Antworten* auf das Politcamp 2011

Snapshots from #pc11 - IV
Tech­nik der Gegen­wart an his­to­ri­schem Bun­des­fuß­bo­den, Bonn

Was ist das? 200 bis 250 über­wie­gend jün­ge­re, meist männ­li­che Men­schen sit­zen im „Was­ser­werk“, dem alten Ple­nar­saal des alten Bun­des­ta­ges in Bonn, und beu­gen sich über Smart­phones, Pads und Lap­tops, wäh­rend vor­ne auf eine gro­ße Lein­wand Tweets gewor­fen wer­den. Und irgend­wel­che Leu­te lei­se über irgend­wel­che Din­ge reden. LAN-Par­ty? Nein, eher LAN-Partei. 

Denn Pira­ten (und Pira­tin­nen) waren eine gan­ze Men­ge da. Beim Polit­camp 2011. Ansons­ten: über­wie­gend jün­ge­re, meist männ­li­che Men­schen aus SPD und CDU (in Hem­den), von den Grü­nen (ein biß­chen mehr Sub­kul­tur auch im Aus­se­hen) und der Links­par­tei. Und par­tei­lo­se. Und wel­che, die was mit Medi­en machen. Oder Hard- und Soft­ware­fir­men betrei­ben, und ger­ne Pira­tIn­nen sind. Fast 100% von all die­sen Leu­ten bei Twit­ter. Was dazu führ­te, dass die Auf­merk­sam­keit vie­ler bei den sechs Vor­mit­tags-Podi­ums­dis­kus­sio­nen eher auf der Twit­ter­wall-Lein­wand oder auf dem Bild­schirm lag als da, wo gere­det wur­de. Me too.

Snapshots from #pc11 - XIVAber eigent­lich kein Wun­der. Sechs Podi­ums­dis­kus­sio­nen in eben­so­vie­len Stun­den mit so unge­fähr 28 Män­nern und fünf Frau­en (inkl. Mode­ra­ti­on), weit­ge­hend ohne Pau­sen – dass das ein For­mat ist, das nur bedingt dazu geeig­net ist, Auf­merk­sam­keit über einen län­ge­ren Zeit­raum zu fes­seln, ist irgend­wie nahe­lie­gend. Oder? Und auch die Aus­wahl der The­men wirk­te teil­wei­se eher wie ein Zuge­ständ­nis an die Spon­so­ren des Gan­zen. Wenn dann dazu vage mäan­dern­de Denk­schlei­fen kom­men – ger­ne getrig­gert durch Tweets und Zuschau­er­fra­gen – dann wäre das Was­ser­werk wohl in den Schlaf gedrif­tet, wenn nicht eh alle mit ande­rem beschäf­tigt gewe­sen wären.

Das war so unge­fähr die eine Hälf­te. Die mei­ne letzt­jäh­ri­gen Vor­ur­tei­le ganz wun­der­bar bestätigte. 

* * *

Aber zum Glück bestand das Polit­camp 2011 nicht nur aus Podi­ums­dis­kus­sio­nen ohne Pau­sen, son­dern auch aus dem „-camp“-Teil. Der für mich – teils durch eige­nes Ver­schul­den**, teils auf­grund der Pro­gramm­pla­nung – lei­der kür­zer aus­fiel, als ich das ger­ne gehabt hät­te. Der Teil hat mir gut gefal­len, und das abend­li­che Ken­nen­ler­nen beim Gril­len im Bier­gar­ten trotz Regen auch. Und die abend­li­che Dis­kus­si­on zu Post-Pri­va­cy war deut­lich span­nen­der. Nicht wegen der gerin­gen Män­ner­quo­te auf dem impro­vi­sier­ten Podi­um, son­dern weil’s ein kon­tro­ver­ses Duell war – und nicht ein „jeder darf mal sagen, wie er das sieht, und Sie so?“.

