„Heute bringst du aber mal den Spam runter, Schatz!“

Happy Kreuzberg

Gro­ße Rät­sel kön­nen sich in all­täg­li­chen Klei­nig­kei­ten ver­ber­gen. Das ist einer der Grün­de, war­um mich Sozio­lo­gie und ver­wand­te Wis­sen­schaf­ten schon immer fas­zi­niert haben: War­um machen ande­re das anders? Das ist doch komisch!

Ein Bei­spiel einer sol­chen Pra­xis, die das eige­ne Ver­hal­ten in Fra­ge stellt, sind E‑Mail-Accounts. Für mich ist ein E‑Mail-Account etwas per­sön­li­ches – einer Per­son zuge­ord­net, mög­li­cher­wei­se auch nur einem bestimm­ten Rol­len­aspekt einer Per­son (beruf­lich, pri­vat, Ehren­amt …). Genau­so, wie das eben auch bei Smart­phones, Face­book- und Goog­le-Accounts ist. Die ein­zi­ge Aus­nah­me, die mir ad hoc ein­fällt, sind info@-Accounts von Orga­ni­sa­tio­nen; also Sam­mel­post­fä­cher für eine bestimm­te Art von Anfragen. 

Nun gibt es aber immer wie­der Men­schen, die das anders sehen. 

Und die mun­ter Mails von Accounts ver­schi­cken (und dort emp­fan­gen), die ganz offen­sicht­lich einem Paar (oder mög­li­cher­wei­se einer Fami­lie) zuge­ord­net sind. Hans-und-Grete@t‑online.de oder A.und.B.Mustermann@gmx.de. Sol­che Accounts. Und weil mir auf mei­ner Zug­fahrt heu­te mor­gen lang­wei­lig war, habe ich ein­fach mal die Welt (bzw. mei­ne Twit­ter-Time­line) gefragt,

Gro­ße Rät­sel der Mensch­heit: Was bringt Paa­re dazu, (nur) einen gemein­sa­men eMail-Account zu nut­zen? Und wie funk­tio­niert das in der Praxis? 

Dar­aus ent­spann sich eine durch­aus leb­haf­te Debat­te. Und natür­lich muss­ten mei­ne Twit­ter-Fol­lower erst ein­mal ihr Distink­ti­ons­be­dürf­nis zei­gen: Wir machen das nicht, wer das tut, ist selt­sam, und trägt auch im Urlaub iden­ti­sche Wind­ja­cken. Oder kennt sich mit PCs nicht aus. Hält eine Mail­box für einen Brief­kas­ten. Und was der Vor­ur­tei­le mehr sind.

Im Lauf der Debat­te (bei der sich dann doch eini­ge als frü­he­re oder sogar auch jet­zi­ge Nut­ze­rIn­nen eines gemein­sa­men Accounts) oute­ten, kris­tal­li­sier­ten sich dann jedoch meh­re­re unter­schied­li­che Ver­mu­tun­gen dar­über her­aus, wie es dazu kommt, dass Paa­re oder Fami­li­en einen gemein­sa­men E‑Mail-Account benutzen.

Wenn ich das rich­tig sor­tiert gekriegt habe, dann sind es im End­ef­fekt vier unter­schied­li­che Kon­stel­la­tio­nen, die als mög­li­ches Motiv­bün­del für eine sol­che E‑Mail-Nut­zungs­pra­xis genannt wur­den (viel­leicht fällt euch ja noch mehr ein):

  1. Ver­trau­en durch Miss­trau­en: Wir ver­trau­en uns so sehr, dass wir gegen­sei­tig unse­re Pass­wör­ter mit­tei­len. Und natür­lich haben wir nur einen E‑Mail-Account.
  2. Roman­ti­sche Paar­kon­sti­tu­ti­on: Wir sind eine Ein­heit, ein Paar. Wir tra­gen die sel­ben T‑Shirts und Wind­ja­cken, wir gehen nur gemein­sam aus, und natür­lich haben wir auch nur einen E‑Mail-Account. Alle sehen, dass wir eins sind.
  3. Arbeits­tei­lung im Haus­halt: Es gibt einen Brief­kas­ten, einen Tele­fon­an­schluss und einen PC bei uns. Und da haben wir auch einen E‑Mail-Account. Der eine küm­mert sich dar­um, die ande­re orga­ni­siert das sozia­le Leben per Tele­fon. Das ist in unse­rer Familie/Generation so.
  4. Prag­ma­tis­mus der all­täg­li­chen Lebens­füh­rung: Wir haben jede unse­ren eige­nen Account, allein schon beruf­lich ist das not­wen­dig. Aber es gibt vie­les, wo wir gemein­sam infor­miert sein müs­sen. Wie beim gemein­sa­men Kon­to haben wir des­we­gen – zusätz­lich – auch noch einen E‑Mail-Account, den wir zum Bei­spiel nut­zen, um schu­li­sche Infos zu bekommen.

