Dass es jetzt die Urwahl geben soll, finde ich mutig und richtig, und werde selbstverständlich auf dem Länderrat am 2.9. dafür stimmen soll. Inzwischen liegt auch der entsprechende Antrag des Bundesvorstands vor.
Meine erste Reaktion war, dass ich in plausibel finde. Der Antrag sagt:
Im Urwahlbrief soll folgende Frage beantwortet werden:
„Welche zwei Personen aus der folgenden Liste sollen SpitzenkandidatInnen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Bundestagswahl 2013 sein?
X (hier folgen nach Geschlecht und alphabetisch geordnet die bis zum Bewerbungsschluss eingegangenen BewerberInnen)
Jedes Mitglied kann bis zu zwei Stimmen vergeben, wobei nicht zwei Stimmen auf zwei männliche Bewerber entfallen dürfen und nicht beide Stimmen auf eine Person vereint werden dürfen. Alternativ kann insgesamt mit Nein oder Enthaltung gestimmt werden.*“
Auf Facebook bin ich jetzt zurecht darauf aufmerksam gemacht worden, dass das Verfahren so nicht ganz einfach ist. Erstens, weil damit gewählt ist, wer die relative Mehrheit hat (das kann dann im Zweifel eine Person sein, die 70% nicht gut finden), und zweitens, weil es Grenzfälle gibt, in denen die Einhaltung des grünen Frauenstatus (bei zwei gleichen Plätzen: mindestens eine Frau) nicht gesichert ist.
Deswegen hier der Aufruf: Wer einen Vorschlag dafür hat, wie das besser geht, darf den gerne hier posten. Wenn er mich überzeugt und folgenden Randbedingungen entspricht, bringe ich in auf den Länderrat als Änderungsantrag ein.
Randbedingungen:
- Ziel ist die Wahl von zwei SpitzenkandidatInnen aus einer beliebigen Zahl an Frauen und Männern
- Der Wahlvorschlag muss nachvollziehbar sein, der grünen Satzung entsprechen und im Text als Änderungsantrag verwendbar sein
- Er soll nur einen Wahlgang erfordern.
- Er soll es ermöglichen, dass als Wahlergebnis eine Frau und ein Mann oder zwei Frauen herauskommen, aber nicht zwei Männer (Mindestquotierung).
- Er muss den Willen der
WählerInnenParteibasis besser repräsentieren als der Vorschlag des Bundesvorstands (d.h. approval voting oder ähnliche demokratietheoretisch „bessere“ Verfahren umsetzen).
Ich bin gespannt.
Was ist an approval voting demokratietheoretisch „besser“?
Im Vergleich zur relativen Mehrheit? Dass eine Kandidatin, die von 70% abgelehnt wird, im.einen Fall gute Chancen hat, zu gewinnen, im anderen eher nicht.
Im anderen Fall kann aber jemand gewählt werden, den alle irgendwie noch für akzeptabel halten, obwohl alle anderen Kandidat_innen wesentlich stärkere Zustimmung erfahren. Das halte ich nicht für wünschenswert, wenn man sich überlegt, wie solches „für akzeptabel“-halten in der Regel zustande kommt: nämlich durch den Verzicht auf klare Postionierungen. Das ist das Wahlsystem des kleinsten gemeinsamen Nenners. Das mag zu anderen Parteien gut passen, aber nicht zu einer Partei, die auch innerparteilich in Debatten zuspitzen will und daher profilierte Personen benötigt.
Hallo Till,
das ist im eigentlichen Sinne kein Vorschlag des BuVos, sondern die Anwendung der gültigen Urwahlordnung!
Und im Vorfeld wurde die Frage des Wahlverfahrens natürlich diskutiert und geprüft. Juristisch argumentiert ist es so, dass die höheren Quoren auf Vertreterversammlungen eingeführt werden, weil eben die Vertreterversammlung eine geringere demokratische Legitimität hat, als wenn die gesamte Basis abstimmen darf. Deshalb darf es eigentlich bei einer Urwahl nicht gleiche Hürden geben. Denn es gibt nunmal grundsätzliche Unterschiede zwischen repräsentativer und direkter Demokratie. Und außerdem ist es ja so, dass es, da es in der Satzung eben keine Regelung gibt, man davon ausgehen muss, dass – argumentum e contrario – kein Quorum gewollt ist.
Oder um es einfacher zu machen: Jeder direktgewählte Abgeordnete in Wahlkreisen steht ja vor dem gleichen Problem… da sind 30% manchmal schon Traumergebnisse.
Ich glaube, wir haben da ein gutes und durchdachtes Verfahren… Mögen die besseren gewinnen! :-)
Wie bitte?
Natürlich findet das gleiche Verfahren auch bei Bundestags-Direktkandidaten Anwendung, aber dadurch bleibt es trotzdem Mist.
Simpelster Grund, warum es Mist ist: Zwei Kandidaten, die sich inhaltlich ähneln, nehmen sich gegenseitig Stimmen weg und erhöhen so die Chancen, das jemand mit ganz anderen Positionen gewählt wird. Real-Life-Beispiel: Die französische Präsidentschaftswahl 2002, als Chirac und Le Pen in die Stichwahl kamen, obwohl die Linke insgesamt mehr Stimmen bekam als beide zusammen – nur halt verteilt auf mehrere Kandidaten.
Wenn es einen zweiten Wahlgang gibt, ist die Mehrheitswahl gerade so akzeptabel. Mit nur einem Wahlgang ist es ab einer gewissen Zahl von Kandidaten fast schon Zufall, wer gewinnt.
Wenn es jetzt einer juristischen Voragbe entspringt, dann ist das halt so, und man muss erstmal damit leben. Aber auch noch von „gut“ oder gar „durchdacht“ zu sprechen, ist schon ziemlich daneben.
Hallo Lars, erstmal danke für die Information!
Trotzdem frage ich mich, ob ein Verfahren wie Single Transferable Vote oder Approval Voting grundsätzlich ausgeschlossen ist, oder ob es (das wäre meine Vermutung) nicht möglich ist, damit ein Ein-Wahlgang-Verfahren, dass dem Frauenstatut gerecht wird, zu konstruieren.
Wäre die Kombination aus Single Transferable Vote und der klaren Trennung in einen „Frauenplatz“ und einen „Offenen Platz“ nicht eine gute Möglichkeit? Die Kandidatinnen müssten sich dann eben im Vorfeld entscheiden, ob sie nur für einen (und dann: für welchen) oder für beide Plätze kandidieren.
Den „verfallenden“ Stimmen, wenn eine Frau bereits auf den Frauenplatz gewählt wird, aber auch für den offenen Platz kandidiert, wäre durch die transferable vote dann ja Rechnung getragen.
Ich habe mal kurz nachgesehen, ob der Länderrat die Urabstimmungsordnung überhaupt ändern könnte – das ist aber kein Problem: Er ist gemäß § 24 Abs. 3 der Satzung das Organ, das die „Ausführungsbestimmungen“ für Urabstimmungen und über § 24 Abs. 7 auch für die Urwahl von Spitzenkandidat_innen erlässt.
Insofern, Lars: Kann sein, dass das den momentan geltenden Regelungen entspricht – aber die sind nicht in Stein gemeißelt :)
In München haben wir bei der ähnlichen Frage nach dem/der OB-KandidatIn auf dem Wahlzettel gleich noch die Stichwahlfragen mit draufgepackt. Damit wären es zwar zwei Wahlgänge, aber das war mit nur einem Brief zu organisieren.
Vielleicht als Ergänzung noch die Satzungsgrundlagen, wie sie derzeit gültig sind. Die Urwahlordnung könnte nach §24 (3) theoretisch jederzeit vom Länderrat geändert werden, die Satzung nur von der BDK.
Im Antrag des Bundesvorstands wird auf § 24 (7) der Satzung und § 9 (4) der Urwahlordnung verwiesen. Die lauten wie folgt (§ 24 (7) wurde auf der BDK in Kiel im Herbst 2011 hinzugefügt, die Urwahlordnung Anfang 2012 vom Länderrat überarbeitet):
Das Wahlverfahren selbst ist in der Tat, wie es Lars oben schreibt, in §9 (4) und (5) der Urabstimmungsordnung festgelegt:
D.h., wer das Wahlverfahren ändern wollte, müsste in der Tat nicht erst beim Antrag eingreifen, sondern bereits bei der Urwahlordnung. Nach der Geschäftsordnung des Länderrats müssen Anträge zur Sache (also keine Änderungsanträge) mit einer Frist von zehn Tagen eingereicht werden. Da der Länderrat bereits am 2.9. tagt, ist diese Frist nicht mehr einzuhalten :-( … es sei denn, die Eilbedürftigkeit eines möglichen Antrags zur Änderung der Urwahlordnung würde (von fünf Länderrats-Delegierten) beantragt und mehrheitlich festgestellt.
Damit ist das Wahlverfahren wohl – leider? – das durch die Urwahlordnung vorgegebene.
