Kurz: Für ein Ende der grünen Nabelschau

BDK: "Stimmblock"Die einen geben Inter­views, die in Über­schrif­ten mün­den, in denen mas­si­ve Kurs­kor­rek­tu­ren gefor­dert wer­den. Die ande­ren ver­öf­fent­li­chen ein Mani­fest nach dem ande­ren, und rufen nach dem Neu­an­fang, dem Rel­oad, der Wie­der­ge­burt und was es da noch so alles an Syn­ony­men gibt. Kurz­um: So chao­tisch und unfo­kus­siert wie seit der ver­lo­re­nen Bun­des­tags­wahl habe ich mei­ne Par­tei noch nicht erlebt. Die Zeit des Burg­frie­dens scheint vor­bei zu sein, Flü­gel­kämp­fe bran­den wie­der auf, und quer dazu wird über Fra­gen wie „Umwelt als Kern“ oder „breit auf­ge­stell­te links­li­be­ra­le Par­tei“ diskutiert. 

Da ich nicht möch­te, dass Bünd­nis 90/Die Grü­nen nach einer bis dahin durch­aus erfolg­rei­chen Geschich­te mit 35 oder so in die Mid­life-Cri­sis gera­ten, glau­be ich, dass wir uns sowohl die Pira­ten als auch die FDP als mah­nen­des Bei­spiel vor­neh­men soll­ten. Die Pira­ten­par­tei hat es inner­halb kür­zes­ter Zeit geschafft, vom Hoff­nungs­trä­ger im Par­tei­en­spek­trum zur Meta­pher für „intern zer­strit­te­ne, nach außen unsym­pa­thisch auf­tre­ten­de Par­tei“ zu wer­den. Und die FDP – was lässt sich von der FDP ler­nen? Irgend­wo zwi­schen 18-Pro­zent-Spaß­wahl­kampf und Regie­rungs­be­tei­li­gung um jeden Preis hat sie ihr poli­ti­sches Pro­fil verloren.

Inso­fern: Ja, wir soll­ten nach vor­ne schau­en und durch­aus abklä­ren, ob grü­ne Rezep­te noch den inhalt­li­chen Her­aus­for­de­run­gen von mor­gen ent­spre­chen. Wir soll­ten das in hoher Qua­li­tät sowohl der Mei­nungs­äu­ße­run­gen wie des Streit­ni­veaus tun. Uns selbst kom­plett in Fra­ge stel­len, oder die güns­ti­ge Gele­gen­heit für die 180°-Wende zu nut­zen, hal­te ich dage­gen nicht für pro­duk­tiv; genau­so wie die Redu­zie­rung von Poli­tik auf Koali­ti­ons­op­tio­nen. 2016 in Baden-Würt­tem­berg und 2017 im Bund wird es – mei­ne ich – dar­um gehen, als die Par­tei auf­zu­tre­ten, die gute Ideen und gutes Per­so­nal hat, die sich nicht scheut, die gro­ßen Pro­ble­me anzu­spre­chen, die ihren eige­nen Lösung­vor­schlä­gen ver­traut (statt sich auf For­mel­kom­pro­mis­se zu redu­zie­ren, die dann von jeder belie­bi­gen Sei­te aus in Fra­ge gestellt wer­den), die bei aller Sym­pa­thie nicht auf gefäl­li­ge Belie­big­keit setzt, und die Zer­strit­ten­heit und Gra­ben­kampf ande­ren über­lässt. Krie­gen wir das hin?

Eine Antwort auf „Kurz: Für ein Ende der grünen Nabelschau“

  1. Im wei­tes­ten erle­ben wir gera­de das Phä­no­men „ori­en­tie­rungs­lo­se Bür­ger­lich­keit“. Das betrifft nicht nur uns Grü­ne. Der Nie­der­gang von FDP und Pira­ten, die Rück­kehr des Natio­nal­li­be­ra­lis­mus (AfD) las­sen dabei erah­nen, dass es jen­seits von Tra­di­ti­ons­lin­ken und Kon­ser­va­ti­ven eine gewal­ti­ge poli­ti­sche Lücke gibt. Inner­halb der Grü­nen sind es bis­her ein­zig die Süd­west­grü­nen, die die­se Lücke beset­zen, indem sie den Libe­ral-Kosn­ser­va­ti­vis­mus des Deut­schen Süd­wes­tens mit Begrif­fen und Kon­zep­ten („Bür­ger­ge­sell­schaft“, „Mit­tel­stän­di­sche“ etc.) beset­zen, die es seit der ers­ten Hälf­te des 19. Jahr­hun­derts gibt. Nur ist dies eben ein regio­na­les Kon­zept. All­ge­mein hilft der his­to­ri­sche Blick und der Blick über den Deut­schen Tel­ler­rand, um zu ver­ste­hen, dass es im Grun­de um eine Nor­ma­li­sie­rung der Par­tei­en­land­schaft hier­zu­lan­de geht, die die links­li­ber­tä­re bis links­li­be­ra­le Vakanz her­vor­ruft (z.B. Hol­land, Ita­li­en, Däne­mark). Für uns Grü­ne bedeu­tet dies eine Art Erwach­sen­wer­den, weg von Bewe­gungs- und Iden­ti­täts­po­li­ti­ken, hin zu einer pro­gres­si­ven und links­bür­ger­li­chen Pro­gramm­par­tei. Das Ende des rot-grü­nen Pro­jekts und die Demis­si­on der damit ver­bun­den Per­so­nen bei den Grü­nen, haben dies eben­so viru­lent wer­den las­sen, wie Ten­den­zen, mit schlich­ter Regie­rungs­arith­me­tik eine Öff­nung nach Rechts zu voll­zie­hen. Mei­ner Ein­schät­zung nach hat eine Grü­ne Schar­nier- und Funk­ti­ons­par­tei ein Wäh­ler­po­ten­zi­al von 8 bis 14 Pro­zent, eine sich im Par­tei­en­spek­trum voll­stän­dig eigen­stän­dig defi­nie­ren­de grün-links­li­be­ra­le Par­tei ein Poten­zi­al von 14 bis 25 Pro­zent. Nur für letz­te­res bräuch­te es eine län­ge­re kon­zep­tio­nel­le, per­so­nel­le und stra­te­gi­sche Konsolidierungs‑, Selbst­ver­or­tungs- und Fin­dungs­pha­se. Im Grun­de, gehen die Kon­flik­te der­zeit nur um die­se Fra­ge: Neh­men wir uns die­se Zeit oder eben nicht?

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