Wer hat denn nun gewonnen?

BDK 09 - 19

Stef­fi Lem­ke mach­te es über­haupt nicht span­nend – nach zwei Sät­zen dazu, dass Trans­pa­renz und Demo­kra­tie die Gewin­ner die­ser Urwahl sei­en, kam dann auch das Ergeb­nis: Kat­rin Göring-Eckardt und Jür­gen Trit­tin sind unse­re bei­den Spit­zen­kan­di­da­tIn­nen. Nicht mei­ne Wahl, aber unbe­strit­ten die Wahl der Par­tei. Und da ist mir ein von der Basis ver­ord­ne­tes Team aus @JTrittin und @_KGE_ alle­mal lie­ber als ein unter sich aus­ge­klün­gel­ter Peer Steinbrück. 

Scha­de nur, dass die Chan­ce, dass Grü­ne den Kanz­ler oder die Kanz­le­rin nach der Bun­des­tags­wahl 2013 stel­len wer­den, trotz wie­der ein biss­chen gestie­ge­ner Umfra­ge­wer­te wohl nicht all­zu groß ist.

Jür­gen und Kat­rin ste­hen in der Tat für die Brei­te der Par­tei. Für eine Bun­des­tags­wahl ist das gut, den­ke ich. Was es für unse­re Pro­gram­ma­tik und die Wei­ter­ent­wick­lung unse­res Selbst­ver­ständ­nis­ses bedeu­tet, wer­den wir sehen. 

An die­ser Stel­le auf jeden Fall schon ein­mal einen herz­li­chen Glück­wunsch an die bei­den SpitzenkandidatInnen!

Aber war das gan­ze ein über­ra­schen­des Ergeb­nis? „Wer hat denn nun gewon­nen?“ weiterlesen

Das Glatteis der Mitregierung

Wie immer vor wich­ti­gen Wah­len dis­ku­tie­ren wir Grü­ne hef­tig dar­über, ob bestimm­te Koali­tio­nen aus­ge­schlos­sen wer­den dür­fen oder nicht. Ein Argu­ment hier fin­de ich span­nend, weil es ziem­lich rut­schig ist. Das bringt hier Kon­stan­tin von Notz in die Debat­te – aber er ist nicht der einzige:

 @sven_kindler Entscheidende Ausschließeritis-Frage: Ist Große Koalition besser als eine Koa mit grüner Beteiligung? @bueti @djanecek

Klingt erst­mal plau­si­bel. Es gibt eine Men­ge der mög­li­chen Koali­tio­nen K = {k1, k2, …}, und ein opti­ma­les Wahl­er­geb­nis für Grü­ne ist erreicht, wenn die Koali­ti­on aus der Men­ge K rea­li­siert wird, die den größ­ten „Nut­zen“ fgrün(k) auf­weist. fPar­tei(k) könn­te dar­an gemes­sen wer­den, wie vie­le Vor­ha­ben aus dem Wahl­pro­gramm einer Par­tei sich im ver­mu­te­ten Koali­ti­ons­ver­trag wie­der­fin­den. Klar: 

fgrün(kCDU+GRÜNE) > fgrün(kCDU+SPD)

Fies dar­an ist: Aus die­ser Per­spek­ti­ve ist höchst­wahr­schein­lich jede Koali­ti­on mit grü­ner Betei­li­gung bes­ser als irgend­ei­ne mög­li­che Koali­ti­on ohne grü­ne Betei­li­gung – es sei denn, eine gro­ße Koali­ti­on oder rot-rot oder schwarz-gelb wür­de mehr grü­ne Pro­jek­te umset­zen als eine mög­li­che Koali­ti­on mit grü­ner Beteiligung. 

Nun ist es aller­ding so, dass die Pro­po­nen­tIn­nenen der gene­rel­len Koali­ti­ons­of­fen­heit meis­tens kei­ne Lust haben, fgrün(kGRÜNE+SPD+LINKE) zu berück­sich­ti­gen. Obwohl doch auch dort der Nut­zen aus grü­ner Sicht höchst­wahr­schein­lich grö­ßer wäre als für z.B. fgrün(kCDU+FDP). War­um ist das so? 

