Am Wochenende war ich in Berlin – unter anderem, um den 40. Geburtstag von Bündnis 90/Die Grünen (genauer gesagt: den 40. Geburtstag der Grünen und den 30. von Bündnis 90) zu feiern, mit 1500 anderen, in einer alten, etwas schlauchartigen Fabrikhalle, mit einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Talkrunden u.a. mit Luisa Neubauer und Hans-Christian Ströbele (der da eher altväterlich rüberkam) und mit Aminata Touré, der Vizepräsidentin des Landtags Schleswig-Holstein mit Joschka Fischer. Die Handyfotos davon sind aber nicht wirklich was geworden. Deswegen lieber ein anderes Foto von dem Berlinbesuch. Wie es war – dazu stand in einigen Zeitungen etwas. Ich habe viele Leute getroffen, mich über die Akustik geärgert und über das Buffet (und den Auftritt von einer u.a. aus AnnenMayKannetereit gebildeten Band) gefreut. Die Steinmeier-Rede war gut, insgesamt war die Geburtstagsfeier angemessen gestaltet, die am Schluss verteilte Chronik gefällt mir und zeigt, wie 40 Jahre deutsche Geschichte und 40 Jahre Parteigeschichte doch recht eng ineinandergreifen – und wie weit vieles, was doch erst vorgestern war, schon Jahre zurückliegt.
So ’ne Art Jahresrückblick, Teil I: Orte, an denen ich 2019 war
Dieses Jahr habe ich mich nicht außerhalb Deutschlands aufgehalten, insofern stellte sich auch keine Flugfrage. Abgesehen davon war ich 2019 in Freiburg und Umland sowie in Stuttgart – und an einigen weiteren Orten in Baden-Württemberg, und außerhalb davon in Bonn (mehrfach), Berlin (mehrfach), Bielefeld, Leipzig, Werbelinsee und Greifswald.
Verglichen mit den Jahren davor waren das eher wenige Termine außerhalb von Freiburg bzw. Stuttgart. Aber selbst so ist ein Nebeneffekt der (ehrenamtlichen) Politik, dass diese mit einigem Reiseaufwand verbunden ist. Oder positiv gesagt: in einem guten Vierteljahrhundert Politik habe ich die meisten größeren Städte Deutschlands mindestens einmal gesehen – zumindest deren Bahnhöfe und Tagungshallen. Parteitage und davor Kongresse des Grün-Alternativen Jugendbündnisses, Campusgrün-Sitzungen und Gremiensitzungen, die nicht immer in Berlin stattfinden müssen, führen zu ganz schön viel Eisenbahnkilometern.
Hier zeigt sich auch ein gewisses BahnCard-100-Paradox. Theoretisch könnte ich innerhalb Deutschlands ganz viele Städtereisen unternehmen – tatsächlich bin ich meist froh, wenn ich neben dem Pendeln unter der Woche und diversen Politikterminen auch Zeit finde, die ich zu Hause verbringen kann. Der große Sommerurlaub mit den Kindern war bei mir letztes Jahr dran (da waren wir in Holland) und wird dann 2020 wieder auf mich zukommen. Falls die zwischenzeitlich 11 und 14 Jahre alten Kinder nächstes Jahr überhaupt noch eine solche Reise wollen …
Im Vergleich zu 2018 ist das politische Reisen aber auch deswegen weniger geworden, weil mit der BAG-Sitzung in Mannheim im Mai (und dem Besuch der Grundsatzakademie der BAGen in Werbellinsee im August) mein Engagement als Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik endete. Neben den eigentlichen Sitzungen der BAG an zwei bis vier Wochenenden im Jahr umfasste das auch einige zusätzliche Termine, etwa Sitzungen des BAG-Sprecher*innen-Rates. Auch die Schreibgruppe für den Zwischenbericht zum Grundsatzprogramm beendete im Frühjahr 2019 ihre Tätigkeit, so dass deutlich weniger Berlin-Reisen als im Jahr zuvor notwendig waren.
Beruflich-politisch fokussiert’s sich bei mir nun auf Baden-Württemberg, und da, abgesehen von Klausuren und dem einen oder anderen externen Termin vor allem auf Stuttgart. Das hat auch mit dem Wechsel meiner Zuständigkeit in der grünen Landtagsfraktion zu tun – bis Ende 2018 war ich Parlamentarischer Berater für Wissenschaft und Forschung, Kunst und Medien, seit Anfang 2019 bin ich übergreifend für Grundsatz und Strategie zuständig. Auch das führt dazu, dass Baden-Württemberg stärker ins Blickfeld rückt.
Baden (Süd nach Nord)
- Grafenhausen im Südschwarzwald, Fraktionsvorstandsklausur
- Bad Krozingen, grüne Kreismitgliederversammlung
- Schneeburg (Ebringen), Ausflug
- Kybfelsen (Freiburg-Günterstal), Ausflug
- Freiburg, der Freibuger Südwesten – hier wohne ich, hier gehen meine Kinder zur Schule, Home-Office-Arbeitsort usw.
