Wahljahr für Wahljahr stellen WahlkämpferInnen vor Ort sich wieder die Frage, ob das mit dem Plakatieren den wirklich sein muss. Bringt das überhaupt was?
Der Konsens ist wohl der, dass es nichts bringt, nicht plakatieren aber schadet. Es geht nicht darum, eine tiefgreifende Botschaft zu vermitteln, es geht nicht darum, Unentschlossene über ein besonders gut gestaltetes Plakat zur Wahl zu bewegen (das erklärt auch die FDP), sondern es geht schlicht darum, darauf hinzuweisen, dass a. Wahlen anstehen, und b. die bevorzugte Partei zur Wahl steht.
Und wenn es gut läuft (das hat dann was mit guter Gestaltung zu tun), dann gibt es zusätzlich zu den Plakaten im Straßenraum noch den einen oder anderen Medienbericht über das eine oder andere Plakat. Manchmal reicht es dann schon, das in Stückzahl 1 zu produzieren.
Entsprechend verfehlen Plakate die meisten der Ansprüche, die gerne an sie gestellt werden. Sie sind kein Ersatz für Wahlprogramme. Sie sind meist oberflächlich. Sie vermitteln Stimmungen, einen Imagekern, vage Themen – ohne eine Aussage über Prioritäten zu treffen. Sie müssen auffallen. Sie müssen zur Partei passen (schönes Beispiel dafür: die Plakate zur Mietdebatte von uns Grünen („Für faire Miete statt Rendite“), Linkspartei („Miete und Energie: Bezahlbar für alle“) und SPD („WIR für bezahlbare Mieten“)). Nicht mehr und nicht weniger.
Und stimmig sind die Plakate allemal: Zur Frage der Gestaltung kann auf das Designtagebuch (GRÜNE, LINKE, Piraten, SPD, CDU, FDP, siehe auch Stuttgarter Zeitung) verwiesen werden. (Ein interessanter Punkt ist das, was in der Presse mit Verweis auf die CDU-Pressekonferenz schon mal als „bei der SPD lachen die Leute nicht“ breitgetreten wurde: Die SPD verwendet echte Personen, die CDU Models, die bis zum auf das Orange abgestimmten blauen Pullover inszeniert sind. Die Menschen auf den Plakaten der SPD lachen so, wie Menschen im Alltag lachen, oder gucken ernst, wie Menschen halt ernst gucken, wenn es um gewichtige Dinge geht – die auf den Plakaten der CDU sind Werbefernsehfröhlichkeit).
Insofern halte ich es auch für falsch, in den Klageruf einzustimmen, die Wahlplakate seien allesamt inhaltsleer. Sind sie nicht. Sie sind nicht konkret, sondern plakativ – aber das durchaus mit einem zur jeweiligen Partei passenden Vokabular, sowohl was die Texte angeht, als auch in der Gestaltung.
Die CDU greift auf die gefällige, wirtschaftsnahe Inszenierung von Erfolg zurück. Als Kanzlerin-Partei behauptet sie mit dem Claim „Gemeinsam erfolgreich“, gut regiert zu haben. Als Themen werden Wirtschaft, Finanzen, Arbeit, Familienpolitik und die Kanzlerin gesetzt. Die Plakate suggerieren: Wer in der Fernsehwerbungswelt Erfolg haben will, und darauf kommt es an, setzt auf Stärke, Stabilität, Weitblick. Es lässt sich zwar trefflich darüber streiten, ob die Behauptungen der CDU bezüglich ihrer Erfolge zutreffen (und trefflich darüber spotten, ob denn eine wohlhabende Familie, in der am Sonntag der Vater am Herd steht, nun wirklich „anders“ sei) – aber die liberal-konservative Klientel der CDU wird davon überzeugt sein, und wird sich durch diese Plakate bestätigt sehen.
Medial setzt die SPD auf Merkel-Bashing (und macht das meiner Meinung nach deutlich weniger gut als wir auf den diesbezüglichen grünen Schwarz-Weiß-Motiven), vor allem aber auf eine bildliche Umsetzung ihres WIRs. Die SPD stellt sich als Teil des Kollektivs dar, und setzt auf sowas wie soziale Bodenhaftung. Finde ich zwar nicht ganz stimmig zum Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück, als Strategie insgesamt aber so schlecht nicht. „Wir“ auf den Plakaten der SPD sind „einfache Leute“, mit den Problemen, die „uns“ umtreiben: Altersarmut, Mindestlohn, Kita-Plätze, bezahlbare Mieten. Daraus könnte eine Wahlkampfstrategie werden.
