Kurz: Heiße Phase im Straßenbahnwahlkampf eingeläutet

Straßenbahn-Wahlkampf, Gundelfingen

Seit einer Woche darf pla­ka­tiert wer­den – die hei­ße Pha­se im Wahl­kampf um den Bür­ger­ent­scheid für die Wie­der­auf­nah­me der Stra­ßen­bahn-Pla­nun­gen hat begon­nen. Der Bür­ger­ent­scheid selbst fin­det am 12. Novem­ber 2023. Neben Pla­ka­ten wird es bis dahin auch noch eini­ges an offi­zi­el­len und inof­fi­zi­el­len Info-Ver­an­stal­tun­gen, Fly­ern, Info­stän­den und so wei­ter geben. Dann haben die Gundelfinger*innen das Wort, und kön­nen ent­schei­den, ob die Pla­nung für die Stra­ßen­bahn­ver­län­ge­rung der Linie 4 aus den 1990er Jah­ren aktua­li­siert wird – womit eine Grund­la­ge für eine fun­dier­te Ent­schei­dung pro/contra Stra­ßen­bahn vor­lie­gen wür­de – oder ob wie in ande­ren Orten aus Angst vor der Bau­pha­se und Fehl­vor­stel­lun­gen dar­über, wie eine Stra­ßen­bahn funk­tio­niert, die­ses Vor­ha­ben abge­sagt wird. Frei­burgs Stadt­teil St. Geor­gen stand vor eini­gen Jah­ren vor einer ähn­li­chen Ent­schei­dung, hat die Stra­ßen­bahn­an­bin­dung abge­lehnt und bedau­ert das jetzt.

Neben den Pla­ka­ten der Bür­ger­initia­ti­ve – die zei­gen, wie lebens­wert ein Ort mit Stra­ßen­bahn sein kann – und denen der Geg­ner (aggres­si­ves Ver­bots­schild, und der künst­li­che Gegen­satz von „Stadt­bahn“ und „Dorf“) haben auch wir Grü­nen ein paar Pla­ka­te unter dem Mot­to „Ja zur Stra­ßen­bahn-Pla­nung“ auf­ge­hängt. Im Ver­gleich zu der sehr gro­ßen Pla­katan­zahl der aus dem Gun­del­fin­ger Arbeits­kreis Mobi­li­tät her­vor­ge­gan­ge­nen Stra­ßen­bahn-BI und denen der Gegner*innen (die bereits im August, weit vor Beginn der offi­zi­el­len Fris­ten, die Gemein­de mit Ban­nern geflu­tet hat­ten) gehen unse­re weni­gen Pla­ka­te aller­dings fast unter. Dass ein Vier­tel davon kurz nach dem Auf­hän­gen zer­stört oder abge­ris­sen wur­de, trägt auch nicht zur Sicht­bar­keit bei. Über zer­stör­te Pla­ka­te klagt auch die BI für die Stra­ßen­bahn. Es ist ein biss­chen beängs­ti­gend zu sehen, was ein sach­li­ches The­ma wie die Fra­ge zukunfts­fä­hi­ger Mobi­li­tät für Pola­ri­sie­rung und Aggres­si­on her­vor­ruft. Neben Ängs­ten um das „Dorf“ mit sei­nen inzwi­schen fast 12.000 Einwohner*innen – ande­re Gemein­den die­ser Grö­ße den­ken dar­über nach, das Stadt­recht zu bean­tra­gen – dürf­te da auch mit­spie­len, dass die Stra­ßen­bahn eine Alter­na­ti­ve zum Auto­ver­kehr dar­stellt. Und Autos sind viel zu vie­len Men­schen lei­der immer noch ein Heiligtum.