- Freiburg, div. Veranstaltungen, Demos, Elternbeiratssitzungen, Schulfeste usw.
- Kaiserstuhl, Wanderung
- Gundelfingen, Familienbesuch (mehrfach)
- Gundelfingen, 40 Jahre Grüne Breisgau-Hochschwarzwald
- Waldkirch, Freunde besuchen
- Emmendingen, Kind vom Schachturnier abholen
- Ramsbach/Oppenau, Hüttenwochenende
- St. Peterstal-Griesbach, Klausur parl. Berater*innen
- Allerheiligen, Wanderung
- Ettlingen, Familienfeier
- Karlsruhe, Besuch im ZKM mit der Familie
- Karlsruhe, Übernachtung wg. Pendeln Stuttgart-Freiburg
- Öwisheim, Fortbildung
- Mannheim, Fraktionsklausur
- Mannheim, BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik (meine letzte Sitzung)
Württemberg (Süd nach Nord)
- Tübingen, Besuch Cybervalley/MPI
- Herrenberg, Fraktionsklausur
- Sindelfingen, Landesdelegiertenkonferenz
- Stuttgart, Arbeitsort (an zwei bis drei Tagen pro Woche)
- Stuttgart, Teilnahme an einer Sitzung der BAG Medien
- Stuttgart, Stakeholdergespräch KI
- Stuttgart, Digitalisierungsveranstaltung
- Heilbronn, Besuch der Experimenta mit den Kindern
- Heilbronn, Betriebsausflug zur Bundesgartenschau
Deutschland außerhalb Baden-Württembergs (Süd nach Nord)
- Bonn, Familienbesuch (mehrfach)
- Königswinter/Drachenfels, Ausflug
- Leipzig, Sitzung der BAG Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik
- Bielefeld, Bundesdelegiertenkonferenz
- Berlin, Schreibgruppe für den Zwischenbericht zum grünen Grundsatzprogramm (mehrfach)
- Berlin, Grundsatzkonvent der Partei
- Berlin, Jubiläums-Mitgliederversammlung Campusgrün
- Werbellinsee (Brandenburg), Grundsatzakademie der BAGen von Bündnis 90/Die Grünen
- Greifswald, Besichtigung Wendelstein 7x
Zwanzig Jahre Campusgrün: ein Blick auf den Anfang
Allerorten finden derzeit grüne Jubiläumsveranstaltungen statt. Im September wurde die Landespartei vierzig, im März wird die Landtagsfraktion feiern, und auch die Bundespartei hat nächstes Jahr ihren vierzigsten Gründungstag. Halb so alt – und Zwanzig ist auch ein Grund für Feiern und Reflektionen – ist Campusgrün, das Bündnis grüner und grün-naher Hochschulgruppen.
Als Mitglied des Gründungsvorstands durfte ich gestern in Berlin bei der Bundesmitgliederversammlung dabei sein und ein bisschen was aus den ersten paar Jahren des Verbandes berichten. Ein gemeinsames Motiv der Exvorstände aus verschiedenen Jahrgängen, die gestern dabei waren (Patrick Luzina, Luisa Schwab, Philipp Bläss, Ricarda Lang), war übrigens der Weg in die Hochschulpolitik: ganz oft spielten Studistreiks dabei eine große Rolle – und wo das nicht der Fall war, politisierte die Hochschulgruppenarbeit und wurde zum Sprungbrett in grüne Politik hinein.
Thematisch zeigte sich eine interessante Debattenkontinuität – darauf wies auch Kai Gehring als hochschulpolitischer Sprecher der grünen Bundestagsfraktion hin. Er nannte zehn zentrale Hochschulpolitik-Themen – und zumindest Studiengebühren und Studienfinanzierung, Hochschulfinanzierung und Studienreform (Bologna, seit 1998!) sind Themen, die eben auch 1999 schon auf der Agenda standen.
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Warum es sich lohnen könnte, dafür zu kämpfen, Politik an wissenschaftlichen Fakten auszurichten
Die Stärke der neuen Klimabewegung kann aus zwei Ursachen abgeleitet werden. Das eine ist sicherlich die zunehmende Sichtbarkeit und damit Dringlichkeit des Klimawandels. Das andere ist, dass wir es hier mit wohl mit der ersten Bewegung zu tun haben, die Handlungsbedarf schlicht aus Physik ableitet. Es sind keine theoretischen Überlegungen, kein revolutionärer Überbau, es ist schlicht die gut erforschte Wirkung der Treibhausgase in der Atmosphäre mit allen Konsequenzen für das Klimasystem, die hier zum politischen Impuls verdichtet worden sind.
(Natur-)wissenschaftliche Wahrheit als Grundlage einer politischen Bewegung – das ist neu. Übrigens auch im Vergleich zu der bloß behaupteten Wissenschaftlichkeit des Marxismus-Leninismus, bei dem im Kern der Argumentation eben nicht beweisbare und dem wissenschaftlichen Prozess offene Fakten lagen, sondern ein auf Sand errichtetes Gedankengebäude.
