Nach der Mega-BDK: Grün geht weiter

BDK 2023

Ich hat­te ja auf­ge­schrie­ben, dass ich durch­aus mit Sor­ge auf den grü­nen Bun­des­par­tei­tag schaue. Nach vier Par­tei­tags­ta­gen (bei mir: drei im Stream, einer vor Ort) stel­le ich fest, dass wir Grü­ne leben­di­ger sind, als man­che das ger­ne hät­ten. Ich wür­de mich freu­en, wenn ein biss­chen von dem – zuwei­len auch trot­zi­gen – Auf­bruchs­geist und Mut, den die­se vier Tage aus­ge­strahlt haben, in die nächs­ten Wochen und Mona­te hin­ein­wir­ken wür­de. Denn Koor­di­na­ti­on und Zusam­men­halt, gemein­sa­mes Strei­ten um die Sache und gemein­sa­mes Hin­ste­hen für das Erreich­te, das bleibt drin­gend angesagt.

Die ganz gro­ßen Über­ra­schun­gen sind aus­ge­blie­ben. Die Bun­des­vor­sit­zen­den und der (bis auf den Schatz­meis­ter) gleich geblie­be­ne Bun­des­vor­stand wur­den mit guten bis sehr guten Ergeb­nis­sen bestä­tigt, die Euro­pa­lis­te mit Spit­zen­kan­di­da­tin Ter­ry Reint­ke ist jün­ger, weib­li­cher und lin­ker gewor­den. Was lei­der nicht gut gelun­gen ist: Leu­te mit fach­li­cher Exper­ti­se, aber ohne inten­si­ve Par­tei-Ein­bin­dung auf die Lis­te zu brin­gen. Das war mal eine grü­ne Stär­ke, inzwi­schen kopie­ren es ande­re, und bei uns sieht es dies­be­züg­lich eher mau aus. Gleich­wohl: auf der jetzt gewähl­ten Lis­te sind sehr star­ke Kandidat*innen, und es ist immer wie­der erfreu­lich, zu sehen, wie viel­fäl­tig und her­aus­ra­gend unse­re Leu­te sind.

Neben den Wah­len – gewählt wur­de auch noch das Schieds­ge­richt und der Par­tei­rat – waren die vier Par­tei­tags­ta­ge vor allem mit inhalt­li­chen Debat­ten gefüllt. Fast noch wich­ti­ger als die beschlos­se­nen Tex­te (zu Frie­den im nahen Osten und zur Soli­da­ri­tät mit Isra­el, zu Migra­ti­on – und, über alle The­men grei­fend, das Euro­pa­wahl­pro­gramm) wirk­ten auf mich dabei dies­mal eini­ge der Reden. In Erin­ne­rung blei­ben mir die Bei­trä­ge von Omid Nou­ri­pour und Robert Habeck in der Aus­spra­che, die sehr dif­fe­ren­zier­te und zugleich emo­tio­na­le Rede von Anna­le­na Baer­bock zu den Grau­stu­fen der Situa­ti­on in Isra­el, die Ein­brin­gungs­re­de von Ricar­da Lang für einen Euro­pa­wahl­pro­gramm­teil und selbst­ver­ständ­lich die zahl­rei­chen her­aus­ge­ho­be­nen Gastredner*innen.

Per­sön­lich­keit schlägt Pro­gramm. Trotz­dem blei­ben wir Pro­gramm­par­tei mit ent­spre­chen­der Debat­ten­dich­te. Bei rund 1500 Anträ­gen im Vor­feld hat die Antrags­kom­mis­si­on gan­ze Arbeit geleis­tet und durch vie­le Über­nah­men und Kom­pro­mis­se am Schluss nur weni­ge strit­ti­ge Abstim­mun­gen offen gelas­sen. Die­se gin­gen dann ganz über­wie­gend mit gro­ßer Mehr­heit für den Bun­des­vor­stand aus. Die ein­zi­ge deut­lich Aus­nah­me war die Abstim­mung zu Mer­co­sur. Hier setz­ten die Dele­gier­ten durch, dass für die­ses Abkom­men här­te­re Regeln gel­ten sol­len als bis­her vor­ge­se­hen, um Kli­ma­schutz und Men­schen­rech­te zu berücksichtigen.

