Smarte Parteien? Um welches Problem geht es eigentlich?

Convention tools

In den Reve­la­ti­on-Space-Büchern des Sci­ence-Fic­tion-Autors Alas­ta­ir Rey­nolds tau­chen am Ran­de die „Demar­chists“ auf – eine Grup­pe von Men­schen, die das Ide­al direk­ter Demo­kra­tie ver­wirk­licht haben: Ein Implan­tat im Kopf legt jedem und jeder stän­dig Ent­schei­dun­gen zur Abstim­mung vor. Demo­gra­phie und Demo­kra­tie gehen inein­an­der über, der Wil­le des Vol­kes ist die stän­dig aktua­li­sier­te Sum­me des Wil­lens der Ein­zel­nen. Deli­be­ra­ti­on fin­det dage­gen, soweit das die­ser Fik­ti­on zu ent­neh­men ist, eher nicht statt. Aber, einem Sci­ence-Fic­tion-Buch ist das ange­mes­sen, eigent­lich erfah­ren wir auch nur etwas über das „Tool“ und wenig dar­über, wie die Prak­ti­ken, Pro­zes­se und Ver­fah­ren aus­se­hen, die die­se auf die Spit­ze getrie­be­ne Form direk­ter Demo­kra­tie so mit sich bringt.

Viel­leicht ist es die­ser Fokus auf die „Tools“, der mich bei eini­gen aktu­el­len Debat­ten an die­se Bücher den­ken ließ. Auch nach dem weit­ge­hen­den Schei­tern der – soweit das aus Außen­per­spek­ti­ve fest­zu­stel­len ist – sehr stark „tool“-zentrierten Liquid-Demo­cra­cy-Debat­ten der Pira­ten­par­tei bleibt der Ruf nach der „Smart Par­ty“ (Scho­ber et al. 2015) viru­lent. Fast drängt sich der Ein­druck auf, dass ver­zwei­felt am Glau­ben dar­an fest­ge­hal­ten wird, dass die­ser Netz­werk­tech­nik doch ein demo­kra­ti­sches Heils­ver­spre­chen zu ent­lo­cken sein muss. Jeden­falls wird nach wie vor dar­über gespro­chen, dass Par­tei­en bes­ser, schö­ner, effi­zi­en­ter und betei­li­gungs­ori­en­tier­ter wer­den könn­ten, wenn sie denn nur die rich­ti­ge Tech­nik ein­setz­ten. Bis­her haben die­se Ansät­ze den Rea­li­täts­test nicht bestan­den. Das liegt – behaup­te ich – nicht am feh­len­den Wil­len der Par­tei­en, son­dern schlicht dar­an, dass die glit­zern­den „Tools“ und die zu lösen­den Pro­ble­me nicht zuein­an­der passen.

Grüne Erfahrungen bei der Digitalisierung der Partei

Im Bar­camp-Teil des ges­tern zu Ende gegan­ge­nen grü­nen Digi­ta­li­sie­rungs­kon­gress „Wie pro­gram­mie­ren wir Zukunft?“ wur­den die­se Fra­gen unter der Über­schrift „Von den Pira­ten ler­nen? – Wie nut­zen wir Digi­ta­li­sie­rung für unse­re Par­tei?“ eben­falls dis­ku­tiert. Bun­des­ge­schäfts­füh­rer Micha­el Kell­ner sam­mel­te Erfah­rungs­be­rich­te und Wün­sche aus dem rege besuch­ten Work­shop und stell­te dann eine sehr prag­ma­ti­sche Road­map vor, um in den nächs­ten Jah­ren Digi­ta­li­sie­rung für die Par­tei Bünd­nis 90/Die Grü­nen zu nut­zen. Ein The­ma der Dis­kus­si­on war dabei immer wie­der das „Wur­zel­werk“ – die unge­lieb­te par­tei­in­ter­ne Platt­form, auf der Wis­sens­ma­nage­ment, Deli­be­ra­ti­on und auch die eine oder ande­re Ent­schei­dung statt­fin­den soll. Theo­re­tisch hat jedes Mit­glied der Par­tei Zugang zu die­sem abge­schlos­se­nen, mono­li­thi­schen Sys­tem. Tat­säch­lich wird es nur in sehr begrenz­tem Maße genutzt. Wich­ti­ge Debat­ten fin­den – mehr oder weni­ger struk­tu­riert – anders­wo statt: off­line auf Kreis­mit­glie­der­ver­samm­lung und Arbeits­zu­sam­men­hän­gen, media­ti­siert in Mai­ling­lis­ten ein­zel­ner Glie­de­run­gen und Arbeits­grup­pen, in Tele­fon­kon­fe­ren­zen, Han­gouts und Face­book-Grup­pen oder gleich im semi­öf­fent­li­chen Raum sozia­ler Netzwerke. 

