Mein im November 2010 eingereichter Aufsatz „Technikfeindlichkeit. Ein Versuch über eine deutsche Debatte“* ist jetzt in der Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande** erschienen – in einer Ausgabe, die sich unter der Gastherausgeberschaft der Straßburger Professorin Florence Rudolf mit Umweltpolitik und Umweltsoziologie in Deutschland auseinandersetzt.
Ausgangspunkt meines Textes ist die Beobachtung, dass im Herbst 2010 mit der öffentlichen Thematisierung des „Ausstiegs aus dem Ausstieg“ (wir erinnern uns: vor Fukushima …) und der Debatte um Stuttgart 21 sowie den jeweils damit verbundenen Protesten und steigenden Wahlprognosen für Bündnis 90/Die Grünen auch der Topos der Technikfeindlichkeit (aka „Dagegen-Partei“) wieder auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Diese Beobachtung irritierte mich (und irritiert mich weiterhin), weil dieser Vorwurf zwar kampagnentauglich ist, aber nicht besonders gut zur heutigen Haltungen von Grünen, Umweltbewegung und Umweltbewegten zu Technik zu passen scheint. Entsprechend gehe ich in dem Text ein bisschen der Debatte um Technikfeindlichkeit seit den 1980er Jahren nach und schaue mir – in Auseinandersetzung mit Huber, Renn und Sieferle – die Polarisierung zwischen Fortschrittsgläubigkeit und Technikfeindlichkeit an. Wenn überhaupt, so ein Schluss aus diesen Überlegungen, dann gibt es in der Umweltbewegung und in grünen Milieus heute ein Haltung der Technikambivalenz, wie sie Renn (2005) beschreibt – Skepsis hinsichtlich der vermuteten sozial-ökologischen Auswirkungen von Technik verbunden mit der Erfahrung des Kontrollverlustes und der erlebten Komplexität – und gleichzeitig keine grundsätzliche Ablehnung.
Im zweiten Teil des Textes geht es mit anhand einiger Zahlen zu LOHAS aus der VerbraucherAnalyse dann darum, herauszufinden, ob eine solche kritische oder ambivalente Haltung zu Technik sich im Alltag ökologisch orientierter KonsumentInnen wiederfindet. Einmal generell (mit dem Ergebnis, dass LOHAS, altersabhängig, eher überdurchschnittlich stark an Technik interessiert sind), und einmal in Bezug auf das Mobiltelefon (dessen Verwendung oder Nichtverwendung eher von Alter und Geschlecht als von Lebenstilorientierungen abhängt).
Das aber würde heißen: Die Einstellung zu Technik insgesamt, aber auch zu bestimmten technischen Artefakten lässt sich – wie das bereits Sackmann & Weymann (1994) untersucht haben – eher als Generationeneffekt verstehen. Passig (2009) beschreibt dazu in ihrem Essay Standardsituationen der Technikkritik, wie stark Unmutsäußerungen über Technik vom Lebensalter abhängen, und wie wenig sie mit dem Artefakt selbst zu tun haben (Computer, Internet, Mobiltelefon sind da typische Beispiele).
Das heißt dann zunächst einmal – als erstes Fazit in meinem Aufsatz:
Die Polarisierung zwischen Fortschrittsglaube und Technikfeindlichkeit hat ihre Gültigkeit verloren. Die Einstellung zur Technik fällt pragmatisch-ambivalent aus. Sie scheint stärker vom Alter als vom Weltbild abzuhängen.
Damit stellt sich dann die Frage, die ich in diesem Aufsatz nicht beantworte: Kann es in einer technisierten Gesellschaft überhaupt so etwas wie einen technikkritischen Alltag geben, der einen Teil der Versprechungen der neuen sozialen Bewegungen einlöst? Und wenn ja – wie sehen die entsprechenden Handlungsspielräume angesichts großer technischer Systeme und Infrastrukturen aus, und welchen Praktiken und Kontexte könnten einen solchen Alltag stabilisieren?
Warum blogge ich das? Als kleinen Hinweis auf meinen Aufsatz in der Revue – und weil mich die am Schluss angesprochene Frage weiterhin bewegt.
* Westermayer, Till (2011): „Technikfeindlichkeit. Ein Versuch über eine deutsche Debatte“, in Revue d’Allemagne et des Pays de langue allemande, 43 (1): 39–54.
** Leider habe ich bisher keine eigenständige Website der Revue finden können. Auf der verlinkten H‑Soz-Kult-Seite ist die neuste Ausgabe noch nicht erfasst.
Zitierte Literatur
- Huber, Joseph (1989): Technikbilder. Weltanschauliche Weichenstellungen der Technologie- und Umweltpolitik. Opladen: Westdeutscher Verlag.
- Passig, Kathrin (2009): »Standardsituationen der Technologiekritik – Internetkolumne«, in Merkur, Nr. 727.
- Renn, Ortwin (2005): »Technikakzeptanz: Lehren und Rückschlüsse der Akzeptanzforschung für die Bewältigung des technischen Wandels«, in Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis, Jg. 14, H. 3, S. 29–38.
- Sackmann, Reinhold & Weymann, Ansgar (1994): Die Technisierung des Alltags. Generationen und technische Innovationen. Frankfurt am Main / New York: Campus.
- Sieferle, Rolf Peter (1984): Fortschrittsfeinde? Opposition gegen Technik und Industrie von der Romantik bis zur Gegenwart. München: C.H. Beck.
Nachtrag: Inzwischen ist bei H‑Soz-Kult das Inhaltsverzeichnis der Ausgabe online. Sieht auch als Gesamtwerk spannend aus.