Letzten Samstag fand die Jahrestagung der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg statt, die diese freundlicherweise dem Thema „Politik im Netz – Wie das Internet politische Kommunikation und Kultur verändert“ gewidmet hatte. Im Folgenden also ein paar Streiflichter aus der Konferenz. Das Publikum wirkte übrigens sehr viel weniger nerdig, als das Thema es hätte vermuten lassen.
Die Keynote hielt die Netzwissenschaftlerin Caja Thimm, die sich seit längerem mit politischer Kommunikation im Netz befasst. Mit der globalen Mediatisierung und der many-to-many-Variante der politischen Kommunikation taucht der „digitale Citoyen“ als neue Figur des bürgerlichen Selbstverständnisses auf. Dazu stellte Thimm fünf Thesen auf:
- Im Netz entstehen neue Formen politischer Beteiligung (von Twitter-Reportagen und Selbstinszenierungen von PolitikerInnen bis zum vielfach belächelten „Clicktivism“), die oft noch auf das Unverständnis traditioneller politischer Akteure stoßen.
- Wer hinsieht, findet vielfach auch lokales Engagement der digitalen Citoyens – je lokaler, desto konkreter. In diesem Kontext verwies Thimm auf die Bedeutung von Open Data als Grundlage kommunaler Online-Beteiligungsformate.
- Digitale Citoyens organisieren sich in „Mini-Publics“ – also in der berühmten „Filterblase“, in der die eigene Meinung bestätigt wird, es aber nicht zur Auseinandersetzung kommt. Zwischen diesen Blasen gibt es wenig Verbindungen.
- Es gibt keine „digital natives“ – Aufwachsen mit digitaler Technologie ist nicht mit einem kompetenten Umgang damit gleichzusetzen. Entsprechend hoch ist der Bedarf für Medienbildung in Lehrplänen und in der Lehrerbildung – und zwar nicht als Gerätebedienungsknowhow, sondern im Sinne verallgemeinerbarer Kompetenzen. (Auch die Präsentation des Projekts PoliQ.de der Uni Hohenheim später wies in eine ähnliche Richtung …)
- Das Netz ist kein herrschaftsfreier Raum – digitale Citoyens sind der fortwährenden Manipulation und Kontrolle durch Konzerne und deren filternde und sortierende Algorithmen ausgesetzt.
Ausgehend von diesen Thesen entwickelte sich eine rege Diskussion, bei der es unter anderem um die Frage der „digitalen Meinungsführerschaft“, um die Bedeutung von Hubs, aber auch um die Folgen für das Selbstverständnis von Politik ging. Insbesondere wurde betont, dass Politik Rahmenbedingungen für politische Beteiligung über das Netz schaffen muss – das betrifft Informationsfreiheit und die Frage von Verwaltungskulturen, das betrifft Medienbildung und „digital literacy“, aber es betrifft selbstverständlich auch die Frage des Umgangs mit Social-Media-Plattformen zwischen Nutzung und Regulierung.
Wie Politik im Netz konkret aussieht, dazu wurde Theresia Bauer befragt. Die Wissenschaftsministerin verriet nicht nur ein bisschen etwas zu ihrer persönlichen Social-Media-Nutzung (hier macht die Landesregierung keine Vorgaben), sondern zeichnete auch ein angenehm realistisches Bild der Beteiligungspotenziale durch die Begleitung von Gesetzgebungsverfahren auf der Beteiligungsplattform des Landes. Als wichtigsten Vorteil nannte sie, dass damit auch Personengruppen informiert und deliberativ beteiligt werden können, die weniger eng in den politischen Prozess eingebunden sind – mit den Hochschulleitungen findet naturgegeben eine sehr viel engere Kommunikation statt als mit einzelnen WissenschaftlerInnen oder Studierenden. Hier sieht Bauer Chancen für Online-Verfahren.
Allerdings sei – auf einer Skala von 0 bis 10 – auch Baden-Württemberg erst bei „2“, was Politik im Netz anbelange. Besser als andere Länder, aber noch ein „zartes Pflänzchen“ mit viel Luft, um weiter nach oben zu wachsen.
Gut gefallen hat mir, dass Bauer angesprochen hat, dass bei der Lehrerbildung (m.E. auch im Bildungsplan) noch einmal genau hingeschaut werden muss, wie weit Medienkompetenzen und deren Vermittlung fächerübergreifend angelegt sind. Ich bin gespannt, was hier noch kommt.
Der Nachmittag der Veranstaltung zerfaserte leider etwas. In verschiedenen parallelen Debattengruppen wurde über Herausforderungen, über Netzaktivismus und Shitstorms und über mediale Kampagnen gesprochen. Ich denke, dass auf der Website der Böllstiftung dazu noch Thesen eingestellt werden.
