Science Fiction und Fantasy im November und Dezember 2024, Teil II

Winter walk with frost, Gundelfingen - Wildtal - Zähringen - XXXIV

Wie ange­kün­digt, hier nun noch der Blick auf die Bücher, die ich im Novem­ber und Dezem­ber gele­sen habe.

Ich fan­ge mal mit The Light Eaters (2024) von Zoë Schlan­ger an. Das ist kei­ne Sci­ence Fic­tion, son­dern ein erstaun­li­ches Sach­buch, in dem die Jour­na­lis­tin Schlan­ger uns mit in eine Ent­de­ckungs­rei­se in die Welt der Pflan­zen nimmt – über die wir weit­aus weni­ger wis­sen, als wir den­ken, und die bei genaue­rer Betrach­tung erstaun­li­che Leis­tun­gen voll­brin­gen, wenn etwa Blatt­for­men je nach Stand­ort geän­dert oder Abwehr­stof­fe beim Befall benach­bar­ter Pflan­zen pro­du­ziert wer­den. In gewis­ser Wei­se sind die­se sich von Licht ernäh­ren­den Lebe­we­sen nicht nur die Grund­la­ge allen irdi­schen Lebens, son­dern auch so etwas wie ger­ne über­se­he­ne Ali­ens in unse­rer Mit­te. Span­nend jeden­falls, wie Pflan­zen allei­ne und in Gemein­schaft leben, wie sie kom­mu­ni­zie­ren und wie sie Ver­hal­tens­wei­sen zei­gen, die über ein­fa­che Reiz-Reak­ti­ons-Sche­ma­ta weit hin­aus­ge­hen. Das leben­dig erzähl­te Buch macht nach­denk­lich (und ist neben­bei auch ein guter Text über Para­dig­men­wech­sel und wis­sen­schaft­li­che Prak­ti­ken). Das fan­tas­tisch gestal­te­te Titel­bild weckt aller­dings die Erwar­tun­gen, dass es auch im Buch Zeich­nun­gen oder Fotos der beschrie­be­nen Pflan­zen geben wür­de – das ist nicht der Fall. Schlan­ger setzt ganz und gar auf Text, das dafür überzeugend.

Die wei­te­re Lek­tü­re der letz­ten bei­den Mona­te ist etwas durch­wach­sen. Zuletzt habe ich Inva­si­on (2016) und Child­ren of the night (1990) von Mer­ce­des Lackey gele­sen, einer sehr pro­duk­ti­ven Fan­ta­sy-Autorin, die bis­her an mir vor­über­ge­gan­gen ist. So ganz über­zeugt haben mich die bei­den Roma­ne, die, wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, im Zuge einer Bund­le-Akti­on auf mein Lese­ge­rät gera­ten sind, jedoch nicht. Falls jemand Emp­feh­lun­gen hat, ob es von Lackey und ihren Co-Autor*innen Wer­ke gibt, die unbe­dingt gele­sen wer­den müs­sen – ger­ne Hin­wei­se. Inva­si­on ist jeden­falls der ers­te Band der Secret-World-Tri­lo­gie, in der es um eine Gegen­wart gibt, in der Superheld*innen ihr bes­tes tun, die Erde zu beschüt­zen. Das Buch schil­dert aus vie­len unter­schied­li­chen Per­spek­ti­ven eine Inva­si­on von Nazi-Außer­ir­di­schen und die Fol­gen davon für die Arbeit der Super­hel­den-Agen­tur Echo. Magie und Engel gibt es auch, ins­ge­samt: a bit much, auch wenn die Innen­an­sicht der weit über­wie­gend gebro­che­nen und mit Selbst­zwei­feln kämp­fen­den Held*innen gut gelun­gen und der Schreib­stil locker und schnell weg­les­bar ist. Child­ren of the night wür­de ich dage­gen fast schon Rich­tung Hor­ror ein­sor­tie­ren, jeden­falls: dark urban fan­ta­sy. Die Ermitt­le­rin, Aus­hil­fe in einem Eso­te­rik-Geschäft und Möch­te­gern-Roman­zen-Autorin Dia­na Tre­gar­de hat magi­sche Kräf­te, ist Anhän­ge­rin des Neo­pa­ga­nis­mus und ein Guar­di­an, also eine Art Wäch­te­rin. Sie ver­sucht, in einem win­ter­li­chen New York der 1970er einer Art Vam­pi­ren auf die Spur zu kom­men, die Men­schen see­lisch zer­stö­ren und manch­mal auch umbrin­gen. Dazwi­schen: Musik­ge­schäft, der All­tag in – aus Grün­den – einem sonst nur von Tänzer*innen bewohn­ten Haus, eine Lie­bes­ge­schich­te. Die­ser Roman hat mir bes­ser gefal­len als Inva­si­on, aber kein „mehr davon“ ausgelöst.