Weit­aus mehr Anklang fin­den die Ange­bo­te der „Netzbegrünungs“-Gruppe, um kol­la­bo­ra­tiv an Tex­ten zu schrei­ben (Ether­pad, Chat­funk­ti­on), Anträ­ge und Ände­rungs­an­trä­ge in einem gere­gel­ten Ver­fah­ren ein­zu­rei­chen („Antrags­tool“) oder Ver­an­stal­tun­gen im Live­stream anzu­se­hen. Für Ter­min­ab­fra­gen wird Dood­le ein­ge­setzt, das eine oder ande­re Wiki (vgl. Wes­ter­may­er 2007), für Abstim­mun­gen diver­se Umfra­ge­tools, und Vide­os wer­den auf You­tube abge­legt. Und Web­sites, ger­ne auch auf Word­Press oder ande­re CMS auf­bau­end, Face­book­sei­ten und ab und zu Twit­ter-Accounts, um „Öffent­lich­keits­ar­beit“ zu betrei­ben, exis­tie­ren eben­falls in gro­ßer Zahl. Hier zeigt sich der Cha­rak­ter der grü­nen Par­tei als lose gekop­pel­ter Kon­fö­de­ra­ti­on von Kreis- und Lan­des­ver­bän­den mit wenig zen­tra­ler Steue­rung. Ande­re wür­den von einem gewis­sen Wild­wuchs sprechen.

Ange­sichts die­ser aktu­el­len Situa­ti­on erscheint es mir sehr plau­si­bel, in der künf­ti­gen digi­ta­len Ent­wick­lung der Par­tei weg von der im Kel­ler­zim­mer ein­ge­sperr­ten mono­li­thi­schen Woll­milch­sau zu gehen und statt­des­sen eher Tools anzu­bie­ten, die dazu bei­tra­gen kön­nen, bestimm­te Ver­fah­ren und Prak­ti­ken zu unter­stüt­zen. Ein zen­tra­les Ele­ment für ein sol­ches eher dezen­tra­les und modu­la­res Sys­tem, für einen sol­chen Werk­zeug­kas­ten, ist eine ein­heit­li­che Authen­ti­fi­zie­rung grü­ner Mit­glie­der über eine klar defi­nier­te Schnitt­stel­le. Die­se Schnitt­stel­le exis­tiert in rudi­men­tä­rer Form. Sie müss­te die Mög­lich­keit bie­ten, „Tools“ so zu kon­fi­gu­rie­ren, dass nur Mit­glie­der – oder nur bestimm­te Teil­men­gen davon – die­se nut­zen kön­nen. Abge­se­hen davon erscheint es mir vor allem wich­tig, her­aus­zu­fin­den, wel­che Ele­men­te der Par­tei­ar­beit tat­säch­lich nach digi­ta­ler Unter­stüt­zung rufen, und wo nie­mand neue „Tools“ ver­misst; ent­we­der, weil es bereits Werk­zeu­ge gibt, die ein­ge­setzt wer­den, oder weil ein­ge­spiel­te „ana­lo­ge“ Ver­fah­ren gut funktionieren. 