Die Geg­ner der Stra­ßen­bahn stel­len ein E‑Bus-Sys­tem ins Schau­fens­ter. Das gibt es noch nicht, es gibt auch kei­ne kon­kre­ten Aus­sa­gen dazu, was das kos­ten wür­de, und die Anti-Stra­ßen­bahn-Frak­tio­nen FW, SPD und CDU haben bis­her auch nichts unter­nom­men, um so ein Sys­tem zu eta­blie­ren. Mit ande­ren Wor­ten: das ist eine Chi­mä­re. Bei der Stra­ßen­bahn lässt sich dage­gen selbst ohne kon­kre­te Pla­nung jetzt schon sagen, dass die Kos­ten zu einem gro­ßen Teil vom ZRF über­nom­men wer­den wür­den. Und wie gut eine dich­te Bahn­an­bin­dung funk­tio­niert, lässt sich in Frei­burg stu­die­ren. (Bei eini­gen Gegner*innen habe ich das Gefühl, dass die­se die Orts­gren­zen Gun­del­fin­gens in den letz­ten zwan­zig Jah­ren nie über­schrit­ten haben …). Dass FW und CDU sich (mehr­heit­lich) mit der Stra­ßen­bahn nicht anfreun­den kön­nen, war zu erwar­ten. Die Hal­tung der SPD irri­tiert – nicht nur mich, son­dern auch die Jusos Breis­gau-Hoch­schwarz­wald. Mal sehen, was die nächs­ten Wochen bringen.

Zeit des Virus, Update XI

View from Zähringen towards Wildtal

Seit Juli ist viel pas­siert. Zwi­schen­drin ver­ges­se ich manch­mal, dass es die Pan­de­mie noch gibt. Ich bin geimpft, eben­so mei­ne Fami­lie, auch die Teen­ager­kin­der. Gab jeweils ein, zwei Tage Neben­wir­kun­gen und Impf­re­ak­tio­nen. Und jetzt das gute Gefühl, zur 2G-Grup­pe zu gehören.

Einer­seits wird es all­mäh­lich wie­der nor­mal, dass es Off­line-Ver­an­stal­tun­gen gibt. Eine Frak­ti­ons­klau­sur mit 100 Men­schen, beglei­tet von Tests und Hygie­ne­kon­zep­ten. Eine Geburts­tags­fei­er. Land­schul­heim der Kin­der. Wahl­kampf­stän­de. Demons­tra­tio­nen. Ich schaue nicht mehr stän­dig auf die Inzi­den­zen. Die Coro­na-Ver­ord­nun­gen wur­den ange­passt, um statt der Inzi­denz auf die Hos­pi­ta­li­sie­rung zu ach­ten – ändert nicht wirk­lich etwas, ver­schiebt die Schwel­len und Grenz­wer­te nach oben. Die Kur­ven sehen nicht viel anders aus als letz­tes Jahr. Warn­ru­fe ver­hal­len. Im Mit­tel­punkt ste­hen die Unge­impf­ten. Es wird um die Fra­ge gestrit­ten, ob die pan­de­mi­sche Lage über­haupt noch gege­ben ist.

Ande­rer­seits: wei­ter Mas­ke tra­gen, beim Ein­kau­fen, vor allem aber in den vol­len Zügen und Stra­ßen­bah­nen. Hier in Frei­burg wird das auch ziem­lich kon­se­quent gemacht. Pan­de­mie der Unge­impf­ten – Erwach­se­ne und Teen­ager, die noch nicht geimpft sind, und nicht aus medi­zi­ni­schen Grün­den nicht impf­bar sind, sind irgend­wie selbst schuld. Es gibt kei­ne Impf­pflicht, und das Nud­ging mit bei­spiels­wei­se den jetzt anfal­len­den Test­kos­ten oder Zutritts­ver­bo­ten für Unge­impf­te wirkt nur bedingt, eben­so wie Impf­ak­tio­nen nur einen Teil errei­chen. Zumin­dest die, bei denen die feh­len­de Imp­fung an Bequem­lich­keit und Orga­ni­sa­ti­ons­fra­gen liegt, nicht an ideo­lo­gi­scher Ver­bohrt­heit. Trotz­dem scheint die Zahl der Geimpf­ten jetzt zu sta­gnie­ren. Sor­gen machen mir die Kin­der unter 12, für die es offi­zi­ell noch kei­ne Imp­fun­gen gibt. Trotz­dem soll auch hier gelo­ckert wer­den, soll etwa die Mas­ken­pflicht in der Schu­le teil­wei­se fal­len. Erleich­te­rung, klar – aber wie vie­le schwe­re Ver­läu­fe neh­men wir in Kauf, wie vie­le heu­te viel­leicht noch gar nicht abseh­ba­ren Lang­zeit­schä­den einer Virus­er­kran­kung, die wohl auch das Gehirn angreift?