Aber zurück zum Ses­si­on-Teil. Der war gut. Im Open-Space-Ver­fah­ren (aka „Bar­camp“) wur­de eine rela­tiv gro­ße Band­brei­te an The­men vor­ge­schla­gen und ver­teilt. Das Spek­trum hier reich­te von Fron­tal­vor­trä­gen mit Nach­fra­gen (was ich zum Bei­spiel nutz­te, um mich über den aktu­el­len Stand beim The­ma Vor­rats­da­ten­spei­che­rung auf EU-Ebe­ne zu infor­mie­ren) bis zu offe­nen Gesprächs­run­den. Ob für alles das 45/60-Ras­ter ide­al war – wer weiß. An zwei, in bei­den Fäl­len ziem­lich spon­tan zustan­de­ge­kom­me­nen Ses­si­ons war ich auch „ver­an­stal­tend“ beteiligt. 

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Klas Rog­gen­kamp und ich auf den Bar­ho­ckern – Foto: Mar­tin Kös­ter, Lizenz CC-BY

Am Sonn­tag habe ich zusam­men mit Klas Rog­gen­kamp etwas ange­bo­ten, was aus einer vor­abend­li­chen Bier­gar­ten­dis­kus­si­on und der Tat­sa­che, dass unse­re „gro­ßen“ Ses­si­ons par­al­lel zu ein­an­der ablie­fen, ent­stan­den war. Kon­kret: „Die offe­ne Poli­tik und das Geheim­nis – (wie) kann Poli­tik funk­tio­nie­ren, wenn alle alles wis­sen?“. Metho­disch haben wir uns dazu lose an der Fish­bowl ori­en­tiert – aller­dings ohne Innen- und Außen­krei­se, son­dern mit drei Bar­ho­ckern auf einer klei­nen Büh­ne. Das hat auch ganz gut funk­tio­niert – jeden­falls kam eine gemein­sa­me Debat­te mit stän­dig wech­seln­den Akteu­rIn­nen zustan­de. Mir hat gefal­len, dass wir es geschafft haben, damit Leu­te ins Gespräch zu bringen. 

Ohne Anspruch auf eine ech­te Zusam­men­fas­sung wür­de ich sagen, dass es in die­sem Gespräch dar­um ging, dass Poli­tik bes­ser funk­tio­niert, wenn die Fak­ten auf den Tisch gelegt wer­den und die Abläu­fe, die zu Ent­schei­dungs­vor­la­gen geführt haben, trans­pa­rent sind. Aber gleich­zei­tig wur­de deut­lich, dass Pro­ble­me nicht dadurch gelöst wer­den, dass Fak­ten auf dem Tisch lie­gen (vgl. die öffent­li­che Schlich­tung bei Stutt­gart 21). 

Ich habe dann (ein biss­chen für die Kon­tro­ver­se zuge­spitzt) die Posi­ti­on ver­tre­ten, dass es auch Räu­me geben muss, in denen Poli­tik (bzw. genau­er: Äuße­run­gen von Poli­ti­ke­rIn­nen) geheim und ver­trau­lich blei­ben; durch­aus auch mit Blick auf den Koali­ti­ons­ver­trag. Nicht allein des­halb, weil sonst kei­ne Kuh­hän­del und Deals mög­lich wären, son­dern vor allem des­halb, weil Reden unter Beob­ach­tung anders funk­tio­niert als Reden im Ver­trau­ten. Wer jedes Wort auf die Gold­waa­ge legen muss, kann nicht gleich­zei­tig ins Unrei­ne den­ken. Das aber hal­te ich für not­wen­dig, um Neu­es in die Poli­tik zu bringen. 

Und dann habe ich noch damit argu­men­tiert, dass es bes­ser ist, umheg­te (und auch nach­träg­lich nicht doku­men­tier­te) Räu­me der Intrans­pa­renz zu haben (also Wis­sen dar­über, dass es intrans­pa­ren­te Ver­hand­lun­gen etc. gibt) als dass die­se Räu­me selbst geheim sind. 

