Meine generelle Unzufriedenheit mit dem Jahr 2022

Orange gray, Gundelfingen - V

Das Jahr 2022 lässt mich unzu­frie­den zurück. Nicht so sehr auf das Pri­vat­le­ben bezo­gen – Kin­der und Kat­zen gedei­hen, im Gar­ten wuchs es im Som­mer, ich habe wei­ter­hin eine span­nen­de Arbeit in der grü­nen Land­tags­frak­ti­on – son­dern im Gro­ßen und Gan­zen. Und die­ses Gefühl der Unzu­frie­den­heit zieht sich auch durch mein Blog. 

Natür­lich gibt es offen­sicht­li­che Grün­de dafür. Der 24. Febru­ar mit dem rus­si­schen Angriffs­krieg gegen die Ukrai­ne ist der sicht­bars­te die­ser Grün­de. Wir erle­ben Welt­ge­schich­te, die Zei­ten­wen­de ist immer prä­sent. Die­ser Krieg führt zu viel­fach mul­ti­pli­zier­tem Leid in der Ukrai­ne. Dane­ben wirkt ver­nach­läs­sig­bar, dass er auch bedeu­tet, dass lan­ge geheg­te Über­zeu­gun­gen über den Hau­fen gewor­fen wer­den müs­sen. Und ja: das müs­sen sie. Schön ist das trotz­dem nicht.

In dem Balan­ce­akt, mit der Welt klar­zu­kom­men, ist der rus­si­sche Krieg gegen die Ukrai­ne mit all sei­nen Fol­gen nur ein Fak­tor. Die Coro­na-Pan­de­mie mag jetzt in den ende­mi­schen Zustand über­ge­hen, das heißt aber nicht, dass sie weg ist. Auch das spie­gelt sich noch­mal im Blog wider – in der Rei­he Zeit des Virus, in mei­nem Gemot­ze über „Eigen­ver­ant­wor­tung“ und in der Fra­ge: Wann endet die Pan­de­mie? Gleich­zei­tig scheint es müßig, über Coro­na zu reden. Das „Team Vor­sicht“ wird lie­ber bei­sei­te gescho­ben. Imp­fun­gen sind mehr oder weni­ger Pri­vat­sa­che (hier: 4‑mal, trotz anders­lau­ten­der Sti­ko-Emp­feh­lung). Mas­ken­tra­gen wird eher als Schrul­lig­keit denn als Schutz­maß­nah­me wahr­ge­nom­men. Und was von den Pan­de­mie­jah­ren übrig bleibt, ist kein Lern­ef­fekt, son­dern lei­der eher die Erkennt­nis, dass gro­ße Tei­le der Bevöl­ke­rung und des poli­ti­schen Dis­kur­ses unschö­ne Fak­ten lie­ber nicht wahr­neh­men. Schwierig.

Und kein gutes Vor­zei­chen für die 2022 noch ein­mal mit mehr Wucht als in all den Jah­ren zuvor zuschla­gen­de Kli­ma­kri­se. Trotz­dem wird 2022 wohl in unse­rer sich ver­schie­ben­den Erin­ne­rung eines der Vor­kli­ma­kri­sen­jah­re blei­ben, in denen es uns noch gut ging. Jonas Schai­b­le hat das hier viel bes­ser auf­ge­schrie­ben, als ich es könnte. 

2022 im Blog taucht die Kli­ma­kri­se und die nicht aus­rei­chen­de Reak­ti­on dar­auf immer wie­der auf – CO2-Bilan­zen für Lebens­mit­tel und Neun-Euro-Ticket sowie auf mög­li­che Kli­ma­po­li­tik im Plu­ral. Und natür­lich mit Blick auf die FDP, die noch nicht in der Bun­des­re­gie­rung ange­kom­men ist – und ent­spre­chend mise­ra­ble Ergeb­nis­se bei den Land­tags­wah­len 2022 erzielte.

