Heute schon eine Effizienzreserve gehoben?

Dancer IV

Die Arbeit in der Poli­tik bringt ihre eige­nen Betriebs­blind­hei­ten mit sich. Man­che davon ver­ste­cken sich hin­ter tech­no­kra­tisch anmu­ten­den Phra­sen. Das „Heben von Effi­zi­enz­re­ser­ven“ ist ein sol­ches Sprach­bild. Es steht in einem engen Zusam­men­hang mit der „Schul­den­brem­se“ und den von den ein­zel­nen Res­sorts erwar­te­ten „Kon­so­li­die­rungs­bei­trä­gen“.

Fak­tisch heißt „Heben von Effi­zi­enz­re­ser­ven“: Es ist nicht genü­gend Geld vor­han­den, um die recht­lich und poli­tisch gewünsch­ten Auf­ga­ben zu erle­di­gen, also sol­len ten­den­zi­ell weni­ger Beschäf­tig­te (in der glei­chen Zeit wie vor­her) die glei­che Arbeit leis­ten. Sie sol­len es nur „effi­zi­en­ter“ tun. Bis zu einem gewis­sen Grad ist das sicher­lich mög­lich, hier Arbeits­ab­läu­fe „zu opti­mie­ren“. Gera­de Ver­wal­tungs­vor­gän­gen hängt ja der Ruf nach, kein Vor­bild für effi­zi­en­te Orga­ni­sa­ti­on zu sein. Ob die­ser schlech­te Ruf stimmt, sei dahingestellt. 

Aber noch­mal: Letzt­lich ver­wei­sen die Effi­zi­enz­re­ser­ven dar­auf, dass Men­schen die sel­be Tätig­keit in weni­ger Zeit erle­di­gen sol­len. Das mag dann sinn­voll sein, wenn vor­her unsin­nig viel Zeit ver­wen­det wur­de, wenn es dau­er­haft Leer­lauf und War­te­zei­ten gab. Nach einem Vier­tel­jahr­hun­dert „neu­er Steue­rung“ hal­te ich es – bei aller Ratio­na­li­sie­rung infor­ma­ti­ons- und kom­mu­ni­ka­ti­ons­ba­sier­ter Tätig­kei­ten – für extrem unwahr­schein­lich, dass groß­flä­chig „Effi­zi­enz­re­ser­ven“ auf ihre „Hebung“ war­ten. Und selbst wenn dem so wäre, spre­chen – mei­ne ich – drei Argu­men­te dage­gen, Arbeit auf maxi­ma­le Effi­zi­enz hin zu optimieren.

Der ers­te Grund ist die Unter­schied­lich­keit der Men­schen, und ins­be­son­de­re auch die unter­schied­li­che Tages­form jeder und jedes Ein­zel­nen. Eine Orga­ni­sa­ti­on, die davon aus­geht, dass alle immer hun­dert Pro­zent brin­gen; oder die, schlim­mer noch, die ein­hun­dert­fünf­zig Pro­zent, die im Aus­nah­me­zu­stand – ein Pro­jekt muss unbe­dingt fer­tig wer­den – erbracht wer­den, zum nor­ma­len Maß­stab macht, über­for­dert ihre Beschäf­tig­ten. Das geht nicht lan­ge gut. Man­che wür­den hier auch von „Aus­beu­tung“ sprechen.

Dann hat Effi­zi­enz zwei­tens etwas mit Ent­gren­zung zu tun. Das ist die arbeits­wis­sen­schaft­li­che Debat­te dar­um, dass die Gren­ze zwi­schen Arbeit und Nicht-Arbeit durch­läs­sig wird. Mobil­te­le­fo­ne und E‑Mail sind hier tech­ni­sche Kata­ly­sa­to­ren eines Wand­lungs­pro­zes­ses. Wenn die Auf­ga­ben wach­sen, weil weni­ger Men­schen für die glei­che Arbeit zustän­dig sind, liegt es nahe, Arbeit nach Hau­se mit­zu­neh­men. Mal eben unter­wegs in die dienst­li­chen Mails zu schau­en. Per­ma­nent erreich­bar zu sein. Über­stun­den – na ja, ist ja wichtig. 

