Wie angekündigt, hier nun noch der Blick auf die Bücher, die ich im November und Dezember gelesen habe.
Ich fange mal mit The Light Eaters (2024) von Zoë Schlanger an. Das ist keine Science Fiction, sondern ein erstaunliches Sachbuch, in dem die Journalistin Schlanger uns mit in eine Entdeckungsreise in die Welt der Pflanzen nimmt – über die wir weitaus weniger wissen, als wir denken, und die bei genauerer Betrachtung erstaunliche Leistungen vollbringen, wenn etwa Blattformen je nach Standort geändert oder Abwehrstoffe beim Befall benachbarter Pflanzen produziert werden. In gewisser Weise sind diese sich von Licht ernährenden Lebewesen nicht nur die Grundlage allen irdischen Lebens, sondern auch so etwas wie gerne übersehene Aliens in unserer Mitte. Spannend jedenfalls, wie Pflanzen alleine und in Gemeinschaft leben, wie sie kommunizieren und wie sie Verhaltensweisen zeigen, die über einfache Reiz-Reaktions-Schemata weit hinausgehen. Das lebendig erzählte Buch macht nachdenklich (und ist nebenbei auch ein guter Text über Paradigmenwechsel und wissenschaftliche Praktiken). Das fantastisch gestaltete Titelbild weckt allerdings die Erwartungen, dass es auch im Buch Zeichnungen oder Fotos der beschriebenen Pflanzen geben würde – das ist nicht der Fall. Schlanger setzt ganz und gar auf Text, das dafür überzeugend.
Die weitere Lektüre der letzten beiden Monate ist etwas durchwachsen. Zuletzt habe ich Invasion (2016) und Children of the night (1990) von Mercedes Lackey gelesen, einer sehr produktiven Fantasy-Autorin, die bisher an mir vorübergegangen ist. So ganz überzeugt haben mich die beiden Romane, die, wenn ich mich richtig erinnere, im Zuge einer Bundle-Aktion auf mein Lesegerät geraten sind, jedoch nicht. Falls jemand Empfehlungen hat, ob es von Lackey und ihren Co-Autor*innen Werke gibt, die unbedingt gelesen werden müssen – gerne Hinweise. Invasion ist jedenfalls der erste Band der Secret-World-Trilogie, in der es um eine Gegenwart gibt, in der Superheld*innen ihr bestes tun, die Erde zu beschützen. Das Buch schildert aus vielen unterschiedlichen Perspektiven eine Invasion von Nazi-Außerirdischen und die Folgen davon für die Arbeit der Superhelden-Agentur Echo. Magie und Engel gibt es auch, insgesamt: a bit much, auch wenn die Innenansicht der weit überwiegend gebrochenen und mit Selbstzweifeln kämpfenden Held*innen gut gelungen und der Schreibstil locker und schnell weglesbar ist. Children of the night würde ich dagegen fast schon Richtung Horror einsortieren, jedenfalls: dark urban fantasy. Die Ermittlerin, Aushilfe in einem Esoterik-Geschäft und Möchtegern-Romanzen-Autorin Diana Tregarde hat magische Kräfte, ist Anhängerin des Neopaganismus und ein Guardian, also eine Art Wächterin. Sie versucht, in einem winterlichen New York der 1970er einer Art Vampiren auf die Spur zu kommen, die Menschen seelisch zerstören und manchmal auch umbringen. Dazwischen: Musikgeschäft, der Alltag in – aus Gründen – einem sonst nur von Tänzer*innen bewohnten Haus, eine Liebesgeschichte. Dieser Roman hat mir besser gefallen als Invasion, aber kein „mehr davon“ ausgelöst.
