer Geschichte, in der sich die finsteren Prophezeiungen unkontrollierbarer Genmanipulation, agroindustrieller Nahrungsmittelmonopole und der Klimakatastrophe erfüllt haben. Trotzdem möchte ich „The Windup Girl“ zum Anlass nehmen, diese Zukunft in den Blick zu nehmen.
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Weltherrschaft als Koppelprodukt
Das große G ist erneut in den Schlagzeilen: Chris Stöcker sieht im Spiegel Online schon den Griff von Google nach der Weltherrschaft (Gideon Böss in der WELT sieht das anders). Warum? Weil Google seine Suche inzwischen in Echtzeit und personalisiert anbietet, Produkte per Handy-Scan identifizieren können will, einen eigenen öffentlichen DNS-Server (siehe auch fefe) betreibt und überhaupt einen Haufen mehr anbietet (und natürlich Chrome, auch als Stand-alone-Betriebssystem, und Android, und Cloud Computing Applications, und und und.
Das kann jetzt als Griff zur persistenten Weltherrschaft verstanden werden. Kristian Köhntopp dagegen geht – schon vor einigen Wochen – von einem Missverständnis aus: es ist falsch, Google als Suchmaschine zu interpretieren. Für Köhntopp ist das, was Google macht, vielmehr folgendes:
Alles in allem wirkt der Ansatz von Google auf mich wie eine Firma von Physikern oder anderen Experimental-Forschern mit akademischem Background, die beschlossen haben, einmal ’so richtig‘ in die Wirtschaft zu gehen und ihre Methoden dort hin zu portieren. Man baut Modelle, identifiziert Abhängigkeiten und eliminiert sie konsequent und man hat keine Angst, dabei auch richtig groß zu denken und Neuland zu betreten.
Oder anders gesagt: eine Firma, die Abhängigkeiten auf der Input-Seite maximal reduziert (eigenes Netz, eigene Server-Farmen, eigener DNS-Server, …), die so entstandene Infrastruktur halböffentlich zugänglich macht (Open-Source-Varianten wichtiger Technologien, werbefinanzierte Zurverfügungstellung) und so – ob willentlich und strategisch oder nolens volens – immense soziotechnische Abhängigkeiten produziert. Google will nicht die Weltherrschaft, sondern will – so meine Synthese aus Stöcker und Köhntopp – die technisch beste Lösung zur Datenverarbeitung im Netz anbieten. Und erzeugt nebenbei ein bißchen Weltherrschaft (oder zumindest eine immense, personalisierte Datenhalde und Tools, um diese zu durchsuchen und möglicherweise auch profitabel zu machen).
Weltherrschaft als Koppelprodukt funktioniert auch deshalb, weil die Google-Lösung (Suchmaschine, GMail, …) meistens besser funktioniert als die Versuche anderer Anbieter oder gar staatlicher Innovationsprogramme (hallo, IT-Gipfel mit deinen Leuchtturmprojekten). Es gibt aber auch Ausnahmen – wave beispielsweise kommt gar nicht so toll an, und chrome ist bisher als Browser wie als Betriebssystem ein absolutes Nischenprodukt. Besser heißt hier vor allem: Google-Produkte und Dienstleistungen funktionieren, sind relativ fehlertolerant/wartungsarm, sind zumeist sehr einfach bedienbar – und sie sind schnell. Das hängt dann (siehe Köhntopp) wieder mit den eigenen Servern und Leitungen zusammen, und so schließt sich der Kreis zwischen technisch guten Angeboten und der Infrastruktur für die Weltherrschaft.
Bleibt die Frage nach den politischen Konsequenzen des techno-ökonomischen Interesses von Google. Verstaatlichen? Regulieren? Laufen lassen? Datenschutz neu denken? Google gar als Bündnispartner gegen Angriffe auf Netzneutralität und ähnliches einspannen? Die UNO an Google verkaufen?
Mein vorläufiger Eindruck ist der, dass das Netz hier eine Firma möglich gemacht hat, die bisher so nicht vorgesehen war (um mit Castells zu sprechen: die tatsächlich informationalen und netzwerkförmigen Kapitalismus auf globaler Ebene betreibt, und dabei Wissen auf Wissen anwendet). Was fehlt, ist eine ähnliche konzeptoffene und innovative globale Politikagentur. Dieser politische global player fehlt uns heute noch.
Warum blogge ich das? Weil ich die Debatten um Google spannend finde. Vielleicht auch deswegen, weil hier (in Variation der Köhntoppschen Argumentation) eine nerdige/technische Kultur zwar erfolgreich in Richtung Profit evolviert ist, trotz aller social responsibility (google.org usw.) dabei aber auch der für derartige nerd/technische Kulturen typische Autismus gegenüber der sozialen Einbettung und den sozialen und politischen Konsequenzen technischer Lösungen hochskaliert wurde.
