Das grüne Distinktionsproblem

Green eggs I

Müs­lis und Ökos. Das gehör­te lan­ge zu den Kli­schees, wenn es um grü­ne Wäh­le­rIn­nen und Mit­glie­der ging. Oder, etwas arri­vier­ter, sozio­lo­gi­scher und mit einem Hauch Sozi­al­neid ver­se­hen: Ange­hö­ri­ge des post­ma­te­ria­lis­ti­schen Bür­ger­tums, die es sich leis­ten kön­nen, die Welt zu ret­ten. Poin­tiert: Anhän­ge­rIn­nen eines „Life­style of Health and Sus­taina­bi­li­ty“, kurz: Lohas, mit Glit­zer, Yoga-Flug­rei­sen und vega­ner Wellness. 

Ob Grü­ne „grau und bür­ger­lich“ gewor­den sind, dar­über lässt sich lan­ge strei­ten. Zumin­dest bis vor eini­gen Jah­ren – das ist mein Stand der sozi­al­wis­sen­schaft­li­chen Lite­ra­tur – gab es durch­aus recht enge Über­schnei­dun­gen zwi­schen einer (wie auch immer gear­te­ten) Ori­en­tie­rung an im wei­tes­ten Sin­ne nach­hal­ti­gen Lebens­sti­len und Hal­tun­gen einer­seits und Sym­pa­thien für Bünd­nis 90/Die Grü­nen ande­rer­seits. Viel­leicht hat sich da was aus­ein­an­der­ge­lebt, in den letz­ten Jah­ren. Aber wenn wir nicht über tat­säch­li­che Prak­ti­ken spre­chen, son­dern über vor­herr­schen­de Bil­der – auch Selbst­bil­der? – dann ist das mit der dis­kur­si­ven Domi­nanz des „Ökos“ gar nicht so weit weg, wenn über Grü­ne gespro­chen wird. 

Soll­te die­ser Kopp­lung zwi­schen Par­tei (alter­na­tiv: Bewe­gung; da sieht es letzt­lich ganz ähn­lich aus) und Milieu doch noch ein Körn­chen Wahr­heit inne­woh­nen, so sind damit zwei Pro­ble­me verbunden. 

Ers­tens: Grü­ne schau­en sich um und wun­dern sich, dass z.B. ihr Strom­ver­brauch so gar nichts mit den Durch­schnitts­wer­ten zu tun hat. Oder sie beschlie­ßen, ein biss­chen fort­schritt­li­cher zu sein, was vege­ta­ri­sche Ernäh­rung anbe­langt – zumin­dest auf den Par­tei­ta­gen ist das ja ganz pro­blem­los Stan­dard – und plötz­lich, wumms, schlägt BILD zurück und damit mit­ten ins Herz der­je­ni­gen, die so ein biss­chen skep­tisch auf die­se Par­tei geschaut haben, aber sie viel­leicht doch wäh­len woll­ten. Kurz gesagt, ist das eine Pro­blem so etwas wie ein öko­lo­gi­scher Fehl­schluss: Über die eige­ne, schein­ba­re Nor­ma­li­sie­rung nach­hal­tig­keits­ori­en­tier­ten All­tags­han­delns wird ganz schnell ver­ges­sen, dass das für vie­le ande­re nichts mit Nor­ma­li­tät zu tun hat. 

Damit wird das Ver­mitt­lungs­pro­blem grü­ner Poli­tik, das immer dann eine beson­de­re Rol­le bekommt, wenn es um Din­ge geht, die irgend­wie – sei es über Strom­prei­se, sei es über „Ver­bo­te“ – in den All­tag ein­grei­fen, unter­schätzt. Was dazu führt, dass Kam­pa­gnen an der 10%-Hürde schei­tern und beim Über­schrei­ten des Tel­ler­ran­des über­zo­gen und damit kon­tra­pro­duk­tiv wirken.

Zwei­tens: Noch etwas ver­track­ter ist die Tat­sa­che, dass all­täg­li­che Prak­ti­ken immer auch ästhe­ti­sche und sym­bo­lisch-expres­si­ve Antei­le haben. Oder, um auf Bour­dieu zurück­zu­grei­fen: Unser Kon­sum­han­deln, unser Geschmack – all das sagt sehr viel dar­über aus, wie wir gesell­schaft­lich ein­sor­tiert wer­den bzw. uns selbst ein­sor­tie­ren. Und zwar sowohl dann, wenn die­se Prak­ti­ken in Fleisch und Blut über­ge­gan­gen sind, und ihre Distink­ti­ons­wir­kung über­haupt nicht auf­fällt, als auch dann, wenn bestimm­te Prak­ti­ken ganz bewusst um einer Distink­ti­ons­wir­kung wil­len gewählt und voll­zo­gen werden. 

