In letzter Zeit gelesen

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In Baden-Würt­tem­berg dau­ert es noch bis Ende Juli, bis die Som­mer­fe­ri­en anfan­gen. Anders­wo sind sie da fast schon wie­der vor­bei. Unab­hän­gig davon möch­te ich ein biss­chen was dazu schrei­ben, was ich in den letz­ten Mona­ten so gele­sen habe (Gen­re: Sci­ence Fic­tion & Fan­ta­sy). Viel­leicht ist ja was dabei, was sich als Feri­en­lek­tü­re eignet.

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Anfan­gen möch­te ich mit Ter­ry Prat­chetts Bro­me­li­ad, die bereits 1989/90 erschie­nen ist (dt.: Tru­cker. Wüh­ler. Flü­gel. 1996). Wenn ich mich rich­tig erin­ne­re, bin ich auf die­ses Werk von Prat­chett, das aber über eini­ge hart­nä­cki­ge Fans ver­fügt, auf­merk­sam gewor­den, weil es in eini­gen der Nach­ru­fe aus Anlass sei­nes Todes eine pro­mi­nen­te Rol­le spiel­te. Die Bro­me­lia­de (die aus den drei ein­zel­nen Bän­den Tru­ckers, Dig­gers und Wings besteht) erzählt die Geschich­te der win­zig klei­nen (G)nome, deren Welt ein Kauf­haus ist. Eines Tages lee­ren sich die Rega­le, die tra­di­tio­nel­len Feind­schaf­ten zwi­schen den Stock­wer­ken kom­men ins Sto­cken, und erst ein Nome aus der sagen­um­wo­be­nen Außen­welt fin­det kurz vor der dro­hen­den Schlie­ßung des Kauf­hau­ses eine Lösung. Aber damit beginnt erst ein Odys­see unge­ahn­ten Aus­ma­ßes. Ein klei­ner spre­chen­der Wür­fel spielt auch eine Rolle. 

Mal was ande­res als die Schei­ben­welt, weg­zu­le­sen, span­nend – und wie immer bei Prat­chett mit Witz und Hin­ter­grün­dig­keit ver­se­hen. Auch aus den Weis­hei­ten win­zi­ger Nome lässt sich eini­ges ler­nen. In der Schei­ben­welt tau­chen die Wee Free Men auf, in denen sich gewis­se Echos wie­der auf­tau­chen. (Und auch der in der ers­ten Fas­sung bereits in den 1970er Jah­ren geschrie­be­ne Roman The Car­pet Peo­p­le / Die Tep­pich­völ­ker von Prat­chett ver­fügt über eini­ge ähn­li­che Motive). 

Bro­me­li­ad heißt die Tri­lo­gie übri­gens, weil in der Geschich­te immer wie­der über in den Blü­ten von Bro­me­li­en leben­de Frö­sche und deren Welt­bild sin­niert wird.

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Ein SF- und Fan­ta­sy-Autor, von dem ich mich bis­her eher fern­ge­hal­ten habe, ist Tad Wil­liams. Irgend­wie hat­te ich immer das Gefühl, dass da wenig Ori­gi­na­li­tät drin steckt in dem, was er schreibt. Aus Grün­den (ich glau­be, weil ich in Fol­ge von The Goblin Emper­or Inter­es­se an Mischun­gen aus High Fan­ta­sy und gegen­wär­ti­gen Poli­ti­ken und Pro­blem­la­gen geäu­ßert hat­te) habe ich im Früh­jahr alle vier Bän­de von Wil­liams Memo­ry, Sor­row and Thorn ver­schlun­gen. Die Rei­he besteht aus The Dra­gon­bo­ne Chair (1988), Stone of Fare­well (1990), To Green Angel Tower, Part 1 (1993) und To Green Angel Tower, Part 2 (1993).

Das gan­ze erst mit eini­gen Jah­ren Ver­spä­tung zu lesen, hat den Vor­teil, alles auf ein­mal in sich rein­stop­fen zu kön­nen. Unsi­cher bin ich mir aller­dings nach wie vor, ob es sich dabei um Pop­corn oder um etwas Nahr­haf­te­res han­delt. Inhalt­lich han­delt es sich bei Memo­ry, Sor­row and Thorn zunächst ein­mal um eine recht her­kömm­li­che Ques­te – ein Küchen­jun­ge ent­puppt sich als Held, es müs­sen magi­sche Schwer­ter gefun­den und Bünd­nis­se mit Elfen und Trol­len ein­ge­gan­gen wer­den, diver­sen magi­schen Fal­len gilt es zu ent­kom­men, und am Schluss erfüllt sich die Pro­phe­zei­ung. Unter­halt­sam und span­nend ist das allemal.

Aber steckt mehr dahin­ter? Was mir posi­tiv in Erin­ne­rung geblie­ben ist, ist das sehr facet­ten­rei­che Bild, das Wil­liams – zumin­dest über gro­ße Stre­cken des Epos – von den Lebens­um­stän­den der Men­schen und ande­ren Lebe­we­sen in sei­ner Pseu­do­mit­tel­al­ter­welt „Osten Ard“ berich­tet. Wir ler­nen die dunk­len Sei­ten der Macht eben­so ken­nen wie die Kon­se­quen­zen poli­ti­scher Ent­schei­dun­gen für die „ein­fa­chen Schich­ten“. Es gibt Magie, aber sie wird als eine Kraft dar­ge­stellt, mit der unbe­dacht schnell Türen zum Hor­ror geöff­net wer­den kön­nen. Simon und Miria­me­le, die Hel­dIn­nen, krie­gen längst nicht alles hin, zwei­feln und ver­zwei­feln – inso­fern fügt Wil­liams dem gen­re­üb­li­chen Aben­teu­er dann doch Tief­gang und Facet­ten hin­zu, mit denen nicht unbe­dingt zu rech­nen gewe­sen wäre.

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Die Autorin Judith Jen­ne­wein hat sich ein Welt­raum­aben­teu­er vor­ge­nom­men und berich­tet dar­über in Die wun­der­sa­men Welt­raum­aben­teu­er von Helen Hay­er und Chris­ti­ne de Cas­tel­bar­aque (2013) in einem mit Aus­tria­zis­men und quee­ren Anspie­lun­gen gesät­tig­tem Buch. Ähn­lich wie bei Prat­chett oder mehr noch bei Dou­glas Adams ist Sci­ence Fiction/Fantasy für Jen­ne­wein die Folie, auf der sur­rea­le Ele­men­te glatt­ge­zo­gen wer­den kön­nen, um so mit Witz und Rasanz ein par­odis­ti­sches Welt­raum­aben­teu­er erzäh­len zu kön­nen, das schnell zu einer Zeit­rei­se durch par­al­le­le Uni­ver­sen wird. Plau­si­bi­li­tät oder gar die Wis­sen­schaft­lich­keit der har­ten SF müs­sen sich dabei selbst­ver­ständ­lich dem Feu­er­werk immer neu­er Ideen und Ver­wick­lun­gen unter­ord­nen. Dabei ent­steht ein Buch, das die ver­gnüg­li­che Sei­te der Gender_Gaps aus­kos­tet und dabei mit genau der rich­ti­gen Men­ge Lako­nie aus­kommt, um die Gegen­wart aufs Korn zu neh­men. Und gleich­zei­tig darf mit­ge­fie­bert wer­den bei der Fra­ge, ob die bei­den titel­ge­ben­den Hel­din­nen zum Schluss zusammenkommen.