Die Netzaktivismus-Gruppe diskutierte mit Pia Schellhammer (MdL Rheinland-Pfalz, Enquete Beteiligung), Anne Wizorek (#aufschrei) und Benjamin Hechler (Pressesprecher Fraktion Grüne Baden-Württemberg) über die hellen und dunklen Seiten politischer Kommunikation im Netz. Ein Aspekt, den ich für mich aus diesem Gespräch mitnehme, ist die – eigentlich selbstverständliche – Feststellung, dass im Netz nicht alle gleich sind. Das betrifft unterschiedliche Kommunikationsformate für unterschiedliche Zwecke: die naive Hoffnung, dass Zeitungsartikel plus Webforum Diskurs ergibt, erfüllt sich nicht. Das Forum von Spiegel online ließe sich ohne Verlust abschalten. Anderswo können klar moderierte Diskussionsforen durchaus Sinn ergeben. Damit steigt aber auch die Verantwortung der Forenanbieter – bis hin zur Frage, wie rein kommunikativ ausgerichtete Plattformen wie Facebook und Twitter mit Beleidigungen und Gewaltandrohungen umgehen.
Dass nicht alle gleich sind, heißt auch: während für öffentliche RepräsentantInnen und staatliche Kommunikationsangebote eine höhere Notwendigkeit gegeben ist, auch mit „trolligen“ Zuschriften sinnvoll umzugehen, gibt es in Bezug auf Privatpersonen im Netz kein Recht auf Antwort. Es ist okay, Kommentare zu ignorieren und Kommunikationsangebote zurückzuweisen. Das ist keine Zensur, sondern kann – Stichwort Netzfeminismus – Selbstschutz sein.
Die Formate und Rollen klarer zu trennen, kann hilfreich sein. Auch als Reaktion auf das, was auf der Tagung als „Verrohung“ des kommunikativen Umgangs beschrieben wurde. Thimm sah hier einen noch laufenden Lernprozess, auch Hechler äußerte die Hoffnung, dass zunehmende Bildungsangebote zu einer besseren Kommunikationskultur im Netz führen könnten. Ich bin da skeptischer – „rohe“ und eskalierende Debatten können ein Nebeneffekt von scheinbarer Anonymität und Kontextlosigkeit sein, sie können etwas mit Dummheit und fehlendem Einfühlungsvermögen zu tun haben – aber bewusste sprachliche Gewaltanwendung kann auch schlicht ein Akt der Bosheit sein. Da hilft Moderation und Blocken, möglicherweise, wenn’s denn dort ernst genommen würde (Wizorek) auch der Gang zur Polizei, aber wohl nicht die Hoffnung auf Einsicht und Vernunft.
Allerdings, und da schließt sich der Bogen zu politischen Beteiligungsformaten, wie sie in der rheinland-pfälzischen Enquete diskutiert worden sind, besteht hier natürlich auch die Gefahr, Gruppen auszuklammern und zu isolieren. Im Sinne eines „digital divide“, aber auch im Sinne der isolierten „Mini-Publics“. Die Frage, wie sichergestellt werden kann, dass Online-Partizipation einer gewisser demokratischen Repräsentativität entspricht, scheint mir noch genauso unbeantwortet zu sein wie die Frage, wie eine Gesellschaft damit umgeht, dass z.B. RechtspopulistInnen oder MaskulistInnen sich in ihren isolierten Kommunikationsblasen radikalisieren und ihre Weltbilder schließen.
Als ich am Samstag nach Stuttgart gefahren bin, war ich mir nicht sicher, ob die Zuschneidung der Digitalisierungsdebatte (Konstantin von Notz weitete diesen Fokus in seinem Schlussbeitrag dann wieder auf) auf politische Kommunikation im Netz nicht zu eng geführt ist. Letztlich hat das Konzept, sich auf diesen einen Aspekt der Digitalisierung zu beschränken, aber gut funktioniert. Insgesamt war’s damit ein guter Jahresauftakt von Böll Baden-Württemberg.
Warum blogge ich das? Um einige der Thesen und Ideen festzuhalten und zur Debatte zu stellen.
Danke für die Zusammenfassung ein Einschätzung. Hatte überlegt, zu kommen, aber dann doch andere Prioritäten gesetzt.
Danke für den Bericht. Mir hat bei der Tagung leider ein bißchen der rote Faden gefehlt. Und der Raum (also die Örtlichkeit) war leider maximal ungeeignet für die Diskussion.
Ansonsten würde ich mir wünschen, dass die angestoßenen Debatten irgendwann mal weitergeführt würden…