Eher schwer getan (aus ganz anderen Gründen) habe ich mir auch mit dem hochgelobten Roman Central Station (2016) von Lavie Tidhar. Ein futuristisches Tel Aviv, der Nah-Ost-Konflikt scheint eine Lösung gefunden zu haben bzw. durch andere Kriege abgelöst wurden zu sein, es gibt künstliche Intelligenzen und Ex-Soldaten-Cyborgs, Drogen und heruntergekommene Orte, genetisch modifizierte Pflanzen, die ganze Häuser bilden, und insbesondere die titelgebende Central Station, die am Platz des alten Busbahnhofs in Tel Aviv errichtet wurde und die Erde mit dem Mond, dem Mars und weiteren Himmelskörpern verbindet. Menschen gehen Verbindungen mit den „Anderen“ ein – ich interpretiere das als digitale Wesen – und erlangen dadurch fast schon übersinnliche Fähigkeiten, werden zum Orakel oder zu an mehreren Orten gleichzeitig anwesenden Hologrammpersonen. Insgesamt also ein sehr interessantes Setting – aber so richtig viel findet in den Seiten des Romans irgendwo zwischen Postcyberpunk und Philip K. Dick nicht statt.
Gut gefallen hat mir dagegen Dies ist mein letztes Lied (2023) von Lena Richter. Der schmale Band – Richter spricht von einer Novelle – besteht aus Vignetten. Die Erzählperson hat die Fähigkeit, durch Musik „Türen“ in andere Welten zu öffnen. Wir erleben sie in ganz unterschiedlichen Situationen, die – egal ob als gefeierter Star oder im zerbombten Kriegsbild auf einem gefundenen Musikinstrument – dadurch gekennzeichnet sind, dass das letzte Lied eine Tür öffnet. Wie es in der jeweiligen Situation weitergeht, erfahren wir nicht; die Erzählperson landet in der nächsten Welt. Trotzdem kommen nach und nach durchgehende Fäden zusammen und zeigen ein Gesamtbild einer eher düsteren Zukunft, in der Kunst dennoch weiterhin eine wichtige Rolle spielt.
Die Novelle How to Steal a Galaxy (2024) ist gerade neu herausgekommen. Beth Revis schreibt in dieser Fortsetzung von Full Speed to a Crash Landing (August 2024) – Genre: sexy heist space opera – über neue Abenteuer der Hauptperson Ada Lamarr. In Crash Landing hat diese versucht, zu verhindern, dass eine Nanotechnologie, die auf der postapokalyptischen Erde ausgesetzt werden soll und in einem abgestürzten Raumschiff zu finden ist, ihr Ziel erreicht. In How to Steal a Galaxy trifft sie nun erneut auf ihren Widersacher/love interest, diesmal im Setting eines prunkvollen Balls in einem Museum auf einer weit entfernten Koloniewelt – mit einem muskianischen Bösewicht, viel Technologie und ein bisschen Romanze. Sie ist nicht privat da, sondern hat einen Auftrag, für den sie auf diese Gala eingeschmuggelt wurde – hat aber auch eigene Ziele. Abenteuerlich, amüsant geschrieben und schnell gelesen, aber auch ein bisschen flach.
Alliance Unbound (2024) von C.J. Cherryh und Jane Fancher ist die Fortsetzung von Alliance Rising (2019) und spielt im Alliance-Union-Universum rund um Pell’s Star, Cyteen und die „Hinder Stars“, in dem viele von Cherryhs Bücher angesiedelt sind. Während ich, wenn ich mich richtig erinnere, von Alliance Rising nur so halb begeistert war, hat mir der neue Band deutlich besser gefallen. In diesem Universum gibt es die Möglichkeit, über Sprungpunkte schneller als mit Lichtgeschwindigkeit von einem Sternensystem zum anderen zu reisen – das bedarf nicht nur der richtigen Technologie, quasi einem Surfen auf den Gravitationswellen großer Objekte, sondern auch besonderer Fähigkeiten. Großfamilien reisen mit ihren entsprechend ausgerüsteten Raumschiffen von Station zu Station, treiben dabei Handel und sind – weil sie immer wieder aus der Gegenwart gerissen werden – weitgehend auf sich selbst gestellt. Die