Blick in die Glaskugel: Landtagswahl Baden-Württemberg 2021

Marbles

Auch wenn ver­mut­lich bereits mehr als die Hälf­te der letzt­li­chen Wähler:innen bereits ihre Stim­me abge­ge­ben haben – die Brief­wahl­quo­te wird coro­nabe­dingt sehr hoch sein – ken­nen wir das Ergeb­nis der Land­tags­wahl erst mor­gen Abend. Ich ver­mu­te, dass so gegen 21 Uhr halb­wegs klar sein soll­te, wie die Wahl aus­ge­gan­gen ist. 

Die bis­he­ri­gen Umfra­gen klin­gen aus grü­ner Sicht erfreu­lich – Grü­ne je nach Insti­tut zwi­schen 32 und 35 Pro­zent, die CDU zwi­schen 23 und 25 Pro­zent, SPD, FDP und lei­der auch die AfD jeweils um die 10 Pro­zent. Die LINKE bleibt nach den Umfra­gen unter 5 Pro­zent, und auch die Kli­ma­lis­te, Volt und diver­se ande­re Klein­par­tei­en schaf­fen den Ein­zug in den Land­tag nicht. 

Unter der Annah­me, dass sich das mor­gen in etwa so bestä­tigt, las­sen sich schon eini­ge Aus­sa­gen über den Wahl­aus­gang treffen:

  • Der Land­tag wird ver­mut­lich so groß wer­den wie nie zu vor, wenn sich das grü­ne Ergeb­nis in einer ent­spre­chend gro­ßen Zahl an Direkt­man­da­ten nie­der­schla­gen soll­te. Die Soll­grö­ße sind 120 Abge­ord­ne­te (70 direkt, 50 in der Zweit­aus­zäh­lung). 1996 erreicht der Land­tag die Grö­ße von 155 Sit­zen, zum einen auf­grund der REPs, die damals im Land­tag ver­tre­ten waren, zum ande­ren auf­grund von Aus­gleichs­man­da­ten für den Direkt­man­dat­über­hang. Es ist gut mög­lich, dass die­se Grö­ße mor­gen geris­sen wird und wir über einen Land­tag mit 160 Sit­zen oder mehr spre­chen, ver­ur­sacht durch den Aus­gleich der grü­nen Direkt­man­da­te bei einem rela­ti­ven Anteil von nur etwa einem Drit­tel der Stimmen.
  • Kla­rer Wahl­sie­ger sind nach den Umfra­gen Bünd­nis 90/Die Grü­nen und Minis­ter­prä­si­dent Kret­sch­mann. SPD und CDU wer­den mit hoher Wahr­schein­lich­keit ihr schlech­tes­tes jemals in Baden-Würt­tem­berg erreich­tes Land­tags­wahl­er­geb­nis erhal­ten; die FDP wird wahr­schein­lich zwei­stel­lig (zuletzt 2006). Da dürf­ten auch unzu­frie­de­ne CDU-Wähler*innen dabei sein, die die FDP, die in Baden-Würt­tem­berg eher markt­ra­di­kal und ansons­ten kon­ser­va­tiv ist, als CDU light wahr­neh­men. Dass die AfD trotz einer mise­ra­blen Per­for­mance, Spal­tung der Frak­ti­on und diver­sen Skan­da­len nach den Umfra­gen deut­lich über 10 Pro­zent erhal­ten wird, ist dage­gen schwe­rer nach­voll­zie­hen. Ich befürch­te, dass hier auch Corona-Leugner:innen mit dabei sein wer­den (mit „Basis“ und „Wir2020“ tre­ten auch zwei Corona-Leugner:innen-Parteien an).
  • Bis­her ken­ne ich kei­ne Umfra­ge, die ein Ergeb­nis der Kli­ma­lis­te auch annä­hernd an der Fünf-Pro­zent-Hür­de sieht. Ihr Antre­ten hat wohl dem Kli­mathe­ma noch­mal einen Schub gege­ben – Stim­men für die Kli­ma­lis­te ver­hin­dern aber mög­li­cher­wei­se die pro­gres­sivs­te der rea­lis­ti­schen Koalitionsoptionen.
  • Mehr­hei­ten wird es sicher­lich für Grün-Schwarz, für eine grün-geführ­te Ampel und wohl auch für die „Deutschland“-Koalition geben. Dabei ist zu beach­ten, dass es nicht um 50 Pro­zent der Stim­men geht, son­dern um eine Mehr­heit der Sit­ze. Berück­sich­tigt wer­den nur die in den Land­tag ein­zie­hen­den Par­tei­en, und die eine oder ande­re Ver­zer­rung durch die dop­pel­te Ver­tei­lung (Land und Regie­rungs­be­zir­ke) im Wahl­sys­tem mag auch noch etwas zu Sitz­mehr­hei­ten bei­tra­gen. Es rei­chen also mög­li­cher­wei­se schon 44 bis 45 Pro­zent, wenn der Anteil für „Sons­ti­ge“ ent­spre­chend groß ist. Die SPD hat eine kla­re Prä­fe­renz für eine grün-geführ­te Regie­rung geäu­ßert. Und mit der AfD wird nie­mand eine Koali­ti­on eingehen.
  • Weni­ger wahr­schein­lich, aber mög­lich, sind zwei wei­te­re Koali­ti­ons­op­tio­nen, die der­zeit am Rand der Umfra­gen auf­tau­chen: mög­li­cher­wei­se haben Grün-Rot oder sogar Grün-Gelb eine eige­ne Mehr­heit. Aktu­ell feh­len dazu noch ein paar Pro­zent­punk­te. Grün-Rot wäre die Fort­set­zung der Koali­ti­on, die 2011 Baden-Würt­tem­berg erneu­ert hat, aller­dings dann wohl nicht mehr mit zwei gleich­star­ken Part­nern. Grün-Gelb wäre ein Expe­ri­ment – die ers­te Koali­ti­on jen­seits der bei­den gro­ßen Par­tei­en, die seit der Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik die Geschi­cke bestimmt haben.