Interessant hier der Kontrast zu den CDU-Plakaten, die ja diese Probleme letztlich leugnen. Möglicherweise macht hier der gefühlte Abstand zu „denen da unten“ der SPD einen Strich durch die Rechnung – wer sieht sich als sozialer Verlierer, wer, ganz unabhängig von den Fakten, als Gewinner?
Unsere grüne Kampagne ist dieses Jahr thematisch ähnlich, von der Aufmachung her aber ganz anders. Der Claim „Und du?“ (den ich sympathischer finde als das Beschwören des Kollektivs bei CDU – „gemeinsam“ – und SPD – „wir“) verbindet zwei Sorten von Plakaten: Angriffsplakate, auf denen schwarz-weiße Pressefotos mit großem grünen „Und du?“ verbunden werden, und Themenplakate, die Portraits von Menschen (und einer Kuh) aus Fischaugenperspektive mit frechen Slogans kombinieren. Kita-Plätze („Ich sag: Hello Kita.“), die Bankenkrise und wirtschaftliche Prioritäten („Mensch vor Bank.“), Mindestlohn („Für faire Löhne. Mindestens.“), Mieten („Für faire Mieten statt Rendite.“), – aber auch ökosoziale Themen („Ich werd mal Energieriese.“, „Was der Bauer nicht kennt, fress ich nicht.“ und „Mit Essen spekulier ich nicht.“). Gleichstellung ist mit „Meine Mudda wird Chef.“ vertreten, und die Bürgerrechte mit „Ich seh das anders.“
Natürlich fehlen trotzdem Themen, die im Programm als Schlüsselprojekte zu finden sind, aber auch so sind das schon ganz schön viele Plakate. Für mich vermittelt unsere Kampagne Empowerment und Beteiligung. Sie setzt trotz großer und schwieriger Themen eher auf eine positive Stimmung, auf ein „wir gehen die Probleme an“ statt ein „wir machen euch Angst“. Sympathisch, ein bisschen anders, ein bisschen mutig, grün eben.
Auch die LINKE hat dieses Jahr ähnliche Themen im Angebot. Plakate sollen plakativ sein, habe ich oben geschrieben. Mir sind die Lösungsvorschläge der LINKEN zu schwarz-weiß, zu eindeutig, zu – so würde ich das beschreiben – populistisch. Die Plakate verzichten auf Bildmotive, sind reine Textplakate in schwarz-weiß-rot. Auf fast jedem Plakat findet sich ein Ausrufezeichen. Denn es soll jetzt endlich was getan werden! (Was etwas davon ablenkt, dass die LINKE sich durch ihre geringe Freude an Tolerierungen und Koalitionen ein bisschen selbst ein Bein stellt in der Umsetzung dieser Forderungen). Thematisch geht es um Altersarmut („1050 Euro Mindestrente!“), Mindestlohn („10 Euro!“), Sozialversicherung, Alternativen zu Hartz IV, Außenpolitik („Waffenexporte verbieten! Auslandseinsätze beenden!“) und eine „Millionär-Steuer!“. Klingt gut, betrifft wichtige Themen – aber was davon in irgendeiner Koalition tatsächlich umsetzbar ist?
Die PIRATEN setzen ebenfalls (wie wir) auf Einzelporträts, die aber mit viel Text versehen sind. Grundeinkommen, Religionsfreiheit, Demokratie, Internet, Datenschutz und „Vater, Vater, Kind“ – schöne Themen, ohne Frage. Was die gezeigten Personen jeweils mit den Themen zu tun haben, erschließt sich mir allerdings trotz der Textfülle noch weniger als bei unseren Plakaten. Immerhin: Der Slogan „Piraten wählen“ ist sachlich. Mein Gefühl letzlich: Statt einer übergreifenden Stimmung werden einzelne Puzzlestücke und Konzepte präsentiert, das große Ganze gibt es nicht. Aber vielleicht passt das ja ganz gut zur Partei in orange.