Eher schwer getan (aus ganz ande­ren Grün­den) habe ich mir auch mit dem hoch­ge­lob­ten Roman Cen­tral Sta­ti­on (2016) von Lavie Tid­har. Ein futu­ris­ti­sches Tel Aviv, der Nah-Ost-Kon­flikt scheint eine Lösung gefun­den zu haben bzw. durch ande­re Krie­ge abge­löst wur­den zu sein, es gibt künst­li­che Intel­li­gen­zen und Ex-Sol­da­ten-Cyborgs, Dro­gen und her­un­ter­ge­kom­me­ne Orte, gene­tisch modi­fi­zier­te Pflan­zen, die gan­ze Häu­ser bil­den, und ins­be­son­de­re die titel­ge­ben­de Cen­tral Sta­ti­on, die am Platz des alten Bus­bahn­hofs in Tel Aviv errich­tet wur­de und die Erde mit dem Mond, dem Mars und wei­te­ren Him­mels­kör­pern ver­bin­det. Men­schen gehen Ver­bin­dun­gen mit den „Ande­ren“ ein – ich inter­pre­tie­re das als digi­ta­le Wesen – und erlan­gen dadurch fast schon über­sinn­li­che Fähig­kei­ten, wer­den zum Ora­kel oder zu an meh­re­ren Orten gleich­zei­tig anwe­sen­den Holo­gramm­per­so­nen. Ins­ge­samt also ein sehr inter­es­san­tes Set­ting – aber so rich­tig viel fin­det in den Sei­ten des Romans irgend­wo zwi­schen Post­cy­ber­punk und Phil­ip K. Dick nicht statt.

Gut gefal­len hat mir dage­gen Dies ist mein letz­tes Lied (2023) von Lena Rich­ter. Der schma­le Band – Rich­ter spricht von einer Novel­le – besteht aus Vignet­ten. Die Erzähl­per­son hat die Fähig­keit, durch Musik „Türen“ in ande­re Wel­ten zu öff­nen. Wir erle­ben sie in ganz unter­schied­li­chen Situa­tio­nen, die – egal ob als gefei­er­ter Star oder im zer­bomb­ten Kriegs­bild auf einem gefun­de­nen Musik­in­stru­ment – dadurch gekenn­zeich­net sind, dass das letz­te Lied eine Tür öff­net. Wie es in der jewei­li­gen Situa­ti­on wei­ter­geht, erfah­ren wir nicht; die Erzähl­per­son lan­det in der nächs­ten Welt. Trotz­dem kom­men nach und nach durch­ge­hen­de Fäden zusam­men und zei­gen ein Gesamt­bild einer eher düs­te­ren Zukunft, in der Kunst den­noch wei­ter­hin eine wich­ti­ge Rol­le spielt.

