Wie bei uns eine Idee den Weg ins Wahlprogramm findet, habe ich 2010 mal ausführlicher aufgeschrieben. Kurz gesagt: Es gibt den Wahlprogrammentwurf des Bundesvorstands, es gibt Änderungsanträge dazu (von Gliederungen, Bundesarbeitsgemeinschaften oder 20 einzelnen Mitgliedern), und weil das sehr viele werden können – diesmal 2600 – laufen diese durch eine Antragskommission, die schaut, was (modifiziert) übernommen werden kann, was durch andere Anträge erledigt ist, und was kontrovers abgestimmt werden muss.
Heute hatte die SPD ihren Bundesparteitag zum Wahlprogramm. Irgendwie lief der Stream nicht bei mir, und dann hatte es auch noch schönes Wetter, das ich dann lieber draußen genossen habe, statt den Genossen zuzuschauen. Über Twitter habe ich ein paar Schnippsel Parteitag mitgekriegt: Lange Reden, Claudia war auch da, und Peer Steinbrück hat nochmal betont, dass er Kanzler werden will – ist ja heutzutage keine Selbstverständlichkeit. Ach so: Und diverse Meldungen der Form „der Antrag XYZ aus BaWü wurde gegen das anderslautende Votum der Antragskommission doch ins Programm aufgenommen“. [Nachtrag: Inzwischen hat sich dieses Rätsel gelöst, siehe ganz unten.]
Das hat meine Neugierde geweckt, wie die SPD denn mit Änderungsanträgen umgeht. Leider wurde meine diesbezügliche Frage zwar mehrfach retweetet, aber nicht beantwortet. Also doch mal selbst recherchieren:
Bürgerbeteiligung light – und die Mitgliederbeteiligung
Erstens ist mir dabei aufgefallen, dass die purpurrot angelaufene Partei stolz auf ihr Regierungsprogramm neuen Typs ist, und damit meint, dass BürgerInnen Postkarten an die SPD mit Themenvorschlägen bei Dialogveranstaltungen abgeben konnten. Aus den 40.000 Vorschlägen wurden die 300 „interessantesten Anregungen“ ausgewählt und deren AbsenderInnen zu einem „Parteikonvent“ eingeladen, wo sie mit dem SPD-Vorstand reden durften. Letztlich sind hier „elf Vorschläge“ erarbeitet worden, die „in den einzelnen passenden Themenbereichen des Vollprogramms herausgehoben präsentiert“ werden.
Soweit also mal die Bürgerbeteiligung. Klingt nicht so schlecht – aus 40.000 Vorschlägen immerhin elf Projekte im Regierungsprogramm 2013 mit seinen 100 Seiten. Aber wie konnten die SPD-Mitglieder sich beteiligen?
(Zentrale Themen des Programms laut Website sind übrigens Arbeit, Bildung, Finanzmärkte, Familie, Gleichstellung, Rente, Gesundheit, Wohnen. Mir fehlt da einiges, z.B. dieses Wort mit U. Oder was zu E wie Energiepolitik. Oder das mit dem I. Aber das ist halt die SPD …)
Was ich auf der Website der SPD erstmal nicht gefunden habe, ist das komplette „Antragsbuch“ – nur den Entwurf für das Programm. Aber ich habe ja auf Twitter gelesen, dass Änderungsanträge dazu angenommen wurden. Also muss es die auch irgendwo geben. Etwas mehr Suchen, auf der dritten oder vierten Seite unter Parteitag, fördert dann die offizielle Einladung zu Tage. Der ist schon mal zu entnehmen, dass der Parteitag eintägig von 11 bis 16 Uhr angesetzt ist (zum Vergleich: unser Programmparteitag geht von Freitag abend bis Sonntag nachmittag …) und dass nach fünf anderen TOPs (unter anderem der „Rede des Kanzlerkandidaten“) auch noch Zeit für TOP 6, „Beratung und Beschlussfassung des Regierungsprogramms“ vorgesehen ist.
In der Einladung werden auch Anträge erwähnt. Dazu gibt es ein vierseitiges PDF mit Hinweisen zur Antragseinbringung. Dem ist zunächst einmal zu entnehmen, wer bei der SPD überhaupt Anträge stellen darf:
- Parteivorstand
- Landesverbände/Landesorganisationen/Bezirke
- Unterbezirke
- Gliederungsebenen oberhalb der Ortsvereinsebene (z.B. Stadtverbände)
- Ortsvereine
- Arbeitsgemeinschaften auf Bundesebene
- Themenforen und Arbeitskreise auf Bundesebene
- Auslandsfreundeskreise
- Kommunalbeirat
- Inhaltliche Anträge von nahestehenden Organisationen nach Organisationsstatut (das dürften Jusos und ähnliches sein)
Einzelne Mitglieder sind dagegen explizit nicht antragsberechtigt, auch nicht im Plural. (Wie gesagt: bei uns dürfen auch 20 Einzelmitglieder einen Antrag einreichen).
Dann wird festgehalten, dass der Antragsschluss einen Monat vor dem Parteitag liegt (das ist relativ normal), und es wird zwischen ordentlichen Anträgen und Änderungsanträgen unterschieden (auch das kommt mir bekannt vor). Anträge werden nicht mit Begründungen, sondern nur als Text veröffentlicht (anders als bei uns). Zudem gibt es eine Antragsberatungssoftware und die Erläuterung, wer das „Antragsbuch“ erhält (nämlich Landesverbände und Parteitagsdelegierte), wie Anträge formal aussehen (Word-Dokument, 12 pt, keine Fettschrift verwenden), und wer das Antragsbuch zusammenstellt (die Antragskommission).
(Lustig finde ich, dass Änderungen sich auf Kapitel oder Sätze beziehen sollen, aber nicht auf Seitenzahlen, weil die sich ändern können. Wir haben jede einzelne Zeile in unseren Anträgen durchnummeriert – das macht es dann ziemlich einfach, Änderungsanträge konkret zuzuordnen, z.B. Z. 123 im Antrag BTW-B-01, gibt den Änderungsantrag BTW-B-123–1).
Soweit die einigermaßen klaren Dinge. Jetzt aber wird es verwirrend, denn laut diesem Hinweisblatt gibt es dann noch vier Formen von „Anträgen nach Antragsschluss“. Mich verwirrt das erstens, weil es bei uns unterschiedliche Antragsschlüsse für eigenständige Anträge und für Änderungsanträge gibt, und zweitens, das ist wichtiger, weil mir nicht alle vier Formen der „Anträge nach Antragsschluss“ schlüssig erscheinen.
Zum einen hat der Parteivorstand das Recht, auch nach Antragsschluss noch eigenständige Anträge einzubringen. Ok, hat eine gewisse Logik. (Bei uns gibt es Dringlichkeitsanträge, deren Dringlichkeit von der Versammlung bestätigt werden muss). Zum zweiten und dritten wird geregelt, dass auf dem Parteitag selbst unter bestimmten Voraussetzungen (fünzig Delegierte aus fünf Bezirken) noch Initiativanträge eingebracht werden können. Das passt ganz gut zum geborenen Initiativantragsrecht des SPD-Parteivorstands, quasi als repräsentativdemokratische Ergänzung.
Bisher haben wir gelernt: Es gibt Antragsfristen. Es gibt aus meiner grünen Sicht recht harte Regeln dafür, wer Anträge stellen darf. Es gibt Ausnahmen für Dringlichkeitsanträge, wobei auch hier klare Verfahren vorgesehen sind.
Und dann gibt es den interessanten Fall Nr. 4: „Außerdem besteht auf Parteitagen/Parteikonventen die Möglichkeit, in der Debatte mündliche Änderungsanträge einzubringen.“
Bitte was? Jeder und jede einzelne Delegierte kann während des Parteitags noch mündliche Änderungsanträge einbringen? Und das bei einer Beratungszeit von vielleicht zwei Stunden für 100 Seiten? Zusätzlich zu den stark formalisierten Anträgen der Gliederungen? Das kann doch nur im Chaos enden!
Ein Blick in das Antragsbuch
Wie sieht’s wirklich aus? Jetzt bleibt nur noch der Blick in das Antragsbuch mit seinen 258 Seiten. Das ist zwar unter Parteitag nicht verlinkt, über die Suche auf der SPD-Seite dann aber doch zu finden.
Das Antragsbuch listet zuerst einmal die Mitglieder der Antragskommission auf (vom Parteivorstand und den Bezirken/Landesverbänden benannt). Dann folgt der Text des „Regierungsprogramms“ in zwei Spalten. Links steht die Originalfassung, rechts steht weitgehend der gleiche Text – ab und zu sind Streichungen und Einfügungen markiert, die die Antragskommission empfiehlt. In dieser Synopse ist allerdings nicht zu klar, welche neuen Textteile von wem kommen. Das sieht dann zum Beispiel so aus:
Diesem synoptischen Teil folgt eine Auflistung der einzelnen Anträge, zu denen jeweils die Empfehlung der Antragskommission abgedruckt ist. Überwiegend steht da „erledigt durch RP1 in der Fassung der AK [Antragskommission]“, durch anderslautende Beschlüsse der SPD, oder durch bereits umgesetzte gesetzliche Regelungen. Dann gibt es noch das Votum „Überweisung an SPD-Bundestagsfraktion“ oder die „Überweisung an ordentlichen Bundesparteitag 2013“. Und schließlich die Empfehlungen „Ablehnung“ und „Annahme“, teilweise mit weiteren Erläuterungen. Für die obige Einfügung sieht der dazugehörige Antrag zum Beispiel so aus (links der Antrag, rechts das Votum der Antragskommission):
Was mich jetzt wiederum verwirrt, weil ich eigentlich vermutet hätte, dass „Erledigt durch Antrag RP1 in der Fassung der AK“ genau das bedeutet – das Ansinnen des Änderungsantrags wird durch eine modifzierte Formulierung aufgenommen. Ist aber wohl nicht so. Schließlich gibt es auch „Annahme in geänderter Fassung“. Was aber ist „Erledigt durch usw.“ dann?
Um das zu überprüfen, habe ich mir mal andersherum angeschaut, wie ein Änderungsantrag mit dem Votum „Erledigt durch Antrag RP1 in der Fassung der AK“ dort auftaucht. Beispielsweise Antrag IIIA.10, bei dem es um die Aufnahme der sexuellen Identität ins Grundgesetz geht. Das Beispiel hilft allerdings nicht weiter, weil dieses Ansinnen sowohl im Antrag des Parteivorstands als auch in der Fassung der Antragskommission schon drin steht – und auch nicht weiter markiert ist. Stellen SPD-Gliederungen ihre Anträge, ohne den Text zu kennen, auf den sie sich beziehen?
Noch eine zweite Stichprobe: Ein Antrag fordert eine bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln. Der Antrag 8ist als „Erledigt durch usw.“ gekennzeichnet. Im Programmentwurf sowohl in der Fassung des Vorstands als auch in der Fassung der Antragskommission tauchen die Kennzeichnung von Lebensmitteln, mehr Markttransparenz etc. an zwei Stellen auf – wiederum in beiden Fassungen identisch. Hä? Auf welcher Grundlage stellen SPD-Ortsvereine ihre Anträge zum Programm? Einfach mal ins Blaue rein?
Zwischenfazit: Es scheint, so mein Eindruck, tatsächlich so zu sein, dass die Anträge zum Programm bei der SPD nicht dem Schema folgen, dass ein Leitantrag vorgelegt wird, zu dem Änderungsanträge eingebracht werden, sondern dass überwiegend einfach mal gesagt wird, was ein Ortsverein oder ein Unterbezirk gerne mal sagen will. Ob und wo das textlich ins Programm passen würde, müssen Parteivorstand und Antragskommission entscheiden. Das erklärt dann auch, warum die Bezüge zum Text in den Antragsformalien so vage sein dürfen – Textarbeit ist scheinbar keine SPD-Praxis. (Wie gesagt: bei uns gibt es einen langen, zeilenweise durchnummerierten Entwurf, und alle Anträge dazu sind Änderungsanträge, die eine ganz konkrete Stelle im Programmtext verändern wollen. Theoretisch wären wohl auch Globalalternativen als eigenständige Anträge möglich, ist mir aber noch nicht untergekommen.)
Soweit zu den schriftlichen Anträgen. Die werden von Gliederungen beschlossen, an die Antragskommission als Word-Dokumente geschickt, von dieser bearbeitet – gerne mit dem Stempel „Erledig“ – und es gibt am Schluss ein Dokument „RP1“, über das abgestimmt wird (kein Wunder, dass das dann 100% Zustimmung erntet). Was ich von grünen Parteitagen kenne, dass es eben doch immer wieder auch kontroverse Abstimmungen zu einzelnen Punkten gibt, scheint hier nicht vorgesehen zu sein. Die Empfehlung „Abstimmung“ habe ich nicht gefunden im Antragsbuch.
Offen bleibt: Wie kommt’s zum Erfolg gegen die Empfehlung Antragskommission?
Wie aber kommt es zu einem Votum gegen die Antragskommission? Beispielsweise twitterte die SPD Baden-Württemberg, dass ein Antrag zu Transgender (der dann ja noch einmal ein anderer sein muss als der oben) „gegen das Votum der Antragskommission“ angenommen wurde. Was steckt dahinter?
Mir ist jetzt anhand des Tweets nicht klar, um welchen Antrag es geht, ob es sich hier um einen „mündlichen Antrag“ handelt oder um einen im Antragsbuch mit einem anderslautenden Votum versehenen Antrag. Es zeigt sich – hier hilft ein Blick auf die Netzdoku des Parteitags:
Demnach geht es also um den Antrag I10. Den gibt es im Antragsbuch nicht. III.A10 befasst sich mit der sexuellen Identität im Grundgesetz, ist aber in RP1 bereits enthalten. Also doch ein „mündlicher“ Antrag („Initiativantrag 10“?), der dann verschriftlich, nummeriert, mit einem Votum der Antragskommission versehen und wider Erwarten abgestimmt wurde? Der ideale Cliffhanger, der sich vielleicht in den Kommentaren klärt …
P.S.: Im Organisationsstatut der SPD finden sich zwar keine hilfreichen Anmerkungen zur Lösung dieses Falls (relevant: §18 (2) bis (4), letztlich aber ein Verweis auf die Geschäftsordnung – die wohl nicht online ist), aber einige Dinge, die ich interessant finde. So wird nach §16 (2) ein Wortprotokoll des Parteitags angefertigt und Beschlüsse werden beurkundet.)
Warum blogge ich das? Weil mich die Verfahrenskultur unseres Koalitionspartners interessiert.
Nachtrag, oder: des Rätsels Lösung
In ihrem Blog erläutert Fabienne Vesper nicht nur die inhaltlichen Hintergründe für den Antrag, die Rechte trans- und intergeschlechtlicher Menschen ins Programm der SPD aufzunehmen, sondern auch das Verfahren:
- Auf der Kreiskonferenz Ortenau der SPD stellt sie den Antrag vor, er wird aber, wenn ich das richtig verstehe, nicht als Antrag des Kreisverbands übernommen (möglicherweise auch aufgrund der knappen Zeit).
- Sie reicht den
AntragÄnderungsantrag (*) zwei Wochen vor dem Parteitag (also nach der offiziellen Antragsfrist) ein. Erst am Vortag des Parteitags ist klar, dass der Antrag damit nicht als fristgerecht eingereichter Antrag, sondern als Initiativantrag behandelt wird – d.h., er muss von 50 Delegierten aus 5 Landesverbänden unterstützt werden. - Diese Unterstützung ist relativ schnell erreicht, der Antrag wird (auf dem Parteitag) eingereicht und verteilt, aber die Antragskommission will ihn nicht ins Programm nehmen, sondern auf den nächsten ordentlichen Parteitag behandeln.
- Es scheint etwas Gezerre hinter den Kulissen zu geben, mit dem Ergebnis, dass Fabienne Vesper ihren Antrag in einem Redebeitrag vorstellen kann, dass es dann keine Gegenrede der Antragskommission gibt und eine große Mehrheit zustimmt.
Rätselhaft bleiben damit nur noch die „mündlichen Anträge“, die angeblich einzelne Delegierte stellen können. Die einen meinen, dass damit eigentlich schriftliche Initiativanträge auf dem Parteitag gemeint sind, andere, dass es nur um redaktionelle Änderungen geht, nicht um inhaltliche Anträge. So oder so: ich kenne Leute, die Spaß mit einer solchen Satzung und einer solchen Geschäftsordnung hätten.
Interessanter Blick auf innerparteiliche Demokratie in der SPD: Das Rätsel SPD – eine Verfahrensfrage – http://t.co/iwOvo2zUvt
Es ist ganz banal: Noch auf dem Parteitag können Änderungsanträge gestellt werden, die dann logischerweise nicht im Antragsbuch zu finden sind, sondern die dann von ehrenamtlichen HelferInnen in Papierform einzeln verteilt werden.
Solche Fragen kannst Du übrigens am besten und schnellsten klären, wenn Du einfach im Willy-Brandt-Haus anrufst: https://www.spd.de/webflow/aktuelles/Kontakt/2960/Kontaktformular.html?execution=e2s1 :-)
Naja, Sonntag nachts um 22 Uhr wollte ich das mit dem Willy-Brandt-Haus nicht mehr versuchen. (Und ich finde es ja auch ganz interessant, zu sehen, was im Netz alles an Infos zu finden ist – und was nicht …)
Aber ganz so banal finde ich es nicht: Es gibt einen Antragsschluss, der einen Monat vor dem Parteitag liegt. Das kenne ich auch aus anderen Parteien, und das ist gut so, weil damit klar ist, über welche Materie auf dem Parteitag beraten wird. Und dann gibt es bei euch die Möglichkeit, auf dem Parteitag Änderungsanträge zu stellen (sind das die oben erwähnten Typ-IV-Anträge einzelner Delegierter?)
Bei uns würde das dazu führen, dass zusätzlich zu den 2600 vorher eingereichten Anträgen nochmal mindestens 200 auf dem Parteitag gestellt werden, die dann das Verfahren vollkommen durcheinander bringen. Deswegen irritiert es mich, dass einerseits ein sehr formales Verfahren vorher gilt, und dass dann aber spontan noch Änderungsanträge gestellt werden können. Logisch?
[Bzw., Nachtrag: dahinter steht glaube ich ein unterschiedliches Verständnis davon, was Delegierte sind – die bei der SPD erinnern mich stark an Abgeordnete eines Parlaments; die bei uns sind dagegen eher VertreterInnen eines Kreisverbandes.]
Änderungsanträge auf dem Parteitag müssen von 50 Delegierten aus 5 Bezirken unterstützt werden.
Ok, das ist das, was ich oben als zweiten/dritten Typ(Initiativanträge) behandelt habe. Aber was ist dann mit
„Außerdem besteht auf Parteitagen/Parteikonventen die Möglichkeit, in der Debatte mündliche Änderungsanträge einzubringen.“ (Zitat aus dem Antragsinfoblatt)?
Ja, das geht auch. Ist aber logischerweise nur sinnvoll bei winzigen Änderungen wie „ersetze ‚vielleicht‘ durch ‚wahrscheinlich‘ “ etc.
„dahinter steht glaube ich ein unterschiedliches Verständnis davon, was Delegierte sind – die bei der SPD erinnern mich stark an Abgeordnete eines Parlaments; die bei uns sind dagegen eher VertreterInnen eines Kreisverbandes.“
Ziemlich treffend. Die Struktur eines SPD-Bundesparteitags ist auf ehrenamtliche Professionaliät angelegt. Umso größer ist die Leistung, wenn man einen Antrag gegen die Antragskommission durchbekommt.
Interessant – wie das Programm der SPD entsteht. “@KESS_: Rätsel SPD – eine Verfahrensfrage « till we *) http://t.co/PAVB5bBehf”
Hallo,
interessante Fragen und Recherche, hab schon ne Weile nach so nem Artikel gesucht, danke Till.
Ich hatte in einem anderen Blog (von einem Juso glaube ich) gelesen, dass das Wahlprogramm gleichzeitig mit Ende der Antragsfrist erst vorgestellt wurden.
1. Stimmt das wirklich? Hat mich nämlich schockiert.
2. Könnte das dannder Grund für die „Anträge ins blaue“ sein, wenn die Gliederungen den text ja gar nicht genau kennen konnten (da er nicht öffentlich war und es intern sicher unterschiedliche Versionen gab).
3. Ist das so ein großes Problem, oder doch keines da Einzele Mitglieder ja gar nicht beantragen können – andererseits wissen dadurch ja offensichtlich auch die Gliederungen nicht über das Programm Bescheid und müssen raten – das erklärt natürlich auch wieso die SPD ohne Zeilenangaben auskommt ;)
„Ich hatte in einem anderen Blog (von einem Juso glaube ich) gelesen, dass das Wahlprogramm gleichzeitig mit Ende der Antragsfrist erst vorgestellt wurden.
1. Stimmt das wirklich? Hat mich nämlich schockiert.“
Das stimmt, ist aber irreführend. Denn das Programm ist formal nur *ein* Antrag, jede Gliederung hat bis zu dieser Frist beliebig viele Anträge einreichen können. Und das ist auch erfolgt.
„Könnte das dannder Grund für die »Anträge ins blaue« sein, wenn die Gliederungen den text ja gar nicht genau kennen konnten (da er nicht öffentlich war und es intern sicher unterschiedliche Versionen gab).“
Der Parteivorstand hat, basierend auf den Beschlüssen vom 2011er Parteitag, dem Parteikonvent 2012, vielen Debatten und dem Bürgerkonvent, einen Regierungsprogrammentwurf erstellt. Dieser Entwurf wurde beraten und modifiziert beschlossen.
„Ist das so ein großes Problem, oder doch keines da Einzele Mitglieder ja gar nicht beantragen können“
In der SPD sind meistens nur Verbände antragsberechtigt, nicht Einzelpersonen. Eine Ausnahme sind bspw. Änderungsanträge.
„das erklärt natürlich auch wieso die SPD ohne Zeilenangaben auskommt“
Zeilenangaben existieren. Siehe: http://www.spd.de/linkableblob/94470/data/201300327_antragsbuch_aobpt_augsburg.pdf
Wo finde ich denn die genauen Fristen?
Hallo Till, nur so viel zur Klärung:
Es befanden sich auch reguläre Anträge im Buch, die sich nicht auf das Programm beziehen aber über Formulierungen im Programm als erledigt betrachtet werden konnten.
Unsere Antragskommission gibt zu einem Antrag oder zu einem Änderungsantrag ein Votum ab. Selbst wenn es Ablehnung ist, stimmen die Delegierten darüber ab und können dieses Votum ablehnen. Dann es ist der Antrag beschlossen. Sollte die Antragskommission eigenständig entscheiden können, dass Anträge nicht behandeln können, fände ich das ziemlich krass.
Offenbar wurden Änderungsanträge, die nicht im Antragsbuch standen, das etwa zwei Wochen vor dem Parteitag vorlag, als Initiativanträge behandelt. Mir hat sich noch nicht erschlossen auf welcher Grundlage dies geschehen ist. Vielleicht später.
Ich meinte: Sollte die Antragskommission *der Grünen* eigenständig entscheiden können, dass Anträge nicht behandeln können, fände ich das ziemlich krass. Unsere kann das nicht.
Unsere kann eigenständig gar nichts entscheiden. Sie macht einen gebündelten Verfahrensvorschlag für ein Themenfeld. In diesem Verfahrensvorschlag wird für jeden Änderungsantrag vorgeschlagen, was damit geschehen soll. Formal wird über den Verfahrensvorschlag jeweils vom Parteitag abgestimmt. Wer möchte, kann eine Gegenrede gegen das Verfahren halten – und erreicht im Extremfall, dass der Verfahrensvorschlag der Antragskommission keine Mehrheit findet. Dass gegen das Verfahren geredet wird, kommt ab und zu mal vor – dass eine Gegenrede eine Mehrheit findet, ist sehr, sehr selten.
(Im Verfahrensvorschlag kann auch vorgesehen werden, dass der Parteitag über einen/mehrere Änderungsantrag abstimmt.)
Das ist natürlich in gewisser Weise auch ein Problem, da die eigentliche Diskussion zum großen Teil vor dem Parteitag in/mit der Antragskommission passiert. Andererseits ist das wohl auch notwendig. Wollte man die Arbeit der Antragskomission nicht auslagern, landete man beim Piraten–Modell, wo vorher nicht klar ist, über welchen winzigen Bruchteil der Anträge überhaupt debattiert wird und was dafür hinten runter fällt.
Bei uns gibt’s sozusagen als Zwischenschritt noch AntragstellerInnen-Treffen, auf denen die AntragstellerInnen – in knapper Zeit – mit der Antragskommission den Verfahrensvorschlag diskutieren. Direkt dem Parteitag vorgelagert.
Neben dem vorgelagerten Antragsteller_innentreffen besteht die Zauberformel des grünen Verfahrens ja inzwischen in der „modifizierten Übernahme“, die in der Regel eine Art für alle Seiten akzeptablen Kompromiss in der Formulierung darstellt. Da das bei der Antragstellung bereits einkalkuliert wird, besteht inzwischen die Neigung, Änderungsanträge ausführlich und sehr dezidiert zu formulieren, um ein wenig Verhandlungsmasse zu haben.
Ob das ideal im Sinne der Transparenz ist, darf natürlich auch bezweifelt werden. Für den aktuellen Programmprozesse werden wir das auch erst hinterher beurteilen können.
Viel hängt davon ab, ob die Antragskommission und das Präsidium den Verfahrensvorschlag verständlich darstellen kann. Dass diesem Punkt Bedeutung zugemessen wird, kann man immerhin daran erkennen, dass kompetente grüne Präsidiumsmenschen dafür zwei Sitzungstage im Landtag sausen lassen.