Und die FDP? Die macht das, was sie immer macht – sehr schlichte gelb-blaue Textplakate. „Nur mit uns“ (als Erinnerung an die 5‑Prozent-Hürde) gibt es eine „starke Mitte“, die „entlastet“ werden soll, ein „starkes Deutschland“, gestärkte „Bürgerrechte“ und es wird „Schluss mit Schulden“ gemacht. Einfache, klare Forderungen, ähnlich wie bei der LINKEN, die ja ebenfalls auf reine Textplakate setzt, aber noch etwas inhaltsleerer. Ebenso wie da stellt sich die Frage, wie diese Dinge erreicht werden sollen, was die FDP, die ja nun durchaus mitregiert hat, eigentlich dafür getan hat – und noch, wichtiger, was sie unter „Mitte entlasten“ (Steuersenkung für die oberen 5%?), „Bürgerrechten“ (Bankgeheimnis?), „Schuldenabbau“ (Mövenpick-Hotel-Steuersenkung) und einem „starken Deutschland“ in einem „starken Europa“ überhaupt versteht. Aber auch hier: Die Kampagne passt zur Partei, die den Eindruck macht, dass Plakate hier noch weniger als bei anderen ausschlaggebend dafür sind, wer diese Partei wählt.
Und dann wären da noch die knallroten Motivationsmotive der MLPD und die Plakate der 26 anderen Parteien. Insgesamt ziemlich viel Auswahl. Fernsehwelt vs. sozialer Realismus, bunte Sprüche vs. schwarz-weiße Ausrufezeichen, Bürgerrechtsdetailismus vs. leere Behauptungen – es gibt durchaus Auswahl zwischen verschiedenen Vorstellungen von Parteipolitik. Und für die Wahlentscheidung selbst empfiehlt sich, falls irgendwer noch nicht überzeugt ist, der Blick in die Wahlprogramme (die auseinanderzunehmen, faktzuchecken, gegenüberzustellen und gegenzurechnen ja einige wenige Medien durchaus begonnen haben). Schön hier übrigens auch die grüne 2‑Minuten-Wahlzielpräsentation.
(Ab 29. August soll es dann auch einen Wahl-o-mat zur Bundestagswahl geben.)
Warum blogge ich das? Weil ich die Plakate zur diesjährigen Wahl – mal von der FDP abgesehen – insgesamt für durchaus gelungen halte.
Zur Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit von Wahlplakaten gab es Anfang des Jahres eine Studie von Prof. Lies und Laura Stefanelli, die sie bei mit gastgebloggt haben: http://www.hamburger-wahlbeobachter.de/2013/01/das-wahlplakat-im-plakatierungsdilemma.html
Ansonsten danke für den Einwurf Till. Das musste mal gesagt bzw. geschrieben werden.
Trotzdem fehlt mir das dialogische und interaktive an den Plakaten. Die Möglichkeiten der Außenwerbung 2013 sind im Gros zu 99% unausgeschöpft.
Nur ein paar Worte zur Kampagne der Grünen.
Grundsäzlich halte ich sie für ansprechend, sehe aber einige sehr riskante Punkte im Gegensatz zu den anderen genannten:
Parteilogo/-name
Der Verzicht auf den Namen ist werbetechnisch interessant. Der Ansatz, dass nur das Logo für „ein Produkt“ steht, nachvollziehbar. Allerdings bekommen die Menschen nachher einen grauen Zettel mit Namen. Würden dort Logos wiedererkennbar abgebildet, wäre der Ansatz gut. So hab ich Zweifel.
„Und du?“
Gut benannt hast du das Ansprechen. Aber schau dir bitte die Kombination des Spruchs drüber nit dieser Frage an. Das passt leider nur bei 1 oder 2 Plakaten. Wer hat denn da der Agentur reingepfuscht?
Ein “ ich geh ins Kino“ – „und du?“ passt zusammen. Aber „Hello Kita“ – „und du?“ Was soll das bedeuten? Vor der Frage ein Satz mit „Wir…“ oder „ich…“ o.ä. passt. Der Rest ist … seltsam.