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Zurück zu rea­lis­ti­scher Sci­ence-Fic­tion-Lite­ra­tur. Viel­leicht gehört Sta­ti­on Ele­ven (2014) von Emi­ly St.John Man­del dazu, viel­leicht auch nicht. Viel­leicht ist es auch ein­fach nur sprach­lich zund kon­zep­tio­nell aus­ge­feil­te Lite­ra­tur, die in einer apo­ka­lyp­ti­schen Welt spielt: Ein Grip­pe­vi­rus löst eine Pan­de­mie aus, bald gehen all die Selbst­ver­ständ­lich­kei­ten der neu­ro­ti­schen Zivi­li­sa­ti­on ver­lo­ren, die Flü­ge, die Autos, der Strom, die Ipads und Smart­phones, aber auch Zei­tun­gen und Bücher sind bald Man­gel­wa­re. Die Hori­zon­te ver­en­gen sich, nach­dem 90 Pro­zent der Mensch­heit umge­kom­men sind. Der Rest schlägt sich irgend­wie durch. Davon erzählt Man­del, durch­setzt mit Rück­blen­den in die publi­ci­ty-träch­ti­ge Schau­spiel­sze­ne der Gegen­wart. Auch nach der Apo­ka­lyp­se geht das Leben wei­ter – und nach der Apo­ka­lyp­se zieht die „Tra­vel­ling Sym­pho­ny“ von Ort zu Ort, um Kon­zert­mu­sik und Shake­speare am Leben zu hal­ten. Denn nur zu Über­le­ben, reicht nicht aus. 

Die ver­schie­de­nen Ebe­nen der prä- und der post­apo­ka­lyp­ti­schen Lebens­wei­se ver­knüpft Man­del sehr geschickt und zeich­net damit ein rea­lis­tisch wir­ken­des Bild einer mög­li­chen Zukunft. Den­noch ist sie weit weg von bei­den übli­chen Aus­for­mun­gen post­apo­ka­lyp­ti­scher Welt – was sie hier ent­fal­tet, ist weder eine pas­to­ra­le Idyl­le noch der akti­onge­sät­tig­te Kampf aller gegen aller. Es geht nicht um Uto­pie oder Dys­to­pie, son­dern um ein fein gezeich­ne­tes Her­an­tas­ten an die con­di­tio huma­na.

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Auch in Kim Stan­ley Robin­sons neus­tem Roman Auro­ra (2015) geht es um das Schei­tern einer Zivi­li­sa­ti­on und um das Wei­ter­le­ben in den Trüm­mern. Die letz­ten bei­den Bücher von ihm hat­ten Schwä­chen (Shaman und 2312). Auro­ra knüpft dage­gen an die bes­ten Wer­ke Robin­sons an, ins­be­son­de­re an sei­ne drei Tri­lo­gien (Mars, Paci­fic Coast und Washington). 

Auro­ra ist die in einer Mischung aus Robin­sons lite­ra­ri­schem Huma­nis­mus und der Spra­che har­ter Sci­ence-Fic­tion beschrie­be­ne Geschich­te eines Gene­ra­tio­nen­raum­schiffs, das aus dem Erd­sys­tem los­ge­schickt wird, um einen erd­ähn­li­chen Mond in einem zwei Dut­zend Licht­jah­re ent­fern­ten Son­nen­sys­tem zu besie­deln – die Rei­se dort­hin dau­ert (FTL gibt es nicht) 190 Jah­re. Das Ziel scheint erreicht, aber das Vor­ha­ben schei­tert. Mehr zu ver­ra­ten, wäre zu viel verraten. 

Robin­son beleuch­tet die Vor­be­din­gun­gen und Kon­se­quen­zen des Schei­terns aus poli­ti­scher und gesell­schaft­lich-psy­cho­lo­gi­scher Per­spek­ti­ve, aber auch aus wis­sen­schaft­lich-öko­lo­gi­scher Sicht. Dazu gehört eine plau­si­ble pan­op­ti­schen Erzählweise. 

Schon vor der Ankunft des Gene­ra­tio­nen­raum­schiffs am Ziel­sys­tem ler­nen wir sowohl die Unzu­läng­lich­kei­ten des als aut­ark gedach­ten Öko­sys­tems ken­nen als auch die bei vie­len Kin­dern und Enke­lIn­nen ver­brei­te­te Unzu­frie­den­heit damit, in ein ganz und gar nicht selbst­be­stimm­tes Schick­sal gewor­fen wor­den zu sein. Der Traum, dass die Mensch­heit sich zu den Ster­nen auf­ge­macht hat, wird für die, die ihn tat­säch­lich umset­zen, zum düs­te­ren Durch­mud­deln, wäh­rend die auf der Erde und den Pla­ne­ten des Son­nen­sys­tems zurück­ge­blie­be­ne Mensch­heit wenig Inter­es­se an deren fer­nen Schick­sal zeigt. Aber Robin­son wäre nicht Robin­son, wenn nicht auch in die­sem dunk­len Buch immer wie­der Hoff­nung auf­schei­nen würde.

