Beschwert euch nicht, wählt!

Lulea Gammelstad: The Church IV (detail)

Ich fin­de Stein­brück nicht son­der­lich sym­pa­thisch. Aber dar­um geht es nicht. Die Umfra­ge­wer­te sehen nicht so toll aus. Aber auch dar­um geht es nicht. Unser Par­tei­en- und Koali­ti­ons­sys­tem führt dazu, dass die Wahl am 22.9. rea­lis­ti­scher­wei­se drei Ergeb­nis­se haben kann:

1. Mer­kel und ihre schwarz-gel­be Koali­ti­on wer­den bestä­tigt und neh­men das als Signal dafür, den bis­he­ri­gen Kurs ver­schärft fort­zu­set­zen. Klar, der Blick in die Zukunft bleibt ein biss­chen nebu­lös, weil Mer­kels Kurs nicht so klar ist. Die letz­ten vier Jah­re zei­gen jeden­falls, dass dazu Bonus­po­li­tik für Lob­by­grup­pen und Bes­ser­ver­die­nen­de gehört, dass es gesell­schafts­po­li­tisch immer wie­der Rück­schlä­ge gibt und die weni­gen Ver­bes­se­run­gen oft vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt erstrit­ten wer­den muss­ten, und dass Umwelt oder Kli­ma für Mer­kel kei­ne The­men sind, und ent­spre­chend Murks betrie­ben wird.

2. Es gibt kei­ne kla­re Mehr­heit für Schwarz-Gelb, und es kommt auch kei­ne pro­gres­si­ve Koali­ti­on zustan­de. Das wahr­schein­lichs­te Wahl­er­geb­nis ist aus mei­ner Sicht dann eine gro­ße Koali­ti­on – oder: das schlech­tes­te von CDU/CSU und SPD an einem Tisch. Die SPD wird sich staats­män­nisch vor­kom­men, Mer­kel nicht groß­ar­tig anders regie­ren als heu­te. Es wird die eine oder ande­re Ver­bes­se­rung geben, letzt­lich wer­den aber vor allem poli­tisch „schwie­ri­ge“ Pro­jek­te mit der gro­ßen Mehr­heit der bei­den alten Volks­par­tei­en umge­setzt wer­den. Schön wird das nicht.

3. Allen Umfra­gen zum Trotz siegt Rot-Grün, oder irgend­wer springt über irgend­wel­che Schat­ten, und es gibt eine links tole­rier­te rot-grü­ne Koali­ti­on. Wird dann alles anders und bes­ser? Ver­mut­lich nicht, auch des­we­gen nicht, weil eine gan­ze Rei­he von Rand­be­din­gun­gen (die Euro-Kri­se, die Schul­den­brem­se, …) für alle Koali­tio­nen im Bund gel­ten. Aber es öff­net sich damit ein Fens­ter für eine ande­re und bes­se­re Poli­tik. Ob eine pro­gres­si­ve Koali­ti­on 2017 als Erfolgs­pro­jekt bewer­tet wird, wis­sen wir heu­te nicht. Sie ist mit Risi­ko ver­bun­den (wer mag, darf jetzt Stich­wor­te wie „Hartz IV“ oder „Schi­ly-Paket“ in den Raum wer­fen) – aber eben auch mit Chan­cen. Ohne eine sol­che Koali­ti­on gibt es die­se Chan­cen nicht.

Exit Baden-Baden

Das sind aus mei­ner Sicht die drei mög­li­chen (aller­dings nicht gleich wahr­schein­li­chen) Ergeb­nis­se der Wahl am 22.9. Wer also möch­te, dass alles so bleibt, wie es ist, hat es ein­fach. Eine Stim­me für die CDU/CSU und/oder die FDP trägt sehr wahr­schein­lich dazu bei. 

