Eine erste große Welle von politisch motivierten Profilbildänderungen bei Facebook fand – mit technischer Unterstützung durch den Konzern – im Sommer 2015 anlässlich eines wegweisenden Urteils des Supreme Court zur gleichgeschlechtlichen Ehe (Obergefell v. Hodges) statt. Der folgende Text ist als Kommentar dazu entstanden.
Facebook-Avatare in Regenbogenfarben – und schon bricht eine Debatte darüber aus, ob das a. nur eine konformistische Modewelle, b. politisches Engagement oder c. ein fieser Trick Facebooks ist, um an noch mehr Daten zu kommen. (Lesenwerter Hintergrund auch zu c. und dazu, wieso Facebook plötzlich ein Tool anbietet, um das eigene Profilbild für „celebrate pride“ in einen Regenbogen zu tauchen, findet sich hier). Und dann gibt es noch die Debatte d. darum, ob die Ehe für alle in den USA überhaupt – auch aus progressiver Sicht – das richtige Ziel ist, und ob ein damit verbundenes Färben der Profilbilder nicht letztlich das falsche feiert.
Natürlich ist es „Clicktivism“, wenn jede/r durch ein paar Mausklicks das Profilbild einfärben kann, um damit eine Haltung auszudrücken. Ich bin trotzdem überzeugt davon, dass diese Form des Aktivismus nicht unterschätzt werden sollte. Auch das Demonstrieren auf der Straße, die Teilnahme an einem CSD oder das Tragen eines Anti-AKW-Aufklebers auf der Aktentasche sind nicht mehr – und nicht weniger – als symbolische Handlungen. Und wer eine Unterschriftenliste unterzeichnet, möglicherweise sogar noch anonym, tut ebenfalls etwas, ohne viel zu tun. So scheint es zumindest.
Momentaufnahme: Bei mir sind derzeit etwa 12 Prozent der Profilbilder meiner Facebook-FreundInnen eingefärbt, weltweit sollen es einige Millionen Menschen sein, die hier mitgemacht haben. Das als Bewegung darzustellen, wäre übertrieben. Trotzdem kann sich etwas ändern, indem Menschen ihre Haltung sichtbar machen.
Ich sehe hier zwei Aspekte. Zum einen geht es bei symbolischen Handlungen um Masse und um Sichtbarkeit. Jede Unterschrift mehr, jede DemoteilnehmerIn mehr, noch ein regenbogengestreiftes Bild – als das zahlt auf das Konto „Sichtbarkeit“ eines Themas ein. Je mehr, je exponierter, desto wahrscheinlicher, dass Massenmedien etwas aufgreifen, dass eine politische Haltung wahrgenommen wird. Das aber bedeutet, dass die gesellschaftliche Selbstwahrnehmung sich ändert. Wenn plötzlich überall Regenbogen zu sehen sind, könnte das ja heißen, dass die Mehrheit der Menschen viel aufgeschlossener ist, als manche gedacht hatten. Es verschieben sich Deutungsmuster im Diskurs. Wenn dann noch Meinungsumfragen dazu kommen, die diese Verschiebung bestätigen, verfestigt sich eine neue thematische Hegemonie, die „gefühlte Mehrheit“ – die durchaus eine Rolle dafür spielt, wie Politikerinnen und Politiker handeln – verändert sich.
Zum anderen gibt es eine individuelle Ebene. Je mehr wir erkennen, dass auch Facebook nur ein Teil der realen Welt ist, desto deutlicher wird, dass symbolisches Handeln reale soziale Folgen haben kann. Wenn Menschen darüber berichten, dass ihr Facebook-Bekanntenkreis auf Regenbogenstreifen homophob reagiert hat, dann ist das eine reale soziale Folge. Und gerade Facebook ist eben nicht nur algorithmisch fixierte Filterblase, sondern oft ein Überlappen ganz realer Teilöffentlichkeiten. Der Regenbogenavatar wird eben auch für die KollegInnen, die Nachbarschaft, den Sportverein oder die alten SchulfreundInnen sichtbar. Damit wird aus dem Äußern der privaten politischen Einstellung ein politisches Handeln.
Ganz klein, niedrigschwellig, aber doch mit einer Hürde versehen, die in den antizipierten Reaktionen anderer besteht. Den eigenen Avatar sichtbar für ein politisches Statement zu nutzen, heißt auch, für dieses einstehen zu müssen, darauf angesprochen zu werden – bis hin zum „Freundschaftsverlust“ oder zum Kommunikationsabbruch. Oder, im besten Fall: Bis hin zur Einstellungsänderung im Freundeskreis.
Das Digitale ist real – und wir sollten uns das nicht kleinreden lassen.
Ich will damit nicht das Wort dafür reden, dass jede Form des digitalen Aktivismus politisch Gewicht hat. Es gibt unzählige Onlinepetitionen ohne jede Folge. Längst nicht alles, worüber sich eine Filterblase empört, multipliziert sich in den gesellschaftlichen Diskurs. Aber es kann passieren – und gerade dann, wenn so etwas letztlich doch sehr persönliches wie das eigene Abbild massenhaft und damit sichtbar in dieses politische Spiel hineingebracht wird, und wenn es noch dazu in dieser Form (d.h. technisch von Facebook selbst unterstützt) etwas Neues ist – dann verschiebt sich der Diskurs, dann manifestiert sich eine Änderung der gesellschaftlichen Stimmung. (Ähnlich ist es, wenn Menschen von sich aus eine politische Botschaft in ihren Freundeskreis hinein verteilen – und auch das geschieht nur in ganz bestimmten Fällen).
Die Besonderheit des Moments heißt allerdings auch: die nächste, übernächste und überübernächste Kamapgne, die darauf setzt, das Menschen ihren Avatar verändern, muss sich von den Regenbogenstreifen abheben. Sonst fehlt es an Neuheitswert und damit an gesamtgesellschaftlicher Sichtbarkeit.
Warum blogge ich das? Weil mich das Kleinreden nervt.
2 Antworten auf „Warum Click-Aktivismus etwas ändern kann“