Kurz: The International
Nachdem wir uns nicht so recht entscheiden konnten, haben meine Liebste und ich uns gestern Tom Tykwers „The International“ angesehen. Worum geht es? The International ist ein Polit-Thriller, in dem ein Interpol-Agent und seine Kollegin vom FBI versuchen, eine in Waffenhandel und Konflikt-Schüren verstrickte luxemburger Bank hochgehen zu lassen. Diese streckt vor nichts zurück, und jeder aus der Bank, der Aussagen will, ist nach kürzester Frist tot – meistens recht gezielt, eine Szene, eine symbolträchtige Schießerei im Guggenheim-Museum (das echte kam dabei nicht zu Schaden), artet etwas ins unsinnig Blutige aus. Dafür gab’s schöne Architektur und Stadtlandschaften.
Ich will jetzt aber gar keine Filmkritik abliefern, sondern frage mich, ob andere den Film auch so wahrgenommen haben wie ich, nämlich als ziemlich vielschichtige Angelegenheit mit eindeutig politischem Subtext. Das fängt mit dem Titel an – laut Wikipedia kann „The International“ nämlich nicht einfach nur der/die Internationale meinen, sondern eben auch die diversen kommunistischen und sozialistischen Bünde (4. Internationale und so) und das Lied „Die Internationale“. So gesehen kann der Film dann als Experiment über den globalen Kapitalismus (und die Rolle von Banken, Konzernen, PolitikerInnen und Staaten) gelesen werden, als aktionsreiche Kapitalismuskritik, die am Ende den Heldenmythos des Genre kippt – und offen lässt, ob, wenn denn der Held scheitert, Senatsanhörungen tatsächlich das bessere Mittel gegen üble Machenschaften sind.
Bleibt die Frage: hat „The International“ eine implizite politische Botschaft, und wenn ja, welche? Und was würde Attac dazu sagen?
Discounter und ihre Kosten (Update)
Seit ein paar Tagen wird darüber diskutiert, dass die Discounter-Kette Lidl Beschäftigte übelst ausspioniert hat – die Debatte schlägt weite Kreise, im bürgerrechtlich-datenschützerischen Umfeld kursiert schon ein Vorschlag für ein neues Firmenlogo. Dass der privatwirtschaftliche Big-Brother-Trieb dem staatlichen in nichts nachsteht, ist so neu nun allerdings auch wieder nicht. Und während die mit Payback-Karte zahlenden KundInnen das zumindest freiwillig tun, geht die intime Überwachung von relativ wehrlosen – Betriebsräte und so’n Zeug mögen die Discounter, wenn ich das so pauschal sagen darf, ja auch nicht – abhängig Beschäftigten in ihrer Verwerflichkeit noch um einiges über das sonstige Gebaren hinaus. Um es klar zu sagen: die Arbeitsbedingungen bei Discountern sind einer der Gründe, warum ich versuche, zu vermeiden, dort einzukaufen. Und das gilt eben nicht nur für Lidl, sondern für alle, die in diese Preisklasse hinabreichen.
Julia Seeliger weist nun darauf hin, dass unsere Bundestagsabgeordnete – und wirtschaftspolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion – Kerstin Andreae einen Vier-Wochen-Boykott von Lidl fordert. Und Julia hat völlig recht damit, dieses zurückzuweisen. Auf den ersten Blick mag der Vorschlag logisch erscheinen: ein Wirtschaftsunternehmen hält sich nicht an den ordnungspolitischen Rahmen, wird a. juristisch belangt und b. symbolisch auch von VerbraucherInnen-Seite mit Missachtung – sprich: Kaufboykott – bestraft. Danach gelobt es Besserung und alles ist wieder grün und sozial in der Marktwirtschaft. Wenn es denn so wäre, und wenn derartiges der einzige Grund für einen Boykott wäre. Nur passieren fast jede Woche bei den großen Billighändlern Dinge, die hart an der Grenze zum Illegalen liegen: das zeigen die gewerkschaftlichen Schwarzbücher ebenso wie die entsprechenden Pressemeldungen. (Mal ganz abgesehen von den Bedingungen bei Zulieferer-Firmen in anderen Ländern oder der ökologischen und gesundheitlichen Qualität von billig hergestellten Produkten).
Und ganz prinzipiell stellt sich die Frage, ob die grenzwertigen Arbeitnehmerinnen-Rechte und das entsprechende Lohnniveau bei derartigen Unternehmungen nicht schon im kalkulatorischen Ansatz vorgesehen sind. Wenn das so ist, dann wäre es besser, wenn Kerstin statt der Boykottforderung, die ja auch so ein bißchen Kapitulation vor dem Kapital enthält, zum Beispiel das Thema Mindestlohn in den Vordergrund rücken würde. Das heißt dann aber auch: mehr Ordnungsrecht. Und auch, wenn ich von Gewerkschaften nicht immer viel halte – in diesem Bereich sind sie weiterhin unbedingt notwendig.
Warum blogge ich das? Weil das kleine Beispiel „Lidl überwacht Angestellte“ exemplarisch deutlich macht, dass zur rechtlichen Einhegung von Kapitalismus und Globalisierung auch eine entsprechende Kontrolle und Durchsetzung der Rechtslage gehört – ohne journalistische Recherchen (in diesem Fall des „Stern“) passiert sonst sehr selten etwas.
Update: (10.04.2008) Lidl behauptet, aufgrund der (Berichte über die) Videoüberwachung spürbare Umsatzeinbußen zu erleiden. Interessant, wenn’s denn stimmt.