Die stärks­te Erin­ne­rung dar­an, dass die Pan­de­mie noch nicht vor­bei ist, war para­do­xer­wei­se der Wahl­kampf­auf­tritt der „die­Ba­sis“ – auch wenn deren Hoff­nung, in den Bun­des­tag ein­zu­zie­hen, klar geschei­tert ist, waren sie hier in der Gegend doch sehr prä­sent. Mit kru­den Theo­rien und halt­lo­sen Vor­wür­fen auf Pla­ka­ten und an Wahl­kampf­stän­den. Zwei bis drei Pro­zent der Leu­te rund um Frei­burg haben die­se Quer­den­ker­par­tei gewählt. Ich befürch­te, dass es da durch­aus Reso­nan­zen bis tief in „grü­ne Milieus“ gege­ben hat, bis in den eige­nen Bekanntenkreis. 

Wech­sel in die glo­ba­le Vogel­per­spek­ti­ve – wir sind pri­vi­le­giert, was die Impf­stoff­ver­füg­bar­keit aus­sieht. In ande­ren Län­dern ist das teil­wei­se ganz anders. Das Coro­na­vi­rus wird auf abseh­ba­re Zeit blei­ben. Die Pan­de­mie auch? Das bleibt abzuwarten.

Abzu­war­ten bleibt auch, ob wir als Gesell­schaft lern­fä­hig sind. Die Coro­na-Kri­se hat eini­ges kata­ly­siert und her­vor­ge­ho­ben, hat Lücken – etwa bei der Digi­ta­li­sie­rung – und Schwä­chen – etwa hin­sicht­lich der Zugäng­lich­keit medi­zi­ni­scher Infor­ma­tio­nen in der Bevöl­ke­rung ‑sicht­bar gemacht. Ich bin mir ziem­lich sicher, dass die tech­no­lo­gi­schen Sprün­ge nicht in Ver­ges­sen­heit gera­ten – Video­kon­fe­ren­zen, oder auch mRNA als Impf­stoff­tech­nik. Wie es mit den stär­ker sozi­al fokus­sier­ten Ver­än­de­run­gen aus­sieht, wer­den wir sehen. Home-Office bei­spiels­wei­se, ein ver­än­der­tes Hygie­never­hal­ten mit Mas­ken in der Viren­sai­son und Hän­de­wa­schen. Hier befürch­te ich, dass die­se Erfah­run­gen schnell wie­der in Ver­ges­sen­heit gera­ten, wenn die Pan­de­mie denn als been­det erklärt wird und aus dem Gedächt­nis verschwindet.

Die letzte Woche

Election 2021Ich fin­de Wah­len wich­tig, und ich ver­fol­ge nicht nur die baden-würt­tem­ber­gi­schen und die bun­des­wei­ten Wah­len, son­dern schaue gespannt auch auf die Wah­len in ande­ren Län­dern. Mal mit­fie­bernd und begeis­tert, mal eher ent­täuscht und ent­geis­tert ob der Ent­schei­dung der Wäh­len­den. Wahl­kampf ist dage­gen eher ein not­wen­di­ges Übel – klar, es ist wich­tig, die unter­schied­li­chen Per­so­nen und Posi­tio­nen bekannt zu machen, einen öffent­li­chen Dis­kurs dar­über zu ent­zün­den, zu mobi­li­sie­ren (oder, in Mer­kels Fall: auch mal zu demo­bi­li­sie­ren). Aber Begeis­te­rung lösen Wahl­kämp­fe bei mir nicht aus. 

Die­ser Wahl­kampf geht jetzt in sei­ne letz­te Woche. Am Sonn­tag hat­ten FDP und GRÜNE noch ein­mal Par­tei­ta­ge. Stär­ker als zu ande­ren Zei­ten sind die­se Par­tei­ta­ge Insze­nie­rung. Hier geht es nicht um inner­par­tei­li­che Mei­nungs­bil­dung und auch nicht um inter­ne Ver­net­zung – son­dern schlicht dar­um, noch ein­mal Auf­merk­sam­keit zu bekom­men, um auf den letz­ten Metern Bot­schaf­ten in die Welt sen­den zu kön­nen. In die Welt drau­ßen, um die letz­ten noch unent­schlos­se­nen Wähler*innen zu errei­chen, und in die Welt drin­nen, um Geschlos­sen­heit her­zu­stel­len, den eige­nen Leu­ten zu dan­ken und die­se für den Schluss­sprint zu motivieren. 

