Vielleicht ist es keine gute Idee, eher übermüdet noch etwas in mein Blog zu schreiben. Ich mache das jetzt aber trotzdem, weil mir das Thema schon seit letztem Wochenende durch den Kopf geistert. Da war der Kongress grün.links.denken, der mir sehr gut gefallen hat. Anderen nicht. Oder vielleicht noch eine Woche zuvor, da war dieser Bundesparteitag der Linkspartei.
Was mir zunehmend auffällt, da wie dort: Es gibt so einen typischen Habitus des oder der linken Linken. (Das ist jetzt vornehm ausgedrückt für: Es gibt Vorurteile, die sich gerne bestätigen). Ich zähle mich ja selbst dazu, also zum linken Flügel meiner Partei. Und bin froh darüber, dass, unter anderem mit diesem Kongress, versucht wird, sich als Linke in der grünen Partei, als Grüne Linke, selbstbewusster zu geben und – wie ich meine – zugleich offener aufzutreten. Sich neu zusammenzufinden. Ich bin überzeugt davon, dass das der Partei gut tut, dass ein klarer linker Flügel hilft, wieder verstärkt Debatten in der grünen Partei zu führen, und da, wo es notwendig ist, auch mal eine klarere Kante zu zeigen.
Aber zurück zu den vornehmen Vorurteilen. Was meine ich mit typisch linkem Habitus? Habitus, das sind ja bis ins Körperliche eingefahrene Gewohnheiten und Haltungen. Eine solche ist die, das kritische Hinterfragen sehr hoch zu hängen. Misstrauen ist besser als Vertrauen. Nicht einfach so, sondern mit ganz konkreten Erfahrungshintergründen in den eigenen Biographien. Wer sich politisch links engagiert, tut das (oder tat das) zumeist aus Kämpfen gegen scheinbar übermächtige Institutionen. Staat, Kirche, Kapital – lieber nicht vertrauen, lieber ganz genau hinschauen, lieber mit großem Misstrauen rangehen.
Dieses eingefleischte Misstrauen gegenüber „denen da oben“ – da ist ja was Wahres dran. Wer nicht kämpft, hat schon verloren, und wer alles glaubt, kommt gar nicht erst auf die Idee, zu kämpfen. Sondern sieht sich selbst, ganz individuell, als schuldig an. Insofern ist dieses typisch linke Misstrauen eine wichtige Kernkompetenz sozialer Bewegungen und linker Parteien.
Habitualisiert wird es aber zu einem Denk- und Handlungsmuster, das nicht mehr abgelegt werden kann. Fast schon automatisch tritt der oder die Linke in eine neue Situation und stellt erst einmal fest, wer denn hier die Alphatiere sind. Im losen Bündnis der glorreichen Einzelkämpfer gilt es dann, Stellung zu beziehen. Linke Helden kennen das ganze Instrumentarium der Aktionsformen. Subversiv sein! Freiräume für Unterdrücktes erkämpfen! Notfalls mit Geschäftsordnungstricks und bohrenden Nachfragen die Obrigkeit dazu bringen, zumindest – meist Scheibchen für Scheibchen – Farbe zu bekennen, und zuzugeben, dass das eigentliche, tieferliegende Ziel des Ganzen – egal, worum es eigentlich grade gehen sollte – mal wieder darin bestand, die Minderheit klein zu halten. Ertappt, erwischt, erledigt!
Das funktioniert übrigens wunderbar rekursiv: Der politische Gegner steht immer rechts oben, links unten sind „wir“. Aber auch im wir gibt es (rechts oben) wieder einen politischen Gegner, und ein neues „wir“ – solange, bis da nur noch einer (links unten) gegen alle (rechts oben) steht.
Dieses Automatismus wird dann schwierig, wenn die Situation, in die oder der Linke tritt, eine ist, die vor allem auf Vertrauen basiert. Zum Beispiel dann, wenn versucht wird, verschiedene linke Strömungen zu einem Bündnis zusammenzubringen. Da droht die Balance bei einigen ganz schnell zu kippen, und dann geht es nicht mehr um die Sache, nein, dann geht es zur Sache!
