Auf Monsterjagd

Die meis­ten wer­den es ken­nen, von Par­tys oder vom Ver­such, Kin­der auf Bahn­fahr­ten zu beschäf­ti­gen: Ein Papier wird mehr­fach gefal­tet, reih­um wird ein Teil einer Per­son gemalt, ohne den Rest zu ken­nen, und das Ergeb­nis sieht dann meist ganz lus­tig aus.

Das gibt es auch in digi­tal, unter monsterland.net fin­det sich bei­spiels­wei­se ein sol­ches Online­spiel. Damit lässt sich sehr viel Zeit ver­brin­gen, ins­be­son­de­re dann, wenn eine Ein­ga­be per Stift und damit ein ech­tes Zeich­nen mög­lich ist. Die ent­ste­hen­den Mons­ter sind teil­wei­se kunst­voll, teil­wei­se über­ra­schend – und teil­wei­se gro­ßer Mist. Wie bei der Papier­va­ri­an­te kommt es dar­auf an, dass die Über­gän­ge zwi­schen Kopf, Bauch und Füßen hin­rei­chend klar sind, so dass die nächs­te Per­son weiß, was sie zu tun hat. Und je nach­dem kann die Freu­de oder die Ent­täu­schung groß sein, wenn das „eige­ne“ Mons­ter sich als Schön­heit ent­puppt oder völ­lig ver­hunzt ist, weil die drit­te Zeichner*in par­tout nicht kapiert hat, was die Idee war. Und manch­mal ent­ste­hen aus uner­war­te­ten Kom­bi­na­tio­nen über­ra­schen­de Dinge.

Die Online-Fas­sung die­ses Spiels – auf Eng­lisch heißt es „exqui­si­te corp­se“, nen­nen wir es das Mons­ter­spiel – lässt sich als Aus­gangs­punkt für Über­le­gun­gen dazu, wie Online-Zusam­men­ar­beit unter weit­ge­hend Unbe­kann­ten gelin­gen kann, nehmen.

Dabei stellt sich zunächst die Fra­ge, was eigent­lich ein gelun­ge­nes Ergeb­nis des Mons­ter­spiels ist. Ich wür­de sagen: das ent­ste­hen­de Wesen muss in der Form zusam­men­pas­sen, auch der Stil der hier drei Bestand­tei­le soll­te halb­wegs ein­heit­lich oder zumin­dest anschluss­fä­hig sein, und es soll­te idea­ler­wei­se eine durch­ge­hen­de krea­ti­ve Idee verkörpern.

Die Ersteller*in des ers­ten Kör­per­teils im Mons­ter­spiel – meist der Kopf, monsterland.net bie­tet aber auch die Opti­on, mit dem Füßen anzu­fan­gen – steht vor der Auf­ga­be, die­ses Kör­per­teil zu zeich­nen und zugleich mit den begrenz­ten Mög­lich­kei­ten des Mons­ter­spiels mög­lichst vie­le Infor­ma­tio­nen dazu mit­zu­ge­ben, was hier gemein­sam ent­ste­hen soll. Dazu gibt es zwei Kanä­le: jedes Mons­ter bekommt einen Namen, der durch­aus einen Kon­text dar­stel­len kann, und es gibt einen klei­nen Über­lap­pungs­be­reich zwi­schen Kopf und Bauch, der von der zwei­ten Zeichner*in gese­hen wird. Es geht also dar­um, mög­lichst viel Infor­ma­ti­on über die Form, die Ästhe­tik und die Mal­wei­se in die­sen viel­leicht zwan­zig Pixel hohen Strei­fen zu packen.

Man­che Mons­ter schei­tern in der Ent­ste­hung bereits hier, näm­lich dann, wenn die­ser kom­mu­ni­ka­ti­ve Über­lap­pungs­be­reich leer bleibt, oder wenn die dort ver­mit­tel­te Infor­ma­ti­on unein­deu­tig ist (sind das die Gren­zen des Hal­ses oder zwei Arme?). 

Gleich­zei­tig muss die zwei­te Zeichner*in die­se Infor­ma­tio­nen ver­ste­hen kön­nen und wol­len. Fast so ner­vig wie ein lee­rer Strei­fen (hä?) sind Mit­zeich­nen­de, die just for fun oder um ein ästhe­ti­sches State­ment zu set­zen igno­rie­ren, dass da ein Hals­an­satz – oder spä­ter dort zwei Bei­ne – sind. So wird das nichts mit der ein­heit­li­chen Gestalt.