Und dann noch 1 Anmerkung zu 1 Spruch:
„Was der Bauer nicht kennt…“ In meiner Naivität habe ich die Grünen mal für weltoffen gehalten. Hm. Das der Spruch designtechnisch aus dem Rahmen fällt, geschenkt. Aber dass es zukünftig nur noch „Kartoffeln mit Sauerkraut mit/ohne Fleisch“ gibt, halte ich für ein komisches Signal.
Nur so: Bewusst wahrgenommen habe ich das Plakat an einem türkischen Imbiss/Restaurant als mir die Inhaber ein paar Sachen fürs Zuckerfest gezeigt hat und ein paar typisch türkische Getränke und für mich neue Süßigkeiten zum Probieren gegeben hat. Ich ess gern Paella und auch das dürfte der Bauer nicht kennen…
Und ja: Selbstverständlich probier ich gern neue Dinge aus, gerade auch bei Lebensmitteln.
„Ich sag: Hello Kita.“ „Und du?“ – passt doch. (Und des Bauers Kuh soll keinen Genmais fressen …)
Ich machs kurz:
https://twitter.com/HannahBeitzer/status/360726481460142080
Natürlich sind die Plakate hochprofessionell gemacht – das zeigt z.B. Der Macht die Worte sehr schön. Und ob’s nun CDU ist oder Iglo, alles gleich.
Du schreibst: „Warum blogge ich das? Weil ich die Plakate zur diesjährigen Wahl – mal von der FDP abgesehen – insgesamt für durchaus gelungen halte.“
Ich bin da nicht ganz diner meinung. Sie sind alle irgendwie professionell und sehen aus wie jede andere Werbung – inhaltlich passiert m. E. nämlich ähnlich wenig. Und gerade von den Grünen hätte ich mir weniger Kalauer (Mensch vor Bank ist bestenfalls ein Bildwitz) und mehr Substanz gewünscht. Aber vielleicht musst Du sie ja gut finden. Wer weiß…
Nö, muss ich nicht, finde aber. Und „Mensch vor Bank“ ist auch ein Bildwitz, aber eben auch ein Statement zu Bankenkrise und Wirtschaftsprioritäten. Auf „ernsthaft“ gibt es das auf den 300+ Seiten Wahlprogramm und auch in der am Schluss des Artikels verlinkten 2‑Minuten-Präsentation. Was ich meine: Plakate sind einfach nicht das Medium, mit dem sich Substanz transportieren lässt. Jedenfalls nicht, wenn Plakate gleichzeitig auffallen sollen.
Es scheint so, als ob für die Parteien Balzrituale, Rang- und Revierkämpfe zum Zwecke der Machtausübung und des Machterhalts und manchmal, bei religiösen und/oder fundamentalistischen Parteien, auch die eigenen Agenden wichtiger sind, als das Wachstum und Wohlergehen des Volkes und der gesamten terrestrischen Bevölkerung. Der Demokratieverkörperungsgrad ist – allein schon systemimmanent – recht gering. Durch den Entitätscharakter der Parteien und die damit verbundenen Gesamtagenden hat man als Wähler nicht die Möglichkeit, wirkliche Repräsentanten der eigenen Meinung zu finden. Man kann also nicht behaupten, dass das traditionelle Parteiensystem ein erfolgreicher Ausdruck der Bemühung um Demokratie ist. Ganz im Gegenteil drängt sich manchmal, etwa bei Verflechtungen mit der Finanzwelt oder der Lobby, der Eindruck auf, dass sich im politischen System schleichend und fließend eine neue Art der Aristokratie etabliert, die das System zum eigenen Vorteil zweckentfremdet und gestaltet. (von http://oeko-habitate.de/buecher/politik/leseproben ).
[…]
Herrschende verkennen bei ihren Revierkämpfen mit dem Vertuschen von Fehlern allerdings, dass evtl. ihre Lebensqualität, jedenfalls die Lebensqualität ihrer Nachkommen und der gesamten Erdbevölkerung untergraben wird.
[Habe einen langen Text zwischen dem ersten und dem letzten Absatz mit vielen Links auf meiner Meinung nach eher dubiose Websites gelöscht, wollte aber kenntlich machen, dass ich hier „zensiere“. TW]