Das Rätsel SPD – eine Verfahrensfrage

Concentric II

Wie bei uns eine Idee den Weg ins Wahl­pro­gramm fin­det, habe ich 2010 mal aus­führ­li­cher auf­ge­schrie­ben. Kurz gesagt: Es gibt den Wahl­pro­gramm­ent­wurf des Bun­des­vor­stands, es gibt Ände­rungs­an­trä­ge dazu (von Glie­de­run­gen, Bun­des­ar­beits­ge­mein­schaf­ten oder 20 ein­zel­nen Mit­glie­dern), und weil das sehr vie­le wer­den kön­nen – dies­mal 2600 – lau­fen die­se durch eine Antrags­kom­mis­si­on, die schaut, was (modi­fi­ziert) über­nom­men wer­den kann, was durch ande­re Anträ­ge erle­digt ist, und was kon­tro­vers abge­stimmt wer­den muss. 

Heu­te hat­te die SPD ihren Bun­des­par­tei­tag zum Wahl­pro­gramm. Irgend­wie lief der Stream nicht bei mir, und dann hat­te es auch noch schö­nes Wet­ter, das ich dann lie­ber drau­ßen genos­sen habe, statt den Genos­sen zuzu­schau­en. Über Twit­ter habe ich ein paar Schnipp­sel Par­tei­tag mit­ge­kriegt: Lan­ge Reden, Clau­dia war auch da, und Peer Stein­brück hat noch­mal betont, dass er Kanz­ler wer­den will – ist ja heut­zu­ta­ge kei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit. Ach so: Und diver­se Mel­dun­gen der Form „der Antrag XYZ aus BaWü wur­de gegen das anders­lau­ten­de Votum der Antrags­kom­mis­si­on doch ins Pro­gramm auf­ge­nom­men“. [Nach­trag: Inzwi­schen hat sich die­ses Rät­sel gelöst, sie­he ganz unten.]

Das hat mei­ne Neu­gier­de geweckt, wie die SPD denn mit Ände­rungs­an­trä­gen umgeht. Lei­der wur­de mei­ne dies­be­züg­li­che Fra­ge zwar mehr­fach ret­weetet, aber nicht beant­wor­tet. Also doch mal selbst recherchieren:

Bürgerbeteiligung light – und die Mitgliederbeteiligung

Ers­tens ist mir dabei auf­ge­fal­len, dass die pur­pur­rot ange­lau­fe­ne Par­tei stolz auf ihr Regie­rungs­pro­gramm neu­en Typs ist, und damit meint, dass Bür­ge­rIn­nen Post­kar­ten an die SPD mit The­men­vor­schlä­gen bei Dia­log­ver­an­stal­tun­gen abge­ben konn­ten. Aus den 40.000 Vor­schlä­gen wur­den die 300 „inter­es­san­tes­ten Anre­gun­gen“ aus­ge­wählt und deren Absen­de­rIn­nen zu einem „Par­tei­kon­vent“ ein­ge­la­den, wo sie mit dem SPD-Vor­stand reden durf­ten. Letzt­lich sind hier „elf Vor­schlä­ge“ erar­bei­tet wor­den, die „in den ein­zel­nen pas­sen­den The­men­be­rei­chen des Voll­pro­gramms her­aus­ge­ho­ben prä­sen­tiert“ werden.

Soweit also mal die Bür­ger­be­tei­li­gung. Klingt nicht so schlecht – aus 40.000 Vor­schlä­gen immer­hin elf Pro­jek­te im Regie­rungs­pro­gramm 2013 mit sei­nen 100 Sei­ten. Aber wie konn­ten die SPD-Mit­glie­der sich beteiligen?

(Zen­tra­le The­men des Pro­gramms laut Web­site sind übri­gens Arbeit, Bil­dung, Finanz­märk­te, Fami­lie, Gleich­stel­lung, Ren­te, Gesund­heit, Woh­nen. Mir fehlt da eini­ges, z.B. die­ses Wort mit U. Oder was zu E wie Ener­gie­po­li­tik. Oder das mit dem I. Aber das ist halt die SPD …)

Was ich auf der Web­site der SPD erst­mal nicht gefun­den habe, ist das kom­plet­te „Antrags­buch“ – nur den Ent­wurf für das Pro­gramm. Aber ich habe ja auf Twit­ter gele­sen, dass Ände­rungs­an­trä­ge dazu ange­nom­men wur­den. Also muss es die auch irgend­wo geben. Etwas mehr Suchen, auf der drit­ten oder vier­ten Sei­te unter Par­tei­tag, för­dert dann die offi­zi­el­le Ein­la­dung zu Tage. Der ist schon mal zu ent­neh­men, dass der Par­tei­tag ein­tä­gig von 11 bis 16 Uhr ange­setzt ist (zum Ver­gleich: unser Pro­gramm­par­tei­tag geht von Frei­tag abend bis Sonn­tag nach­mit­tag …) und dass nach fünf ande­ren TOPs (unter ande­rem der „Rede des Kanz­ler­kan­di­da­ten“) auch noch Zeit für TOP 6, „Bera­tung und Beschluss­fas­sung des Regie­rungs­pro­gramms“ vor­ge­se­hen ist. 

In der Ein­la­dung wer­den auch Anträ­ge erwähnt. Dazu gibt es ein vier­sei­ti­ges PDF mit Hin­wei­sen zur Antrags­ein­brin­gung. Dem ist zunächst ein­mal zu ent­neh­men, wer bei der SPD über­haupt Anträ­ge stel­len darf:

  • Par­tei­vor­stand
  • Landesverbände/Landesorganisationen/Bezirke
  • Unter­be­zir­ke
  • Glie­de­rungs­ebe­nen ober­halb der Orts­ver­eins­ebe­ne (z.B. Stadtverbände)
  • Orts­ver­ei­ne
  • Arbeits­ge­mein­schaf­ten auf Bundesebene
  • The­men­fo­ren und Arbeits­krei­se auf Bundesebene
  • Aus­lands­freun­des­krei­se
  • Kom­mu­nal­bei­rat
  • Inhalt­li­che Anträ­ge von nahe­ste­hen­den Orga­ni­sa­tio­nen nach Orga­ni­sa­ti­ons­sta­tut (das dürf­ten Jusos und ähn­li­ches sein)

Ein­zel­ne Mit­glie­der sind dage­gen expli­zit nicht antrags­be­rech­tigt, auch nicht im Plu­ral. (Wie gesagt: bei uns dür­fen auch 20 Ein­zel­mit­glie­der einen Antrag einreichen). 

Dann wird fest­ge­hal­ten, dass der Antrags­schluss einen Monat vor dem Par­tei­tag liegt (das ist rela­tiv nor­mal), und es wird zwi­schen ordent­li­chen Anträ­gen und Ände­rungs­an­trä­gen unter­schie­den (auch das kommt mir bekannt vor). Anträ­ge wer­den nicht mit Begrün­dun­gen, son­dern nur als Text ver­öf­fent­licht (anders als bei uns). Zudem gibt es eine Antrags­be­ra­tungs­soft­ware und die Erläu­te­rung, wer das „Antrags­buch“ erhält (näm­lich Lan­des­ver­bän­de und Par­tei­tags­de­le­gier­te), wie Anträ­ge for­mal aus­se­hen (Word-Doku­ment, 12 pt, kei­ne Fett­schrift ver­wen­den), und wer das Antrags­buch zusam­men­stellt (die Antragskommission).

(Lus­tig fin­de ich, dass Ände­run­gen sich auf Kapi­tel oder Sät­ze bezie­hen sol­len, aber nicht auf Sei­ten­zah­len, weil die sich ändern kön­nen. Wir haben jede ein­zel­ne Zei­le in unse­ren Anträ­gen durch­num­me­riert – das macht es dann ziem­lich ein­fach, Ände­rungs­an­trä­ge kon­kret zuzu­ord­nen, z.B. Z. 123 im Antrag BTW-B-01, gibt den Ände­rungs­an­trag BTW-B-123–1).

Soweit die eini­ger­ma­ßen kla­ren Din­ge. Jetzt aber wird es ver­wir­rend, denn laut die­sem Hin­weis­blatt gibt es dann noch vier For­men von „Anträ­gen nach Antrags­schluss“. Mich ver­wirrt das ers­tens, weil es bei uns unter­schied­li­che Antrags­schlüs­se für eigen­stän­di­ge Anträ­ge und für Ände­rungs­an­trä­ge gibt, und zwei­tens, das ist wich­ti­ger, weil mir nicht alle vier For­men der „Anträ­ge nach Antrags­schluss“ schlüs­sig erscheinen. 

Zum einen hat der Par­tei­vor­stand das Recht, auch nach Antrags­schluss noch eigen­stän­di­ge Anträ­ge ein­zu­brin­gen. Ok, hat eine gewis­se Logik. (Bei uns gibt es Dring­lich­keits­an­trä­ge, deren Dring­lich­keit von der Ver­samm­lung bestä­tigt wer­den muss). Zum zwei­ten und drit­ten wird gere­gelt, dass auf dem Par­tei­tag selbst unter bestimm­ten Vor­aus­set­zun­gen (fünz­ig Dele­gier­te aus fünf Bezir­ken) noch Initia­tiv­an­trä­ge ein­ge­bracht wer­den kön­nen. Das passt ganz gut zum gebo­re­nen Initia­tiv­an­trags­recht des SPD-Par­tei­vor­stands, qua­si als reprä­sen­ta­tiv­de­mo­kra­ti­sche Ergänzung.

Bis­her haben wir gelernt: Es gibt Antrags­fris­ten. Es gibt aus mei­ner grü­nen Sicht recht har­te Regeln dafür, wer Anträ­ge stel­len darf. Es gibt Aus­nah­men für Dring­lich­keits­an­trä­ge, wobei auch hier kla­re Ver­fah­ren vor­ge­se­hen sind.

Und dann gibt es den inter­es­san­ten Fall Nr. 4: „Außer­dem besteht auf Parteitagen/Parteikonventen die Mög­lich­keit, in der Debat­te münd­li­che Ände­rungs­an­trä­ge einzubringen.“ 

Bit­te was? Jeder und jede ein­zel­ne Dele­gier­te kann wäh­rend des Par­tei­tags noch münd­li­che Ände­rungs­an­trä­ge ein­brin­gen? Und das bei einer Bera­tungs­zeit von viel­leicht zwei Stun­den für 100 Sei­ten? Zusätz­lich zu den stark for­ma­li­sier­ten Anträ­gen der Glie­de­run­gen? Das kann doch nur im Cha­os enden!

Ein Blick in das Antragsbuch

Wie sieht’s wirk­lich aus? Jetzt bleibt nur noch der Blick in das Antrags­buch mit sei­nen 258 Sei­ten. Das ist zwar unter Par­tei­tag nicht ver­linkt, über die Suche auf der SPD-Sei­te dann aber doch zu finden. 

Das Antrags­buch lis­tet zuerst ein­mal die Mit­glie­der der Antrags­kom­mis­si­on auf (vom Par­tei­vor­stand und den Bezirken/Landesverbänden benannt). Dann folgt der Text des „Regie­rungs­pro­gramms“ in zwei Spal­ten. Links steht die Ori­gi­nal­fas­sung, rechts steht weit­ge­hend der glei­che Text – ab und zu sind Strei­chun­gen und Ein­fü­gun­gen mar­kiert, die die Antrags­kom­mis­si­on emp­fiehlt. In die­ser Syn­op­se ist aller­dings nicht zu klar, wel­che neu­en Text­tei­le von wem kom­men. Das sieht dann zum Bei­spiel so aus:

Die­sem syn­op­ti­schen Teil folgt eine Auf­lis­tung der ein­zel­nen Anträ­ge, zu denen jeweils die Emp­feh­lung der Antrags­kom­mis­si­on abge­druckt ist. Über­wie­gend steht da „erle­digt durch RP1 in der Fas­sung der AK [Antrags­kom­mis­si­on]“, durch anders­lau­ten­de Beschlüs­se der SPD, oder durch bereits umge­setz­te gesetz­li­che Rege­lun­gen. Dann gibt es noch das Votum „Über­wei­sung an SPD-Bun­des­tags­frak­ti­on“ oder die „Über­wei­sung an ordent­li­chen Bun­des­par­tei­tag 2013“. Und schließ­lich die Emp­feh­lun­gen „Ableh­nung“ und „Annah­me“, teil­wei­se mit wei­te­ren Erläu­te­run­gen. Für die obi­ge Ein­fü­gung sieht der dazu­ge­hö­ri­ge Antrag zum Bei­spiel so aus (links der Antrag, rechts das Votum der Antragskommission):

Was mich jetzt wie­der­um ver­wirrt, weil ich eigent­lich ver­mu­tet hät­te, dass „Erle­digt durch Antrag RP1 in der Fas­sung der AK“ genau das bedeu­tet – das Ansin­nen des Ände­rungs­an­trags wird durch eine modif­zier­te For­mu­lie­rung auf­ge­nom­men. Ist aber wohl nicht so. Schließ­lich gibt es auch „Annah­me in geän­der­ter Fas­sung“. Was aber ist „Erle­digt durch usw.“ dann?