Noch nicht in Ampel­zei­ten ange­kom­men zu sein, trifft aber viel­leicht auch für uns Grü­ne zu. Jeden­falls sind Cem Özd­emir, Anna­le­na Baer­bock und Robert Habeck (und in man­chen Umfra­gen auch Win­fried Kret­sch­mann) sehr belieb­te Politiker*innen. So rich­tig als Bun­des­re­gie­rungs­par­tei­mit­glied fühlt sich Par­tei­mit­glied-Sein im Jahr 2022 jedoch nicht an. Und der Auf­schwung der letz­ten Jah­re ist in der poli­ti­schen Trend­wel­le wohl eben­falls vorbei. 

Spu­ren die­ses Aspekts des Jah­res 2022 fin­den sich etwa in mei­nem Ein­trag zur all­ge­mei­nen Unzu­frie­den­heit mit der man­geln­den poli­ti­schen Reak­ti­ons­fä­hig­keit aus dem Juni, in einer unzu­frie­de­nen Halb­jah­res­bi­lanz und in der Suche nach einer sanf­te­ren Zeit, die mög­li­cher­wei­se trotz aller Kri­sen auf uns zukommt.

Neben den gro­ßen Welt­pro­ble­men irrele­vant, im Klei­nen – auch weil’s der all­täg­li­che Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ka­nal ist – trotz­dem wich­tig: die Twit­ter­däm­me­rung und die damit ver­bun­de­ne Ent­de­ckung von Mast­o­don als Flagg­schiff eines ver­netz­ten Social-Media-Öko­sys­tems (Das Ende ist nah?, Schock im öffent­li­chen Wohn­zim­mer, 14 Jah­re auf Twit­ter, Twit­ter­däm­me­rung und ein Blick zurück auf älte­re For­men von Social Media).

Zugleich könn­te damit eine Wie­der­ent­de­ckung des Medi­ums Blog ver­bun­den sein. Ich habe dazu eini­ges geschrie­ben, auch, weil die­ses Blog 20 Jah­re alt gewor­den ist – Blog neu gestal­tet (und in ein PDF gepackt), ein Blick auf die ers­ten 10 Jah­re, ein Gesamt­über­blick, sowie eine klei­ne Inter­net­ar­chäo­lo­gie zum „Grün­zeug am Mitt­woch“. Rein mit Blick auf Zugriffs­zah­len ist aller­dings nichts von einer Blog-Renais­sance zu spü­ren – die sind erneut mas­siv nach unten gegangen.

Und viel­leicht wird 2023 eh alles anders, wenn zwar kei­ne auto­no­men Fahr­zeu­ge sich durch­set­zen und auch kei­ne Mond­sta­tio­nen errich­tet wer­den, aber immer­hin Sprach­mo­del­le so groß gewor­den sind, dass sich damit halb­wegs ver­nünf­tig reden lässt. Nur dass ChatGPT kein Inter­es­se an Wahr­heit hat, son­dern halt sagt, was es sich an Zusam­men­hän­gen erträumt – im Brust­ton der Über­zeu­gung – das ist dann noch ein­mal ein Sym­bol für die­ses Jahr 2022.

Um nicht ganz so nega­tiv zu enden, drei digi­ta­le Ent­de­ckun­gen und der Ver­weis auf mei­ne Kate­go­rie SF- und Fan­ta­sy-Rezen­sio­nen; da habe ich eini­ges gele­sen und ange­schaut, was mich begeis­tert hat.

Digi­ta­le Ent­de­ckun­gen im Jahr 2022:

2 Antworten auf „Meine generelle Unzufriedenheit mit dem Jahr 2022“

  1. Lie­ber Till, mei­nes Erach­tens passt Eigen­ver­ant­wor­tung sehr gut zu uns Grü­nen – Du scheinst da eher kri­tisch zu ste­hen? Beim § 218 set­zen wir doch auf die Eigen­ver­ant­wor­tung der Frau. Beim Bun­des­wald­ge­setz haben wir auf die Eigen­ver­ant­wor­tung der Spa­zier­gän­ger gesetzt, anstel­le die Wald­be­sit­zer dafür ver­ant­wort­lich zu machen, wenn jemand (der frei­wil­lig auf einem Wald­weg unter­wegs ist), durch einen her­un­ter­stür­zen­den Ast ver­letzt wird. Ich erzie­he mei­ne Kin­der im Ver­such, daß sie mit Risi­ko umge­hen kön­nen. Natür­lich kein unnö­ti­ges Risi­ko ein­ge­hen. Aber über Zäu­ne klet­tern, auf hohe Lei­tern klet­tern – das brach­te ich ihnen sehr früh aktiv bei, damit sie das dann in Eigen­ver­ant­wor­tung selbst tun kön­nen. Ich mag nicht die – zuge­ge­ben schon kaba­re­tis­tisch über­spitz­te – Vor­stel­lung, daß wir eines Tages in Ganz­kör­per­kon­do­men her­um­lau­fen, weil es doch so viel Risi­ko auf der Welt gibt, vor dem wir uns schüt­zen müs­sen. Und am Ran­de führt mehr Eigen­ver­ant­wor­tung auf sinn­vol­le Wei­se auch zu weni­ger Büro­kra­tie (wo wir Grü­ne dar­auf ach­ten müs­sen, daß Büro­kra­tie­ab­bau zwar sinn­voll ist, aber nicht zu Las­ten sozia­ler oder öko­lo­gi­scher Min­dest­stan­dards gehen sollte).

    1. Lie­ber Mar­kus, in der Kin­der­er­zie­hung fin­de ich einen star­ken Fokus auf Eigen­ver­ant­wor­tung voll­kom­men richtig. 

      Als gesell­schaft­li­che Maxi­me – funk­tio­niert das m.E. nur sehr begrenzt. Auf sich selbst auf­zu­pas­sen, krie­gen viel­leicht die meis­ten Men­schen noch hin. Aber selbst da wäre ich mir unsi­cher, wenn ich mich so umse­he. Und dann, wenn es um Ande­re geht, mög­li­cher­wei­se ganz anony­me Ande­re, wird es rich­tig düs­ter mit der Eigen­ver­ant­wor­tung. Von Müll in der Land­schaft bis zum Ziga­ret­ten­rauch an der Stra­ßen­bahn­hal­te­stel­le, um nur ein paar Bei­spie­le zu nen­nen. Des­we­gen bin ich ganz froh, dass da, wo es wirk­lich rele­vant ist, und vor allem auch da, wo es gar nicht so sehr in der Hand Ein­zel­ner liegt, son­dern an Struk­tu­ren, poli­tisch eben nicht auf Eigen­ver­ant­wor­tung gesetzt wird, son­dern auf Rauch­ver­bo­te in Gast­stät­ten, auf eine Lebens­mit­tel­über­wa­chung und ziem­lich har­te Grenz­wer­te und Nor­men, auf Emis­si­ons­vor­ga­ben und ein Tem­po­li­mit. Das dann wie­der über­wacht wer­den muss, weil halt ziem­lich vie­le ganz eigen­ver­ant­wort­lich lie­ber 50 als 30 km/h fahren. 

      Was das jetzt für Coro­na bedeu­tet, da lie­gen wir ver­mut­lich weit aus­ein­an­der – mein Punkt wäre: selbst da, wo die Fol­gen und die Gefähr­dung ande­rer sicht­bar sind (Müll, Rau­chen, Tem­po­li­mit) funk­tio­niert das mit der Eigen­ver­ant­wor­tung und dem Risi­ko nur so lala. Da, wo die Fol­gen unsicht­bar sind – wei­ter­hin poten­zi­ell töd­li­che bzw. mit weit­grei­fen­den Fol­gen ver­bun­de­ne Infek­ti­ons­krank­heit – siegt dann lei­der auch ganz schnell die Bequem­lich­keit. Des­we­gen hal­te ich es für falsch, hier so stark auf Eigen­ver­ant­wort­lich­keit zu set­zen, wie das jetzt gera­de gemacht wird, son­dern wäre dafür, wei­ter­hin – Ein­zel­ne letzt­lich auch ent­las­ten­de – Vor­ga­ben zu machen.

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