Viel­leicht allein schon des­we­gen, weil die Nut­zen­funk­ti­on f ziem­lich naiv ist (und weil Poli­tik nur begrenzt ratio­nal funk­tio­niert, aber das ist eine ande­re Debat­te). Eine nicht nai­ve Nut­zen­funk­ti­on müss­te z.B. auch berück­sich­ti­gen, wie groß der Glaub­wür­dig­keits- oder Grund­werts­ver­stoß­fak­tor ggrün(k) ist. Und für eini­ge wäre eine Regie­rungs­be­tei­li­gung der Links­par­tei hier ein gro­ßer nega­ti­ver Effekt.

Anders gesagt: Zieht eine Koali­ti­on, die zunächst ein­mal posi­ti­ve Effek­te bringt, auf der ande­ren Sei­te Kon­se­quen­zen nach sich, die ganz und gar nicht gewollt sind? 

Selbst die kGRÜN+SPD hier in Baden-Würt­tem­berg schnei­det beim Blick auf ggrün(kGRÜN+SPD) nicht nur posi­tiv ab – schließ­lich gehört auch die Innen­po­li­tik des SPD-Innen­mi­nis­ters Gall und die Ver­kehrs­po­li­tik der SPD-Frak­ti­ons­vor­sit­zen­den Schmie­del zum Gesamt­ta­bleau. Und dann, da wird mir die Mathe­ma­tik aber zu kom­pli­ziert, gibt es noch Effek­te zwei­ter Ord­nung mit mit­tel- bis lang­fris­ti­gen Fol­gen. Wäh­ler­bin­dung, Stär­kung oder Schwä­chung der Kon­kur­renz, Nut­zen­funk­tio­nen ande­rer Par­tei­en, die die­se wie­der­um in ihre stra­te­gi­schen Über­le­gun­gen einbeziehen, … 

Letzt­lich ist der Nut­zen einer Koali­ti­on damit eher …

ugrün(k) = a*fgrün(k) + b*ggrün(k) + c*zgrün(fgrün, fSPD, fCDU, … ggrün, … zSPD( …), … x, y )

… und danach soll­ten wir die Men­ge K bewer­ten, nicht allei­ne nach Sche­ma f.

War­um blog­ge ich das? Ich bin über­haupt nicht davon über­zeugt, dass der Nut­zen bestimm­ter Koali­tio­nen sich mathe­ma­tisch fas­sen lässt. Inso­fern kei­ne Sor­ge, ganz ernst ist die­ser Blog­bei­trag nicht gemeint. Ernst ist es mir aller­dings damit, dass wir mög­li­che Koali­tio­nen nicht nur danach beur­tei­len soll­ten, ob wir Grü­ne etwas posi­ti­ves ver­än­dern kön­nen, son­dern auch danach, was eine Koali­ti­on lang­fris­tig mit uns macht, und wel­chen Nut­zen ande­re davon haben.

Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil III)

Little prairie

III. Vom Bürgerschreck zur Bürgerregierung

Im ers­ten Teil die­ses Tex­tes hat­te ich noch ein­mal auf die grü­nen Anfän­ge zurück­ge­blickt. Aus ganz unter­schied­li­chen Beweg­grün­den kamen Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jah­re ganz unter­schied­li­che Men­schen zusam­men, um DIE GRÜNEN auf­zu­bau­en und zu grün­den. Aus die­ser Viel­falt wur­den grü­ne Grund­wer­te zusam­men­ge­tra­gen, ein­ge­bet­tet in den Kom­mu­ni­ka­ti­ons­zu­sam­men­hän­gen und Lebens­sti­len eines alter­na­ti­ven Milieus. 

Das Stich­wort Milieu lie­fer­te dann die Grund­la­ge für den zwei­ten Teil, in dem ich meh­re­re Fest­stel­lun­gen getrof­fen habe:

„Bür­ger­li­che Wer­te – oder wie wir uns unse­re Wäh­le­rIn­nen vor­stel­len (Teil III)“ weiterlesen

Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil II)

Fort­set­zung von Teil I. Anfän­ge.