Neben­bei: was ich an mei­ner Par­tei mag, ist die Tat­sa­che, dass wir auch im Gegen­wind und im Regen soli­da­risch blei­ben. Die Umfra­ge­wer­te sahen schon mal bes­ser aus, und die Angrif­fe auf die Per­son der Kanz­ler­kan­di­da­tin zu Beginn des Wahl­kampfs haben die Wahr­neh­mung von Anna­le­na Baer­bock in der Öffent­lich­keit nach­hal­tig beein­träch­tigt. Klar gab es eige­ne Feh­ler. Aber es fällt doch auf, mit was für unter­schied­li­chen Maß­stä­ben da teil­wei­se gemes­sen wird. Und wie immer wie­der die sel­ben Geschich­ten erzählt wur­den. Gegen die­se vor­her gefass­ten Urtei­le kom­men ihre extrem star­ken, kom­pe­ten­ten und empa­thi­schen Auf­trit­te in den Tri­el­len und auf den Markt­plät­zen nur schwer an. Das ist ein Wahl­kampf mit Gegen­wind und Regen­schau­ern. Und genau da fin­de ich es wich­tig, dass wir als Par­tei Hal­tung bewah­ren, dass wir wei­ter kämp­fen und alles dafür geben, zu über­zeu­gen. Nicht als Par­tei­sol­da­ten­tum, bei dem schön gere­det wird, aber eben auch nicht – da bli­cke ich auf die Uni­on – als Weg­rü­cken vom eige­nen Kan­di­da­ten. Und ich jeden­falls erle­be uns als eine Par­tei, in der Soli­da­ri­tät und Geschlos­sen­heit gelebt werden.

Ich mag Wahl­kämp­fe nicht, vor allem da nicht, wo sie – not­wen­di­ges Übel – in Rich­tung Show und Wer­bung abdrif­ten. In mei­ner nai­ven Ide­al­vor­stel­lung ent­schei­den Wäh­le­rin­nen und Wäh­ler danach, wel­che poli­ti­schen Vor­ha­ben und wel­che Per­so­nen sie über­zeu­gen. Wahl­kampf erscheint mir all zu oft als ein Ver­such, das zu ver­ne­beln. Nicht umsonst erin­nern die Pla­kat­wän­de an die fal­schen Haus­fas­sa­den einer Wild­west­stadt, die nach Ende des Film­drehs zusam­men­ge­klappt und weg­ge­räumt wer­den. Natür­lich ver­mit­teln Pla­ka­te und Auf­trit­te ein Image. Natür­lich geht es dar­um, eine Geschich­te zu erzäh­len und zu hof­fen, dass ande­re mit­ma­chen und die­se Geschich­te eben­falls erzäh­len. Und die Instru­men­te, die ver­su­chen, Par­tei­pro­gram­me run­ter­zu­bre­chen, wie etwa der Wahl-o-mat, sind dann schnell unter­kom­plex. Ganz so ein­fach ist es mit dem Fokus auf die Inhal­te also auch nicht. Trotz­dem bin ich über­zeugt davon, dass ein kür­ze­rer und fokus­sier­te­rer Wahl­kampf die­ser Repu­blik gut tun würde.

Die Legis­la­tur­pe­ri­ode des Bun­des­tags dau­ert vier Jah­re, das sind 48 Mona­te. Koali­ti­ons­ver­hand­lun­gen und die Bil­dung einer Regie­rung neh­men inzwi­schen ger­ne ein hal­bes Jahr ein, blei­ben 42 Mona­te. Die Zeit, in der Poli­tik in Wahl­kampf kippt, ist je nach Par­tei unter­schied­lich. Das Par­tei­pro­gramm wur­de im Juni beschlos­sen – vier Mona­te vor der Wahl. Die Ent­schei­dung über die Kanz­ler­kan­di­da­tin fiel im April und der Pro­gramm­ent­wurf wur­de bereits im März vor­ge­stellt, damit sind wir schon sie­ben Mona­te vor der Wahl. Schon davor wur­de in den Par­tei­gre­mi­en dar­an gear­bei­tet, und mit den ers­ten Über­le­gun­gen für Lis­ten­kan­di­da­tu­ren sowie dann den ers­ten Lis­ten­wah­len in den Län­dern sind wir im Herbst und Win­ter 2020/2021. Net­to blei­ben viel­leicht 34, 35, 36 Mona­te, alle übri­gen Wah­len und Wahl­kämp­fe mal außen vor gelas­sen. So rich­tig viel Zeit ist das nicht.

