Nachtgedanken gegen das habituelle Misstrauen der Linken

Journey of waiting XLVII: Single biker

Viel­leicht ist es kei­ne gute Idee, eher über­mü­det noch etwas in mein Blog zu schrei­ben. Ich mache das jetzt aber trotz­dem, weil mir das The­ma schon seit letz­tem Wochen­en­de durch den Kopf geis­tert. Da war der Kon­gress grün.links.denken, der mir sehr gut gefal­len hat. Ande­ren nicht. Oder viel­leicht noch eine Woche zuvor, da war die­ser Bun­des­par­tei­tag der Linkspartei.

Was mir zuneh­mend auf­fällt, da wie dort: Es gibt so einen typi­schen Habi­tus des oder der lin­ken Lin­ken. (Das ist jetzt vor­nehm aus­ge­drückt für: Es gibt Vor­ur­tei­le, die sich ger­ne bestä­ti­gen). Ich zäh­le mich ja selbst dazu, also zum lin­ken Flü­gel mei­ner Par­tei. Und bin froh dar­über, dass, unter ande­rem mit die­sem Kon­gress, ver­sucht wird, sich als Lin­ke in der grü­nen Par­tei, als Grü­ne Lin­ke, selbst­be­wuss­ter zu geben und – wie ich mei­ne – zugleich offe­ner auf­zu­tre­ten. Sich neu zusam­men­zu­fin­den. Ich bin über­zeugt davon, dass das der Par­tei gut tut, dass ein kla­rer lin­ker Flü­gel hilft, wie­der ver­stärkt Debat­ten in der grü­nen Par­tei zu füh­ren, und da, wo es not­wen­dig ist, auch mal eine kla­re­re Kan­te zu zeigen.

Aber zurück zu den vor­neh­men Vor­ur­tei­len. Was mei­ne ich mit typisch lin­kem Habi­tus? Habi­tus, das sind ja bis ins Kör­per­li­che ein­ge­fah­re­ne Gewohn­hei­ten und Hal­tun­gen. Eine sol­che ist die, das kri­ti­sche Hin­ter­fra­gen sehr hoch zu hän­gen. Miss­trau­en ist bes­ser als Ver­trau­en. Nicht ein­fach so, son­dern mit ganz kon­kre­ten Erfah­rungs­hin­ter­grün­den in den eige­nen Bio­gra­phien. Wer sich poli­tisch links enga­giert, tut das (oder tat das) zumeist aus Kämp­fen gegen schein­bar über­mäch­ti­ge Insti­tu­tio­nen. Staat, Kir­che, Kapi­tal – lie­ber nicht ver­trau­en, lie­ber ganz genau hin­schau­en, lie­ber mit gro­ßem Miss­trau­en rangehen.

Die­ses ein­ge­fleisch­te Miss­trau­en gegen­über „denen da oben“ – da ist ja was Wah­res dran. Wer nicht kämpft, hat schon ver­lo­ren, und wer alles glaubt, kommt gar nicht erst auf die Idee, zu kämp­fen. Son­dern sieht sich selbst, ganz indi­vi­du­ell, als schul­dig an. Inso­fern ist die­ses typisch lin­ke Miss­trau­en eine wich­ti­ge Kern­kom­pe­tenz sozia­ler Bewe­gun­gen und lin­ker Parteien.

Habi­tua­li­siert wird es aber zu einem Denk- und Hand­lungs­mus­ter, das nicht mehr abge­legt wer­den kann. Fast schon auto­ma­tisch tritt der oder die Lin­ke in eine neue Situa­ti­on und stellt erst ein­mal fest, wer denn hier die Alpha­tie­re sind. Im losen Bünd­nis der glor­rei­chen Ein­zel­kämp­fer gilt es dann, Stel­lung zu bezie­hen. Lin­ke Hel­den ken­nen das gan­ze Instru­men­ta­ri­um der Akti­ons­for­men. Sub­ver­siv sein! Frei­räu­me für Unter­drück­tes erkämp­fen! Not­falls mit Geschäfts­ord­nungs­tricks und boh­ren­den Nach­fra­gen die Obrig­keit dazu brin­gen, zumin­dest – meist Scheib­chen für Scheib­chen – Far­be zu beken­nen, und zuzu­ge­ben, dass das eigent­li­che, tie­fer­lie­gen­de Ziel des Gan­zen – egal, wor­um es eigent­lich gra­de gehen soll­te – mal wie­der dar­in bestand, die Min­der­heit klein zu hal­ten. Ertappt, erwischt, erledigt!

Das funk­tio­niert übri­gens wun­der­bar rekur­siv: Der poli­ti­sche Geg­ner steht immer rechts oben, links unten sind „wir“. Aber auch im wir gibt es (rechts oben) wie­der einen poli­ti­schen Geg­ner, und ein neu­es „wir“ – solan­ge, bis da nur noch einer (links unten) gegen alle (rechts oben) steht.

Die­ses Auto­ma­tis­mus wird dann schwie­rig, wenn die Situa­ti­on, in die oder der Lin­ke tritt, eine ist, die vor allem auf Ver­trau­en basiert. Zum Bei­spiel dann, wenn ver­sucht wird, ver­schie­de­ne lin­ke Strö­mun­gen zu einem Bünd­nis zusam­men­zu­brin­gen. Da droht die Balan­ce bei eini­gen ganz schnell zu kip­pen, und dann geht es nicht mehr um die Sache, nein, dann geht es zur Sache! 

