Ein Nebenaspekt der grünen Parteitage sind die Flügeltreffen im Vorfeld. Ob und wieso die notwendig sind, wäre eine längere Debatte. Ich war aus alter Verbundenheit beim Treffen des linken Flügels („grün links denken“), und habe den Redebeiträgen und auch der Applausverteilung zugeschaut. Und ein bisschen darüber nachgedacht, wie das mit den grünen Flügeln eigentlich ist.
Wenn wir ganz schematisch davon ausgehen, dass die Orientierung an „links“ (was auch immer das sein möge) und „rechts“ als politischer Grundeinstellung innerhalb der grünen Partei einer Normalverteilung folgt – wobei die Mitte der Partei dann nicht identisch mit der Mitte der Gesellschaft ist – ergibt sich, wie bei Normalverteilungen üblich, ein dicker „Bauch“ mit zu den Rändern hin schnell abflachenden Ausläufern. Als Diagramm dargestellt, könnte das etwa so aussehen:
Auf der x‑Achse geht es von „links“ bis „rechts“, auf der y‑Achse um die Zahl der Mitglieder, die jeweils einer politische Haltung zuzuordnen sind. Das ist eindimensional, aber hier geht es auch nur um ein Denkmodell. Insofern gehe ich im Folgenden davon aus, dass es so eine Orientierung gibt, und das jedes Mitglied auf – in diesem Fall – einer Skala von 1 bis 13 angegeben könnte, wie „links“ bzw. „rechts“ es sich innerhalb des grünen Spektrums fühlt.
Nun gehören längst nicht alle Mitglieder, die sich „links“ einordnen würden, zum linken Flügel, und ebenso nicht alle, die sich „rechts“ einordnen würden, zu den Realos. Die Strömungen sind auch nur teilweise mitgliedschaftlich zu denken – wer zu den entsprechenden Treffen eingeladen wird, wer auf den entsprechenden Mailinglisten und Verteilern ist, gehört wohl dazu. Es sind also eigentlich eher Wolken mit faserigen Ausläufern als hart umkantete Gebilde.
Strikt schematisch nehme ich im Folgenden an, dass beide Flügel jeweils gleich groß sind, also gleich viele „Mitglieder“ haben, und dass es neben dem großen Flügel jeweils noch eine kleinere, radikalere Abspaltung gibt. Ob das bei den Realos genau so zutrifft, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber immerhin treten einige – sagen wir mal: „Ultrarealos“ – öffentlich sichtbar auf, wer da an einen Tübinger Bürgermeister denkt, liegt wahrscheinlich nicht falsch.
Auf der anderen Seite gibt es zwei halbwegs formal organisierte Gruppierungen – „grün.links.denken“ als breit aufgestellte Strömung, und Teile der „Grünen Linken“, die für sich in Anspruch nehmen, die einzigen zu sein, die die Partei wieder zu ihren Wurzeln zurückführen könnte. Wer möchte, kann auch darüber spekulieren, wo beispielsweise der Kreisverband Friedrichshain-Kreuzberg zu verorten wäre.
Alle vier hier als symmetrisch angenommenen Gruppierungen sind in sich wiederum nicht homogen, sondern decken verschiedene Positionierungen ab. Auch diese können grob als normalverteilt angenommen werden, d.h. es gibt einen klaren Schwerpunkt (links bzw. rechts der angenommenen Mitte der Partei), und es gibt wiederum Ausläufer, die sich – so zumindest hier angenommen – in der Mitte der Partei überlappen. Ob jemand sich dem einen oder anderen Flügel zugehörig fühlt, oder gar nicht organisiert ist, ist dann kontingent, also abhängig von zum Beispiel biographischen Zufällen.
In der Darstellung hier würden sich insgesamt etwas weniger als die Hälfte aller Parteimitglieder einer Strömung zugehörig fühlen. Wahrscheinlich ist das noch übertrieben viel. Mein Eindruck auf Parteitagen: jeder der beiden großen Flügel stellt etwa 20 Prozent der Delegierten.
Wenn die Darstellung oben die Bundespartei insgesamt repräsentiert, so ließe sich doch darüber spekulieren, dass die Verteilung der Mitglieder auf das Spektrum von „links“ bis „rechts“ in einzelnen Landesverbänden anders ausfällt. Das könnte dann in Berlin eher aussehen wie hier links gezeigt, oder in Baden-Württemberg eher so, wie hier rechts gezeigt.
Soweit das Denkmodell. Empirische Daten dazu, wie sich Flügelzugehörigkeiten in der Mitgliederschaft bzw. unter den Parteitagsdelegierten tatsächlich verteilen, liegen mir nicht vor, wären aber durchaus interessant. Ebenso offen ist, ob die Normalverteilung tatsächlich die Verteilung innerhalb der Partei wiedergibt (oder ob es nicht eher eine Art eingedellter Hut sein müsste …), wie groß die Strömungen in Wirklichkeit sind, und ob sie symmetrisch gedacht werden können. Schließlich könnte das ganze auch noch auf die „links“-„rechts“-Verteilung in der Gesellschaft bezogen werden, statt auf eine vorgestellte Normalverteilung innerhalb der Partei. Dann wäre sicherlich eine Schwerpunktsetzung in der „linken Mitte“ sichtbar.
Warum blogge ich das? Wozu ein Denkmodell, das empirisch keinerlei Fundierung hat? Mir ging es vor allem darum, eine Darstellungsform zu finden, in der die Heterogenität innerhalb der beiden großen Flügel sichtbar wird. Ob es die Wirklichkeit der Partei wieder gibt, darüber lässt sich trefflich streiten. Wenn an dem Denkmodell aber etwas dran ist, fände ich es vor allem interessant, weiterzudenken, was das eigentlich für die große Zahl der nicht in Strömungen organisierten Mitglieder der Partei bedeutet – und deren Verhältnis zu Linken wie Realos.