II. Werte, Lager und Milieus

Die gesell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen der letz­ten vier­zig Jah­re las­sen sich auch anders beschrei­ben, auf einer noch grund­sätz­li­che­ren Ebe­ne. Damit sind wir bei Ingel­hart und dem Post­ma­te­ria­lis­mus. Eine wirt­schaft­lich und sozio­kö­no­misch eini­ger­ma­ßen gesät­tig­te Gesell­schaft ent­deckt, dass es nicht unbe­dingt um „Haben“ geht. „Sein“ kommt ins Spiel – und dif­fe­ren­ziert sich wei­ter aus, in Rich­tung „Erleb­nis­kon­sum“ einer­seits und in Rich­tung „Selbst­ent­fal­tung“ andererseits. 

Aus die­sen Grund­ori­en­tie­run­gen einer­seits und dem sozia­len Sta­tus – Bil­dung, Ein­kom­men, Aner­ken­nung, Ein­fluss; kurz: unten und oben – ande­rer­seits lässt sich ein Ras­ter ent­wi­ckeln. Das Markt­for­schungs­in­sti­tut SINUS hat das gemacht (und Bour­dieu hat schon zuvor ähn­li­ches getan, und ande­re auch) – übri­gens wohl aus der Beob­ach­tun­gen her­aus, dass die poli­ti­schen Dif­fe­ren­zen der Bewe­gun­gen der 1980er Jah­re sich durch­aus auch in all­tags­äs­the­ti­schen Unter­schie­den, in unter­schied­li­chen Lebens­stil­prä­fe­ren­zen nie­der­ge­schla­gen haben. Am Schluss sind dann Wohn­zim­mer­ka­ta­lo­ge herausgekommen.

„Bür­ger­li­che Wer­te – oder wie wir uns unse­re Wäh­le­rIn­nen vor­stel­len (Teil II)“ weiterlesen

Bürgerliche Werte – oder wie wir uns unsere WählerInnen vorstellen (Teil I)

I. Anfänge

Das Schwä­bi­sche Tag­blatt nimmt die Wahl von Fritz Kuhn zum Ober­bür­ger­meis­ter von Stutt­gart zum Anlass für eine Archiv­re­cher­che über die grü­nen Anfän­ge in Tübin­gen in den frü­hen 1980er Jah­ren. Bünd­nis 90/Die Grü­nen heu­te sind nicht mehr DIE GRÜNEN von 1983. Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Par­tei­mit­glie­der ist viel spä­ter ein­ge­tre­ten und hat ihre eige­nen Ideen in die Par­tei hin­ein­ge­bracht. Aber vie­le der­je­ni­gen, die heu­te im Schein­wer­fer­licht ste­hen, haben sehr direkt mit die­sen Anfän­gen zu tun. Des­we­gen glau­be ich, dass es für eine Debat­te über das grü­ne Ver­hält­nis zum Bür­ger­tum sinn­voll ist, sich noch ein­mal vor Augen zu hal­ten, wie die­se Par­tei damals aussah.

Viel­leicht an die­ser Stel­le ein klei­ner auto­bio­gra­phi­scher Ein­schub. Ich bin 1975 in Tübin­gen gebo­ren. Mei­ne Eltern waren in der neu gegrün­de­ten Par­tei in die­ser Stadt aktiv, bis wir – da war ich etwa acht Jah­re alt – nach Abschluss der Pro­mo­ti­on mei­nes Vaters weg­zo­gen. Uni­stadt eben, aka­de­mi­sches Milieu. 

Auch wenn ich kei­ne direk­ten Erin­ne­run­gen an die ers­ten Jah­re der Grü­nen habe, gibt es allein schon daher bei mir ein Gefühl bio­gra­phi­scher Ver­bun­den­heit zu den grü­nen Anfängen. 