Es kann trotz­dem Grün­de geben, auch in den Berei­chen der Par­tei­ar­beit, in denen der Ruf nach digi­ta­ler Unter­stüt­zung nicht beson­ders laut ist, nach pas­sen­den Werk­zeu­gen zu suchen bzw. sol­che pro­gram­mie­ren oder anpas­sen zu las­sen. Dort, wo exis­tie­ren­de Sys­te­me ver­wen­det wer­den – Bei­spiel Dood­le für Ter­min­ab­fra­gen – mag es Grün­de geben, die mit dem Daten­schutz, mit der Kon­trol­le dar­über, wer sich betei­ligt, mit der Ver­mei­dung von Über­wa­chung oder mit einem ungu­ten Gefühl dabei, auf „frem­de“ Infra­struk­tu­ren zu ver­trau­en, zusam­men­hän­gen. In ande­ren Fäl­len, ins­be­son­de­re dann, wenn es um Öffent­lich­keits­ar­beit, Wer­bung und Moti­va­ti­on geht, bie­tet es sich an, trotz aller Bauch­schmer­zen dahin zu gehen, wo die Mit­glie­der, Wäh­le­rIn­nen und poten­zi­ell Inter­es­sier­te sind. Oder dahin, wo die Öffent­lich­keit dis­ku­tiert. Das ist dann mög­li­cher­wei­se Face­book – und eben kei­ne eige­ne grü­ne Diskussionsplattform. 

Gewich­ti­ger noch als die Fra­ge, ob ein­ge­setz­te Werk­zeu­ge die­je­ni­gen sind, die tat­säch­lich opti­mal (auch unter Berück­sich­ti­gung etwa der Daten­spar­sam­keit) geeig­net sind, ist das Argu­ment, dass es doch „so“ wun­der­bar funk­tio­niert. Denn „so“ funk­tio­niert es für die, für die es funk­tio­niert – wer damit aus­ge­schlos­sen wird, wer sich in Par­tei­ar­beit ein­brin­gen wür­de, wenn es anders funk­tio­nie­ren wür­de, ist offen. Gleich­zei­tig ist auch jedes neue Ver­fah­ren, ins­be­son­de­re wenn es weg von „ana­lo­gen“ hin zu „digi­ta­len“ Vor­ge­hens­wei­sen geht, immer noch mit dem Risi­ko von Aus­schlüs­sen ver­bun­den. Wie weit die­se in Kauf genom­men wer­den kön­nen, ist von Fall zu Fall abzuwägen.

Aus­ge­hend von der Dis­kus­si­on auf dem Digi­ta­li­sie­rungs­kon­gress wäre mei­ne Visi­on einer smar­ten grü­nen Par­tei eine, die das tut, was sie auch heu­te schon tut, näm­lich digi­ta­le Werk­zeu­ge da ein­zu­set­zen, wo die­se einen Mehr­wert haben, nur etwas sys­te­ma­ti­scher und stra­te­gi­scher – und viel­leicht an eini­gen Punk­ten ergänzt um Din­ge, die „ana­log“ nicht oder nur mit sehr gro­ßem Auf­wand mög­lich sind. Mit­glie­der­be­fra­gun­gen und struk­tu­rier­te Dis­kus­sio­nen, kol­la­bo­ra­ti­ve Text­ar­beit und ein leicht zugäng­li­ches Wis­sens­ma­nage­ment könn­ten sol­che Punk­te sein. Das heißt nicht, dass es die­se heu­te nicht gibt – nur fin­den sie nicht sys­te­ma­tisch statt. Teil­wei­se wer­den dafür Werk­zeu­ge ein­ge­setzt, die nicht dafür gedacht sind oder Nach­tei­le mit sich brin­gen. Und vie­len Par­tei­mit­glie­dern und Glie­de­run­gen sind die­se Werk­zeu­ge mög­li­cher­wei­se noch nicht bekannt. Hier gibt es also Arbeit für die Taskforce zur digi­ta­len Betei­li­gung, die Micha­el Kell­ner ein­ge­setzt hat.