Auro­ra ist für sich genom­men ein star­kes Buch. Aber ich glau­be, dass es mehr als das ist. Ich lese es auch als Ana­lo­gie auf das Raum­schiff Erde, in dem „eco­lo­gi­cal riffs“ und ein immer weni­ger zusam­men­hal­ten­des mate­ri­el­les wie sozia­les Flick­werk eben­so auf­tau­chen wie in dem Schiff, das Robin­son beschreibt.

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Dank eines Hacker­an­griffs auf Stra­to, der ver­hin­der­te, dass ich die­sen Blog­bei­trag am letz­ten Wochen­en­de schrei­ben konn­te, kann ich noch ein wei­te­res Buch bei­fü­gen: Zuletzt habe ich das viel­ge­lob­te, von Ken Liu über­set­ze Buch The Three-Body Pro­blem (Liu Cixin, 2006, en. 2014) gele­sen. Auch dabei – der ers­te Band einer Tri­lo­gie – han­delt es sich um har­te Sci­ence-Fic­tion und um ein durch­aus emp­feh­lens­wer­tes Werk. 

Das namens­ge­ben­de Drei-Kör­per-Pro­blem bezieht sich auf ein Com­pu­ter­spiel, in dem das mathe­ma­ti­sche Drei-Kör­per-Pro­blem eine Rol­le spielt: Wie wir­ken die Anzie­hungs­kräf­te von drei Sphä­ren auf­ein­an­der ein? Mathe­ma­tisch ist die Bewe­gung die­ser drei Kör­per nur in spe­zi­el­len Fäl­len exakt vor­her­sag­bar. Die Kör­per bewe­gen sich auf chao­ti­schen Bah­nen – Wis­sen­schaft scheint an eine Gren­ze zu sto­ßen. Damit ist das zwei­te, phi­lo­so­phi­sche wie plot­ge­ne­rie­ren­de The­ma des Romans ange­spro­chen. Erst nach und nach wird klar, was eine Selbst­mord­se­rie unter Wis­sen­schaft­le­rIn­nen mit dem Com­pu­ter­spiel (und des­sen eben­falls erst nach und nach deut­li­cher wer­den­dem Hin­ter­grund) zu tun hat. Das drit­te Motiv des Buchs ist die blu­ti­ge Kul­tur­re­vo­lu­ti­on der 1960er Jah­re in Chi­na, und deren lan­gen Nachwirkungen. 

In einem Nach­wort schreibt Ken Liu davon, dass es ihm in sei­ner Über­set­zung wich­tig war, den Flair einer (aus west­li­cher Sicht) ande­ren Kul­tur zu erhal­ten. Dies ist ihm gelun­gen, soweit sich das ohne Kennt­nis des Ori­gi­nals bewer­ten lässt. The Three-Body Pro­blem ist ein packen­des Buch. Gleich­zei­tig ver­mit­telt es eini­ge Hin­ter­grün­de zur chi­ne­si­schen Geschich­te im 20. Jahr­hun­dert und schafft es, dass die Prot­ago­nis­tin und der Prot­ago­nist ver­traut und fremd zugleich wir­ken. Das ist dabei mehr als ein Stil­mit­tel – in gewis­ser Hin­sicht lässt sich The Three-Body Pro­blem auch als Geschich­te inter­kul­tu­rel­ler Kom­mu­ni­ka­ti­ons­ver­su­che und Abschot­tun­gen lesen.

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War­um blog­ge ich das? Als Noti­zen für mich, aber auch, um auf lesens­wer­te Wie­der­ent­de­ckun­gen und Neu­erschei­nun­gen hinzuweisen.

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