Jetzt heißt es, für den Wahlerfolg in Baden-Württemberg sei es ganz wichtig gewesen, dass wir mit Winfried Kretschmann genau einen Spitzenkandidaten gehabt hatten (und ein Team aus drei weiteren Menschen, aber das ist schnell vergessen – der jetzigen Vorsitzenden des Sozialausschusses im Landtag, Bärbl Mielich, der Staatssekretärin im Verkehrsministerin, Gisela Splett, und dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, Andreas Schwarz). Vor der Wahl gab es in der Landespartei heftige Auseinandersetzungen darum, ob es nicht besser wäre, ein Zweierteam vorne hin zu stellen. Das hätte der heutige Ministerpräsident nicht mitgemacht. Und vielleicht war es ja wirklich seine Persönlichkeit, die das entscheidende Quäntchen für den Wahlerfolg ausgemacht hat. Wer weiß.
Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl diskutiert das in Berlin wohl schon wieder endende Sommerloch nun die K‑Frage. In der SPD geht es um Steinmeier, Steinbrück oder Sigmar „Rolling Stones“ Gabriel. Oder vielleicht doch um Hannelore Kraft. Am Schluss wird bei den Sozialdemokraten einer (oder ganz vielleicht eine) übrig bleiben, je nachdem als KanzlerkandidatIn oder als Vizekanzlerkandidat. So machen die das.
Bei uns werden es mindestens zwei werden. Da bin ich mir sicher. Nicht nur, weil die Bundespartei die Quote manchmal doch ein bisschen ernster. Sondern vor allem auch deshalb, weil mit derzeit 14 Prozent die Wahrscheinlichkeit, dass wir 2013 eine grüne Kandidatin oder einen Kandidaten für das Amt der Bundeskanzlerin haben werden, doch sehr gering ist.
Ok, nie nie sagen – vielleicht passiert irgendetwas. Vielleicht implodiert die CDU, wenn irgendwelche von Mappus hinterlassenen Zeitbomben explodieren. Vielleicht verschiebt sich bis zur Wahl die Parteienlandschaft. Vielleicht brauchen wir dann eine Person, die für das leider bis heute nicht als Doppelspitze ausgeformte Bundeschefamt zur Verfügung stehen muss. Dann können wir ja nochmal wählen.
Viel wahrscheinlicher ist, dass die zwei Personen, die als SpitzenkandidatInnen der Grünen in den Bundestagswahlkampf ziehen, nachher an exponierten Stellen landen werden. Vizekanzler und Außenminister. Fraktionsvorsitzende der Regierungsfraktion. Solche Dinge, wenn’s gut läuft. Und sonst eben Doppelspitze der Bundestagsfraktion in der Opposition. Also: eine angemessene Verwendung gibt es auf jeden Fall für ein Zweierteam – und bei mehreren hundert KandidatInnen bundesweit finde ich es auch nicht übertreiben, zwei ganz besonderes rauszustellen. Wenn’s denn sein muss.
Bleibt die Frage des Wer und des Wie. Über das Wie entscheidet am 2. September der Länderrat (also der kleine grüne Parteitag) – „TOP 5 Verfahren Findung Spitzenkandidaten“. Der dritte Länderrat dieses Jahr, der zweite reguläre – das in vergangenen Jahren manchmal doch eher staubige Amt des Länderratsdelegierten wird für mich 2012 deutlich spannender.
Angekündigt hat der Bundesvorstand, dass es zu einer Urwahl kommen soll, wenn es bis zum 2.9. mehr KandidatInnen als Plätze gibt.
Gemeldet haben sich bisher zwei. Die Bundesvorsitzende Claudia Roth, die ihren Anspruch im März angemeldet hat. Und der Fraktionsvorsitzende Jürgen Trittin, der vor einigen Tagen seine Bewerbung als Spitzenkandidat (pdf) an die Partei und die Medien gegeben hat.
Wenn es bei den beiden bleibt, wird der Länderrat die Urabstimmung vermutlich abblasen. (Es gibt da noch die Bewerbung von Werner Winkler aus Waiblingen – aber einige zehntausend Euro auszugeben, um letztlich doch keine echte Wahl zu haben, erscheint mir zumindest wenig sinnvoll).