Mit Fakten lässt sich nicht diskutieren. Darin liegt die Stärke, darin liegt aber auch eine große Schwäche der Klimabewegung. Denn die bloße Feststellung, dass zur Begrenzung der Erderwärmung ein maximales CO2-Budget für die Menschheit verbraucht werden darf, ist aber noch keine politische Handlungsanweisung. Zudem entzieht sich die naturwissenschaftliche Wahrheit auch insofern dem Politischen, als damit eine Reduzierung auf Null oder Eins nahe liegt. Das erleichtert radikale Forderungen. Entweder schafft die Menschheit – bisher kein handelnder Akteur – es, das CO2-Budget einzuhalten, oder sie schafft es nicht, und löst damit mit hoher Wahrscheinlichkeit Kipppunkte aus. Das liegt quer zum Modus des Kompromisses. Ein Treffen in der Mitte gibt es nicht, wenn 2,2 Grad Erderhitzung in ihren Konsequenzen genauso dramatisch sind wie ein Plus von drei oder vier Grad.
Der Anspruch, den die Klimabewegung an die Politik stellt, muss also zwangsläufig ein radikaler sein. Entsprechend hoch ist die Fallhöhe.
Das ist der eine Teil der Herausforderung. Der andere besteht darin, die heute notwendigen Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen, zu finden und zu verhandeln, demokratische Mehrheiten dafür zu suchen und in kurzer Zeit einen Weg zu finden, das internationale Abkommen von Paris insbesondere in den zehn oder zwanzig Staaten mit den größten Treibhausgasemissionen umzusetzen.
Das historische Fenster hierfür – eine hohe Akzeptanz für Klimaschutzmaßnahmen in der Bevölkerung, Druck von der Straße, breite Mehrheiten im Parlament – hat die Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD nicht genutzt.
Entsprechend hoch ist der Druck auf die Partei, die sich schon immer durch hohe Kompetenzzuschreibungen in ökologischen Fragen auszeichnet, also auf Bündnis 90/Die Grünen: zwischen Physik und Politik zu vermitteln, und dabei weder die Demokratie noch das Weltklima vor die Hunde gehen zu lassen – das scheint die Aufgabe zu sein, die jetzt der kleinsten Bundestagsfraktion zuwächst.
(Und ja, es gibt Länderregierungen mit grüner Beteiligung, und ja, es gibt die grün-geführte Regierung in Baden-Württemberg – aber zu den Regeln des Politischen gehört eben auch, dass ein großer Teil der für das Pariser Klimaziel notwendigen Maßnahmen in Bundeskompetenz liegen würden, und das der Bundesrat ein Gremium ist, das Gesetze verzögern oder aufhalten kann, aber kaum selbst gestalterisch tätig werden kann.)
In dieser Situation bricht nun eine innergrüne Debatte über evidenzbasierte Politik los. Zur Unzeit?
Herzkammern der Partei in der Wachstumsphase
Ich komme gerade von meiner letzten BAG-Aktivität – der Grundsatzakademie der Bundesarbeitsgemeinschaften (BAGen) von Bündnis 90/Die Grünen. Auch wenn ich seit Mai nach zwölf Jahren jetzt nicht mehr Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft, Hochschule, Technologiepolitik bin – da musste ich jetzt doch noch hin.
Seit Freitag bis heute Mittag haben ungefähr 400 grüne Mitglieder am Werbellinsee in Brandenburg getagt. Ehrenamtlich und selbstorganisiert. Gegenstand des Ganzen war insbesondere der Zwischenbericht für das neue grüne Grundsatzprogramm, auch wenn das bei weitem nicht das einzige Thema war, das in den Plenen und Workshops hoch und runter diskutiert wurde. 2019 ging es natürlich auch um die Frage, wie radikal grüne Klimapolitik sein muss – und um das ganze Spektrum grüner Themen, von globaler Gerechtigkeit bis zur Frage, wie eine vielfältige Gesellschaft gestaltet sein kann.
Insbesondere die beiden Sprecher*innen des BAG-Sprecher*innen-Rats, Katharina Beck und Jens Parker, haben einen riesengroßen Anteil daran, dass diese Grundsatzakademie zustande gekommen ist – und dass sie von einem Geist des konstruktiven Austausches durchtränkt war.
Besonders spannend fand ich in dieser Hinsicht ein Panel u.a. mit Ricarda Lang und Jürgen Trittin zur grünen Kultur, hier zu verstehen als Organisationskultur. Das war durchaus aufschlussreich. Wer ist bei uns vertreten? Wie solidarisch sind wir als – letztlich im Medium Macht operierende – Partei? Und vor allem auch: Wie organisieren wir den Wandel, der mit dem derzeit extrem schnellen Wachstum der Mitgliedszahlen verbunden ist? Von 60.000 auf 90.000 seit der Bundestagswahl, das ist in etwa die Dimension, über die wir hier reden.
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