Wer waren die­se Leu­te, die damals die grü­ne Par­tei gegrün­det haben? Unzu­frie­de­ne mit einer SPD, die die in sie gesetz­ten Erwar­tun­gen in einen wirk­li­chen demo­kra­ti­schen, sozia­len und öko­lo­gi­schen Auf­bruch nicht erfüllt haben. Fritz Kuhn war mal Juso. Kon­ser­va­ti­ve, auch Rech­te, denen der Schutz des Lebens wich­tig war – und denen die neue Par­tei bald zu links war. Die Über­res­te von 1968 und Men­schen aus den Bewe­gun­gen, die sich in den 1970er Jah­ren gegrün­det haben. Frie­den, Frau­en, Umwelt­schutz. Pro­tes­tan­tIn­nen, die aus ihrem Glau­ben her­aus zur soli­da­ri­schen Ent­wick­lungs­po­li­tik und zur Eine-Welt-Bewe­gung gefun­den hat­ten. In den ASten und K‑Gruppen sozia­li­sier­te – Win­fried Kret­sch­mann und, eben­so, aber ganz anders, Rein­hard Büti­ko­fer. Natur­wis­sen­schaft­le­rIn­nen, die durch den blin­den Fort­schritts­glau­ben der herr­schen­den Leh­re an den Hoch­schu­len in die Poli­tik gespült wor­den waren. Eso­te­ri­ke­rIn­nen, für die Par­tei Selbst­er­fah­rung war – oder ein Weg, um end­lich ein­mal ver­schwö­re­risch Öffent­lich­keit zu finden.

Kurz: In den Anfangs­jah­ren war das wohl eine ziem­lich wil­de Mischung. Die sich in ihrer gan­zen Viel­falt zusam­men­ge­rauft hat, um den drän­gen­den, kon­kre­ten Pro­ble­men der Zeit eine poli­ti­sche Stim­me zu geben. Der Schutz der Lebens­grund­la­gen. Die ato­ma­re Bedro­hung. Der Staat, der sei­ne Bür­ge­rin­nen und Bür­ger nicht ernst nahm. Die erstarr­te Gesell­schaft grau­haa­ri­ger Männer.

Was die­se ganz unter­schied­li­chen Men­schen zusam­men­ge­bracht hat, war – neben den ganz kon­kre­ten Fra­gen, den Stra­ßen­bau­ten und Bio­to­pen, den AKW-Stand­or­ten und Rake­ten­de­pots – wohl zunächst ein­mal ein Zeit­geist, der in sei­ner Mischung aus Zukunfts­angst und uto­pi­scher Hoff­nung auf das Mög­li­che dia­me­tral zur offi­zi­el­len Hal­tung stand. Viel­leicht ein Lebensgefühl. 

Waren das schon Wer­te? Oder fan­den die sich erst in der sich for­mie­ren­den Par­tei (die auch mal den Slo­gan „nicht links, nichts rechts, son­dern vorn“ gut fand)? Selbst „basis­de­mo­kra­tisch – öko­lo­gisch – sozi­al – gewalt­frei“ als Ban­ner der Grund­wer­te war ja eigent­lich nicht viel mehr als ein Kom­pro­miss, ein Ver­such mal auf­zu­schrei­ben, was alle so halb­wegs tei­len konn­ten, und was jede Ein­zel­ne dann doch anders betonte.

Aller­dings ist die­se Viel­falt zugleich eine grü­ne Stär­ke – noch heu­te. Im aktu­el­len gül­ti­gen Grund­satz­pro­gramm von 2002 (pdf) wer­den dem­entspre­chend die lin­ken und libe­ra­len, wert­kon­ser­va­ti­ven und soli­da­ri­schen Wur­zeln der öko­lo­gi­schen Par­tei beschwo­ren, wird aber auch dar­ge­stellt, wie sich aus die­ser Hete­ro­ge­ni­tät her­aus eine gemein­sa­me poli­ti­sche Iden­ti­tät „grün“ ent­wi­ckelt hat. Wer möch­te, kann die­se Iden­ti­tät unter Begrif­fe wie sozi­al-öko­lo­gisch, nach­hal­tig, gene­ra­tio­nen­ge­recht, zukunfts­ori­en­tiert stel­len. Gleich­zei­tig blei­ben die Wur­zeln in ihrer Brei­te, die trotz der zah­len­mä­ßig gerin­gen Grö­ße der Par­tei weit­ge­hen­de dis­kur­si­ve Anschluss­fä­hig­keit her­stel­len. Volks­par­tei en minia­tu­re, aber mit kla­ren Inhal­ten. Viel­falt, bei der es übri­gens, neben­bei gesagt, über­haupt nicht scha­det, die­se auch immer wie­der öffent­lich sicht­bar zu machen – nicht zuletzt personell.

Im Teil II. geht’s wei­ter mit Wer­ten, Lagern und Milieus.