Wer eine gro­ße Koali­ti­on möch­te, hat es auch ein­fach: LINKE, Pira­ten, oder AfD – hier struk­tu­rell ähn­lich – wäh­len, so dass am Schluss weder Schwarz-Gelb noch Rot-Grün eine eigen­stän­di­ge Mehr­heit haben. Das erhöht die Chan­ce auf eine gro­ße Koali­ti­on enorm. 

Wer möch­te, dass am 22.9. die drit­te Opti­on, eine pro­gres­si­ve Koali­ti­on mit all ihren Chan­cen und Risi­ken, her­aus­kommt, wer die­ses Fens­ter öff­nen möch­te, muss bei der Bun­des­tags­wahl die SPD oder noch bes­ser uns Grü­ne wäh­len. Nein, wir wer­den nicht Schwarz-Grün machen – das ist noch unwahr­schein­li­cher als eine Koali­ti­on mit der LINKEN. Schaut euch das Wahl­pro­gramm an, schaut euch das Per­so­nal an. Das geht mit die­ser CDU und die­ser CSU nicht.

Wel­ches Ergeb­nis am 22.9. her­aus­kommt, haben wir als Wahl­be­rech­tig­te in der Hand. Und allen demo­kra­ti­schen Uto­pien zum Trotz: Ent­schei­dend ist letzt­lich, wel­ches End­ergeb­nis die eige­ne Stimm­ab­ga­be wahr­schein­li­cher macht. Noch ist die Wahl nicht entschieden. 

Wer jetzt, weil’s eh ver­lo­ren ist, sich die schöns­te Oppo­si­ti­on zusam­men­stellt, han­delt fahr­läs­sig – oder noch schlim­mer: baut an einer sich selbst erfül­len­den Pro­phe­zei­ung mit. Er oder sie darf sich jeden­falls dann nicht beschwe­ren, wenn Mer­kel am 23.9. eine schwarz-gel­be Poli­tik fort­setzt und wie­der erwar­ten nicht auf einen rot-grü­nen Kurs umschwenkt. 

Eigent­lich ist die Wahl­ent­schei­dung ein­fach: Mer­kel ultra, Mer­kel light mit der SPD – oder der Joker Stein­brück mit mög­lichst star­ken Grü­nen, um die SPD vor­an­zu­trei­ben. Was soll’s sein?

War­um blog­ge ich das? Auch als Kon­tra­punkt zum vor­he­ri­gen Arti­kel. Und weil mich bestimm­te Argu­men­ta­tio­nen ankot­zen. Es geht nicht um einen Schön­heits­wett­be­werb. Es geht dar­um, wer die nächs­ten vier Jah­re die Richt­li­ni­en­kom­pe­tenz über die Poli­tik der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land hat, und wer dabei mit­be­stimmt. Dar­über aus Angst vor fal­schen Ergeb­nis­sen nicht mit­ent­schei­den zu wol­len, ist eben­so falsch wie die Vor­stel­lung, es sei doch eh egal, was raus­kommt. Ist es nicht!

21 Antworten auf „Beschwert euch nicht, wählt!“

    1. Ich hal­te sie als Grü­ner für sehr unwahr­schein­lich. Klar, die Feu­je­tongs hätten’s ger­ne, wär mal span­nend, bla, – aber es gibt weder inhalt­li­che Über­ein­stim­mun­gen, noch Per­so­nal, das mit­ein­an­der könn­te. Wel­che Kom­pro­mis­se wür­den dei­ner Mei­nung nach CDU/CSU und Grü­ne mit­ein­an­der ein­ge­hen, um so eine Koali­ti­on mög­lich zu machen?

      1. Ich hal­te schwarz­grün für wesent­lich wahr­schein­li­cher als rot-rot-grün. Im einen Fall müs­sen zwei Par­tei­en (okay: eigent­lich natür­lich drei wegen die­sem bay­ri­schen Lan­des­ver­band…) über eini­ge Schat­ten sprin­gen, im ande­ren Fall drei – mit der Erschwer­nis, dass per­sön­li­che Geschich­ten dazu kom­men. Oskar Lafon­taine z.B.
        Aus­ge­rech­net das CDU-Wahl­pro­gramm als Hin­de­rungs­grund anzu­füh­ren, ist bil­lig. Du schreibst ja selbst, dass der Blick in die Zukunft nebu­lös ist, weil Mer­kel eben kei­nen kla­ren Kurs hat. Das CDU-Wahl­pro­gramm ist doch schon jetzt Schall und Rauch.