In media­ler Erin­ne­rung blei­ben wird die­ser Par­tei­tag aller­dings ver­mut­lich auf­grund des Sams­tag­abends. Da fand die Aus­spra­che und Abstim­mung zum The­ma Migra­ti­on ab. Auch hier hat­te es im Vor­feld zahl­rei­che Ände­rungs­an­trä­ge zum Dring­lich­keits­an­trag des Bun­des­vor­stands gege­ben, der durch Über­nah­men etc. deut­lich „grü­ner“ wur­de. Migra­ti­on war in sehr vie­len Reden auch an ande­ren Stel­len des Par­tei­tags Migra­ti­on immer wie­der ein The­ma war – bei Win­fried Kret­sch­mann, der Don­ners­tag­abend für sein Vor­ge­hen warb, Sonn­tag in der Pro­gramm­de­bat­te mit einer Gast­re­de eines aus See­not geret­te­ten Geflüch­te­ten, und auch bei­spiels­wei­se in der Bewer­bung von Omid Nou­ri­pour („Wer Men­schen aus See­not ret­tet, soll­te nicht kri­mi­na­li­siert wer­den, son­dern einen Orden erhal­ten.“). Unterm Strich ist und bleibt der grü­ne Kom­pass an Huma­ni­tät und Mensch­lich­keit aus­ge­rich­tet. „Ord­nung“, die zwei­te Voka­bel in die­sem Dis­kurs, ist im Ver­gleich dazu viel inter­pre­ta­ti­ons­of­fe­ner. Die einen mei­nen damit gere­gel­te Ver­fah­ren und eine schnel­le Ent­schei­dung über Asyl­an­trä­ge, ande­re neh­men, wenn sie von Ord­nung spre­chen, Anlei­hen bei der CSU und den­ken an Über­for­de­rung und Obergrenzen. 

Am Sams­tag­abend jeden­falls ging es heiß her. Ins­be­son­de­re der Grü­nen Jugend gin­gen die Kom­pro­miss­for­mu­lie­run­gen im Bun­des­vor­stands­an­trag nicht weit genug bzw. zu weit. Die Stim­mung: vola­til. Fast alle Par­tei­grö­ßen war­ben noch ein­mal dafür, Ver­trau­en in die grü­nen Regie­rungs­mit­glie­der zu haben und die­sen Ver­hand­lungs­spiel­räu­me zu las­sen. Der Nega­tiv­ka­ta­log der Grü­nen Jugend wur­de als Miss­trau­ens­vo­tum in die Ampel dar­ge­stellt und über­in­ter­pre­tiert. Aus der Abstim­mung über mehr oder weni­ger Prag­ma­tis­mus in der Migra­ti­ons­po­li­tik wur­de damit eine über den Ver­bleib in der Bun­des­re­gie­rung. Der Antrag des Bun­des­vor­stands erhielt schließ­lich (auch nach Wer­bung dafür in bei­den Flü­geln der Par­tei) eine deut­li­che Mehr­heit. Ich kann aber die in der Pres­se geäu­ßer­te Ver­mu­tung tei­len, dass hier kei­ne inhalt­li­che Befrie­dung der Par­tei, kein ech­ter Kom­pro­miss gefun­den wur­de, son­dern dass es sich – um bei mili­ta­ris­ti­schen Bil­dern zu blei­ben – eher um eine Art Waf­fen­still­stand han­delt. Regie­rungs­sei­tig dürf­te deut­lich gewor­den sein, dass die Par­tei durch­aus rote Lini­en kennt – und gleich­zei­tig haben Anna­le­na Baer­bock und die ande­ren grü­nen Verhandler*innen for­mal jetzt die Unter­stüt­zung des Par­tei­tags für ihre Linie in den Ver­hand­lun­gen um Migra­ti­on und Asyl. Knack­punk­te in den nächs­ten Wochen dürf­te bei­spiels­wei­se die Fra­ge sein, ob die Kri­mi­na­li­sie­rung der See­not­ret­tung, wie von Nan­cy Fae­sers Haus vor­ge­schla­gen, wei­ter in den Novel­len der Asyl­ge­set­ze zu fin­den sein wird – oder ob es gelingt, die­sen und ande­re Punk­te zu strei­chen und grü­ne Akzen­te zu setzen.