Session 4 Drei Fragen/Drei Erkenntnisse

Verschlafen Parteien die digitale Revolution in ihrer eigenen Organisationsstruktur?

Damit bin ich bei mei­ner Ver­wun­de­rung über Scho­ber et al. (2015) ange­langt. Die nen­nen diver­se Bei­spie­le dafür, dass Digi­ta­li­sie­rung das Leben, die Wirt­schaft, die Ver­wal­tung ein­fa­cher macht und schrei­ben dann:

„Klug ein­ge­setzt, kön­nen digi­ta­le Instru­men­te die Arbeits- und Orga­ni­sa­ti­ons­rou­ti­nen in Par­tei­en um ein Viel­fa­ches ver­ein­fa­chen. So etwa in Belan­gen des Mit­glie­der­da­ten­ma­nage­ments, der inter­nen Debat­ten­or­ga­ni­sa­ti­on und der Koor­di­nie­rung von Frei­wil­li­gen-Enga­ge­ment.“ (Scho­ber et al. 2015: 2)

Inter­es­san­ter­wei­se sind Mit­glie­der­da­ten­ma­nage­ment (bei „Grüns“ heißt die ent­spre­chen­de Soft­ware Sher­pa) und die Koor­di­nie­rung des Enga­ge­ments von Frei­wil­li­gen („Mei­ne Kam­pa­gne“) gera­de Berei­che, in denen zumin­dest Bünd­nis 90/Die Grü­nen schon sehr smart sind. Es wür­de mich wun­dern, wenn ande­re Par­tei­en hier hin­ter­her­hin­ken. Und die „inter­ne Debat­ten­or­ga­ni­sa­ti­on“ – tja, was sind „inter­ne Debatten“? 

Das ist gar nicht so ein­fach zu beant­wor­ten, weil Par­tei­en viel­schich­ti­ge und mul­ti­po­la­re Orga­ni­sa­tio­nen sind. Es gibt Debat­ten inner­halb ein­zel­ner Ein­hei­ten (teil­wei­se orga­ni­siert, teil­wei­se unor­ga­ni­siert), es gibt gro­ße, die gan­ze Par­tei mit­neh­men­de Debat­ten – die dann mit Instru­men­ten wie Fach­kon­fe­ren­zen, Online-Text­ar­beit, Par­tei­tags­an­trä­gen, Par­tei­ta­gen – geführt wer­den, und es gibt nicht zuletzt die gro­ßen gesell­schaft­li­chen Debat­ten, die Par­tei­en natür­lich nicht kalt las­sen. Selbst­ver­ständ­lich tra­gen auch Mei­nungs­äu­ße­run­gen von Par­tei­ak­teu­ren in alten und neu­en (und ganz neu­en) Medi­en zum Dis­kurs und damit zur Debat­te bei. Das alles mit einem Tool „orga­ni­sie­ren“ zu wol­len, wäre aus mei­ner Sicht ein ver­mes­se­ner Anspruch – und ein Vor­ha­ben, das nur schei­tern kann.

Scho­ber et al. (2015) nen­nen nun eini­ge der Expe­ri­men­te, die Par­tei­en in den letz­ten 15 Jah­ren unter­nom­men haben. Sie stel­len – zu Recht – fest, dass Ernüch­te­rung ein­ge­tre­ten ist:

„Die Erfah­run­gen mit den ers­ten Geh­ver­su­chen sind also durch­aus gemischt, Eupho­rie hat sich nir­gends breit gemacht. Trotz guter ver­ein­zel­ter Ansät­ze herrscht Ernüch­te­rung mit Blick auf die über­grei­fen­de Inte­gra­ti­on des digi­ta­len Fort­schritts in das Par­tei­le­ben.“ (Scho­ber et al. 2015: 2)

