Dass die Kanzlerin abgehört wurde, und dass dies auch bei ihrem Vorgänger der Fall war, ist zwar bedauerlich, irgendwie auch empörend, aber letztlich nicht so ganz überraschend. Kennt ja jede und jeder aus Funk und Fernsehen: das Abhören anderer Regierungen scheint zum Tagesgeschäft von Agenten und Agentinnen zu gehören. Idealerweise sollten Regierungen sich dann auch überlegen, was sie dagegen unternehmen (vermutlich, ohne groß darüber zu reden).
Relevanter an den Snowden-Enthüllungen finde ich all die Aussagen, die auf eine ständig laufende, massenweise Rasterfahndung hindeuten – die automatische Analyse von SMS, Mails, Telefonkontakten und so weiter. Das – die technische Machbarkeit des Panoptikons mit all seinen Verhaltensfolgen – ist das eigentlich Besorgnis erregende. Ich meine, für einen Moment ließe sich eine Utopie konstruieren, in der ein allumfassender, sorgender Staat ständig und überall seine vernetzten Sensoren mit drinne hat, um daraus optimal für die Bedürfnisse seiner Untertanen zu sorgen. Eine nonvoluntaristische Variante der Politik des Gehörtwerdens, ein großer, organischer Staatskörper – und das genaue Gegenteil eines Bildes von sich frei entfaltenden, emanzipierten Menschen.
Soweit ich das aus der Ferne verfolgt habe, ist die Realisierung, dass die eigene Paranoia begründet war, stilbildend für den CCC-Kongress am letzten Jahresende gewesen und hat sich dann – mit einem nicht wirklich überzeugenden Sprung von Sascha Lobo aus der Deckung – im Diskurs der „Netzgemeinde“ breit gemacht. Das Netz ist, auch jenseits selbstgewählter Enthüllungen, ein umfangreicher Überwachungsapparat; die bisher schon bekannte technische Möglichkeit der totalen Kontrolle scheint nun tatsächlich mehr oder weniger umgesetzt worden zu sein.
Dabei ist staatliche Überwachung (egal, welcher Staat diese durchführt, und auch egal, ob’s der eigene oder ein fremder ist) noch einmal was ganz anderes als eine transparente Gesellschaft, in der jede und jeder Zugriff auf alle Daten hat. Es geht nicht um Sousveillance, sondern um eine technisch gestützte Machtasymmetrie.
Ignore, Retry, Abort – das scheinen so ungefähr die Möglichkeiten einer alltäglichen Politik im Zustand des potenziellen Abgehörtwerdens zu sein.
Ignore: So weitermachen wie bisher auch, im Vertrauen darauf, entweder nichts zu verbergen zu haben, oder im Meer der Daten unterzugehen und so nicht aufzufallen. Wobei eben nicht klar ist, was Big-Data-Analysen in den Händen williger Geheimdienste so alles zu Tage fördern. Oder sogar die öffentliche Umklammerung des Zustands der Sichtbarkeit und des Kontrollverlustes, also das einrichten in dem, was Michael Seemann „das neue Spiel“ nennt.
Retry: Ja, das Netz ist kaputt, aber wer möchte, findet technische und soziale Lösungen, um im Geheimen zu bleiben. Ein immer wieder neuer Versuch, schneller, besser und sicherer zu sein als Wer-auch-immer sich für die eigenen Kommunikationen interessiert. Im Ergebnis gibt es HTTPS, SSL, TOR und PGP, und so weiter, und so fort – und nie die Sicherheit, dass nicht doch der eigene Code mit Hintertüren versehen wurde, dass die Forschungsabteilung der NSA weiter ist als der allgemeine Stand des Wissens, dass irgendwo zwischendrin Fehler in der Software liegen, die die Bemühungen zunichte machen. Oder social engineering, die menschliche Dämlichkeit ausnutzend. Da hilft dann auch die schönste Verschlüsselungssoftware nicht mehr.
Abort: Manche plädieren für die radikale Lösung, dafür, das Netz aufzugeben, dieses Internet abzubrechen und ein neues aufzubauen (vielleicht geschieht dies auch längst). Eines, in dem dann wieder die alten Träume Gültigkeit haben, in der die Jahrzehnte des Hypes genossen werden können, in der vorseptemberlichen Behaglichkeit der eingeschworenen und doch anonymen Gemeinschaft. Ich halte, meinem spöttischen Tonfall ist es anzumerken, nicht allzuviel davon.
Tatsächlich vermute ich, dass wir es uns irgendwo zwischen Ignore und Retry einrichten werden. Solange der überwachende Staat kein Polizeistaat ist, solange es niemanden interessiert, welche Katzen-GIFs ich poste, funktioniert das mit dem Ignorieren ja so einigermaßen. Vor allem dann, wenn es eben kein echtes Ignorieren, sondern ein latentes Unwohlsein an den Zuständen ist. Die zu ändern eben nicht nur – vielleicht gar nicht in erster Linie – eine Frage der Technik, sondern eine Frage des politischen Willens ist. Der ist veränderbar. Und allen Unkenrufen zum Trotz: Nicht alles, was technisch möglich ist, wird auch gemacht. Vielleicht ist es naiv, aber ich glaube, die richtige Antwort auf die Überwachungsfrage ist eine politische: je transparenter und sichtbarer Überwachung geschieht, desto eher kann es so etwas wie eine gesellschaftliche Kontrolle darüber geben. Und die ist im Zeitalter der technischen Möglichkeiten notwendiger denn je.
Warum blogge ich das? Als späten Beitrag zur Das-Netz-ist-kaputt-ach-ja-Debatte. Und weil ich einen Text zu meiner Überschrift haben wollte.