Die Arbeit in der Politik bringt ihre eigenen Betriebsblindheiten mit sich. Manche davon verstecken sich hinter technokratisch anmutenden Phrasen. Das „Heben von Effizienzreserven“ ist ein solches Sprachbild. Es steht in einem engen Zusammenhang mit der „Schuldenbremse“ und den von den einzelnen Ressorts erwarteten „Konsolidierungsbeiträgen“.
Faktisch heißt „Heben von Effizienzreserven“: Es ist nicht genügend Geld vorhanden, um die rechtlich und politisch gewünschten Aufgaben zu erledigen, also sollen tendenziell weniger Beschäftigte (in der gleichen Zeit wie vorher) die gleiche Arbeit leisten. Sie sollen es nur „effizienter“ tun. Bis zu einem gewissen Grad ist das sicherlich möglich, hier Arbeitsabläufe „zu optimieren“. Gerade Verwaltungsvorgängen hängt ja der Ruf nach, kein Vorbild für effiziente Organisation zu sein. Ob dieser schlechte Ruf stimmt, sei dahingestellt.
Aber nochmal: Letztlich verweisen die Effizienzreserven darauf, dass Menschen die selbe Tätigkeit in weniger Zeit erledigen sollen. Das mag dann sinnvoll sein, wenn vorher unsinnig viel Zeit verwendet wurde, wenn es dauerhaft Leerlauf und Wartezeiten gab. Nach einem Vierteljahrhundert „neuer Steuerung“ halte ich es – bei aller Rationalisierung informations- und kommunikationsbasierter Tätigkeiten – für extrem unwahrscheinlich, dass großflächig „Effizienzreserven“ auf ihre „Hebung“ warten. Und selbst wenn dem so wäre, sprechen – meine ich – drei Argumente dagegen, Arbeit auf maximale Effizienz hin zu optimieren.
Der erste Grund ist die Unterschiedlichkeit der Menschen, und insbesondere auch die unterschiedliche Tagesform jeder und jedes Einzelnen. Eine Organisation, die davon ausgeht, dass alle immer hundert Prozent bringen; oder die, schlimmer noch, die einhundertfünfzig Prozent, die im Ausnahmezustand – ein Projekt muss unbedingt fertig werden – erbracht werden, zum normalen Maßstab macht, überfordert ihre Beschäftigten. Das geht nicht lange gut. Manche würden hier auch von „Ausbeutung“ sprechen.
Dann hat Effizienz zweitens etwas mit Entgrenzung zu tun. Das ist die arbeitswissenschaftliche Debatte darum, dass die Grenze zwischen Arbeit und Nicht-Arbeit durchlässig wird. Mobiltelefone und E‑Mail sind hier technische Katalysatoren eines Wandlungsprozesses. Wenn die Aufgaben wachsen, weil weniger Menschen für die gleiche Arbeit zuständig sind, liegt es nahe, Arbeit nach Hause mitzunehmen. Mal eben unterwegs in die dienstlichen Mails zu schauen. Permanent erreichbar zu sein. Überstunden – na ja, ist ja wichtig.
Eine durchoptimierte Organisation beschleunigt diesen Entgrenzungsprozess. (Der dann, auf der anderen Seite, und noch so ein arbeitswissenschaftlicher Fachbegriff, Konsequenzen für die Soziabilität von Arbeit hat. Wer auch nach dem Acht-Stunden-Tag und dem Pendeln nicht von der Arbeit losgelassen wird, wird kaum Zeit für Familienarbeit, Sorgearbeit, demokratisches Engagement oder auch einfach eine sinnerfüllte, kreative – und nicht einfach nur konsumierende – Freizeit finden. Das „Heben von Effizienzressourcen“ vernichtet also zugleich Ressourcen bürgergesellschaftlichen und familiären Engagements, die aber an anderer Stelle für einen „schlanken Staat“ wiederum benötigt werden …).
Drittens sind nicht nur Menschen in ihrer Tagesform unterschiedlich. Die „Auftragslage“ auch einer Behörde schwankt. Es gibt Zeiten, in denen viel auf einmal erledigt sein muss. Es gibt Störungen. Das Konzept Mensch-Technik-Organisation, dessen Maxime – Störungen lokal zu beheben – mir jetzt in den Blick gerät, denkt zwar zunächst einmal in Fließbändern und Fertigungsinseln, aber auch hier lässt sich zwanglos die Analogie zu den informations- und kommunikationsbasierten Tätigkeiten der öffentlichen Hand herstellen. Ein durchoptimiertes, effizientes System gerät ins Stocken, wenn Unvorhergesehenes eintritt. Die Krankheit eines Lehrers, die nicht einfach mal eben lokal behoben werden kann. Eine politische Sprunghaftigkeit, die Abläufe lahmlegt. Eine Unwetterkatastrophe, auf die amtlich reagiert werden muss.