          1. Und? Nach der Wahl hat immer eine ganz ande­re Dyna­mik als vor der Wahl. Und je nach­dem, wer bei der BDK so redet, ist das kei­ne aus­ge­mach­te Sache.

            Mal ganz davon abge­se­hen, dass ich bei­des für voll­kom­men unrea­lis­tisch hal­te. Schwarz-grün ist wegen den aktu­el­len Ver­hält­nis­sen im Bun­des­rat voll­kom­men unrealistisch.

          2. Dei­ne Begrün­dung ist eine ande­re, das Ergeb­nis für die­se Wahl aber iden­tisch: schwarz-grün ist extrem unwahr­schein­lich. (Ganz im Gegen­satz zur Wahr­neh­mung vie­ler Wäh­le­rIn­nen, die, war­um auch immer, glau­ben, „im Gehei­men“ wür­de schon die schwarz-grü­ne Koali­ti­on vorbereitet …)

          3. Naja: Der Unter­schied ist, dass ich sowohl schwarz-grün als auch rot-rot-grün für unrea­lis­tisch und höchst unwahr­schein­lich hal­te, aber eben rot-rot-grün für einen tick unrealistischer :-)
            Ob nun vie­le Wäh­ler dran glau­ben, dass im „gehei­men“ schon schwarz­grün ver­han­delt wird, weiß ich nicht. Mir sind bis­lang noch kei­ne über den Weg gelau­fen – aber die Info­stands­ai­son beginnt ja auch erst. Scheint mir eher so ein Medi­en­the­ma zu sein.

    2. (Oder noch­mal etwas anders: Hältst du Scha­den x Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit von Schwarz-Grün für grö­ßer als den poten­zi­el­len Nut­zen x Ein­tritts­wahr­schein­lich­keit von Rot-Grün?)

    1. Du glaubst, dass eine Gro­ße Koali­ti­on mit 40% CDU/CSU und 30% SPD weni­ger Mist baut als eine mit 40% CDU/CSU und 20% SPD? Das erscheint mir ein biss­chen naiv. Ent­schei­dend ist nicht das rela­ti­ve Kräf­te­ver­hält­nis, son­dern was die SPD selbst zulässt.

  1. schwarz-grün is nicht weni­ger unwahr­schein­lich wie rot-rot-grün. die­se opti­on wär mir zb aber wesent­lich lie­ber als schwarz-rot. in kei­ner der für mich rea­lis­ti­schen optio­nen macht es für mich sinn den grü­nen ne stim­me zu geben obwohl ich mir star­ke grü­ne wünsche.

    1. Ich behaup­te ja, dass du mit dei­ner Stimm­ab­ga­be – in der kon­kre­ten Situa­ti­on an passenden/unpassenden Pro­gram­men, Aus­schlüs­sen und Mehr­heits­ver­hält­nis­sen – eben genau das nicht ent­schei­den kannst. Es gibt kei­ne Wahl­op­ti­on, die Rot-Grün-Rot wahr­schein­li­cher macht, aber nicht gleich­zei­tig auch gro­ße Koali­tio­nen wahr­schein­li­cher macht. Es gibt eben kei­ne Vari­an­te „mei­ne Stim­me habt ihr, aber nur, wenn“ zu wählen.

  2. Sze­na­rio 4: Die CDU/CSU holt die abso­lu­te Mehr­heit. Da stand Mer­kel in den Umfra­gen schon mal kurz davor, nun ist der Abstand wie­der grö­ßer, aber ein Umschwung von 5 Pro­zent­punk­ten wür­de dafür schon aus­rei­chen – deut­lich weni­ger als was für eine eige­ne rot-grü­ne Mehr­heit nötig wäre. Schauder!