Weitere Namen schwirren herum – vor allem zwei: die Fraktionsvorsitzende Renate Künast und Katrin Göring-Eckardt, Bundestagsvizepräsidentin. Beiden wird zugetraut, zum Teil auch lautstark zugerufen, doch gegen Claudia Roth anzutreten. Wegen Flügelproprorz, oder um mal was neues zu wagen, oder um eine bewährte Persönlichkeit aufs Schild heben zu können. Und weil wir keine Männerplätze haben, könnte es theoretisch sogar eine weibliche Doppelspitze geben. (Ein Trio halte ich hingegen für unwahrscheinlich. Allein schon, weil das dann doch sehr an die SPD erinnern würde. Siehe oben).
Wie eine Urwahl in der Partei zwischen Roth und Künast oder Roth und Göring-Eckardt ausgehen würde, ist schwer einzuschätzen. Es würde, wenn eine der beiden antritt, also wirklich spannend. Nicht nur wir als Länderratsdelegierte, sondern wir alle, als Mitglieder der Partei, hätten eine echte Wahl für diese zunächst einmal symbolische Position, zumindest beim Frauenplatz der Doppelspitze.
Das wäre dann nicht nur eine Wahl zwischen verschiedenen Personen, sondern auch eine zwischen verschiedenen Positionen. Jürgen Trittin steht für die staatsmännisch gewordene Linke in der Partei, seriös, ernsthaft und zuweilen doch wortgewaltig und notwendigerweise radikal. Der Blick aufs Ganze in den Grenzen des Machbaren.
Und Roth, Künast, Göring-Eckardt? Jede der drei würde ich mit spezifischen Themen und Haltungen assozieren. Claudia klar mit Menschenrechten, expressiv emotional. Renate hängt der Kuhstall nach – und eine gewisse Bissigkeit. Eine, die sich durchsetzt. Und Katrin wirkt auf mich ein bisschen wie eine ostdeutsche, evangelische Kretschmann-Variante. Wobei ich bei ihr am wenigsten eine Vorstellung habe, was sie eigentlich (außer Kirche und Kultur) vertritt.
Vier verschiedene Varianten Grün, denen ganz sicher ihre jeweilige politische Erfahrung, ihre jeweilige Authentizität gemeinsam ist. Eine ganze Reihe möglicher Doppelspitzen.
Hier als Parteibasis eine echte Wahl zu bekommen, steht uns gut an. Das würde spannend (ein Kriterium, das in einer medial durchstrukturierten Welt nicht ganz unwichtig ist). Und am Ende stände auf jeden Fall eine Spitze, die die Breite der Partei repräsentiert, die ein klares Angebot für unsere Wählerinnen und Wähler wäre. Und ich bin zuversichtlich, dass wir vermitteln können, dass eine solche Wahl nicht dazu da ist, die eine oder andere zu beschädigen. Sondern dass das Demokratie ist, Basisdemokratie, um genau zu sein.
Insofern hoffe ich, dass wir am 2.9. guten Gewissens eine echte Urwahl beschließen können. Um dann 2013 eine Programmdebatte führen zu können, die letztlich – so wie wir Grünen sind – in ihren Prioritätssetzungen mehr Gewicht bekommen könnte als die Frage, wer vorne steht.
Warum blogge ich das? Weil aus Binnensicht der mittleren Funktionärsebene die Bundestagswahl 2013 eigentlich schon fast vorbei ist, so präsent, wie sie sich derzeit zeigt. Und ganz vielleicht wird ja auch schon früher gewählt ;-)
Das Spitzenteam bei der Landtagswahl hätte man sich sparen können. Das hing aber auch mit der spezifischen Situation zusammen: Es war eine Richtungswahl, es gab eine klare Wechsel- und Machtperspektive und ‑alternative und es gab mit Stuttgart21 ein Thema, dass dafür stand, dass der Wechsel alleine mit den Grünen möglich ist. Bei der nächsten Bundestagswahl fehlen diese drei Elemente vollkommen. In der momentan zentralen Europapolitik gibt es einen großen, staatstragenden Konsens – kein Wunder, dass die Kanzlerin so beliebt ist. Es gibt keine Wechsel- und Machtperspektive, die glaubwürdig ist, für rot-grün reicht es nicht, rot-rot-grün und schwarz-grün wird mal wieder ohne Not von der einen oder anderen Seite ausgeschlossen. Und das große Thema, bei dem die Grüne gegen alle stünden, fehlt momentan auch.
insofern glaube ich, dass es ziemlich egal ist, mit welchem Spitzenteam (sowohl personell wie auch von der Anzahl her) wir antreten werden. Klar ist aber: Trittin, Künast, Roth stehen alle für die alte rot-grüne Zeit. Sie stehen damit auch für Hartz IV und Absenkung des Spitzensteuersatzes. Einen Wahlkampf, der die soziale Frage neu beantwortet und Fragen sozialer Gerechtigkeit in den Raum stellt, wird man mit diesem Personal nicht glaubwürdig führen können. Insofern würde ich mich freuen, wenn Du als baden-württembergischer Delegierter für ein möglichst großes Spitzenteam mit mindestens 4 Leuten stimmen würdest – damit Personen in den Hintergrund treten und Inhalte in den Vordergrund. Und damit die Roths, Trittins und Künasts merken, dass sie so wichtig dann doch nicht sind.
1. Ich würde die Bundestagswahl – noch sind es 13 Monate bis dahin – ungern jetzt schon verloren geben. Rot-grün ist möglich, rot-grün+x ist denkbar, und überhaupt kann sich doch noch was verändern bis dahin.
2. Ein Quartett würde nach meiner Einschätzung der Partei eine von zwei möglichen Zusammensetzungen haben:
_ Renate/Jürgen/Claudia/Cem
_ Renate/Jürgen/Katrin/Claudia
Da sehe ich jetzt noch nicht ganz den Vorteil, wenn ich deiner Argumentationslinie folge.
1. ich gebe die wahl auch noch nicht verloren (zumal eine stärkere grüne fraktion und die führungsrolle in der opposition auch besser ist als heute), klar kann sich noch viel ändern – insbesondere kann uns europa um die ohren fliegen – aber du schreibst ja selbst, dass man da dann halt drauf reagieren muss und eventuell doch eineN spitzenkandidate/in nachlegen muss. ansonsten ist das leider oft so, dass man sich entscheiden muss (für kandidat_innen, programme, werbelinien usw.) bevor man genau weiß, was auf einem zukommt, welche themen wichtig sind etc.
btw: ich halte die fixierung auf rotgrün+x für vollkommen falsch, die immer wieder durchklingt. auch schwarz-grün sollte möglich sein, nach dem die cdu den atomausstieg mitträgt und sich in den letzten jahren auch gesellschaftspolitisch weiterentwickelt hat – und auf der anderen seite die spd wieder zunehmend zur industriepolitischen betonpartei wird. dass es für rot-grün alleine reicht, das glaube ich in der tat nicht. das könnte vielleicht zufällig passieren, wenn zwei bis drei parteien an der fünf-prozent-hürde scheitern. das halte ich für extrem unwahrscheinlich. eine realistische machtperspektive ist daher entweder rot-grün+x oder schwarz-grün. beides ist nicht so toll und beides ist – vermutlich flügeltechnisch kaum zu machen in der partei. leider.
2. doch da sehe ich schon einen vorteil. mir wären aber kombinationen mit weniger renate/claudia/jürgen wesentlich lieber. – die partei braucht dringend neue köpfe.
Ich finde für eine Partei, die mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen darf, nach der Wahl nicht die/den Regierungschef_in zu stellen, das Konstrukt „Spitzenkandidatur“ generell fragwürdig. Es ist zu nicht unerheblichen Teilen eine in Medien, politischer Konkurrenz (und den an der Spitzenkandidatur selbst Interessierten) geforderte Reduktion personeller wie inhaltlicher Vielfalt auf einen oder zwei Menschen. Darüber übersehen dann alle, wie es denn um die „zweite Reihe“ der politischen Parteien bestellt ist, also um jene, die bekanntlich den Hauptteil der Arbeit machen. Als Grüne geben wir einen Vorteil aus der Hand, wenn wir bei dieser Form der Vereinfachung von Politik widerspruchslos mitspielen. Das hab ich (http://blog.gruene-greifswald.de/2012/07/17/welche-kandidatur-ist-spitze/) unlängst mal in ausführlicher Form beschrieben.
Dass im baden-württembergischen Landtagswahlkampf die alleinige Spitzenkandidatur sinnvoll war, lag wiederum in erster Linie daran, dass wir da einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten brauchten.
Stand heute kandidieren ja nicht nur Claudia und Jürgen, sondern auch Katrin und Renate. Ob das dabei bleibt?