Es wird noch munter ausgezählt, aber der eine oder andere Trend bei der Bundestagswahl 2017 zeichnet sich doch ab. Aktuell – 23:30 – ist noch nicht klar, ob LINKE oder GRÜNE zweitkleinste Fraktion vor der CSU werden, aber insgesamt scheint das Ergebnis doch halbwegs stabil: Massive Verluste für die Union, die nur noch bei rund 33 Prozent landet, eine SPD mit einem miserablen Ergebnis knapp über 20 Prozent, die AfD als drittstärkste Partei mit – deutlich besser als in den meisten Umfragen – rund 13 Prozent, stark durch die Verluste der Union gespeist, die FDP bei etwa 10,5 Prozent und GRÜNE und LINKE jeweils etwa bei 9 Prozent.
Aus grüner Sicht geben die 8,9 oder 9,1 Prozent erst einmal kurz Anlass zur Freude. Im Vergleich zu den letzten Umfragen vor der Wahl, die zwischen 6,5 und 8,0 Prozent landeten, sind rund 9 Prozent ein gutes Ergebnis. Gemessen an den Umfragen, die es ein halbes Jahr oder ein Jahr vorher gab, sind rund 9 Prozent eher so na ja. Das Wahlziel, zweistellig zu werden, wurde verfehlt, und auch dritte Kraft werden wir dieses Jahr nicht.
Es gibt einige interaktive Visualisierungen der Wahlergebnisse (ARD, Tagesspiegel, Morgenpost/FUNKE, election.de sowie direkt beim Bundeswahlleiter). Wer hier etwas herumklickt – insbesondere die Morgenpost bietet dazu ein paar nette Funktionen – stellt Besonderheiten fest. So ist es aus baden-württembergischer Sicht interessant, dass die grünen Ergebnisse im Bundesgebiete deutlich unterschiedlich ausgefallen sind. Das betrifft nicht nur die absoluten Ergebnisse, sondern auch die Entwicklung. So haben die baden-württembergischen Wahlkreise durchweg ein bis drei Prozentpunkte bei den grünen Zweitstimmen zugelegt. In einigen anderen Bundesländern stagnierten die grünen Ergebnisse oder gingen sogar nach unten.
Auch beim Blick auf die zweit- und drittbeste Partei in den einzelnen Wahlkreisen sind es derzeit insbesondere die Wahlkreise im Südwesten, in denen Grüne klar die zweit- oder zumindest drittstärkste Kraft geworden sind. (Gesamtergebnis Baden-Württemberg für Grüne: 13,5 Prozent, + 2,5 Prozentpunkte).
Das ist eine Momentaufnahme, und insofern ist es müssig, jetzt über Ursachen zu spekulieren. Aber irgendwie sind da unterschiedliche Pfade entstanden, und unterschiedliche Arten, grün zu denken und grün wahrzunehmen. Das finde ich spannend.
Dazu gehört auch, dass in Freiburg und in Stuttgart I jeweils nicht viel für ein Direktmandat gefehlt hätte – in Freiburg waren es am Schluss 2,3 Prozentpunkte, die Kerstin Andreae vom erstplatzierten Freiherrn Marschall von Bieberstein von der CDU trennten. „Schuld“ daran waren vor allem die Umlandgemeinden im Wahlkreis – in der Stadt wäre es ein klares grünes Direktmandat geworden – mit fast 50 Prozent in einzelnen Wahlbezirken.
Die starken baden-württembergischen Grünen haben – zusammen mit dem möglicherweise stark vergrößerten Parlament – auch Effekte auf die Zusammensetzung der Fraktion. Eine Modellrechnung zeigt, dass statt der bisher 10 Plätze im nächsten Bundestag 12 oder sogar 13 Plätze bei den Grünen aus Baden-Württemberg kommen könnten. Margit Stumpp auf Platz 13 wird noch ein bisschen bangen müssen, ob sie einzieht oder nicht.
Einen Schritt zurück getreteten und nicht durch die grüne Brille geschaut, ist das Wahlergebnis insgesamt allerdings alles andere als erfreulich. Rund 80 Sitze für die AfD mit dem entsprechenden Mitarbeiterstab sind eine massive Infrastrukturunterstützung für die extreme Rechte und eine Schande für die Demokratie. Wenn dann noch dazu kommt, dass die AfD in Sachsen wohl stärkste Partei geworden ist und dort drei oder vier Direktmandate erhalten wird, dann kann einem schon Angst und Bange werden um die Zukunft des Landes. Bisher sind es 13 Prozent gegen 87 Prozent. Wenn jetzt aber – und das deutete sich in einigen der Talkrunden nach der Wahl schon an – CDU, CSU und auch die FDP deutlich nach rechts gehen, um „Sorgen ernst zu nehmen“, wenn die Linke eine punktuelle Zusammenarbeit mit der AfD nicht ausschließt – dann habe ich doch Angst, dass der Rechtsruck im öffentlichen Diskurs noch ein ganzes Stück weitergeht. Wenn die AfD sich bis dahin nicht selbst zerlegt, wird das spätestens bei der nächsten Bundestagswahl richtig schwierig werden.
Zu den eher unschönen Seiten dieses Wahlabends gehört auch das Koalitionsportfolio. Die Große Koalition wäre klein, aber möglich – die SPD hat recht deutlich gemacht, dass sie das nicht machen will. Ich kann es nachvollziehen, und finde interessant zu sehen, wie jetzt von der CDU, aber auch von der FDP Druck aufgebaut wird, die SPD zum Umfallen in diesem Punkt zu bringen. Von den anderen rechnerisch möglichen Koalitionen (SPD-FDP-Grüne-Linke, anyone?) scheint nur Jamaika realistisch zu sein. Oder es kommt zu exotischen Dingen wie einer Minderheitenregierung.
Ich glaube nicht, dass Jamaika per se falsch und problematisch wäre. Aber gerade unter dem Vorzeichen „Rechtsruck“ bin ich doch sehr gespannt darauf, was für Sondierungs- und dann möglicherweise Koalitionsvertragsergebnisse sich hier erzielen lassen. Katrin Göring-Eckardt hat dazu in der Berliner Runde das richtige gesagt, und hat das auch sehr klar gesagt.
Warum blogge ich das? Um das, was mir momentan zur Wahl durch den Kopf geht, festzuhalten.