Um das zu über­prü­fen, habe ich mir mal anders­her­um ange­schaut, wie ein Ände­rungs­an­trag mit dem Votum „Erle­digt durch Antrag RP1 in der Fas­sung der AK“ dort auf­taucht. Bei­spiels­wei­se Antrag IIIA.10, bei dem es um die Auf­nah­me der sexu­el­len Iden­ti­tät ins Grund­ge­setz geht. Das Bei­spiel hilft aller­dings nicht wei­ter, weil die­ses Ansin­nen sowohl im Antrag des Par­tei­vor­stands als auch in der Fas­sung der Antrags­kom­mis­si­on schon drin steht – und auch nicht wei­ter mar­kiert ist. Stel­len SPD-Glie­de­run­gen ihre Anträ­ge, ohne den Text zu ken­nen, auf den sie sich beziehen?

Noch eine zwei­te Stich­pro­be: Ein Antrag for­dert eine bes­se­re Kenn­zeich­nung von Lebens­mit­teln. Der Antrag 8ist als „Erle­digt durch usw.“ gekenn­zeich­net. Im Pro­gramm­ent­wurf sowohl in der Fas­sung des Vor­stands als auch in der Fas­sung der Antrags­kom­mis­si­on tau­chen die Kenn­zeich­nung von Lebens­mit­teln, mehr Markt­trans­pa­renz etc. an zwei Stel­len auf – wie­der­um in bei­den Fas­sun­gen iden­tisch. Hä? Auf wel­cher Grund­la­ge stel­len SPD-Orts­ver­ei­ne ihre Anträ­ge zum Pro­gramm? Ein­fach mal ins Blaue rein?

Zwi­schen­fa­zit: Es scheint, so mein Ein­druck, tat­säch­lich so zu sein, dass die Anträ­ge zum Pro­gramm bei der SPD nicht dem Sche­ma fol­gen, dass ein Leit­an­trag vor­ge­legt wird, zu dem Ände­rungs­an­trä­ge ein­ge­bracht wer­den, son­dern dass über­wie­gend ein­fach mal gesagt wird, was ein Orts­ver­ein oder ein Unter­be­zirk ger­ne mal sagen will. Ob und wo das text­lich ins Pro­gramm pas­sen wür­de, müs­sen Par­tei­vor­stand und Antrags­kom­mis­si­on ent­schei­den. Das erklärt dann auch, war­um die Bezü­ge zum Text in den Antrags­for­ma­li­en so vage sein dür­fen – Text­ar­beit ist schein­bar kei­ne SPD-Pra­xis. (Wie gesagt: bei uns gibt es einen lan­gen, zei­len­wei­se durch­num­me­rier­ten Ent­wurf, und alle Anträ­ge dazu sind Ände­rungs­an­trä­ge, die eine ganz kon­kre­te Stel­le im Pro­grammtext ver­än­dern wol­len. Theo­re­tisch wären wohl auch Glo­ba­l­al­ter­na­ti­ven als eigen­stän­di­ge Anträ­ge mög­lich, ist mir aber noch nicht untergekommen.)

Soweit zu den schrift­li­chen Anträ­gen. Die wer­den von Glie­de­run­gen beschlos­sen, an die Antrags­kom­mis­si­on als Word-Doku­men­te geschickt, von die­ser bear­bei­tet – ger­ne mit dem Stem­pel „Erle­dig“ – und es gibt am Schluss ein Doku­ment „RP1“, über das abge­stimmt wird (kein Wun­der, dass das dann 100% Zustim­mung ern­tet). Was ich von grü­nen Par­tei­ta­gen ken­ne, dass es eben doch immer wie­der auch kon­tro­ver­se Abstim­mun­gen zu ein­zel­nen Punk­ten gibt, scheint hier nicht vor­ge­se­hen zu sein. Die Emp­feh­lung „Abstim­mung“ habe ich nicht gefun­den im Antragsbuch.

Offen bleibt: Wie kommt’s zum Erfolg gegen die Empfehlung Antragskommission?

Wie aber kommt es zu einem Votum gegen die Antrags­kom­mis­si­on? Bei­spiels­wei­se twit­ter­te die SPD Baden-Würt­tem­berg, dass ein Antrag zu Trans­gen­der (der dann ja noch ein­mal ein ande­rer sein muss als der oben) „gegen das Votum der Antrags­kom­mis­si­on“ ange­nom­men wur­de. Was steckt dahinter?

Mir ist jetzt anhand des Tweets nicht klar, um wel­chen Antrag es geht, ob es sich hier um einen „münd­li­chen Antrag“ han­delt oder um einen im Antrags­buch mit einem anders­lau­ten­den Votum ver­se­he­nen Antrag. Es zeigt sich – hier hilft ein Blick auf die Netz­do­ku des Parteitags:

Dem­nach geht es also um den Antrag I10. Den gibt es im Antrags­buch nicht. III.A10 befasst sich mit der sexu­el­len Iden­ti­tät im Grund­ge­setz, ist aber in RP1 bereits ent­hal­ten. Also doch ein „münd­li­cher“ Antrag („Initia­tiv­an­trag 10“?), der dann ver­schrift­lich, num­me­riert, mit einem Votum der Antrags­kom­mis­si­on ver­se­hen und wider Erwar­ten abge­stimmt wur­de? Der idea­le Cliff­han­ger, der sich viel­leicht in den Kom­men­ta­ren klärt …

P.S.: Im Orga­ni­sa­ti­ons­sta­tut der SPD fin­den sich zwar kei­ne hilf­rei­chen Anmer­kun­gen zur Lösung die­ses Falls (rele­vant: §18 (2) bis (4), letzt­lich aber ein Ver­weis auf die Geschäfts­ord­nung – die wohl nicht online ist), aber eini­ge Din­ge, die ich inter­es­sant fin­de. So wird nach §16 (2) ein Wort­pro­to­koll des Par­tei­tags ange­fer­tigt und Beschlüs­se wer­den beurkundet.)

War­um blog­ge ich das? Weil mich die Ver­fah­rens­kul­tur unse­res Koali­ti­ons­part­ners interessiert.

Nachtrag, oder: des Rätsels Lösung

In ihrem Blog erläu­tert Fabi­en­ne Ves­per nicht nur die inhalt­li­chen Hin­ter­grün­de für den Antrag, die Rech­te trans- und inter­ge­schlecht­li­cher Men­schen ins Pro­gramm der SPD auf­zu­neh­men, son­dern auch das Verfahren: 

  • Auf der Kreis­kon­fe­renz Orten­au der SPD stellt sie den Antrag vor, er wird aber, wenn ich das rich­tig ver­ste­he, nicht als Antrag des Kreis­ver­bands über­nom­men (mög­li­cher­wei­se auch auf­grund der knap­pen Zeit).
  • Sie reicht den Antrag Ände­rungs­an­trag (*) zwei Wochen vor dem Par­tei­tag (also nach der offi­zi­el­len Antrags­frist) ein. Erst am Vor­tag des Par­tei­tags ist klar, dass der Antrag damit nicht als frist­ge­recht ein­ge­reich­ter Antrag, son­dern als Initia­tiv­an­trag behan­delt wird – d.h., er muss von 50 Dele­gier­ten aus 5 Lan­des­ver­bän­den unter­stützt werden.
  • Die­se Unter­stüt­zung ist rela­tiv schnell erreicht, der Antrag wird (auf dem Par­tei­tag) ein­ge­reicht und ver­teilt, aber die Antrags­kom­mis­si­on will ihn nicht ins Pro­gramm neh­men, son­dern auf den nächs­ten ordent­li­chen Par­tei­tag behandeln.
  • Es scheint etwas Gezer­re hin­ter den Kulis­sen zu geben, mit dem Ergeb­nis, dass Fabi­en­ne Ves­per ihren Antrag in einem Rede­bei­trag vor­stel­len kann, dass es dann kei­ne Gegen­re­de der Antrags­kom­mis­si­on gibt und eine gro­ße Mehr­heit zustimmt.

Rät­sel­haft blei­ben damit nur noch die „münd­li­chen Anträ­ge“, die angeb­lich ein­zel­ne Dele­gier­te stel­len kön­nen. Die einen mei­nen, dass damit eigent­lich schrift­li­che Initia­tiv­an­trä­ge auf dem Par­tei­tag gemeint sind, ande­re, dass es nur um redak­tio­nel­le Ände­run­gen geht, nicht um inhalt­li­che Anträ­ge. So oder so: ich ken­ne Leu­te, die Spaß mit einer sol­chen Sat­zung und einer sol­chen Geschäfts­ord­nung hätten.

19 Antworten auf „Das Rätsel SPD – eine Verfahrensfrage“

  1. Es ist ganz banal: Noch auf dem Par­tei­tag kön­nen Ände­rungs­an­trä­ge gestellt wer­den, die dann logi­scher­wei­se nicht im Antrags­buch zu fin­den sind, son­dern die dann von ehren­amt­li­chen Hel­fe­rIn­nen in Papier­form ein­zeln ver­teilt werden. 

    Sol­che Fra­gen kannst Du übri­gens am bes­ten und schnells­ten klä­ren, wenn Du ein­fach im Wil­ly-Brandt-Haus anrufst: https://www.spd.de/webflow/aktuelles/Kontakt/2960/Kontaktformular.html?execution=e2s1 :-)

    1. Naja, Sonn­tag nachts um 22 Uhr woll­te ich das mit dem Wil­ly-Brandt-Haus nicht mehr ver­su­chen. (Und ich fin­de es ja auch ganz inter­es­sant, zu sehen, was im Netz alles an Infos zu fin­den ist – und was nicht …)

      Aber ganz so banal fin­de ich es nicht: Es gibt einen Antrags­schluss, der einen Monat vor dem Par­tei­tag liegt. Das ken­ne ich auch aus ande­ren Par­tei­en, und das ist gut so, weil damit klar ist, über wel­che Mate­rie auf dem Par­tei­tag bera­ten wird. Und dann gibt es bei euch die Mög­lich­keit, auf dem Par­tei­tag Ände­rungs­an­trä­ge zu stel­len (sind das die oben erwähn­ten Typ-IV-Anträ­ge ein­zel­ner Delegierter?)

      Bei uns wür­de das dazu füh­ren, dass zusätz­lich zu den 2600 vor­her ein­ge­reich­ten Anträ­gen noch­mal min­des­tens 200 auf dem Par­tei­tag gestellt wer­den, die dann das Ver­fah­ren voll­kom­men durch­ein­an­der brin­gen. Des­we­gen irri­tiert es mich, dass einer­seits ein sehr for­ma­les Ver­fah­ren vor­her gilt, und dass dann aber spon­tan noch Ände­rungs­an­trä­ge gestellt wer­den kön­nen. Logisch?

      [Bzw., Nach­trag: dahin­ter steht glau­be ich ein unter­schied­li­ches Ver­ständ­nis davon, was Dele­gier­te sind – die bei der SPD erin­nern mich stark an Abge­ord­ne­te eines Par­la­ments; die bei uns sind dage­gen eher Ver­tre­te­rIn­nen eines Kreisverbandes.]

        1. Ok, das ist das, was ich oben als zweiten/dritten Typ(Initiativanträge) behan­delt habe. Aber was ist dann mit
          „Außer­dem besteht auf Parteitagen/Parteikonventen die Mög­lich­keit, in der Debat­te münd­li­che Ände­rungs­an­trä­ge ein­zu­brin­gen.“ (Zitat aus dem Antragsinfoblatt)?

          1. Ja, das geht auch. Ist aber logi­scher­wei­se nur sinn­voll bei win­zi­gen Ände­run­gen wie „erset­ze ‚viel­leicht‘ durch ‚wahr­schein­lich‘ “ etc.

      1. „dahin­ter steht glau­be ich ein unter­schied­li­ches Ver­ständ­nis davon, was Dele­gier­te sind – die bei der SPD erin­nern mich stark an Abge­ord­ne­te eines Par­la­ments; die bei uns sind dage­gen eher Ver­tre­te­rIn­nen eines Kreisverbandes.“

        Ziem­lich tref­fend. Die Struk­tur eines SPD-Bun­des­par­tei­tags ist auf ehren­amt­li­che Pro­fes­sio­na­li­ät ange­legt. Umso grö­ßer ist die Leis­tung, wenn man einen Antrag gegen die Antrags­kom­mis­si­on durchbekommt.

  2. Hal­lo,

    inter­es­san­te Fra­gen und Recher­che, hab schon ne Wei­le nach so nem Arti­kel gesucht, dan­ke Till.
    Ich hat­te in einem ande­ren Blog (von einem Juso glau­be ich) gele­sen, dass das Wahl­pro­gramm gleich­zei­tig mit Ende der Antrags­frist erst vor­ge­stellt wurden.

    1. Stimmt das wirk­lich? Hat mich näm­lich schockiert.
    2. Könn­te das dann­der Grund für die „Anträ­ge ins blaue“ sein, wenn die Glie­de­run­gen den text ja gar nicht genau ken­nen konn­ten (da er nicht öffent­lich war und es intern sicher unter­schied­li­che Ver­sio­nen gab).
    3. Ist das so ein gro­ßes Pro­blem, oder doch kei­nes da Ein­ze­le Mit­glie­der ja gar nicht bean­tra­gen kön­nen – ande­rer­seits wis­sen dadurch ja offen­sicht­lich auch die Glie­de­run­gen nicht über das Pro­gramm Bescheid und müs­sen raten – das erklärt natür­lich auch wie­so die SPD ohne Zei­len­an­ga­ben auskommt ;)

    1. „Ich hat­te in einem ande­ren Blog (von einem Juso glau­be ich) gele­sen, dass das Wahl­pro­gramm gleich­zei­tig mit Ende der Antrags­frist erst vor­ge­stellt wurden.

      1. Stimmt das wirk­lich? Hat mich näm­lich schockiert.“

      Das stimmt, ist aber irre­füh­rend. Denn das Pro­gramm ist for­mal nur *ein* Antrag, jede Glie­de­rung hat bis zu die­ser Frist belie­big vie­le Anträ­ge ein­rei­chen kön­nen. Und das ist auch erfolgt.

      „Könn­te das dann­der Grund für die »Anträ­ge ins blaue« sein, wenn die Glie­de­run­gen den text ja gar nicht genau ken­nen konn­ten (da er nicht öffent­lich war und es intern sicher unter­schied­li­che Ver­sio­nen gab).“

      Der Par­tei­vor­stand hat, basie­rend auf den Beschlüs­sen vom 2011er Par­tei­tag, dem Par­tei­kon­vent 2012, vie­len Debat­ten und dem Bür­ger­kon­vent, einen Regie­rungs­pro­gramm­ent­wurf erstellt. Die­ser Ent­wurf wur­de bera­ten und modi­fi­ziert beschlossen. 

      „Ist das so ein gro­ßes Pro­blem, oder doch kei­nes da Ein­ze­le Mit­glie­der ja gar nicht bean­tra­gen können“

      In der SPD sind meis­tens nur Ver­bän­de antrags­be­rech­tigt, nicht Ein­zel­per­so­nen. Eine Aus­nah­me sind bspw. Änderungsanträge. 

      „das erklärt natür­lich auch wie­so die SPD ohne Zei­len­an­ga­ben auskommt“

      Zei­len­an­ga­ben exis­tie­ren. Sie­he: http://www.spd.de/linkableblob/94470/data/201300327_antragsbuch_aobpt_augsburg.pdf

  3. Hal­lo Till, nur so viel zur Klärung: 

    Es befan­den sich auch regu­lä­re Anträ­ge im Buch, die sich nicht auf das Pro­gramm bezie­hen aber über For­mu­lie­run­gen im Pro­gramm als erle­digt betrach­tet wer­den konnten. 

    Unse­re Antrags­kom­mis­si­on gibt zu einem Antrag oder zu einem Ände­rungs­an­trag ein Votum ab. Selbst wenn es Ableh­nung ist, stim­men die Dele­gier­ten dar­über ab und kön­nen die­ses Votum ableh­nen. Dann es ist der Antrag beschlos­sen. Soll­te die Antrags­kom­mis­si­on eigen­stän­dig ent­schei­den kön­nen, dass Anträ­ge nicht behan­deln kön­nen, fän­de ich das ziem­lich krass. 

    Offen­bar wur­den Ände­rungs­an­trä­ge, die nicht im Antrags­buch stan­den, das etwa zwei Wochen vor dem Par­tei­tag vor­lag, als Initia­tiv­an­trä­ge behan­delt. Mir hat sich noch nicht erschlos­sen auf wel­cher Grund­la­ge dies gesche­hen ist. Viel­leicht später.

  4. Ich mein­te: Soll­te die Antrags­kom­mis­si­on *der Grü­nen* eigen­stän­dig ent­schei­den kön­nen, dass Anträ­ge nicht behan­deln kön­nen, fän­de ich das ziem­lich krass. Unse­re kann das nicht.

    1. Unse­re kann eigen­stän­dig gar nichts ent­schei­den. Sie macht einen gebün­del­ten Ver­fah­rens­vor­schlag für ein The­men­feld. In die­sem Ver­fah­rens­vor­schlag wird für jeden Ände­rungs­an­trag vor­ge­schla­gen, was damit gesche­hen soll. For­mal wird über den Ver­fah­rens­vor­schlag jeweils vom Par­tei­tag abge­stimmt. Wer möch­te, kann eine Gegen­re­de gegen das Ver­fah­ren hal­ten – und erreicht im Extrem­fall, dass der Ver­fah­rens­vor­schlag der Antrags­kom­mis­si­on kei­ne Mehr­heit fin­det. Dass gegen das Ver­fah­ren gere­det wird, kommt ab und zu mal vor – dass eine Gegen­re­de eine Mehr­heit fin­det, ist sehr, sehr selten.

      (Im Ver­fah­rens­vor­schlag kann auch vor­ge­se­hen wer­den, dass der Par­tei­tag über einen/mehrere Ände­rungs­an­trag abstimmt.)

      1. Das ist natür­lich in gewis­ser Wei­se auch ein Pro­blem, da die eigent­li­che Dis­kus­si­on zum gro­ßen Teil vor dem Par­tei­tag in/mit der Antrags­kom­mis­si­on pas­siert. Ande­rer­seits ist das wohl auch not­wen­dig. Woll­te man die Arbeit der Antrags­ko­mis­si­on nicht aus­la­gern, lan­de­te man beim Piraten–Modell, wo vor­her nicht klar ist, über wel­chen win­zi­gen Bruch­teil der Anträ­ge über­haupt debat­tiert wird und was dafür hin­ten run­ter fällt.

        1. Bei uns gibt’s sozu­sa­gen als Zwi­schen­schritt noch Antrag­stel­le­rIn­nen-Tref­fen, auf denen die Antrag­stel­le­rIn­nen – in knap­per Zeit – mit der Antrags­kom­mis­si­on den Ver­fah­rens­vor­schlag dis­ku­tie­ren. Direkt dem Par­tei­tag vorgelagert.

          1. Neben dem vor­ge­la­ger­ten Antragsteller_innentreffen besteht die Zau­ber­for­mel des grü­nen Ver­fah­rens ja inzwi­schen in der „modi­fi­zier­ten Über­nah­me“, die in der Regel eine Art für alle Sei­ten akzep­ta­blen Kom­pro­miss in der For­mu­lie­rung dar­stellt. Da das bei der Antrag­stel­lung bereits ein­kal­ku­liert wird, besteht inzwi­schen die Nei­gung, Ände­rungs­an­trä­ge aus­führ­lich und sehr dezi­diert zu for­mu­lie­ren, um ein wenig Ver­hand­lungs­mas­se zu haben.
            Ob das ide­al im Sin­ne der Trans­pa­renz ist, darf natür­lich auch bezwei­felt wer­den. Für den aktu­el­len Pro­gramm­pro­zes­se wer­den wir das auch erst hin­ter­her beur­tei­len können.
            Viel hängt davon ab, ob die Antrags­kom­mis­si­on und das Prä­si­di­um den Ver­fah­rens­vor­schlag ver­ständ­lich dar­stel­len kann. Dass die­sem Punkt Bedeu­tung zuge­mes­sen wird, kann man immer­hin dar­an erken­nen, dass kom­pe­ten­te grü­ne Prä­si­di­ums­men­schen dafür zwei Sit­zungs­ta­ge im Land­tag sau­sen lassen.

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