Die Novel­le How to Ste­al a Gala­xy (2024) ist gera­de neu her­aus­ge­kom­men. Beth Revis schreibt in die­ser Fort­set­zung von Full Speed to a Crash Landing (August 2024) – Gen­re: sexy heist space ope­ra – über neue Aben­teu­er der Haupt­per­son Ada Lamarr. In Crash Landing hat die­se ver­sucht, zu ver­hin­dern, dass eine Nano­tech­no­lo­gie, die auf der post­apo­ka­lyp­ti­schen Erde aus­ge­setzt wer­den soll und in einem abge­stürz­ten Raum­schiff zu fin­den ist, ihr Ziel erreicht. In How to Ste­al a Gala­xy trifft sie nun erneut auf ihren Widersacher/love inte­rest, dies­mal im Set­ting eines prunk­vol­len Balls in einem Muse­um auf einer weit ent­fern­ten Kolo­nie­welt – mit einem muskia­ni­schen Böse­wicht, viel Tech­no­lo­gie und ein biss­chen Roman­ze. Sie ist nicht pri­vat da, son­dern hat einen Auf­trag, für den sie auf die­se Gala ein­ge­schmug­gelt wur­de – hat aber auch eige­ne Zie­le. Aben­teu­er­lich, amü­sant geschrie­ben und schnell gele­sen, aber auch ein biss­chen flach.

Alli­ance Unbound (2024) von C.J. Cher­ryh und Jane Fan­cher ist die Fort­set­zung von Alli­ance Rising (2019) und spielt im Alli­ance-Uni­on-Uni­ver­sum rund um Pell’s Star, Cyteen und die „Hin­der Stars“, in dem vie­le von Cher­ryhs Bücher ange­sie­delt sind. Wäh­rend ich, wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, von Alli­ance Rising nur so halb begeis­tert war, hat mir der neue Band deut­lich bes­ser gefal­len. In die­sem Uni­ver­sum gibt es die Mög­lich­keit, über Sprung­punk­te schnel­ler als mit Licht­ge­schwin­dig­keit von einem Ster­nen­sys­tem zum ande­ren zu rei­sen – das bedarf nicht nur der rich­ti­gen Tech­no­lo­gie, qua­si einem Sur­fen auf den Gra­vi­ta­ti­ons­wel­len gro­ßer Objek­te, son­dern auch beson­de­rer Fähig­kei­ten. Groß­fa­mi­li­en rei­sen mit ihren ent­spre­chend aus­ge­rüs­te­ten Raum­schif­fen von Sta­ti­on zu Sta­ti­on, trei­ben dabei Han­del und sind – weil sie immer wie­der aus der Gegen­wart geris­sen wer­den – weit­ge­hend auf sich selbst gestellt. Die Tech­no­lo­gie für die­se FTL-Rei­sen stammt von der tech­no­lo­gisch fort­ge­schrit­te­nen Sta­ti­on Cyteen. Bis­her gibt es kei­ne Sprung­punk­te, die zur Son­ne füh­ren, so dass die Sta­tio­nen in den Stern­sys­te­men der „Hin­der Stars“ weit­ge­hend auf sich selbst gestellt sind. Die „Earth Com­pa­ny“ ist zwar über­all prä­sent, hat aber zuneh­mend weni­ger Ein­fluss. Die ent­spre­chen­den Aus­ein­an­der­set­zun­gen und Ver­su­che, Macht zu erlan­gen, waren Teil der in Alli­ance Rising erzähl­ten Geschich­te und spie­len auch in Alli­ance Unbound eine gro­ße Rol­le. Ins­be­son­de­re gibt es das Gerücht, dass die Son­ne inzwi­schen selbst über FTL-Tech­no­lo­gie ver­fügt und die­se nut­zen möch­te, um die Vor­herr­schaft über die Sta­tio­nen und Schif­fe der Alli­ance wie­der zurück­zu­ge­win­nen. Als Ergeb­nis der Kämp­fe in Alli­ance Unbound ist Ross Mona­han, der eigent­lich zur Gal­way gehört, auf der Finity’s End gelan­det, dem größ­ten Schiff der Alli­ance, und ist dort Trai­nee als Navi­ga­tor. Er ist zusam­men mit Jen Nei­hart, einer Nich­te des Seni­or Cap­ta­ins der Finity’s End – unge­wöhn­lich, da lang­fris­ti­ge Bezie­hun­gen außer­halb einer Schiffs­fa­mi­lie eigent­lich ver­pönt sind. Aus den Per­spek­ti­ven von Ross und Jen erle­ben wir nicht nur die luxu­riö­se Sta­ti­on bei Pell’s Star, son­dern kom­men nach und nach auch den Gerüch­ten näher. Das gan­ze ist leben­dig und psy­cho­lo­gisch wie poli­tisch tief­grün­dig gezeich­net. Manch­mal lohnt es sich, auf eine sich über vie­le Bän­de erstre­cken­de Welt zurück­grei­fen zu können.

