Die Debatte darum, ob Bündnis 90/Die Grünen eine linke Partei sind – was für mich lange eine Selbstverständlichkeit war – dreht mal wieder auf. In diesem Blogbeitrag will ich zunächst versuchen, die unterschiedlichen Ebenen zu sortieren, auf denen diese Frage diskutiert wird.
Nachtgedanken gegen das habituelle Misstrauen der Linken
Vielleicht ist es keine gute Idee, eher übermüdet noch etwas in mein Blog zu schreiben. Ich mache das jetzt aber trotzdem, weil mir das Thema schon seit letztem Wochenende durch den Kopf geistert. Da war der Kongress grün.links.denken, der mir sehr gut gefallen hat. Anderen nicht. Oder vielleicht noch eine Woche zuvor, da war dieser Bundesparteitag der Linkspartei.
Was mir zunehmend auffällt, da wie dort: Es gibt so einen typischen Habitus des oder der linken Linken. (Das ist jetzt vornehm ausgedrückt für: Es gibt Vorurteile, die sich gerne bestätigen). Ich zähle mich ja selbst dazu, also zum linken Flügel meiner Partei. Und bin froh darüber, dass, unter anderem mit diesem Kongress, versucht wird, sich als Linke in der grünen Partei, als Grüne Linke, selbstbewusster zu geben und – wie ich meine – zugleich offener aufzutreten. Sich neu zusammenzufinden. Ich bin überzeugt davon, dass das der Partei gut tut, dass ein klarer linker Flügel hilft, wieder verstärkt Debatten in der grünen Partei zu führen, und da, wo es notwendig ist, auch mal eine klarere Kante zu zeigen.
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Die taz fragt: Müssen Linke bio essen?
Die taz macht jeden Woche so einen „Streit der Woche“, und sucht dafür natürlich immer kontroverse Themen. Heute heißt es Müssen Linke bio essen?. Gute Frage, wie ich fand – bis ich näher darüber nachgedacht habe und festgestellt habe, dass die Frage eigentlich falsch gestellt ist. Und das hat etwas mit der Gründung der Grünen zu tun.
Kurze Rückblende in die siebziger Jahre. Mal abgesehen, dass ich da zur Welt komme (1975), finde ich dieses Jahrzehnt auch aus anderen Gründen interessant: da formiert sich nämlich die moderne Friedens- und Umweltbewegung und wird letztlich auch zur Partei DIE GRÜNEN (1979/80) (und die taz …). Ein wichtiges Element in dieser Bewegung und in der sich gründenden Partei ist die „Neue Linke“, also eine Abkehr vom dogmatischen Sozialismus (Stichwort 1968er und so). In der Partei, aber auch in diesen Bewegungen kommt – ganz verkürzt gesagt – die Vorstellung eines „neuen Lebensstils“ zusammen, der für die Industrieländer notwendig ist (später wird daraus das Nachhaltigkeitskonzept). Soziale Gerechtigkeit und ökologische Zukunftsfähigkeit müssen zusammengehen. Und damit kommt etwas Neues ins Spiel, das weder in der sozialdemokratischen Traditionslinie, die an der Umwelt nur interessiert hat, ob die Stahlarbeiter im Ruhrgebiet einen blauen Himmel sehen können, noch in der dogmatisch-sozialistischen Linie (wo Umwelt irgendwo zwischen Nebenwiderspruch und „sowjetische AKWs sind gut, westliche AKWs sind böse“) eine Hauptrolle gespielt hat.
Jetzt, in der damals neuen „grünen“ Bewegung, kommt beides zusammen. Auch das hat historische Vorbilder (Stichwort: Lebensreform, so irgendwo zwischen 1880–1900-1920er Jahre). In der neuen Inkarnation ist der „neue Lebensstil“ in seiner Bewegungs- und Parteiform zudem mit massiven Heterogenitäten konfrontiert: in der neuen Partei sammeln sich zunächst mal machtbewusste Menschen aus den K‑Gruppen, denen Umwelt so wichtig auch nicht ist ebenso wie naturschützende Blut- und Boden-Konservative, für die Umweltschutz und „Lebensschutz“ in eins fällt. Hier kommen sozialdemokratisch-protestantische AsketInnen aus der Friedensbewegung mit Menschen zusammen, die aus dem „neuen Lebensstil“ ein mit Leib und Seele gelebtes Öko-Projekt machen wollen (und aus deren Projekten zum Teil die heutigen Naturkostgiganten entstanden sind – ich fand hier den Selbstdarstellungsprospekt des Naturkosthestellers „Rapunzel“ zum 30-jährigen sehr interessant). Dieses Amalgam findet sich unter dem Banner „ökologisch – sozial – basisdemokratisch – gewaltfrei“ wieder.
Ein paar Jahrzehnte vorwärts: in den 1990er Jahren wurde mir dieses grüne Alleinstellungsmerkmal so richtig bewusst, als ich – in der damals sehr alternativen Grün-Alternativen Jugend (GAJ) aktiv – mit den lokalen JungdemokratInnen/Junge Linke (JD/JL; ebenfalls heterogen zwischen linksliberal und neomarxistisch) über eine Zusammenarbeit verhandelte. Für ein paar Jahre gab es eine gemeinsame Gruppe GAJ/JD/JL in Freiburg – aus der Zeit heraus bin ich übrigens auch Mitglied der JungdemokratInnen. Jedenfalls: die Grün-Alternative Jugend bildete jenseits der Politik ihre Identität irgendwo zwischen Hanf (nicht mein Ding), Vegetarismus (schon eher), Hippietum und Jugendumweltbewegung, tage in Waldorfschulen und machte bei Aktionen gegen den Autoverkehr mit. Für JungdemokratInnen war es dagegen überhaupt keine Frage, zur Delegiertenkonferenz ins sozialistische Tagungszentrum in Oer-Erkenschwiek mit dem Auto anzureisen (oder auch zum Camp …) und lieber über Solidarität zwischen den sozialistischen Bruderländern und den Kampf der Arbeiter(innen?) zu reden als über sowas Seltsames wie Ökologie. Die Frage eines Kollegen aus der JD/JL in dieser Zeit, warum ich den ein Problem mit dem Auto hätte, und dass es ja wohl wichtigeres gäbe, irritierte mich ebenso sehr wie den meine Antwort mit Verweis auf die Grenzen der planetaren Tragfähigkeit, und dass es ja wohl nichts wichtigeres geben könne.
Aus dieser politischen Biographie heraus liegt der Fehler in der Frage, die die taz stellt, genau da. Natürlich essen traditionsbewusste Linke nicht bio, und schon gar nicht vegetarisch. Der Prototyp dafür ist heute vermutlich in den Gewerkschaften zu finden. Menschen, die bio essen, müssen – selbst wenn sie’s nicht nur aus Gesundheitsgründen tun, sondern schon den (naturalen wie sozialen) Herstellungsprozess im Blick haben – nicht unbedingt links sein. Warum auch?
Womit wir am Schluss nochmal bei den Grünen wären. Idealtypisch ist das nämlich immer noch die Partei, in der beides zusammenkommt: das Bewusstsein dafür, dass es eine extreme Abhängigkeit zwischen ökologischen Prozessen und dem Leben von Menschen auf diesem Planeten gibt, und dass „ökologisches Kapitel“ eben nicht beliebig durch anderes ersetzbar ist, und das Bewusstsein dafür, dass weltweit und lokal gesehen Ausbeutungsverhältnisse und Ungleichbehandlungen Menschen an ihrer Selbstentfaltung hindern und nicht zuletzt darum zu bekämpfen sind. Beides kommt in Konzepten wie dem der Umweltgerechtigkeit (environmental justice) zusammen: die Feststellung, dass Smog eben nicht demokratisch ist, sondern sich ökologische Risiken sozial ungleich verteilen.
Müssen Linke bio essen? Nicht unbedingt, aber wenn sie wollen, dass sie im 21. Jahrhundert ernst genommen werden, dann wäre Bio-Essen ein Symbol dafür, links zu sein, ohne dabei den Blick für politische Fragen jenseits des Verhältnisses von Kapital und Arbeit verloren zu haben (das ganze ließe sich übrigens auch mit Feminismus statt mit Bio-Essen durchspielen). Oder anders gesagt: wer im 21. Jahrhundert behauptet, links zu sein, aber seinen persönlichen Lebensstil nicht für ein Politikum hält, hat was verpasst.
Warum blogge ich das? Weil mich die Frage durchaus angesprochen hat. Und ich mir auch noch gar nicht so sicher bin, ob das hier meine endgültige Antwort darauf ist. (U.a., weil ich oben noch gar nichts zu Latours politischer Ökologie gesagt habe).
Nachtrag: (14.08.2010) Die taz hat mich heute mit einer (von mir verfassten) Kurzfassung dieses Beitrags auf ihrer Streitfragenseite. Lustig finde ich, dass der von mir geseitenhiebte LINKEN-Chef Klaus Ernst ebenso wie ich auf der „Ja, Linke sollten bio essen“-Seite mit einem Kommentar vertreten ist. So ganz überzeugt davon, dass diese politische Haltung auch seiner persönlichen Praxis entspricht, bin ich allerdings immer noch nicht. Eher ärgerlich: dass die taz mit die Binnen-Is (und den Verweis auf die Parallelität zum Thema Emanzipation) rausgekürzt hat. Und natürlich das fehlende „ay“ …
Blogbezogene Hinweise
1. möchte ich drauf aufmerksam machen, dass ich meine Blogroll (naja, große Teile, ich bin jetzt erstmal von den Blogs ausgegangen, die ich relativ regelmäßig lese) auf eine eigene Unterseite ausgelagert habe. Die steht hier:
Falls wer reingucken möchte und Anmerkungen dazu hat, nehme ich die gerne entgegen.* Der Topos „Nachhaltigkeit“ fehlt noch völlig (da verweise ich doch gleich mal auf die Bio-Emma-Liste). Aber wer Blogs zu Science Fiction, Netzpolitik oder mit und von Grünen lesen will, findet auf der Sammelseite schon einiges.
Ich denke auch noch drüber nach, auf der Seite jeweils einen halben Satz Kommentar zu jedem Blog zu schreiben.
2. Falls jemand hier Erfahrungen mit Flattr gemacht hat, würden mich die interessieren. Bringt das was (mal abgesehen vom Gefühl, eine gute Idee gleich von Anfang an zu unterstützen)?
* Auch im Sinne von: „Was, du liest xyz nicht? Unbedingt nachholen!“.