    Aber manch­mal bin ich schon kurz vor dem Ver­zwei­feln. Je unpo­li­ti­scher, je Mer­kel, je Veggie­day – des­to CDU/CSU, da hilft auch eine 60–70%-Mehrheit in der Sache bei den meis­ten The­men nichts. Oder doch? Wie über­zeugt man jeman­den, der eigent­lich schon für gerech­te­re Steu­ern, gerech­te Löh­ne, gute, sau­be­re­re, siche­re und nach­hal­tig güns­ti­ge­re Ener­gie ist, aber das alles sofort ver­gisst, sobald der Mer­kels Lächeln und ihre gefal­te­ten Hän­de sieht?

  3. Eigent­lich ist die Wahl­ent­schei­dung ein­fach: Mer­kel ultra, Mer­kel light mit der SPD – oder der Joker Stein­brück mit mög­lichst star­ken Grü­nen, um die SPD vor­an­zu­trei­ben. Was soll’s sein?

    Haut mich alles nicht vom Hocker.

    1. Mich ja auch nicht. Ich wür­de ger­ne für Rot-Grün-Rot stim­men, und am bes­ten noch mit einer ande­ren Kanz­le­rin als Stein­brück. Aber gibt es halt nicht, die Opti­on. Des­we­gen nicht wäh­len? Oder trot­zig so wäh­len, dass Mer­kel eine schö­ne Oppo­si­ti­on bekommt? Ist jeden­falls nicht mein Schluss aus die­ser Analyse.

      1. Wie ist denn heu­er die Aus­sicht auf Direkt­man­da­te? Hab mei­ne Erst­stim­me Chris Kühn gege­ben (Brief­wahl) weil ich da ne Chan­ce sehe dass die unsäg­li­che Annet­te Wid­mann-Mauz raus­ge­ke­gelt wird. Das Kunst­stück ist Dani­el Lede Abal bei der LTW gelun­gen. Aber das war halt 2011 ne ande­re Situa­ti­on und ich glaub da war der Wahl­kreis­zu­schnitt auch etwas günstiger.

  4. Wie bei fast jeder Wahl ste­he ich mal wie­der da und fra­ge mich, was ich tun soll – ich befür­wor­te seit Jah­ren eine Klein­par­tei, die aber in mei­nem Wahl­be­zirk kei­nen Direkt­kan­di­da­ten stellt und weit unter den 5 % blei­ben wird. 

    Geh ich gar nicht hin? Wäh­le ich ungül­tig? „Das klei­ne­re Übel“ will ich nicht wäh­len. Kei­ne der drei im Arti­kel genann­ten Mög­lich­kei­ten möch­te ich unter­stüt­zen. Inso­fern ist die Aus­sa­ge „Beschwert euch nicht, wählt!“ für mich – ich weiß, Du kannst nichts für unser Wahl­sys­tem – frustrierend.

    1. Klar gäbe es sicher­lich bes­se­re Wahl­sys­te­me. Klar feh­len bestimm­te Inhal­te. Aber was spricht – nach dem Mot­to Wäh­len und Beschwe­ren – dage­gen, dann eben doch das aus indi­vi­du­el­ler Sicht kleins­te Übel zu wäh­len? Was ich mit dem Text deut­lich machen möch­te: die Ent­schei­dungs­frei­heit bei der Bun­des­tags­wahl ist eine begrenz­te, auch wenn die Viel­zahl der Par­tei­en ande­res sug­ge­riert. Aber dass die Wahl begrenzt ist, macht sie eben nicht bedeu­tungs­los – die weni­gen real mög­li­chen Ent­schei­dun­gen füh­ren in unter­schied­li­che polit­id­sche Zukünf­te. Wel­che davon, kann jede/r mit­be­stim­men. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger.

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