Technologie für diese FTL-Reisen stammt von der technologisch fortgeschrittenen Station Cyteen. Bisher gibt es keine Sprungpunkte, die zur Sonne führen, so dass die Stationen in den Sternsystemen der „Hinder Stars“ weitgehend auf sich selbst gestellt sind. Die „Earth Company“ ist zwar überall präsent, hat aber zunehmend weniger Einfluss. Die entsprechenden Auseinandersetzungen und Versuche, Macht zu erlangen, waren Teil der in Alliance Rising erzählten Geschichte und spielen auch in Alliance Unbound eine große Rolle. Insbesondere gibt es das Gerücht, dass die Sonne inzwischen selbst über FTL-Technologie verfügt und diese nutzen möchte, um die Vorherrschaft über die Stationen und Schiffe der Alliance wieder zurückzugewinnen. Als Ergebnis der Kämpfe in Alliance Unbound ist Ross Monahan, der eigentlich zur Galway gehört, auf der Finity’s End gelandet, dem größten Schiff der Alliance, und ist dort Trainee als Navigator. Er ist zusammen mit Jen Neihart, einer Nichte des Senior Captains der Finity’s End – ungewöhnlich, da langfristige Beziehungen außerhalb einer Schiffsfamilie eigentlich verpönt sind. Aus den Perspektiven von Ross und Jen erleben wir nicht nur die luxuriöse Station bei Pell’s Star, sondern kommen nach und nach auch den Gerüchten näher. Das ganze ist lebendig und psychologisch wie politisch tiefgründig gezeichnet. Manchmal lohnt es sich, auf eine sich über viele Bände erstreckende Welt zurückgreifen zu können.
Katherine Addison kehrt in Grief of Stones (2022) in die Fantasy-Welt zurück, in der auch schon The Goblin Emperor und The Witness for the Dead spielen. Es gibt Kobolde und Elfen, politische Intrigen und Klassenkämpfe, Alltagsszenen der Boheme und der religiösen Kaste – und einen Mordfall, den Thara Celehar lösen will, womit er immer tiefer in mysteriöse und zunehmend gruseliger werdende Verwicklungen hineingerät.
Schließlich habe ich noch Diamond Age: A Young Lady’s Primer (1995) von Neal Stephenson gelesen. Das habe ich 1995 oder 1996 schon mal getan, damals die deutsche Ausgabe (Die Grenzwelt), und auch wenn die Übersetzung besser ist, als ich sie in Erinnerung hatte, so hat es sich gelohnt, das nochmal im Original zu lesen. Manches ist mir erst jetzt klar geworden, etwa, dass das „Diamond Age“ im Titel sich darauf bezieht, dass diese nicht ganz weit entfernte Zukunft für fast alles auf billig hergestellte künstliche Diamanten setzt, die Kohle- und Atomzeitalter abgelöst haben. In Diamond Age leben die Menschen nicht mehr in Nationalstaaten, sondern in anhand ethnischer oder ideologischer Abgrenzungen vorgenommener „Tribes“ – zumindest die, die es sich leisten können und nicht zu den „Proles“ gehören. Ein bisschen schmunzeln musste ich darüber, dass nicht nur die libertären Stämme, sondern auch die Neoviktorianer trotz ihres schön gezeichneten ästhetischen Lebensstils deutliche Anzeichnen dieser neoliberalen Ideologie aufweisen. Aus heutiger Sicht besonders interessant der titelgebende „Young Lady’s Primer“ – ein mit Nanomaschinen 3D-gedrucktes „Buch“, das eine KI enthält, die ungefähr das kann, was ChatGPT kann – und dafür sorgt, dass die Heldin der Geschichte (anfangs ein kleines Kind, dem das Buch Märchen erzählt, später eine junge Frau) eben tatsächlich zur Heldin wird. Nebenbei ist das Buch im Buch, verpackt im Märchengeschichten, auch eine Einführung in Turingmaschinen und Äquivalenzklassen. Soweit weiter spannend und lesenswert – aus heutiger Sicht etwas schräg die eine oder andere doch sehr stereotype ethnische Kennzeichnung und die letztlich auf Orgien/Vergewaltigung zur Informationsübertragung basierende Welt der „Drummer“.