Zwei Flügel auf der immerwährenden Suche nach der Mitte

Sunflower's end IV

Viel­leicht bin ich ein­fach schon zu lan­ge dabei in die­ser Par­tei, viel­leicht ist das der Grund, war­um ich das der­zeit statt­fin­den­de inner­par­tei­li­che Rin­gen um die Deu­tungs­macht nach der Wahl­nie­der­la­ge nicht beson­ders beein­dru­ckend fin­de. Wir strei­ten über den rich­ti­gen Kurs, das tun wir als Par­tei, das tun wir gemein­sam – und wir tun es nicht zum ers­ten Mal. Und es wird, da bin ich mir sicher, nicht mit dem Durch­marsch des einen oder des ande­ren Flü­gels enden, son­dern mit einer neu­en Selbst­ge­wiss­heit grü­ner Eigenständigkeit.

Eingeständnisse und Eigenständigkeit

Auch der ges­tern statt­ge­fun­de­ne Län­der­rat zum Wahl­aus­gang, an dem ich als Dele­gier­ter für Baden-Würt­tem­berg teil­ge­nom­men habe, ändert nichts an die­ser Bewer­tung. Nein, er bestärkt mich sogar in die­ser Auf­fas­sung. Klar: Es gab die gro­ßen Schau­fens­ter­re­den, in denen nicht nur für den einen oder ande­ren Kurs gewor­ben wur­de, son­dern auch ver­sucht wur­de, die Schuld für die Wahl­nie­der­la­ge mög­lichst auf der ande­ren Sei­te des inner­par­tei­li­chen Spek­trums abzu­la­den. Eini­ge Reden las­sen sich hier rich­tig schön als Mus­ter­bei­spiel dafür her­neh­men, wie ver­sucht wird, nach­träg­lich ein neu­es Nar­ra­tiv über die Tat­sa­chen zu stül­pen, bei dem dann die „ande­re Sei­te“ schlech­ter als vor­her dasteht.

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Unsortiertes zu den Grenzen des (politisch) Gestaltbaren

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Es ist gera­de­zu das Wesen des Poli­ti­schen, dass poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen (for­mal: Beschlüs­se eines Par­la­ments) Kon­se­quen­zen für den All­tag von Men­schen haben. Oder, um es im wut­schnau­ben­den Ton­fall der FDP zu sagen: dass poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen die Frei­heit des Ein­zel­nen ein­schrän­ken. (Und damit mög­li­cher­wei­se die Frei­heit vie­ler erhö­hen, aber das wäre jetzt eine ande­re Debatte.)

Es mag Geset­ze geben, viel­leicht ist es sogar die Mehr­zahl aller Geset­ze, die für die Mehr­zahl der Men­schen kon­se­quenz­los blei­ben. Die viel­leicht nur den All­tag einer klei­nen Grup­pe betref­fen. Die Tages­ord­nun­gen des Bun­des­rats sind hier exem­pla­risch. Das „Gesetz zur För­de­rung der Sicher­stel­lung des Not­diens­tes von Apo­the­ken“, das „Gesetz zur För­de­rung des elek­tro­ni­schen Rechts­ver­kehrs mit den Gerich­ten“ oder das „Gesetz zur Ände­rung des Abkom­mens vom 20. März 1995 zwi­schen der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und der Repu­blik Polen über die Erhal­tung der Grenz­brü­cken im Zuge der deut­schen Bun­des­fern­stra­ßen und der pol­ni­schen Lan­des­stra­ßen an der deutsch-pol­ni­schen Gren­ze“ sind alles Geset­ze, die dich und mich erst ein­mal nicht betref­fen. Sofern wir nicht gera­de eine Apo­the­ke betrei­ben, auf den Not­dienst einer Apo­the­ke ange­wie­sen sind, zwi­schen Gerich­ten kom­mu­ni­zie­ren oder über Grenz­brü­cken zwi­schen Polen und Deutsch­land fah­ren. Oder Güter kon­su­mie­ren, die über Grenz­brü­cken zwi­schen Polen und Deutsch­land trans­por­tiert wurden.

Was ich sagen will: Das Wesen der Poli­tik besteht dar­in, mehr oder weni­ger direkt in den indi­vi­du­el­len All­tag ein­zu­grei­fen. Regeln für bestimm­te Hand­lun­gen auf­zu­stel­len. Hand­lun­gen zu ermög­li­chen. Sie zu för­dern. Sie zu erschwe­ren oder zu ver­bie­ten. Blu­mig gesagt: das Zusam­men­le­ben zu gestalten.

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Die ausbleibende Aufregung

Hölderlebach High II

Eigent­lich sind es unge­heu­er­li­che Ent­hül­lun­gen. Pro­gram­me – im dop­pel­ten Sin­ne, Soft­ware und groß ange­leg­te Über­wa­chungs­pro­jek­te – wie Prism, Tem­po­ra, XKeyscore tau­chen auf. Der Bun­des­nach­rich­ten­dienst koope­riert mit der NSA und über­gibt mas­sen­wei­se auf Vor­rat gespei­cher­te Meta­da­ten. Was wirk­lich pas­siert, ist hin­ter dem Nebel von Geheim­hal­tung und Ablen­kung nur zu erah­nen. Jeden­falls scheint es plau­si­bel zu sein, davon aus­zu­ge­hen, dass wir alle, die wir das Netz benut­zen, in einem weit grö­ße­ren Maß über­wacht wer­den, als dies bis­her ver­mu­tet wur­de. Grund­ge­setz hin oder her.

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Kurz: Freiheitsbegriffe

Der grü­ne Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Her­mann Ott hat nach der Wahl von Joa­chim Gauck zum Bun­des­prä­si­den­ten eine wich­ti­ge Bemer­kung get­wit­tert:

Freue mich und hoffe dass Herr #Gauck unter "Freiheit" auch die soz. und ökol. Bedingungen der Möglichkeit von Freiheit versteht #bv12 #bv15

Ich bin da sehr viel skep­ti­scher als Her­mann, dass Gauck hier lern­be­reit ist. Aber die Bemer­kung, dass zur Vor­be­din­gung von Frei­heit auch die sozia­len und die öko­lo­gi­schen Mög­lich­kei­ten für Frei­heit gehö­ren, ist eine extrem wich­ti­ge. Und eine, von der ich fest über­zeugt bin, dass sie so etwas wie den Kern eines ori­gi­när grü­nen Frei­heits­ver­ständ­nis­ses aus­macht. Aus dem her­aus dann Debat­ten über so etwas wie ein Grund­ein­kom­men, über die Gerech­tig­keit zwi­schen Nord und Süd oder über die inter­ge­ne­ra­tio­na­le Gerech­tig­keit, die Nach­hal­tig­keit aus­macht, ent­wach­sen. Wer es sich nicht leis­ten kann, sich zu ent­schei­den, ist nicht frei. Und wer – das ist der öko­lo­gi­sche Aspekt – in Zukunft kei­ne Spiel­räu­me mehr hat, weil wir heu­te alle Spiel­räu­me auf­ge­fres­sen haben, ist eben­falls nicht frei. Kurz: Wer glaubt, dass es in einer unge­rech­ten Welt ech­te Frei­heit geben könn­te, trägt dazu bei, eine Illu­si­on auf­recht zu erhal­ten, nichts anderes.

Ich wür­de mich freu­en, wenn Her­mann recht behält, und wenn Gauck sich hier als lern­fä­hig erweist. Die Skep­sis bleibt.