Soweit das, was heu­te schon in der Glas­ku­gel zu sehen ist. Span­nend wird es dann mor­gen in drei­er­lei Hin­sicht: Stim­men die Umfra­gen, oder wirkt sich bei­spiels­wei­se die Kor­rup­ti­ons­af­fä­re rund um Mas­ken doch noch gegen die CDU aus, obwohl vie­le ihre Stim­me schon vor­her abge­ge­ben haben? Reicht es für eine der klei­ne­ren Koali­tio­nen? Und, und das wird wahl­rechts­be­dingt end­gül­tig wohl erst in der Nacht fest­ste­hen: wer schafft alles des Ein­zug, ins­be­son­de­re in der Zweitauszählung?

Kurz: Wachsen wir über uns hinaus

„Wach­sen wir über uns hin­aus“ – das ist die Über­schrift über dem ges­tern auch der Öffent­lich­keit vor­ge­stell­ten grü­nen Pro­gramm­ent­wurf für Baden-Würt­tem­berg. Dis­ku­tiert und ent­schie­den wird dar­über am Wochen­en­de auf der Lan­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz. Jetzt schon ist klar, dass zu den rund 120 Sei­ten noch ein paar dazu­kom­men wer­den – immer­hin lie­gen über 800 Ände­rungs­an­trä­ge vor.

Über die Län­ge lässt sich strei­ten. Inhalt­lich bin sehr zufrie­den mit die­sem Pro­gramm: das zeigt näm­lich nicht nur, wie sich Baden-Würt­tem­berg in den ver­gan­ge­nen bald zehn Jah­ren wei­ter­ent­wi­ckelt hat, son­dern macht eben­so deut­lich, dass wir Grü­ne noch einen gan­zen Kof­fer vol­ler Ideen dafür haben, wie es wei­ter­ge­hen kann. Genau jetzt braucht es ambi­tio­nier­te Maß­nah­men, um das Ziel zu ver­wirk­li­chen, Baden-Würt­tem­berg kli­ma­neu­tral zu machen. Und jetzt ist auch der Zeit­punkt, um den Wan­del des baden-würt­tem­ber­gi­schen Wirt­schafts­stand­orts hin zu einem zukunfts­fes­ten Wirt­schaf­ten ein­zu­lei­ten. Wir ste­hen, auch jen­seits der Coro­na-Pan­de­mie, vor rie­sen­gro­ßen Her­aus­for­de­run­gen. Digi­ta­li­sie­rung ist längst noch nicht da, wo sie sein könn­te, und ori­en­tiert sich bei wei­tem noch nicht über­all am Nut­zen für Mensch und Umwelt. Neue gesell­schaft­li­che Spal­tun­gen bre­chen auf. Die Wei­ter­ent­wick­lung der Schu­len in Rich­tung Ori­en­tie­rung an indi­vi­du­el­ler För­de­rung der Kin­der wur­de unter­bro­chen und soll wie­der auf­ge­nom­men wer­den. Und und und …

Ich bin gespannt auf den Par­tei­tag und die Debat­ten, die dort geführt wer­den. Das Signal jeden­falls ist klar: Grü­ne haben noch was vor. Und dafür wer­den wir kämpfen.

Dis­clai­mer: als Teil des Redak­ti­ons­teams durf­te ich am Ent­ste­hungs­pro­zess des Pro­gramms seit Februar/März betei­ligt sein – und freue mich, dass es end­lich das Licht der Welt erblickt.