(Und weil ich gerade noch gefragt wurde, warum mir das Wahlverfahren wichtig ist, eine Erläuterung:
Nehmen wir an, es kandidieren drei Frauen, C., R. und K.
Die Stimmen verteilen sich wie folgt:
C. – 36%
R. – 35%
K. – 29%
Nach dem Wahlverfahren oben ist C. klar gewählt. Bei sagen wir mal einer Vorstandswahl (§22 der Satzung) würde es hier einen zweiten Wahlgang geben, da keine Kandidatin eine Mehrheit der abgebenen Stimmen erreicht.
Wenn wir jetzt weiter annehmen, dass R. und K. ein ähnliches Klientel ansprechen, und K. im zweiten Wahlgang für R. zurückzieht, wäre es bei einer Vorstandswahl sehr wahrscheinlich, dass im zweiten Wahlgang R. gewählt würde und damit Vorsitzende wird.
Unser Spitzenkandidatinnen-Wahlverfahren erlaubt diesen zweiten Wahlgang nicht. Und genau deswegen habe ich ein klein wenig demokratietheoretisches Bauchweh – das ich allerdings eigentlich schon Anfang des Jahres in Lübeck bei der Verabschiedung der Urwahlordnung hätte haben sollen.)
It’s a fallacy to seek a „majority winner“.
http://www.electology.org/utilitarian-majoritarian
The rational thing that you want to maximize is your expected utility, which is equivalent to maximizing the net utility of the group (to the extent that you are „unsure of your identity“, i.e. you are „some random voter“). The measure of performance is thus Bayesian Regret.
ScoreVoting.net/BayRegsFig.html
Score Voting (aka Range Voting) and Approval Voting are the best commonly discussed alternative systems in that metric, and are both MUCH simpler than any ranked system.
Clay Shentrup
The Center for Election Science
Alle Verfahren, die allen von Dir aufgestellten Kriterien genügen, eint vermutlich der Nachteil, dass sie in Deutschland nicht als eingeführte Methoden zu gelten haben. Damit ist das wichtige weiche Kriterium nicht erfüllt, dass das Verfahren allen klar sein muss.
Zur Erfüllung der harten Kriterien hinreichend wäre zum Beispiel STV in einem Zweierwahlkreis mit der zusätzlichen Bedingung, dass, sobald ein Mann das Quorum erreicht hat, alle anderen Männer sofort ausscheiden (erreichen beide das Quorum in demselben Count, gewinnt der mit mehr Stimmen). Einwandfreie Methode, nur eben: Haben wir noch nie so gemacht.
Das ist sogar noch besser als die Trennung in einen Frauenwahlkreis und einen offenen Wahlkreis. Denn bei den Verfahren auf Versammlungen können Frauen ja auch noch im offenen Wahlgang antreten, wenn sie im Frauenwahlgang zuvor nicht gewählt wurden. Bei Einerwahlkreisen wäre das Verfahren außerdem auch IRV (was zugegebenermaßen ein Spezialfall von STV ist).
Mich ärgert das ja schon, dass es jetzt rein verfahrensmäßig nicht mehr möglich ist, so einen Vorschlag (STV im Zweierwahlkreis) in die Debatte einzubringen.
Hi Till,
hattest du die Urwahlordnung nicht beim letzten Mal mit abgestimmt?
Aber was anderes: es kandidieren doch 6 Leute – und zwar alle GEGENEINANDER.
Darum ist dein Beispiel nicht ganz richtig. Bei dem Verfahren, das wir haben, können doch am Ende auch zwei Frauen als Spitzen-Duo rauskommen!
Übrigens – ich hätte Bauchschmerzen damit, dass ich mich in einem zweiten Wahlgang am Ende für meine „zweite Wahl“ entscheiden muss. Will ich doch gar nicht, sondern ich will meine erste Wahl fürs Spitzenduo – und dann sehe ich, wo ich damit in der Partei stehe. Fühle mich damit wirklich sehr gut aufgehoben.
Habe ich – und ärgere mich deswegen umso mehr. Was nichts dran ändert, dass wir jetzt ein suboptimales Wahlverfahren haben. (Und weder das „es treten doch sechs Leute an“ noch das „aber ich will nur meine erste Wahl wählen“-Argument klingt für mich überzeugend. Ehrlich!)
nicht überzeugend… Da hätte ich schon gerne Argumente gehört. :-)
Eine Urabstimmung kann übrigens auch mit einfacher Mehrheit (Parteiengesetz!) die Satzung ändern. Das hat sie auch schonmal getan – und die Akzeptanz hat darunter wirklich nicht gelitten. Aber nun gut, da kommen wir wohl zu unterschiedlichen Einschätzungen. (Und man sollte auch nicht aus den Augen verlieren, dass wir ein Wahlverfahren brauchen, das einfach und nachvollziehbar ist…)
Fühle mich unverstanden. Dass eine Urabstimmung für eine Satzungsänderung eine absolute Mehrheit (50%+1) und keine Zweidrittelmehrheit braucht, hat – soziologisch gesprochen – was damit zu tun, dass im einen Fall die Grundgesamtheit befragt wird und im anderen eine mehr oder weniger repräsentative Stichprobe.