Fort­ge­schrit­ten und dann nicht nur auf Wol­len, son­dern vor allem auf Kön­nen abzie­lend ist die Fra­ge des Stils. Wer mit der Maus zeich­net, wird kei­ne fein zise­lier­te Kreuz­schraf­fur über­neh­men, und das Spek­trum zwi­schen Kin­der­gar­ten­zeich­nung und Kunst­werk ist über­haupt recht breit. Man­che Bei­trä­ge auf monsterland.net sind Ergeb­nis inten­si­ver Arbeit, mit digi­ta­lem Pin­sel­duk­tus, Per­spek­ti­ve und gra­fi­schen Fines­sen. Umso bedau­er­li­cher, wenn auf einen der­art aus­ge­ar­bei­te­ten Kopf ein Gekrit­zel folgt.

Um die Wahr­schein­lich­keit einer erfolg­rei­chen Zusam­men­ar­beit zu erhö­hen, setzt monsterland.net ver­schie­de­ne Instru­men­te ein. Ers­tens gibt es unter­schied­li­che „Frei­ga­ben“, nicht jede*r kann an jedem Bild mit­zeich­nen. Die Abstu­fun­gen sind hier ganz offen (auch für nicht regis­trier­te Gäs­te), nur für Men­schen mit Account – und damit einer gewis­sen Zure­chen­bar­keit – sowie für Men­schen mit Account und Stern; den bekommt nach mir nicht ganz kla­ren Regeln, wer kon­struk­ti­ves Wol­len und künst­le­ri­sches Kön­nen bewie­sen hat. Dane­ben sind auch rein pri­va­te Mal­grup­pen möglich.

Zwei­tens kön­nen Bil­der recy­celt wer­den, sprich: Kopf und Bauch wer­den noch ein zwei­tes Mal ins Ren­nen geschickt, in der Hoff­nung, dass dies­mal pas­sen­de Füße gezeich­net wer­den. Die­se Opti­on ist aller­dings „teu­er“ und je nach Account nur begrenzt ver­füg­bar – und nicht immer von Erfolg gekrönt.

Drit­tens sorgt monsterland.net durch die Mög­lich­keit, Bil­der zu bewer­ten und Kom­men­ta­re dazu abzu­ge­ben, für die Her­stel­lung einer gewis­sen gemein­sa­men Kul­tur; die Gale­rie der best­be­wer­tes­ten Mons­ter bie­tet Anre­gun­gen für eige­ne Bil­der und zeigt, was mög­lich ist. Gleich­zei­tig gibt es – zumin­dest unter den pseud­ony­men Zeichner*innen mit Account, also nicht den Gäs­ten – damit eine Form der gegen­sei­ti­gen Aner­ken­nung und so etwas wie rudi­men­tä­re vir­tu­el­le Ver­ge­mein­schaf­tung. Fai­res, an den infor­mel­len Regeln ori­en­tier­tes Ver­hal­ten wird damit belohnt und verstärkt.

Das Mons­ter­spiel ist damit ein gutes Bei­spiel dafür, wie rela­tiv klei­ne Anrei­ze dazu bei­tra­gen, das Unwahr­schein­li­che mög­lich zu machen, dass näm­lich sich weit­ge­hend frem­de Per­so­nen ohne wei­te­re Kom­mu­ni­ka­ti­on gemein­sam schö­ne Bil­der von Mons­tern erschaf­fen, die im bes­ten Fall sogar noch eine Poin­te auf­wei­sen. Und selbst beim War­ten auf das per­fek­te Mons­ter lässt sich viel Zeit verbringen.

Beim Blick auf die men­schen­ge­mach­ten Mons­ter fiel mir dann noch ein zwei­tes The­ma ein. DALL‑E etc. sind inzwi­schen beein­dru­ckend weit damit, auf der Grund­la­ge sehr gro­ßer Bild- und Text­da­ten­be­stän­de aus natür­lich­spra­chi­gen Vor­ga­ben zu Bild­mo­tiv und ‑stil („sin­gen­de Ted­dy­bä­ren auf einem Boot als Krei­de­zeich­nung“) Bil­der zu gene­rie­ren. Es wäre inter­es­sant zu sehen, was DALL‑E oder ein ähn­li­ches Sys­tem mit den mini­ma­lem Infor­ma­tio­nen des Mons­ter­spiels zu Gegen­stand und Zei­chen­stil anfan­gen wür­de und ob dabei bes­se­re Fort­set­zun­gen her­aus­kom­men wür­den als bei den durch­schnitt­li­chen mensch­li­chen Gelegenheitszeichner*innen. Bis dahin gilt es, sich von mensch­li­cher Krea­ti­vi­tät über­ra­schen zu lassen.

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