Ers­te Geh­ver­su­che? Im Teen­ager­al­ter? Naja. Ansons­ten ja – es ist defi­ni­tiv Ernüch­te­rung ein­ge­tre­ten. Das hat auch eini­ges mit dem Schei­tern ent­spre­chen­der, sehr groß­mun­dig ver­mark­te­ter Vor­ha­ben der Pira­ten­par­tei zu tun. Aber wie dem auch sei – dass Ernüch­te­rung da ist, da ist Scho­ber et al. zuzu­stim­men. Haar­sträu­bend fin­de ich aller­dings deren Erklä­rung, war­um die gro­ßen Ver­spre­chun­gen nicht ein­ge­tre­ten sind: Stan­dards der Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und Inno­va­ti­ons­fä­hig­keit von Par­tei­en lägen weit unter den tech­no­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten, digi­ta­le Kanä­le wür­den fre­cher­wei­se nicht genutzt, und über­haupt, die heu­ti­gen tech­no­lo­gi­schen Ansät­zen sei­en ja so viel wei­ter, die müss­ten erst ein­mal „neu gedach­te und aus­pro­biert“ wer­den. Das gip­felt dann in der Zuspit­zung: „Kön­nen Par­tei­en mit den Digi­ta­li­sie­rungs­trends nicht mit­hal­ten? Oder wol­len sie es even­tu­ell gar nicht? Für uns ist klar: Sie müs­sen es, und zwar eher heu­te als mor­gen.“ (Scho­ber et al. 2015: 3).

Par­tei­en kon­kur­rie­ren im Feld der Poli­tik zunächst ein­mal mit ande­ren Par­tei­en, viel­leicht auch mit ande­ren poli­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen und Bewe­gun­gen, ganz viel­leicht auch mit Mas­sen­me­di­en und Jour­na­lis­tIn­nen. Wer behaup­tet, Par­tei­en „müs­sen es“, müss­te in die­sem Feld zei­gen, wer vor­an­geht, und wer sei­ne poli­ti­sche Arbeit der­ar­tig effek­ti­ver und effi­zi­en­ter gestal­tet hat, dass damit die poli­ti­sche Agen­da domi­niert und Betei­li­gung mono­po­li­siert wird. Einen der­ar­ti­gen Play­er sehe ich nicht, auch „change.org“ ist es nicht.
Scho­ber et al. (2015) gehen dar­auf nicht ein. Viel­mehr dis­ku­tie­ren sie die bei­den schon ange­ris­se­nen Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en: „Par­tei­en kön­nen nicht“ und „Par­tei­en wol­len nicht“.

Beim The­ma „Par­tei­en kön­nen nicht“ iden­ti­fi­zie­ren Scho­ber et al. (2015: 3) eine Rei­he von Hemm­nis­sen: Par­tei­en sind gro­ße und schwer­fäl­ti­ge Orga­ni­sa­tio­nen mit lang­sa­men Ent­schei­dungs­pro­zes­sen über meh­re­re Ebe­nen hin­weg. Neue „Tools“ brau­chen bei ihrer Ein­füh­rung Kom­mu­ni­ka­ti­ons­stra­te­gien, gege­ben­falls finan­zi­el­le Res­sour­cen, Wis­sen, um die Glie­de­run­gen und Par­tei­mit­glie­der für eine Nut­zung zu gewin­nen. (Ich wür­de ergän­zen, dass ein spür­ba­rer Mehr­wert auch nicht ganz unwich­tig ist …). Das Par­tei­en­gesetz, das zumin­dest für bin­den­de Ent­schei­dun­gen Vor­ga­ben macht, wird erwähnt. Und natür­lich: „Eben­so dann, wenn von Anfang nicht klar ist, wozu genau das Tool ein­ge­setzt wer­den soll und wozu eben auch nicht.“ (Scho­ber et al. 2015: 3). 

Anders gesagt, auch wenn Scho­ber et al. das hier noch nicht so expli­zit machen: es geht bei der Ein­füh­rung von „Tools“ eigent­lich um orga­ni­sa­tio­na­len Wan­del, um „chan­ge manage­ment“. Und der muss gewollt und orga­ni­siert wer­den. Ergän­zen wür­de ich auch: Da, wo es einen spür­ba­ren Mehr­wert gibt, und wo sich digi­ta­le Werk­zeu­ge in vor­han­de­ne Pro­zes­se ein­pas­sen, wer­den sie in Par­tei­en längst genutzt. Egal, ob mit oder ohne Rücken­de­ckung durch die Par­tei­zen­tra­le. Mai­ling­lis­ten, Dood­les, Wikis – die gibt es. Und sie tra­gen auch heu­te schon zur inner­par­tei­li­chen Orga­ni­sa­ti­on und Mei­nungs­bil­dung bei.

Was es bis heu­te nicht gibt, sind vir­tua­li­sier­te Spie­ge­lun­gen von Mit­glie­der­ver­samm­lun­gen und Par­tei­ta­gen. Auch mit Wes­ter­may­er (2001) im Rücken fin­de ich das nicht sehr ver­wun­der­lich: der orga­ni­sa­to­ri­sche Mehr­wert der­ar­ti­ger Spie­ge­lun­gen ist gering, der zusätz­li­che Auf­wand für die Par­tei wie für die ein­zel­nen Mit­glie­der ist groß, die erhöh­te raum-zeit­li­che Fle­xi­bi­li­tät ist im Ver­gleich dazu wenig attrak­tiv. Wer nicht am Par­tei­tag teil­neh­men kann, erfährt über Live­streams und Web­site-Berich­te, was pas­siert, und kann über Medi­en wie Face­book und Twit­ter mit­er­le­bend und kom­men­tie­rend dabei sein, wenn das gewünscht ist. Die „Tools“ sind da, und die Par­tei fin­det einen Nut­zen dafür. Ganz orga­nisch ent­steht so ein „blen­ded Parteitag“.

Was Par­tei­en tat­säch­lich nicht kön­nen: ihre ja durch­aus im poli­ti­schen Sys­tem begrün­de­te Orga­ni­sa­ti­ons­struk­tur auf den Kopf stel­len. Es gibt Orts- und Kreis­ver­bän­de, Lan­des­ver­bän­de und einen Bun­des­ver­band, Frak­tio­nen auf die­sen Ebe­nen und quer dazu inhalt­li­che Arbeits­grup­pen, weil das die Ebe­nen sind, auf denen Poli­tik statt­fin­det. Vir­tu­el­le Kreis- und Lan­des­ver­bän­de hän­gen, so attrak­tiv sie zunächst erschei­nen mögen, immer jen­seits die­ser Ebe­nen – und kön­nen daher nur begrenzt im poli­ti­schen Spiel mit­wir­ken. Solan­ge es Staa­ten und deren Glie­de­rung gibt, bleibt das eine Rah­men­be­din­gung, die auch durch noch so schö­ne „Tools“ nicht weg­zu­zau­bern ist. (Und auch die Mit­glie­der­struk­tur einer Par­tei gehört zu die­sen Randbedingungen.)

Scho­ber et al. (2015) igno­rie­ren nun sowohl die Wirk­lich­keit inner­halb der Par­tei­en als auch die­se Rah­men­be­din­gun­gen. Statt­des­sen unter­stel­len sie Par­tei­en, dass sie nicht zu smar­ten, digi­ta­li­sier­ten Par­tei­en wer­den wol­len (Scho­ber et al. 2015: 4). Auch hier nen­nen sie eine Rei­he von Hemm­nis­sen: Befürch­tun­gen, dass mit neu­en Ver­fah­ren Kon­trol­le und Zustän­dig­kei­ten ver­scho­ben wer­den. Kon­troll­ver­lust und Unord­nung durch Öff­nung. Ein Ver­lust an Bedeu­tung für Par­tei­eli­ten und ein Bedeu­tungs­zu­ge­winn für Parteimitglieder. 