Eine durch­op­ti­mier­te Orga­ni­sa­ti­on beschleu­nigt die­sen Ent­gren­zungs­pro­zess. (Der dann, auf der ande­ren Sei­te, und noch so ein arbeits­wis­sen­schaft­li­cher Fach­be­griff, Kon­se­quen­zen für die Sozia­bi­li­tät von Arbeit hat. Wer auch nach dem Acht-Stun­den-Tag und dem Pen­deln nicht von der Arbeit los­ge­las­sen wird, wird kaum Zeit für Fami­li­en­ar­beit, Sor­ge­ar­beit, demo­kra­ti­sches Enga­ge­ment oder auch ein­fach eine sinn­erfüll­te, krea­ti­ve – und nicht ein­fach nur kon­su­mie­ren­de – Frei­zeit fin­den. Das „Heben von Effi­zi­enz­res­sour­cen“ ver­nich­tet also zugleich Res­sour­cen bür­ger­ge­sell­schaft­li­chen und fami­liä­ren Enga­ge­ments, die aber an ande­rer Stel­le für einen „schlan­ken Staat“ wie­der­um benö­tigt werden …).

Drit­tens sind nicht nur Men­schen in ihrer Tages­form unter­schied­lich. Die „Auf­trags­la­ge“ auch einer Behör­de schwankt. Es gibt Zei­ten, in denen viel auf ein­mal erle­digt sein muss. Es gibt Stö­run­gen. Das Kon­zept Mensch-Tech­nik-Orga­ni­sa­ti­on, des­sen Maxi­me – Stö­run­gen lokal zu behe­ben – mir jetzt in den Blick gerät, denkt zwar zunächst ein­mal in Fließ­bän­dern und Fer­ti­gungs­in­seln, aber auch hier lässt sich zwang­los die Ana­lo­gie zu den infor­ma­ti­ons- und kom­mu­ni­ka­ti­ons­ba­sier­ten Tätig­kei­ten der öffent­li­chen Hand her­stel­len. Ein durch­op­ti­mier­tes, effi­zi­en­tes Sys­tem gerät ins Sto­cken, wenn Unvor­her­ge­se­he­nes ein­tritt. Die Krank­heit eines Leh­rers, die nicht ein­fach mal eben lokal beho­ben wer­den kann. Eine poli­ti­sche Sprung­haf­tig­keit, die Abläu­fe lahm­legt. Eine Unwet­ter­ka­ta­stro­phe, auf die amt­lich reagiert wer­den muss. 

Die­se Schwan­kun­gen auf­zu­fan­gen, gelingt nur dann, wenn es im Sys­tem Reser­ven gibt. Wenn es also nicht zu hun­dert Pro­zent effi­zi­ent arbei­tet. Das „Heben von Effi­zi­enz­re­ser­ven“ redu­ziert ab einem bestimm­ten Punkt die Elas­ti­zi­tät eines orga­ni­sa­to­ri­schen Ablaufs – und schwächt des­sen Krisentauglichkeit. 

Zu die­sen eher arbeits­wis­sen­schaft­li­chen Argu­men­ten gegen eine Aus­schöp­fung der „Effi­zi­enz­re­ser­ven“ kommt ein eher sozi­al­theo­re­ti­sches Argu­ment hin­zu: Lücken in den Abläu­fen sind der Kitt, in dem Mensch­lich­keit gedeiht, bei­spiels­wei­se im rezi­pro­ken Ver­hält­nis zwi­schen auto­ma­ti­sier­ten Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tungs­vor­gän­gen und Spiel­räu­men für Kulanz (anders gesagt: wenn das Bord-Bis­tro auf­grund des Kas­sen­sys­tems nicht in der Lage ist, ein Rühr­ei ohne Heiß­ge­tränk zu ver­kau­fen, auch wenn das die ein­zi­ge vege­ta­ri­sche Spei­se ist, die erhält­lich wäre, dann sind die Spiel­räu­me der Kulanz arg ein­ge­schränkt). So for­mu­liert klingt das zunächst ein­mal unhin­ter­frag­bar posi­tiv. Ich will aber nicht ver­schwei­gen, dass es hier auf das rich­ti­ge Maß ankommt. Wo die Spiel­räu­me zu groß sind, gedeiht Kor­rup­ti­on, also ein Ange­wie­sen­sein auf Gefäl­lig­kei­ten, um über­haupt Sys­tem­funk­tio­nen zum Lau­fen zu brin­gen. Ein geord­ne­tes Ver­fah­ren – selbst dann, wenn es auf infor­ma­ti­ons­tech­ni­schen Pro­zes­sen basiert – ist damit durch­aus etwas wert­vol­les. Schwie­rig wird es dann, wenn die Infor­ma­ti­ons­er­fas­sung total wird, wenn Ver­fah­ren auch mit gutem Wil­len unhin­ter­geh­bar wer­den, und damit auf Situa­tio­nen, die nicht geplant sind, nicht mehr anders als nach auto­ma­ti­sier­tem Ablauf (unzu­frie­den­stel­lend) reagiert wer­den kann. Ein gewis­ses Maß an Lücken­haf­tig­keit scheint mir daher eben­falls wert­voll zu sein, ohne jedoch in Will­kür umschla­gen zu dürfen.