Diese Schwankungen aufzufangen, gelingt nur dann, wenn es im System Reserven gibt. Wenn es also nicht zu hundert Prozent effizient arbeitet. Das „Heben von Effizienzreserven“ reduziert ab einem bestimmten Punkt die Elastizität eines organisatorischen Ablaufs – und schwächt dessen Krisentauglichkeit.
Zu diesen eher arbeitswissenschaftlichen Argumenten gegen eine Ausschöpfung der „Effizienzreserven“ kommt ein eher sozialtheoretisches Argument hinzu: Lücken in den Abläufen sind der Kitt, in dem Menschlichkeit gedeiht, beispielsweise im reziproken Verhältnis zwischen automatisierten Informationsverarbeitungsvorgängen und Spielräumen für Kulanz (anders gesagt: wenn das Bord-Bistro aufgrund des Kassensystems nicht in der Lage ist, ein Rührei ohne Heißgetränk zu verkaufen, auch wenn das die einzige vegetarische Speise ist, die erhältlich wäre, dann sind die Spielräume der Kulanz arg eingeschränkt). So formuliert klingt das zunächst einmal unhinterfragbar positiv. Ich will aber nicht verschweigen, dass es hier auf das richtige Maß ankommt. Wo die Spielräume zu groß sind, gedeiht Korruption, also ein Angewiesensein auf Gefälligkeiten, um überhaupt Systemfunktionen zum Laufen zu bringen. Ein geordnetes Verfahren – selbst dann, wenn es auf informationstechnischen Prozessen basiert – ist damit durchaus etwas wertvolles. Schwierig wird es dann, wenn die Informationserfassung total wird, wenn Verfahren auch mit gutem Willen unhintergehbar werden, und damit auf Situationen, die nicht geplant sind, nicht mehr anders als nach automatisiertem Ablauf (unzufriedenstellend) reagiert werden kann. Ein gewisses Maß an Lückenhaftigkeit scheint mir daher ebenfalls wertvoll zu sein, ohne jedoch in Willkür umschlagen zu dürfen.
Das Argument der (fast möchte ich sagen: subversiven) Spielräume hat nun insofern etwas mit der Effizienzfrage zu tun, als eine (informationstechnisch gestützte) Optimierung und Standardisierung von Abläufen ein naheliegender Weg ist, um die Bewältigung der Aufgaben einer Organisation besonders effizient zu gestalten. Wenn dabei die nicht nur zeitlichen, sondern auch inhaltlichen Spielräume vergessen werden, entwertet das Arbeit sowohl für Beschäftigte, die stur nach Schema handeln, als auch für die KundInnen – bei der öffentlichen Hand also für uns alle – die dann zwar effizient gleich behandelt werden, aber schnell in kafkaeske Situationen geraten können, wenn sie etwas wollen, das zwar möglicherweise sinnvoll, aber eben nicht vorgesehen ist.
Letztlich komme ich sowohl aufgrund arbeitswissenschaftlicher Erwägungen als auch mit Blick auf die Sozialtheorie zum Schluss, dass es so etwas wie ein Übermaß an Effizienz geben kann; zumindest dann, wenn ein Mehr an Effizienz nicht zugleich mit einem Mehr an Mit- und Selbstbestimmung einhergeht.
Warum blogge ich das? Weil mir manche HaushaltsexpertInnen – parteiübergreifend – blind für die möglichen Nebenfolgen einer fiskalischen Optimierung öffentlicher Arbeit zu sein scheinen.
Danke für diese Argumentation, die auf anderen Wegen zu Aussagen führt, die ich in ähnlicher Weise treffe.
Effizienzsteigerungen gehen immer zu Lasten der Resilienz, also der Krisensicherheit und Standfestigkeit eines Systems. In der BWL spricht man daher auch von notwendigen Slack-Reserven. Das sind Redundanzen, die auf den ersten Blick ineffizient sind, die aber in Krisenzeiten oder bei kurzfristigen Abweichungen vom Normalzustand (z.B. eine unvorhersehbare Schwankung im Auftragseingang) die Organisation überleben lassen. Damit ist auch eine Brücke zum semantischen Hintergrund von Nachhaltigkeit geschlagen. Ein „Nachhalt“ ist eine Reserve für Notzeiten. Gerade wenn die Zukunft immer unwägbarer, die Ausschläge unvorhersehbarer Ereignisse immer größer werden, wird Effizienz zum Feind der eigenen Überlebensfähigkeit. Ein Blick in die Natur: dort herrscht keine Effizienz, sondern ein Übermaß an Verschwendung, sicher ist sicher.
Im Übrigen hast du völlig recht, wenn du sagst, weitere Effizienzsteigerungen nach Jahren kontinuierlicher Effizienzsteigerungen seien beinahe unmöglich. Am Anfang sind immer große Fortschritte drin, aber irgendwann greift auch hier das ökonomische „Naturgesetz“ des abnehmenden Grenzertrags. Die „low hanging fruits“ sind alle eingesammelt, eine jede Effiziensteigerung kostet immer mehr und wird schließlich nicht mehr durchführbar.