Auch das ist nicht völ­lig falsch (und viel­leicht ist die­ser Text auch nur ein Bei­trag aus der Funk­tio­närs­ebe­ne, der Argu­men­te sucht, den beque­men Sta­tus Quo zu erhal­ten). Aber ich wür­de die Argu­men­ta­ti­on vom Kopf auf die Füße stel­len. Vor der Fra­ge der tech­ni­schen Inno­va­ti­on zur Öff­nung und ver­bes­ser­ten Trans­pa­renz inner­par­tei­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on und Betei­li­gung – denn das ist das inhalt­li­che Ziel, das hier als selbst­ver­ständ­lich mit­schwingt – steht eben die sozia­le Inno­va­ti­on. Die Fra­ge danach, wie eine Par­tei in Zukunft aus­se­hen und arbei­ten soll, ist kei­ne der Werk­zeu­ge, son­dern eine der „visi­on and mis­si­on“. Ob digi­ta­le For­ma­te und „Tools“ das rich­ti­ge sind, um eine – wenn sie denn gewollt wird – Öff­nung der Par­tei zu errei­chen, oder ob Schnup­per­mit­glied­schaf­ten und ande­re Ver­an­stal­tungs­for­ma­te bes­ser dafür geeig­net sind – das ist die zwei­te Debat­te. Zunächst aber muss geklärt sein, in wel­che Rich­tung es inhalt­lich gehen soll. Und das kann nicht anhand der Werk­zeu­ge dis­ku­tiert werden.

Mein Zwi­schen­fa­zit: Da, wo es um die Erleich­te­rung von Ver­fah­ren geht, wo digi­ta­le Werk­zeu­ge in die eta­blier­te Par­tei­ar­beit ein­flie­ßen, ohne die zu revo­lu­tio­nie­ren, sind Par­tei­en heu­te schon auf einem guten Weg. Das ist aber zu tren­nen von einer Debat­te dar­über, was eine Par­tei in Zukunft sein soll, und wie die­ser zukünf­ti­ge Zustand am bes­ten erreicht wer­den kann. Hier muss die sozia­le Inno­va­ti­on dis­ku­tiert und bera­ten wer­den, nicht die bes­ten Werk­zeu­ge dafür!

Wer über Organisationswandel reden will, sollte über Organisationswandel reden – nicht über Werkzeuge

Scho­ber et al. (2015: 5ff) blei­ben nun nicht bei der Ana­ly­se, son­dern ertei­len auch Rat­schlä­ge. Dass es sinn­voll ist, auch sprach­lich nicht mehr „ana­log“ und „digi­tal“ zu tren­nen, ist sicher rich­tig – aber auch ein Bin­sen­weis­heit, wenn es in ihrem eige­nen Dis­kus­si­ons­pa­pier die gan­ze Zeit pas­siert. Und wenn Par­tei­en da längst wei­ter sind. Aber das nur am Ran­de. Die fünf Rat­schlä­ge sind:

  1. Der Auf­bau von digi­tal-ana­lo­gen Dop­pel­struk­tu­ren, um neue For­men der Teil­ha­be ein­zu­füh­ren, ohne die ver­trau­ten Pro­zes­se und Prak­ti­ken zu zerstören. 
  2. Geziel­tes und kon­stan­tes Feed­back bei der Ein­füh­rung neu­er Instru­men­te (gemeint ist damit eine künst­li­che Bele­bung digi­ta­ler Foren durch „inof­fi­zi­el­le Bot­schaf­te­rin­nen und Bot­schaf­ter“), weil „Die bes­te und nut­zer­freund­lichs­te Platt­form nützt nichts, wenn sie nicht mit Leben gefüllt wird.“ (Scho­ber et al. 2015: 6) – wohl wahr, aber ein Sur­ro­gat von Leben nützt halt auch nichts …
  3. Pro­jek­te im Klei­nen aus­pro­bie­ren und erfolg­rei­che For­ma­te ska­lie­ren. (Klingt gut, gemeint ist damit aller­dings letzt­lich doch wie­der der eine „vir­tu­el­le Orts­ver­ein“, der schon mal digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on aus­pro­biert, und dann müs­sen alle ande­ren nachziehen …)
  4. Nut­ze­rIn­nen von Anfang an mit­ein­be­zie­hen, auch im Sin­ne von Usa­bi­li­ty-Tests etc.
  5. Von Unter­neh­men und NGOS ler­nen – hier taucht plötz­lich auf, dass es doch um gro­ße orga­ni­sa­tio­na­le Ver­än­de­run­gen, Chan­ge Manage­ment und ent­spre­chen­de Bera­tungs­not­wen­dig­kei­ten geht. Oder gar um Gami­fi­ca­ti­on (dafür ist mir Poli­tik dann doch ein zu ernst­haf­tes Geschäft …).