Aber viel­leicht ist die­se Tren­nung ja auch eine künst­li­che. Viel­leicht wür­de ein kür­zer „ech­ter“ Wahl­kampf nur dazu füh­ren, dass die eigent­li­che par­la­men­ta­ri­sche Arbeit stär­ker als jetzt schon zu einem Wahl­kampf in Per­ma­nenz wird, immer dar­auf bedacht, viel zu versprechen.

Die­se Wahl ist eine ande­re als frü­he­re Wah­len. Es ist die ers­te Bun­des­tags­wahl, die auf­grund der Coro­na-Bedin­gun­gen und der Erfah­run­gen bei der Euro­pa­wahl und bei den Land­tags­wah­len eine hohe Zahl an Briefwähler*innen mit sich brin­gen wird. Und es ist, dar­über wur­de viel geschrie­ben, eine Wahl, in der die Kanz­le­rin nicht antritt. Und es ist die ers­te Wahl, in der die Kli­ma­kri­se rich­tig spür­bar ist. 

Dazu kom­men die kon­train­tui­ti­ven Ele­men­te des Wahl­rechts. Mög­li­cher­wei­se wird die­ser Bun­des­tag so groß wie nie zuvor, und mög­li­cher­wei­se führt das Zusam­men­spiel von Direkt­man­da­ten und Aus­gleich- und Über­hangs­man­da­ten gera­de bei einem schwä­che­ren grü­nen Ergeb­nis zu einer (in abso­lu­ten Zah­len) extrem gro­ßen grü­nen Frak­ti­on. Das dürf­te die Kandidat*innen auf den hin­te­ren Lis­ten­plät­zen freu­en – zur Arbeits­fä­hig­keit des Bun­des­tags trägt es nicht bei, und für eine star­ke grü­ne Regie­rungs­be­tei­li­gung ist eben­falls die rela­ti­ve Stär­ke wichtiger. 

Ob unter die­sen Bedin­gun­gen die alten Weis­hei­ten noch gel­ten – dass Wäh­len­de sich erst kurz vor dem Wahl­tag ent­schei­den; all das, was die Poli­tik­wis­sen­schaft über die Dyna­mik von Umfra­gen und Wahl­er­geb­nis­sen weiß – ist unklar. Ich jeden­falls bin extrem gespannt, was der nächs­te Sonn­tag für ein Ergeb­nis brin­gen wird, und was die Par­tei­en dann dar­aus machen wer­den. Allem Hadern mit „fal­schen“ Wahl­ent­schei­dun­gen und allen Unzu­läng­lich­kei­ten des Wahl­sys­tems zum Trotz bin ich froh, in einem Land zu leben, in dem es eine ech­te Aus­wahl gibt, in dem Wah­len frei, gleich und geheim sind. Kämp­fen wir jetzt mit Über­zeu­gung und schau­en dem Sonn­tag mit Gelas­sen­heit entgegen.

Photo of the week: Blaue Blume

Blaue Blume

 
All­mäh­lich wer­den die Vor­wür­fe gegen Anna­le­na Baer­bock so rich­tig absurd. Abschrei­ben aus dem eige­nen Wahl­pro­gramm? Sti­pen­di­um bekom­men, aber die Dis­ser­ta­ti­on dann doch abge­bro­chen? Viel­leicht lohnt es sich doch mal etwas genau­er hin­zu­schau­en, was skan­da­li­siert wird – und ein Blick in die Seil­schaf­ten Nord­rhein-West­fa­lens (ger­ne durch das Deutsch­land-Bull­au­ge der Weiß­wä­sche­wasch­ma­schi­ne) oder in die Ter­min­ka­len­der des ehe­ma­li­gen Ham­bur­ger Bür­ger­meis­ters wäre da erhel­lend. Any­ways: statt über den Wahl­kampf zu schrei­ben, hier lie­ber ein paar blaue Blu­men (ich glau­be, Zicho­ri­en), wie sie am Rand des Rie­sel­felds gra­de mas­sen­haft blü­hen. Oder, wie mein Kind dazu zu sagen pfleg­te: Mondblumen.