Könn­te alles – im Zei­chen von Post Pri­va­cy, Open Data und tech­ni­schen Trans­pa­renz­of­fen­si­ven – ganz anders sein? Da wur­de natür­lich hef­tigst drum gestrit­ten – aber letzt­lich, hat­te ich jeden­falls den Ein­druck, wur­de deut­lich, dass sich dafür mehr ändern müss­te als nur die Über­wa­chungs­tech­nik für die Poli­tik. Was ist, wenn eine Par­tei die Anträ­ge der ande­ren kopiert? Gute Ideen kom­men an, oder schlicht Aufmerksamkeitsdiebstahl? 

Die zwei­te Ses­si­on, die ich gemein­sam mit Jörg Rupp und Lavi­nia Stei­ner orga­ni­siert habe, war als offe­ne Ses­si­on zum The­ma „Digi­ta­le Bür­ger­be­tei­li­gung in Baden-Würt­tem­berg“ ange­legt. Und auch das hat gut funk­tio­niert (wenn es mich auch etwas geschockt hat, dass wir dafür den gro­ßen Saal zuge­wie­sen bekom­men haben). Ich zitie­re mal die Kol­le­gen von der SPD:

In einer wei­te­ren Run­de fra­gen Mit­ar­bei­ter der Grü­nen in Baden-Würt­tem­berg danach, wie sie die Anlie­gen und Ver­spre­chen der neu­en Lan­des­re­gie­rung sowie den Wunsch der Bür­ger nach mehr Betei­li­gung und Trans­pa­renz umset­zen kön­nen. Sie suchen kon­kret nach Input und Werk­zeu­gen für das Netz und zap­fen dafür die Teil­neh­mer des Polit­camps an. Sie suchen nach Kon­zep­ten und Ideen, zuneh­mend trans­pa­ren­tes Regie­rungs­han­deln und par­ti­zi­pa­ti­ve Pro­zes­se zu rea­li­sie­ren. Und sie bekom­men viel Input. Mit­glie­der der Pira­ten­par­tei, Grü­ne, Christ­de­mo­kra­tin­nen und Christ­de­mo­kra­ten sowie SPD­le­rIn­nen geben ihre Ideen und Erfah­run­gen wei­ter und äußern, dass sie die Ent­wick­lung in Baden-Würt­tem­berg mit Span­nung beob­ach­ten. Nicht zuletzt die Pro­tes­te um den geplan­ten, unter­ir­di­schen Stutt­gar­ter Bahn­hof haben gera­de deut­lich gemacht, dass zwi­schen Poli­tik und Bür­ger etwas nicht stimmt. 

Das mit den „Mit­ar­bei­tern“ stimmt nicht so ganz. Der Rest schon – wir haben eine gan­ze Rei­he von Ideen mit­neh­men kön­nen, wie Bür­ger­be­tei­li­gung digi­tal unter­stützt wer­den kann. Und das wird jetzt auf ver­schie­de­nen Wegen in die grü­ne Arbeit in Baden-Würt­tem­berg einfließen.

Für mich die wich­tigs­ten Mit­nah­me­punk­te aus die­ser Session: 

  • erst die Daten, dann die Betei­li­gung: Trans­pa­renz und Open Data sind die Vor­aus­set­zung dafür, dass eine infor­mier­te Bür­ger­be­tei­li­gung sinn­voll ist
  • dann kann sowas wie Frank­furt gestal­ten ent­ste­hen – soweit ich das ver­stan­den habe, ein ehren­amt­li­ches kom­mu­na­les Kom­mu­ni­ka­ti­ons­tool auf der Basis offi­zi­el­ler Infos
  • betont wur­de aber auch, wie wich­tig es ist, die Appa­ra­te mit­zu­neh­men – also auch Beam­tIn­nen­be­tei­li­gung und Sach­be­ar­bei­te­rIn­nen­be­tei­li­gung – ohne die wird’s zäh
  • ein guter Hin­weis: ein Tool (auch eines, das im Auf­trag einer Regie­rung ent­wi­ckelt wird) unter eine Open Source-Lizenz stel­len zu las­sen, hilft, die­ses auch nach Ende einer Regie­rung noch öffent­lich zu halten
  • last but not least: nur wer Men­schen ernst nimmt, kann ernst­haft auf Betei­li­gung set­zen – sprich: es muss klar sein, was aus Inputs gewor­den ist, und was umge­setzt wurde/nicht auf­ge­nom­men wurde

* * *

Sonst ist’s Show. Damit bin ich wie­der am Anfang – als Ort der Netz­werk­pfle­ge war das Polit­camp wun­der­bar. Um Betei­li­gung zu gene­rie­ren, die auch einen sicht­ba­ren Effekt hat, hat es sich – zumin­dest im vor-orga­ni­sier­ten Teil – nicht geeig­net. Ein wenig hat­te ich den Ein­druck, dass die Orga­ni­sa­to­ren (Orga­ni­sa­to­rIn­nen?) sich nicht wirk­lich getraut haben, das umzu­set­zen, was eigent­lich ihre Idee sein müss­te. Viel­leicht sind’s auch kul­tu­rel­le Wider­stän­de. Ein Camp mit mehr Frei­raum darf dann auch wenig per­fekt sein – ein Camp, das ver­sucht, die per­fekt ver­mark­te­te Show zu bie­ten, wird letzt­lich auch an die­sem Maß­stab gemes­sen. Und der wur­de nicht erreicht. Was auch des­we­gen scha­de ist, weil da glau­be ich ziem­lich viel ehren­amt­li­ches Enga­ge­ment hin­ter steckt, das in der Hälf­te der Zeit aber eher ver­pufft ist.

Für das Polit­camp 2012 wün­sche ich mir folg­lich: Mehr Camp, weni­ger Show. (Noch) mehr Räu­me für Spie­le­ri­sches, Inno­va­ti­ves, Krea­ti­ves, Neu­es. Offen­heit auch für „phi­los­phi­sche­re“ The­men. Und wenn es dann noch gelingt, Leu­te mit viel Wis­sen und Leu­te aus der Poli­tik dahin zu brin­gen (ohne ihnen ein Podi­um zu bie­ten) – dann könn­te das eine sehr schö­ne Tra­di­ti­on werden.

* Die Fra­gen ste­hen hier – ich glau­be, ich habe alle beant­wor­tet. Auch wenn’s jetzt nicht ganz expli­zit wurde.

** Irgend­wie hat­te ich die Idee, dass es mög­lich sein müss­te, in einem 60-Minu­ten-Slot mal schnell ans ande­re Ende von Bonn zu fah­ren, um im Hotel ein­zu­che­cken und etwas zu essen. Nach­dem das loka­le Mit­tag­essen aus in Plas­tik ver­pack­ten Fer­tig­sand­wi­ches a la DB in unve­ge­ta­ri­schen Vari­an­ten für 3,50 Euro pro Stück bestand, hielt ich das für not­wen­dig. Und habe damit dann gleich zwei Slots ver­passt. Selbst schuld.

4 Antworten auf „Antworten* auf das Politcamp 2011“

  1. Das mit dem mehr Camp-Teil neh­men wir ger­ne für nächs­tes Jahr auf.

    Vege­ta­ri­sche Sand­wi­ches soll­te es geben, zumin­dest laut Bestel­lung, aber auch ich musst lei­der erst vor Ort fest­stel­len, dass dies nicht so war.

    Und die kos­te­ten 3 Euro pro Stück. Es ist aber immer sehr schwie­rig Ver­pfle­gung für rela­tiv wenig Geld und wenig Risi­ko fürs Orga­team zu orga­ni­sie­ren. Dafür war der Kaf­fee die­ses Jahr um ein Drit­tel güns­ti­ger (1 Euro statt 1.50)

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