Ich hat­te in mei­nem Bei­trag vor dem Par­tei­tag gefragt, ob es zu einer Neu­erfin­dung der Par­tei, zu einer wei­te­ren Häu­tung kommt (wie dies etwa mit dem Bie­le­fel­der Son­der­par­tei­tag 1999 oder mit der Wahl von Robert Habeck und Anna­le­na Baer­bock 2018 der Fall war). Geschlos­sen­heit, Mut, trot­zi­ge Selbst­be­haup­tung, auch – in der einen oder ande­ren Rede – Ansät­ze von Selbst­kri­tik und Zwei­fel. All das war in Karls­ru­he zu fin­den (nach dem Grün­dungs­par­tei­tag 1980 und nach dem 20-jäh­ri­gen Jubi­lä­ums­par­tei­tag 2000 übri­gens das drit­te Mal an die­sem Ort). Es gab Ver­schie­bun­gen der Pro­gram­ma­tik (bei CCS, und natür­lich beim The­ma Asyl). Wenn es eine Bot­schaft gab, dann war die­se eher „wir machen wei­ter – jetzt erst recht“ als das Par­tei­tags­mot­to „Machen, was zählt“. 

Ob das dem aktu­el­len poli­ti­schen All­tag ange­mes­sen ist, wer­den wir sehen. Ein wenig wirk­te es so, als läge in der Holz­bau­hal­le der Karls­ru­her Mes­se ein ganz ande­res Land, und als wür­den die tages­po­li­ti­schen Ver­wer­fun­gen hier nur stark gefil­tert auf­schla­gen. Gleich­zei­tig beton­te ins­be­son­de­re Robert Habeck, dass wir Poli­tik für die Wirk­lich­keit machen. Das ist rich­tig, und das war – samt Angriff auf die CDU – her­vor­ra­gend aus­ge­führt. Ob es über den Moment hin­aus wirkt, ob Dele­gier­te und Gäs­te das mit in die Kom­mu­nal­wah­len und das poli­ti­sche Wir­ken neh­men? Im Zwei­fel ist das Selbst­be­wusst­sein, schon auf der rich­ti­gen Sei­te zu ste­hen, dann ver­mut­lich doch stärker.

Inso­fern ein durch­wach­se­nes Fazit – durch­aus ein Par­tei­tag mit Moti­va­ti­ons­ele­men­ten, und auch das ist ja in die­sen Zei­ten wich­tig, und einer, der zeigt, dass wir gute Leu­te haben, dass wir die aktu­el­len Fra­gen dis­ku­tie­ren. Aber ein, zwei Schrit­te wei­ter­zu­ge­hen wäre mög­lich gewe­sen. Und: vier Tage Par­tei­tag sind, auch wenn’s etwas nach­zu­ho­len gab, defi­ni­tiv zu lang. Das hat sich dann auch in der Bericht­erstat­tung niedergeschlagen. 

Dass die kon­ser­va­ti­ve Pres­se sich vor allem mit dem Cate­ring (aus mei­ner Sicht okay), Piz­za­lie­fe­run­gen, Pfand­rück­ga­be­schlan­gen und der Kaf­fee­ver­sor­gung beschäf­tig­te, wäh­rend von links mora­lisch der Ver­rat an den bis­he­ri­gen Idea­len hoch­ge­zo­gen und die neue Bewe­gungs­par­tei „LINKE“ hoch­ge­schrie­ben wur­de, passt dann irgend­wie auch zu die­sem Par­tei­tag. Denn es gab kei­nen gro­ßen Knall, son­dern soli­de Debat­ten; kein Abstra­fen der eige­nen Leu­te, son­dern ein Ver­sam­meln hin­ter Robert Habeck und Anna­le­na Baer­bock, hin­ter Ricar­da Lang und Omid Nou­ri­pour; kei­ne Sek­tie­re­rei, son­dern ein Zusam­men­kom­men eines brei­ten, libe­ral-intel­lek­tu­ell-öko­lo­gi­schen Milieus. Und all die­se Optio­nen haben natür­lich weni­ger Nach­rich­ten­wert als Auf­stand, Knall und Zerstrittenheit. 

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