Mein Problem ist ein anderes: Nimm mal an, wir wollen über ein neues Parteilogo abstimmen: Es gibt – einigermaßen von allen akzeptiert – Igel, Sonnenblume, Blatt und ein großes B90G. Und dann gibt es noch, was sehr viele furchtbar und etwa 24% supertoll finden, die Banane. Auf die ersten vier Symbole verteilen sich die Stimmen etwa gleichmäßig: 76% / 4 = 19 +/- 2 %. In der Urabstimmung gewinnt (relative Mehrheit!) die gräßliche Banane – ob wohl 60–70% die auf keinen Fall wollen.
Auf einem Parteitag wäre das übliche Verfahren Meinungsbild (nach der Banane liegt das Blatt knapp vor den anderen Symbolen) und dann Stichwahl Blatt vs. Banane. Da für viele Banane die „dritte“ und das Blatt.zwar nicht „erste“, aber doch „zweite Wahl“ ist, gewinnt dieses.klar.
Um diesen zweiten Wahlgang bei nur relativer Mehrheit in ein.Briefwahlverfahren einzubauen, bräuchte es STV oder ein anderes Verfahren, das Zweitpräferenzen.berücksichtigt.
(Zum Glück leben wir nicht in einer Modellwelt, insofern werden wir grünen Mitglieder unsere Abstimmungsstrategie an.ein unperfektes Wahlverfahren anpassen – trotzdem besteht die Möglichkeit, dass wir am Ende mit einem/einer SpitzenkandidatIn dastehen, die/den viele explizit nicht wollten.)
Hallo Till, jetzt fühle ich mich unverstanden. Erstens braucht es eine einfache Mehrheit, keine absolute Mehrheit.
Und zweitens – es ist eben nicht EIN Logo, das gesucht wird, sondern zwei, aus dem Pool von (im Moment) sechs. Das macht deinen Bananenbeispiel nicht völlig konsistent, oder? Außerdem, wer ist jetzt gleich die grässliche Banane? :-)
Hallo Lars.
Das mit der absoluten Mehrheit bezog sich auf Satzungsänderungen per Urabstimmung. Oder reichen da wirklich 40% Ja-Stimmen, 11% Enthaltungen und 39% Nein-Stimmen für eine Änderung? (War mir bisher nicht bekannt, kann aber ja sein).
Zu den Logos: Es gibt einen Grund, warum ich ein abstraktes Beispiel genommen habe. Und dass dieses Problem zumindest theoretisch möglich ist, dem würdest du hoffentlich zustimmen?
Theoretisch schon. Aber es gibt ja einen Grund, warum bestimmte Gremien (Länderrat, BDK) eine Urwahl initiieren können, wenn sie selber eine Sachfrage (Banane vs. Igel) nicht befriedigend lösen können und warum manche nicht (BuVo z.B.) .
Es geht um die Legitimität bestimmter Entscheidungen. Und die höchste Legitimität gibt nunmal die Abstimmung ALLER Mitglieder. Und da gewinnt, wer mehr Stimmen als die anderen hat. Das mag dem ein oder anderen dann nicht als zufriedenstellende Lösung erscheinen – aber es ist demokratisch.
Um ehrlich zu sein ist doch streng genommen die Quotierung der größere Eingriff in die Souveränität der Basis… aber dieser Eingriff ist ebenso gewollt und legitimiert und vor allen Dingen richtig! Und sie wird auch nicht (mehr) hinterfragt. Zumindest bei uns Grünen.
Jetzt könnten wir noch ergebnisorientiert fragen: Wem von den Kandidat_innen wird das Verfahren nützen? Und daher ist es an sich ulkig, wenn sich eher linke Grüne für STV stark machen, das von allen Verfahren am ehesten auf die Gewährleistung eines Strömungsproporzes hinausläuft. Ein Interesse daran müsste aber an sich jene Strömung haben, die jetzt befürchten muss, gar nicht vorzukommen.
Ja. Allerdings fände und finde ich es unsinnig, Wahlverfahren anhand von situativ gewünschten Ergebnissen zu diskutieren.