Kurz: Wahlkampfblues

Dafür, dass ich beruf­lich mit Poli­tik zu tun habe (und jede Land­tags­wahl gespannt bis zum vor­läu­fi­gen End­ergeb­nis ver­fol­ge), ist mein Ver­hält­nis zu Wahl­kämp­fen doch eher ambi­va­lent. Es soll ja Leu­te geben, die mit Begeis­te­rung an Haus­tü­ren, Knei­pen und Info­stän­de gehen, um für Stim­men zu wer­ben. Dafür bin ich eher zu intro­ver­tiert. Und selbst auf sozia­len Medi­en, wo ich mich dann durch­aus selbst dar­an betei­li­ge, Argu­men­te mög­lichst wer­be­wirk­sam rüber­zu­brin­gen, kann ich ein gewis­ses Genervt­sein von Politiker:innen im Wahl­kampf­mo­dus durch­aus nach­voll­zie­hen. Aber trotz­dem: die Angrif­fe und Ver­dre­hun­gen des poli­ti­schen Geg­ners ein­fach ste­hen zu las­sen, das geht ja auch nicht.

Wenn es dabei um inhalt­li­che Angrif­fe geht – bei­spiels­wei­se um die Fra­ge der CO2-Beprei­sung und der Aus­wir­kun­gen auf unter­schied­li­che sozia­le Grup­pen – lässt sich bei aller Ver­zweif­lung über die Heu­che­lei der gro­ßen Koali­ti­on wie der Lin­ken ja noch halb­wegs sach­lich argu­men­tie­ren. Mit dem Ener­gie­geld haben wir ein Kon­zept, das gera­de die­je­ni­gen belohnt, die kei­ne rie­si­gen Alt­bau­ten bewoh­nen oder gro­ße Autos fah­ren. Kli­ma­schutz wird bei uns sozi­al gedacht, was aber nichts dar­an ändert, dass Kli­ma­schutz eine exis­ten­zi­el­le Fra­ge ist – und eben nicht ein x‑beliebiges poli­ti­sches Pro­blem, das mal höher und mal nied­ri­ger gewich­tet wer­den kann. In der Kon­se­quenz kann das unbe­quem sein. Und ich neh­me uns Grü­ne als ein­zi­ge ernst­haf­te poli­ti­sche Kraft wahr, die hier nicht scheut, not­wen­di­ge Zumu­tun­gen auch zu kom­mu­ni­zie­ren. Auch das steckt im Übri­gen in „Bereit, wenn Ihr es seid“, dem vor ein paar Tagen ent­hüll­ten Wahlkampfclaim.

Nein, so rich­tig schlimm bis uner­träg­lich ist Wahl­kampf im Modus der künst­li­chen Ver­dum­mung, der Schlamm­schlacht, bis hin zu nahe­zu schon trumpes­ken Tat­sa­chen­ver­dre­hun­gen und auf­ge­bla­se­nen Mücken­skan­da­len. Jede Reak­ti­on dar­auf ver­stärkt den Schlamm­ge­halt, nicht zu reagie­ren ist aber auch kei­ne Lösung. Das geht dann oft ein­her mit popu­lis­ti­scher Dumm­heit – ich unter­stel­le Scholz, Laschet, Wagen­knecht, Esken, Lind­ner, Söder und selbst dem Blu­me-Mar­kus von der CSU, dass sie sehr genau wis­sen, wie weit weg ihre Behaup­tun­gen von der Wahr­heit ent­fernt sind. Aber das scheint nicht das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um zu sein. Sich dumm zu stel­len, bewusst miss­zu­ver­ste­hen, böse Absicht zu unter­stel­len, wo Nach­läs­sig­keit die ein­fa­che­re Erklä­rung wäre – all das heißt auch, die Wähler:innen für dumm zu hal­ten und ihnen kei­ne ver­nunft­ge­lei­te­te und eigen­stän­di­ge Ent­schei­dung zuzutrauen.

Oder, um Jac­in­da Ardern zu zitieren:

I real­ly rebel against this idea that poli­tics has to be a place full of ego, whe­re you’re con­stant­ly focu­sed on scoring hits against one another.