Was schade ist, weil genau dieser Mechanismus, glaube ich zumindest, viel damit zu tun hat, dass linke Bewegungen sich so schnell spalten und dazu neigen, Grüppchen und Sekten zu bilden. Wer eben noch brüderlich und schwesterlich an der Seite stand, kann ganz schnell zu denen da oben gehören, denen nun heldenhaft entgegengetreten werden muss, koste es, was es wolle. Denn nichts anderes als die eigenen Ideale sind es, die die da oben jetzt verraten könnten. Eine Sekunde Blinzeln – schon kann es zu spät sein.
Der schwierige Lernprozess besteht nun darin, meine ich jedenfalls, beides zugleich hinzukriegen. Vertrauen in andere Menschen zu haben, und die Fähigkeit zum kritischen Denken nicht zu verlieren. Dabei ist es hilfreich, zunächst einmal zu akzeptieren, dass die meisten Menschen Ideale haben, und dass die wenigsten Menschen ständig Intrigen spinnen. Erst aus so einer offenen Haltung gegenüber anderen heraus ist es möglich, die eigenen Ziele selbstbewusst zu vertreten. Denn dann ändert sich die Situationsbeschreibung: Der oder die Linke legt sich nicht von vorneherein auf die randständige Position im sozialen Feld fest, sondern tritt – in der eigenen Perspektive – als Gleiche/r unter Gleichen auf.
„Die da oben“ haben ihre Fehler und Sachzwänge, ihre Eitelkeiten und versteckten Agenden, ganz sicherlich. Aber die hat jede/r andere, der/die Politik macht, auch. So sehr unterscheiden wir uns gar nicht. Insofern bringt es nichts, politische Kämpfe auf das Aufdecken von Strategien zu reduzieren.
Die Strategien sind im Spiel, und wir können nur – methodisch – versuchen, ihnen gemeinsam so wenig Raum wie möglich zu geben. Aber nicht in Schwarz-Weiß-Malerei, sondern nur unter der Voraussetzung, zunächst einmal zu sehen, dass es so etwas wie eine gemeinsame Sache gibt. Die vielleicht unterschiedlich gesehen wird, an die mit unterschiedlichen Interessen herangegangen wird. Aber die sind letztlich – Macht hin oder her – verhandelbar. Möglichst offen, möglichst transparent – und wenn die andere Seite nicht mitspielen will, dann heißt das nicht, deren Taktiken zu übernehmen.
Für diese Art des Aushandelns eignet sich der rhetorische Guerrillakampf am allerwenigsten.
Oben hatte ich das habituelle Misstrauen mit einer ineinander geschachtelten Zuschreibungen von „wir“ und „der politische Gegner“ verglichen. Wäre es nicht ein sinnvolles Projekt, in der innersten dieser Schachteln anzufangen, zu einem „wir“ zu finden, und damit, wenn diese Schachtel sich aufgelöst hat, eine Ebene weiter oben weiterzumachen?
Ich meine das nicht naiv romantisch. Unterschiedliche Interessen und Lagen bleiben bestehen. Die einen haben Macht und Ressourcen, die anderen nicht. Aber eine große Ressource, die wir uns einfach nehmen können, besteht darin, dass wir uns mit entwaffnender Offenheit nicht auf das gewohnte Spiel aus „wir da unten“ – „ihr da oben“ einlassen. Überzeugender erscheint es mir, wenn wir ohne moralische Überlegenheit und ohne stilisierte revolutionäre Askese, die doch so oft nur Harm ist, selbstbewusst für das eintreten, was wir für richtig erachten, dafür argumentieren und streiten. Denn dann definieren wir die Situation, statt uns auf Kämpfe um Strukturen einzulassen, die in einer so wahrgenommenen Konstellation nur verloren gehen können.
Warum blogge ich das? Als Versuch, mal zu formulieren, wie mein Idealbild der einer selbstbewussten, kritischen Linken – das kann dann gerne im Verhältnis zur Gesellschaft insgesamt auch die gesamte Partei, eine ganze soziale Bewegung sein – unterliegenden grundlegenden Haltung ausschaut. So ganz widerspruchsfrei ist dieses Idealbild nicht. Braucht es aber meiner Meinung nach auch nicht zu sein.
Eine Antwort auf „Nachtgedanken gegen das habituelle Misstrauen der Linken“