20 Jahre Internetparteitag

Die „Tages­schau vor 20 Jah­ren“ erin­nert auf Twit­ter dar­an, dass der ers­te Inter­net­par­tei­tag jetzt zwan­zig Jah­re her ist. Wie Andrea Lind­l­ohr schreibt, mög­li­cher­wei­se inspi­riert von , einer damals sehr belieb­ten Netz-Poli­tik­si­mu­la­ti­on. Der dama­li­ge Inter­net­par­tei­tag des grü­nen Lan­des­ver­bands Baden-Würt­tem­berg war text­ba­siert, dau­er­te meh­re­re Tage, und ver­band die Foren­dis­kus­si­on mit jeweils einen Tag umfas­sen­den Abstim­mungs­fens­tern. Beschlos­sen wur­de letzt­lich unter ande­rem eine Reso­lu­ti­on zu Laden­schluss­zei­ten – wich­ti­ger aber war das Sym­bol: Par­tei­tag geht auch im Netz. Kos­ten­punkt: ähn­lich hoch wie ein Lan­des­par­tei­tag in der Hal­le, v.a. die damals noch auf Dis­ket­ten basie­ren­de Sicher­heits­ar­chi­tek­tur war teuer. 

So rich­tig eta­blie­ren konn­te sich das For­mat nicht. Und noch 2018 – nach dem Beginn und Ende des Hypes um die Pira­ten­par­tei mit ihren liqui­den Ent­schei­dun­gen – war mei­ne Ver­mu­tung: das kommt auch nicht wie­der, höchs­tens in Form von Betei­li­gungs­pha­sen vor Par­tei­ta­gen. Coro­na macht’s mög­lich, dass jetzt alle Welt von digi­ta­len Par­tei­ta­gen spricht und eini­ge davon sogar mit Erfolg durch­ge­führt wer­den. Mal sehen, was nach der Pan­de­mie davon übrig bleibt.

Ich neh­me das Jubi­lä­um jeden­falls mal zum Anlass, die diver­sen Tex­te von mir dazu gesam­melt zur Ver­fü­gung zu stel­len. Ein paar der Auf­sät­ze, die dazu pas­sen wür­den, sind der­zeit nicht online erreich­bar, weil Sei­ten relauncht wur­den oder Netz­zeit­schrif­ten ein­ge­stellt wur­den – ich neh­me die hier mal mit auf und lie­fe­re bei Gele­gen­heit nach:

Die erste digitale Bundesdelegiertenkonferenz – Abstimmungsmarathon um unsere Grundwerte

#dbdk20

20 Jah­re nach dem ers­ten vir­tu­el­len Par­tei­tag und ein hal­bes Jahr nach der gro­ßen Schalt­kon­fe­renz, dem digi­ta­len Län­der­rat, tag­te an die­sem Wochen­en­de die grü­ne Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz (BDK) digi­tal. Hash­tag #dbdk20. Coro­na macht’s mög­lich – und gleich­zei­tig lässt sich fest­stel­len: so eine digi­ta­le BDK ist fast genau­so anstren­gend wie zwei­ein­halb Tage in irgend­ei­ner Mes­se­hal­le zu sit­zen, dort Reden zu lau­schen, kon­zen­triert abzu­stim­men und neben­bei noch den einen oder ande­ren Plausch zu hal­ten. Die Hin- und Rück­fahrt ent­fällt, aber das macht das feh­len­de Wochen­en­de auch nicht wett.

„Die ers­te digi­ta­le Bun­des­de­le­gier­ten­kon­fe­renz – Abstim­mungs­ma­ra­thon um unse­re Grund­wer­te“ weiterlesen

In eigener Sache: Was wäre wenn, …

Der grü­ne Kreis­ver­band Frei­burg hat sein Mit­glie­der­ma­ga­zin Grün in Frei­burg von Print auf online umge­stellt und mich gebe­ten, für die zukünf­tig regel­mä­ßig geplan­te Rubrik „Sag’s den Grü­nen“ den Auf­takt zu machen. Geschrie­ben habe ich – noch im August, vor der Auf­re­gung um eine unhy­gie­ni­sche Groß­de­mo in Ber­lin – etwas dazu, wie wir Grü­ne uns ver­hal­ten hät­ten, wenn die Coro­na-Pan­de­mie vor 30 Jah­ren statt­ge­fun­den hät­te? (Ja, es geht um die Fra­ge der Ori­en­tie­rung an Wis­sen­schaft­lich­keit und Fak­ten …). Aber auch jen­seits davon ist die ers­te Online-Aus­ga­be von Grün in Frei­burg recht inter­es­sant geworden.