Kathe­ri­ne Addi­son kehrt in Grief of Stones (2022) in die Fan­ta­sy-Welt zurück, in der auch schon The Goblin Emper­or und The Wit­ness for the Dead spie­len. Es gibt Kobol­de und Elfen, poli­ti­sche Intri­gen und Klas­sen­kämp­fe, All­tags­sze­nen der Bohe­me und der reli­giö­sen Kas­te – und einen Mord­fall, den Tha­ra Cele­har lösen will, womit er immer tie­fer in mys­te­riö­se und zuneh­mend gru­se­li­ger wer­den­de Ver­wick­lun­gen hineingerät.

Schließ­lich habe ich noch Dia­mond Age: A Young Lady’s Pri­mer (1995) von Neal Ste­phen­son gele­sen. Das habe ich 1995 oder 1996 schon mal getan, damals die deut­sche Aus­ga­be (Die Grenz­welt), und auch wenn die Über­set­zung bes­ser ist, als ich sie in Erin­ne­rung hat­te, so hat es sich gelohnt, das noch­mal im Ori­gi­nal zu lesen. Man­ches ist mir erst jetzt klar gewor­den, etwa, dass das „Dia­mond Age“ im Titel sich dar­auf bezieht, dass die­se nicht ganz weit ent­fern­te Zukunft für fast alles auf bil­lig her­ge­stell­te künst­li­che Dia­man­ten setzt, die Koh­le- und Atom­zeit­al­ter abge­löst haben. In Dia­mond Age leben die Men­schen nicht mehr in Natio­nal­staa­ten, son­dern in anhand eth­ni­scher oder ideo­lo­gi­scher Abgren­zun­gen vor­ge­nom­me­ner „Tri­bes“ – zumin­dest die, die es sich leis­ten kön­nen und nicht zu den „Pro­les“ gehö­ren. Ein biss­chen schmun­zeln muss­te ich dar­über, dass nicht nur die liber­tä­ren Stäm­me, son­dern auch die Neo­vik­to­ria­ner trotz ihres schön gezeich­ne­ten ästhe­ti­schen Lebens­stils deut­li­che Anzeich­nen die­ser neo­li­be­ra­len Ideo­lo­gie auf­wei­sen. Aus heu­ti­ger Sicht beson­ders inter­es­sant der titel­ge­ben­de „Young Lady’s Pri­mer“ – ein mit Nano­ma­schi­nen 3D-gedruck­tes „Buch“, das eine KI ent­hält, die unge­fähr das kann, was ChatGPT kann – und dafür sorgt, dass die Hel­din der Geschich­te (anfangs ein klei­nes Kind, dem das Buch Mär­chen erzählt, spä­ter eine jun­ge Frau) eben tat­säch­lich zur Hel­din wird. Neben­bei ist das Buch im Buch, ver­packt im Mär­chen­ge­schich­ten, auch eine Ein­füh­rung in Turing­ma­schi­nen und Äqui­va­lenz­klas­sen. Soweit wei­ter span­nend und lesens­wert – aus heu­ti­ger Sicht etwas schräg die eine oder ande­re doch sehr ste­reo­ty­pe eth­ni­sche Kenn­zeich­nung und die letzt­lich auf Orgien/Vergewaltigung zur Infor­ma­ti­ons­über­tra­gung basie­ren­de Welt der „Drum­mer“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert