Starke, ökologisch motivierte Nachhaltigkeit. Ein emanzipatorischer, linksliberaler Freiheitsbegriff. Nicht nebeneinander als zwei Säulen in einer Partei, sondern als gemeinsamer Antrieb der Partei. Passt das zusammen?
Zwei Flügel auf der immerwährenden Suche nach der Mitte
Vielleicht bin ich einfach schon zu lange dabei in dieser Partei, vielleicht ist das der Grund, warum ich das derzeit stattfindende innerparteiliche Ringen um die Deutungsmacht nach der Wahlniederlage nicht besonders beeindruckend finde. Wir streiten über den richtigen Kurs, das tun wir als Partei, das tun wir gemeinsam – und wir tun es nicht zum ersten Mal. Und es wird, da bin ich mir sicher, nicht mit dem Durchmarsch des einen oder des anderen Flügels enden, sondern mit einer neuen Selbstgewissheit grüner Eigenständigkeit.
Eingeständnisse und Eigenständigkeit
Auch der gestern stattgefundene Länderrat zum Wahlausgang, an dem ich als Delegierter für Baden-Württemberg teilgenommen habe, ändert nichts an dieser Bewertung. Nein, er bestärkt mich sogar in dieser Auffassung. Klar: Es gab die großen Schaufensterreden, in denen nicht nur für den einen oder anderen Kurs geworben wurde, sondern auch versucht wurde, die Schuld für die Wahlniederlage möglichst auf der anderen Seite des innerparteilichen Spektrums abzuladen. Einige Reden lassen sich hier richtig schön als Musterbeispiel dafür hernehmen, wie versucht wird, nachträglich ein neues Narrativ über die Tatsachen zu stülpen, bei dem dann die „andere Seite“ schlechter als vorher dasteht.
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Unsortiertes zu den Grenzen des (politisch) Gestaltbaren
Es ist geradezu das Wesen des Politischen, dass politische Entscheidungen (formal: Beschlüsse eines Parlaments) Konsequenzen für den Alltag von Menschen haben. Oder, um es im wutschnaubenden Tonfall der FDP zu sagen: dass politische Entscheidungen die Freiheit des Einzelnen einschränken. (Und damit möglicherweise die Freiheit vieler erhöhen, aber das wäre jetzt eine andere Debatte.)
Es mag Gesetze geben, vielleicht ist es sogar die Mehrzahl aller Gesetze, die für die Mehrzahl der Menschen konsequenzlos bleiben. Die vielleicht nur den Alltag einer kleinen Gruppe betreffen. Die Tagesordnungen des Bundesrats sind hier exemplarisch. Das „Gesetz zur Förderung der Sicherstellung des Notdienstes von Apotheken“, das „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ oder das „Gesetz zur Änderung des Abkommens vom 20. März 1995 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über die Erhaltung der Grenzbrücken im Zuge der deutschen Bundesfernstraßen und der polnischen Landesstraßen an der deutsch-polnischen Grenze“ sind alles Gesetze, die dich und mich erst einmal nicht betreffen. Sofern wir nicht gerade eine Apotheke betreiben, auf den Notdienst einer Apotheke angewiesen sind, zwischen Gerichten kommunizieren oder über Grenzbrücken zwischen Polen und Deutschland fahren. Oder Güter konsumieren, die über Grenzbrücken zwischen Polen und Deutschland transportiert wurden.
Was ich sagen will: Das Wesen der Politik besteht darin, mehr oder weniger direkt in den individuellen Alltag einzugreifen. Regeln für bestimmte Handlungen aufzustellen. Handlungen zu ermöglichen. Sie zu fördern. Sie zu erschweren oder zu verbieten. Blumig gesagt: das Zusammenleben zu gestalten.
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Die ausbleibende Aufregung
Eigentlich sind es ungeheuerliche Enthüllungen. Programme – im doppelten Sinne, Software und groß angelegte Überwachungsprojekte – wie Prism, Tempora, XKeyscore tauchen auf. Der Bundesnachrichtendienst kooperiert mit der NSA und übergibt massenweise auf Vorrat gespeicherte Metadaten. Was wirklich passiert, ist hinter dem Nebel von Geheimhaltung und Ablenkung nur zu erahnen. Jedenfalls scheint es plausibel zu sein, davon auszugehen, dass wir alle, die wir das Netz benutzen, in einem weit größeren Maß überwacht werden, als dies bisher vermutet wurde. Grundgesetz hin oder her.
Kurz: Freiheitsbegriffe
Der grüne Bundestagsabgeordnete Hermann Ott hat nach der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten eine wichtige Bemerkung getwittert:
Ich bin da sehr viel skeptischer als Hermann, dass Gauck hier lernbereit ist. Aber die Bemerkung, dass zur Vorbedingung von Freiheit auch die sozialen und die ökologischen Möglichkeiten für Freiheit gehören, ist eine extrem wichtige. Und eine, von der ich fest überzeugt bin, dass sie so etwas wie den Kern eines originär grünen Freiheitsverständnisses ausmacht. Aus dem heraus dann Debatten über so etwas wie ein Grundeinkommen, über die Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd oder über die intergenerationale Gerechtigkeit, die Nachhaltigkeit ausmacht, entwachsen. Wer es sich nicht leisten kann, sich zu entscheiden, ist nicht frei. Und wer – das ist der ökologische Aspekt – in Zukunft keine Spielräume mehr hat, weil wir heute alle Spielräume aufgefressen haben, ist ebenfalls nicht frei. Kurz: Wer glaubt, dass es in einer ungerechten Welt echte Freiheit geben könnte, trägt dazu bei, eine Illusion aufrecht zu erhalten, nichts anderes.
Ich würde mich freuen, wenn Hermann recht behält, und wenn Gauck sich hier als lernfähig erweist. Die Skepsis bleibt.