Das Argu­ment der (fast möch­te ich sagen: sub­ver­si­ven) Spiel­räu­me hat nun inso­fern etwas mit der Effi­zi­enz­fra­ge zu tun, als eine (infor­ma­ti­ons­tech­nisch gestütz­te) Opti­mie­rung und Stan­dar­di­sie­rung von Abläu­fen ein nahe­lie­gen­der Weg ist, um die Bewäl­ti­gung der Auf­ga­ben einer Orga­ni­sa­ti­on beson­ders effi­zi­ent zu gestal­ten. Wenn dabei die nicht nur zeit­li­chen, son­dern auch inhalt­li­chen Spiel­räu­me ver­ges­sen wer­den, ent­wer­tet das Arbeit sowohl für Beschäf­tig­te, die stur nach Sche­ma han­deln, als auch für die Kun­dIn­nen – bei der öffent­li­chen Hand also für uns alle – die dann zwar effi­zi­ent gleich behan­delt wer­den, aber schnell in kaf­ka­es­ke Situa­tio­nen gera­ten kön­nen, wenn sie etwas wol­len, das zwar mög­li­cher­wei­se sinn­voll, aber eben nicht vor­ge­se­hen ist.

Letzt­lich kom­me ich sowohl auf­grund arbeits­wis­sen­schaft­li­cher Erwä­gun­gen als auch mit Blick auf die Sozi­al­theo­rie zum Schluss, dass es so etwas wie ein Über­maß an Effi­zi­enz geben kann; zumin­dest dann, wenn ein Mehr an Effi­zi­enz nicht zugleich mit einem Mehr an Mit- und Selbst­be­stim­mung einhergeht. 

War­um blog­ge ich das? Weil mir man­che Haus­halts­exper­tIn­nen – par­tei­über­grei­fend – blind für die mög­li­chen Neben­fol­gen einer fis­ka­li­schen Opti­mie­rung öffent­li­cher Arbeit zu sein scheinen.

2 Antworten auf „Heute schon eine Effizienzreserve gehoben?“

  1. Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen gehen immer zu Las­ten der Resi­li­enz, also der Kri­sen­si­cher­heit und Stand­fes­tig­keit eines Sys­tems. In der BWL spricht man daher auch von not­wen­di­gen Slack-Reser­ven. Das sind Red­un­dan­zen, die auf den ers­ten Blick inef­fi­zi­ent sind, die aber in Kri­sen­zei­ten oder bei kurz­fris­ti­gen Abwei­chun­gen vom Nor­mal­zu­stand (z.B. eine unvor­her­seh­ba­re Schwan­kung im Auf­trags­ein­gang) die Orga­ni­sa­ti­on über­le­ben las­sen. Damit ist auch eine Brü­cke zum seman­ti­schen Hin­ter­grund von Nach­hal­tig­keit geschla­gen. Ein „Nach­halt“ ist eine Reser­ve für Not­zei­ten. Gera­de wenn die Zukunft immer unwäg­ba­rer, die Aus­schlä­ge unvor­her­seh­ba­rer Ereig­nis­se immer grö­ßer wer­den, wird Effi­zi­enz zum Feind der eige­nen Über­le­bens­fä­hig­keit. Ein Blick in die Natur: dort herrscht kei­ne Effi­zi­enz, son­dern ein Über­maß an Ver­schwen­dung, sicher ist sicher.
    Im Übri­gen hast du völ­lig recht, wenn du sagst, wei­te­re Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen nach Jah­ren kon­ti­nu­ier­li­cher Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen sei­en bei­na­he unmög­lich. Am Anfang sind immer gro­ße Fort­schrit­te drin, aber irgend­wann greift auch hier das öko­no­mi­sche „Natur­ge­setz“ des abneh­men­den Grenz­ertrags. Die „low han­ging fruits“ sind alle ein­ge­sam­melt, eine jede Effi­zi­en­stei­ge­rung kos­tet immer mehr und wird schließ­lich nicht mehr durchführbar.

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