Ein Bei­spiel für den ers­ten Fall: Wer sich seit Jah­ren vege­ta­risch ernährt, denkt nicht dar­über nach, wie das auf ande­re wirkt. Er oder sie tut das auch nicht, um sich abzu­gren­zen – wird aber auto­ma­tisch abge­grenzt. Was dazu führt, dass ande­re die­se Tat­sa­che immer wie­der the­ma­ti­sie­ren. Oder die Umstän­de ver­un­mög­li­chen unbe­wuss­tes Han­deln, weil etwa erst nach­ge­fragt wer­den muss, mit was eigent­lich die­se Tei­gröll­chen auf dem Buf­fet gefüllt sind. Womit das Distink­ti­ons­merk­mal „ernährt sich vege­ta­risch“ mit­ten im Raum steht, und eben nicht mehr selbst­ver­ständ­lich sein darf.

Oder, der zwei­te Fall: Sich ganz bewusst für oder gegen bestimm­te Kon­sum­op­tio­nen zu ent­schei­den, und dabei immer auch Vor­ur­tei­le zu aktua­li­sie­ren und gemein­schaft­li­che Hal­tun­gen bestä­ti­gen, also Abgren­zung zu pro­du­zie­ren. Fahr­rad­an­hän­ger (der rich­ti­gen Mar­ken) kön­nen das (wie über­haupt alles rund ums Kind hef­tig mit Sym­bo­lik auf­ge­la­den ist). Oder der hand­werk­lich her­ge­stell­te Käse vom Bau­ern­markt, der eben nichts mit dem Fraß zu tun hat, den „die“ zu sich neh­men. Die Anti-AKW-Fah­ne am Bal­kon oder der ent­spre­chen­de Auf­kle­ber auf dem Volvo.

Damit pro­du­ziert eine Ori­en­tie­rung des eige­nen all­täg­li­chen Han­delns an dem, was als nach­hal­tig gilt, immer auch Abgren­zun­gen. Es geht nicht nur dar­um, dass der eige­ne Hori­zont der Nor­ma­li­tät ein­ge­schränkt ist, son­dern auch dar­um, dass die schö­ne eige­ne Lebens­stil-Insel – bis hin zu real exis­tie­ren­den Stadt­vier­teln – in Gefahr gera­ten wür­de, wenn alle das tun wür­den, was (dort) als öko­lo­gisch sinn­voll dar­ge­stellt wird. Dann müss­te doch zumin­dest zwi­schen Dis­coun­ter-Bio (der Not­lö­sung für die Mas­sen) und Bio­la­den-Bio (für das eige­ne gute Gewis­sen) unter­schie­den wer­den, immer einen Stan­dard stren­ger und ein paar Euro teu­rer. Neue Wer­te müs­sen her, und müs­sen gelebt wer­den, um die abgren­zen­de Kraft des fak­ti­schen zu erhal­ten – aus vege­ta­risch wird vegan, Car­sha­ring nur noch mit Elek­tro­au­tos, und auch die Bahn­card 100 eig­net sich bei Bedarf als Sta­tus­sym­bol. Oder es wer­den ande­re Fel­der auf­ge­macht: Kom­mu­ni­ka­ti­ons­öko­lo­gie und der bewuss­te Umgang mit Zeit, beispielsweise.

Das ist jetzt alles etwas holz­schnitt­ar­tig dar­ge­stellt, aber den­noch bin ich über­zeugt, dass die­se bei­den Mecha­nis­men – die Igno­ranz für das, was „drau­ßen“ als nor­mal gilt, und die (unbe­wuss­te) Abgren­zung über die Wahl öko­lo­gi­scher Sti­li­sie­run­gen und Prak­ti­ken – uns Grü­ne vor eine gewis­se Her­aus­for­de­rung stel­len. Ähn­li­ches mag sich Robert Habeck gedacht haben:

„Wenn ich aber kein Fleisch esse und nie­mals Milch bei Aldi kau­fe, pre­di­ge ich das bes­se­re Men­schen­tum. Das wür­de als abge­ho­be­ne Lebens­stil-Vor­schrei­be­rei verstanden.“ 

zitiert ihn Peter Unfried, und denkt dann über Moral und der­glei­chen mehr nach. Nun wird der schles­wig-hol­stei­ni­sche Minis­ter das nicht gesagt haben, weil er zu faul ist, die Milch vom Bau­ern­hof zu kau­fen. Und auch die Unver­ein­bar­keits­pro­ble­me, die der­ar­ti­ge Ämter mit sich brin­gen (Stich­wort: inner­deut­sche Flü­ge), dürf­ten nur eine gerin­ge Rol­le gespielt haben. Habeck geht es dar­um, dass eine gan­ze Rei­he öko­lo­gi­scher Refor­men ohne gesell­schaft­li­che Mehr­hei­ten schei­tern – auch wel­che, die gar kei­ne Aus­wir­kun­gen auf den indi­vi­du­el­len All­tag haben – und dass Rigo­ro­si­tät in den Lebens­sti­len es erschwert, hier Mehr­hei­ten zu finden.

Nun hat Unfried, der alte Kret­sch­mann-Fan, natür­lich sei­ne eige­ne Agen­da, eben­so wie Habeck. Und als ich das gan­ze mal auf Face­book andis­ku­tiert habe, kamen auch gleich die Reak­tio­nen, die erwart­bar waren: Auf der einen Sei­te der Hin­weis auf die Glaub­wür­dig­keit und Authen­ti­zi­tät grü­ner Poli­tik, die nur mit vor­bild­haf­tem Per­so­nal funk­tio­nie­re, auf der ande­ren Sei­te ganz schnell der Ver­dacht, dass es hier um eine Auf­wei­chung grü­ner Posi­tio­nen, ein main­stream­kom­pa­ti­bles Weich­spü­len gehen sol­le. Wich­tig sei doch, für grü­ne Posi­tio­nen ein­zu­tre­ten und die­se glaub­haft zu ver­tre­ten. Wer ein­mal begin­ne, sich nach dem Geschmack der poten­zi­el­len Wäh­le­rIn­nen (a la Wurm muss dem Fisch schme­cken …) zu ori­en­tie­ren, wür­de ganz schnell bei der FDP lan­den. Und so weiter.

Das war zwar eine inter­es­san­te Debat­te, aber eine, die mir ein biss­chen zu sehr von der oben skiz­zier­ten Kern­fra­ge weg­führ­te. Weil ich die Ambi­va­lenz durch­aus sehe, die grü­ner Glaub­wür­dig­keit in der Poli­tik des All­tags zukommt. Ver­mut­lich hilft hier nur Prag­ma­tis­mus. Und ab und zu ein Rea­li­täts­ab­gleich zwi­schen Idea­len, Ideen und Wis­sens­be­stän­den in der Par­tei und dem, was „drau­ßen“ so gedacht wird. Nicht, um von grü­nen Zie­len abzrü­cken, wohl aber, um ein rea­lis­ti­sches Bild dafür zu bekom­men, wie weit wel­che Ideen ange­kom­men sind, und auch, wo es viel­leicht Anknüp­fungs­punk­te für uner­war­te­te Alli­an­zen gibt. 

War­um blog­ge ich das? Weil mich irri­tiert hat, wie vehe­ment das Habeck­sche Argu­ment zurück­ge­wie­sen wurde.

Eine Antwort auf „Das grüne Distinktionsproblem“

  1. Dan­ke für den inter­es­san­ten Arti­kel! Es wirkt tat­säch­lich manch­mal so, als wenn man es als Grü­ner in der Öffent­lich­keit nie rich­tig machen kann. Ent­we­der es unter­lau­fen einem klei­ne Aus­rut­scher (oh, man ist doch mal geflo­gen oder hat die fal­sche Bank, was weiß ich) oder man wirkt als zu abge­grenzt. Mei­ner Mei­nung nach soll­te man aber ohne­hin nicht für die Außen­wir­kung, son­dern nur aus Über­zeu­gung han­deln. Dass man nicht per­fekt sein kann und es auf prak­tisch jedem Gebiet noch ein biss­chen grü­ner sein könn­te, ist halt so. Man muss auch immer die per­sön­li­che Lebens­si­tua­ti­on mit ein­be­zie­hen – der Schritt in die rich­ti­ge Rich­tung zählt. Lei­der muss das dann noch in der Öffent­lich­keit ankommen.

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