Was scha­de ist, weil genau die­ser Mecha­nis­mus, glau­be ich zumin­dest, viel damit zu tun hat, dass lin­ke Bewe­gun­gen sich so schnell spal­ten und dazu nei­gen, Grüpp­chen und Sek­ten zu bil­den. Wer eben noch brü­der­lich und schwes­ter­lich an der Sei­te stand, kann ganz schnell zu denen da oben gehö­ren, denen nun hel­den­haft ent­ge­gen­ge­tre­ten wer­den muss, kos­te es, was es wol­le. Denn nichts ande­res als die eige­nen Idea­le sind es, die die da oben jetzt ver­ra­ten könn­ten. Eine Sekun­de Blin­zeln – schon kann es zu spät sein.

Der schwie­ri­ge Lern­pro­zess besteht nun dar­in, mei­ne ich jeden­falls, bei­des zugleich hin­zu­krie­gen. Ver­trau­en in ande­re Men­schen zu haben, und die Fähig­keit zum kri­ti­schen Den­ken nicht zu ver­lie­ren. Dabei ist es hilf­reich, zunächst ein­mal zu akzep­tie­ren, dass die meis­ten Men­schen Idea­le haben, und dass die wenigs­ten Men­schen stän­dig Intri­gen spin­nen. Erst aus so einer offe­nen Hal­tung gegen­über ande­ren her­aus ist es mög­lich, die eige­nen Zie­le selbst­be­wusst zu ver­tre­ten. Denn dann ändert sich die Situa­ti­ons­be­schrei­bung: Der oder die Lin­ke legt sich nicht von vor­ne­her­ein auf die rand­stän­di­ge Posi­ti­on im sozia­len Feld fest, son­dern tritt – in der eige­nen Per­spek­ti­ve – als Gleiche/r unter Glei­chen auf. 

„Die da oben“ haben ihre Feh­ler und Sach­zwän­ge, ihre Eitel­kei­ten und ver­steck­ten Agen­den, ganz sicher­lich. Aber die hat jede/r ande­re, der/die Poli­tik macht, auch. So sehr unter­schei­den wir uns gar nicht. Inso­fern bringt es nichts, poli­ti­sche Kämp­fe auf das Auf­de­cken von Stra­te­gien zu reduzieren. 

Die Stra­te­gien sind im Spiel, und wir kön­nen nur – metho­disch – ver­su­chen, ihnen gemein­sam so wenig Raum wie mög­lich zu geben. Aber nicht in Schwarz-Weiß-Male­rei, son­dern nur unter der Vor­aus­set­zung, zunächst ein­mal zu sehen, dass es so etwas wie eine gemein­sa­me Sache gibt. Die viel­leicht unter­schied­lich gese­hen wird, an die mit unter­schied­li­chen Inter­es­sen her­an­ge­gan­gen wird. Aber die sind letzt­lich – Macht hin oder her – ver­han­del­bar. Mög­lichst offen, mög­lichst trans­pa­rent – und wenn die ande­re Sei­te nicht mit­spie­len will, dann heißt das nicht, deren Tak­ti­ken zu übernehmen. 

Für die­se Art des Aus­han­delns eig­net sich der rhe­to­ri­sche Guer­ril­la­kampf am allerwenigsten. 

Oben hat­te ich das habi­tu­el­le Miss­trau­en mit einer inein­an­der geschach­tel­ten Zuschrei­bun­gen von „wir“ und „der poli­ti­sche Geg­ner“ ver­gli­chen. Wäre es nicht ein sinn­vol­les Pro­jekt, in der inners­ten die­ser Schach­teln anzu­fan­gen, zu einem „wir“ zu fin­den, und damit, wenn die­se Schach­tel sich auf­ge­löst hat, eine Ebe­ne wei­ter oben weiterzumachen?

Ich mei­ne das nicht naiv roman­tisch. Unter­schied­li­che Inter­es­sen und Lagen blei­ben bestehen. Die einen haben Macht und Res­sour­cen, die ande­ren nicht. Aber eine gro­ße Res­sour­ce, die wir uns ein­fach neh­men kön­nen, besteht dar­in, dass wir uns mit ent­waff­nen­der Offen­heit nicht auf das gewohn­te Spiel aus „wir da unten“ – „ihr da oben“ ein­las­sen. Über­zeu­gen­der erscheint es mir, wenn wir ohne mora­li­sche Über­le­gen­heit und ohne sti­li­sier­te revo­lu­tio­nä­re Aske­se, die doch so oft nur Harm ist, selbst­be­wusst für das ein­tre­ten, was wir für rich­tig erach­ten, dafür argu­men­tie­ren und strei­ten. Denn dann defi­nie­ren wir die Situa­ti­on, statt uns auf Kämp­fe um Struk­tu­ren ein­zu­las­sen, die in einer so wahr­ge­nom­me­nen Kon­stel­la­ti­on nur ver­lo­ren gehen können. 

War­um blog­ge ich das? Als Ver­such, mal zu for­mu­lie­ren, wie mein Ide­al­bild der einer selbst­be­wuss­ten, kri­ti­schen Lin­ken – das kann dann ger­ne im Ver­hält­nis zur Gesell­schaft ins­ge­samt auch die gesam­te Par­tei, eine gan­ze sozia­le Bewe­gung sein – unter­lie­gen­den grund­le­gen­den Hal­tung aus­schaut. So ganz wider­spruchs­frei ist die­ses Ide­al­bild nicht. Braucht es aber mei­ner Mei­nung nach auch nicht zu sein.

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