Ist das in der Sum­me hilf­reich? Ich bin nicht über­zeugt. Digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons- und z.T. auch Bera­tungs- und Ent­schei­dungs­in­stru­men­te wer­den im Sin­ne der Dop­pel­struk­tu­ren­stra­te­gie bereits genutzt, wie ich ein­gangs dar­ge­stellt habe. Das kann ger­ne sys­te­ma­ti­scher und stra­te­gi­scher gesche­hen. Die digi­ta­len Pilot­glie­de­run­gen erin­nern mich zu sehr an die vir­tu­el­len Orts­ver­ei­ne und ent­spre­chen­de Par­al­lel­wel­ten. Nut­ze­rIn­nen ein­zu­be­zie­hen, soll­te selbst­ver­ständ­lich sein – aber bei was? Letzt­lich steht auch hier die „Platt­form“ im Raum – und die wür­de ich lie­bend ger­ne durch ver­teil­te Modu­le erset­zen. Die natür­lich eben­falls so gestal­tet sein soll­ten, dass sie gut nutz­bar sind. 

Und zum orga­ni­sa­tio­na­len Wan­del: Klar kann da von ande­ren Orga­ni­sa­tio­nen gelernt wer­den. Nur sind die alle­samt hier­ar­chi­scher als Par­tei­en. Die­se Beson­der­heit bleibt. Und es bleibt, aber das habe ich eben­falls bereits aus­ge­führt, auch die Not­wen­dig­keit, zunächst mal über Orga­ni­sa­ti­on und Struk­tur zu reden, und über deren Wei­ter­ent­wick­lung, bevor die Fra­ge der Werk­zeug- oder gar Platt­form­ent­wick­lung auf­taucht. Und da steht der eigent­li­che Elefant.

Literatur

Scho­ber, Hen­rik; Dedic, Jes­si­ca; Säl­hof, Phil­ipp (2015): Auf dem Weg zur Smart Par­ty – Digi­ta­le Ambi­tio­nen von Par­tei­en zwi­schen Anspruch und Wirk­lich­keit, PDF

Wes­ter­may­er, Till (2007): „Poli­ti­sche Wiki-Nut­zung zwi­schen Group­ware und Text-Event – dis­ku­tiert an Fall­bei­spie­len aus dem Umfeld von Bünd­nis 90/Die Grü­nen“, in Steg­bau­er, Chris­ti­an; Schmidt, Jan; Schön­ber­ger, Klaus (Hrsg.): Wikis: Dis­kur­se, Theo­rien und Anwen­dun­gen. Son­der­aus­ga­be von kommunikation@gesellschaft, Jg. 8, PDF.

Wes­ter­may­er, Till (2001): Was pas­siert, wenn eine Par­tei im Netz tagt? Der ‚Vir­tu­el­le Par­tei­tag‘ von Bünd­nis 90/Die Grü­nen aus sozio­lo­gi­scher Sicht. Uni­ver­si­tät Frei­burg, Magis­ter­ar­beit, PDF

War­um blog­ge ich das? Zum einen als Fort­set­zung der auf dem Digi­ta­li­sie­rungs­kon­gress geführ­ten Debat­te, zum ande­ren als Erwi­de­rung auf den Text aus dem parteireform.org-Projekt.

Eine Antwort auf „Smarte Parteien? Um welches Problem geht es eigentlich?“

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