Bis auf das letz­te Modell sind – nota bene – die­se Ide­al­ty­pen rei­ne Hypo­the­sen. Und dass es sinn­voll sein könn­te, für Din­ge wie Eltern­rund­brie­fe eine gemein­sa­me Mail­adres­se zu nut­zen (ins­be­son­de­re des­we­gen, weil ent­spre­chen­de For­mu­la­re und Köp­fe oft nicht dafür ein­ge­rich­tet sind, einem Kind zwei Eltern mit zwei unter­schied­li­chen Adres­sen inkl. unter­schied­li­chen E‑Mail-Adres­sen zuzu­ord­nen, die bei­de infor­miert wer­den wol­len). Das ist dann, wie eben­falls geäu­ßert wur­de, eben ähn­lich wie bei einer klei­nen Fir­ma oder einer ande­ren Orga­ni­sa­ti­on, die ein­heit­lich ange­spro­chen wer­den soll, unab­hän­gig davon, wer dann die Mails beantwortet.

In der Twit­ter­de­bat­te offen geblie­ben ist die Fra­ge, wie Paa­re oder Fami­li­en, die einen gemein­sa­men Account als ein­zi­gen E‑Mail-Account nut­zen (angeb­lich gibt es sogar Stu­die­ren­de, die die Mail ihrer Eltern ver­wen­den), das in der Pra­xis tat­säch­lich orga­ni­sie­ren. Liest jeder alles? Öff­net einer die Post, und infor­miert gege­ben­falls den ande­ren? Wird alles aus­ge­druckt und indi­vi­du­ell wei­ter­ge­lei­tet? Das wür­de mich inter­es­sie­ren – und eben auch, ob damit eher prak­ti­sche Grün­de („Tech­nik inter­es­siert mich nicht so, ich las­se das mei­nen Mann machen“, um einen Ste­reo­typ zu asso­zi­ie­ren) oder tat­säch­lich eher Prak­ti­ken der Iden­ti­täts­kon­struk­ti­on ver­bun­den sind („wir machen das so, wir sind ein Paar“). 

Es wäre span­nend, das empi­risch zu unter­su­chen. Ist aber der­zeit nicht mein Job – umso mehr wür­den mich Erfah­rungs­be­rich­te, Spe­ku­la­tio­nen oder Lite­ra­tur­hin­wei­se inter­es­sie­ren, um die­ses Rät­sel zu lösen. 

War­um blog­ge ich das? Weil sich auf Twit­ter dann doch eine span­nen­de Debat­te ergab, die mir unter ande­rem ver­deut­lich­te, dass die nai­ve Vor­stel­lung „eine Per­son – ein Account“ als Nor­mal­fall nicht stimmt. Und dass ande­re Nut­zungs­wei­sen von E‑Mail mög­li­cher­wei­se durch­aus sinn­voll erschei­nen, wenn sie in ihrem je eige­nen Kon­text betrach­tet werden.

Dank an Apri­ca für den Titel.

6 Antworten auf „„Heute bringst du aber mal den Spam runter, Schatz!““

  1. Sicher kein ganz ein­fa­ches The­ma – wie schon Dei­ne ers­te Eva­lua­ti­on zeigt: Eigent­lich möch­te nie­mand, dass ihm oder ihr in öffent­li­cher Debat­te ein gemein­sa­mer Account zuge­ord­net wird. Dar­über hin­aus das Tech­ni­sche. Natür­lich ken­nen sich vor allem Män­ner ab 40 auf­wärts im Schnitt bes­ser mit dem Inter­net aus als ihre Alter­ge­nos­sin­nen. Was nicht dis­kri­mi­nie­rend gemeint ist. Dann das Prak­ti­sche: Der All­tag über­rennt einen qua­si. Ist es da nicht schön, wenn der Part­ner, der auch, sagen wir, abends die Blu­men wäs­sert, unse­re E‑mails checkt?
    Mein Erfah­rungs­bei­spiel: Ich habe mei­ne eige­nen Mail­ac­counts. Es könn­ten aber auch gemein­sa­me sein. Denn mein Mann instal­liert alles auf sei­nem Tabloid, was geht. „Damit Dir nichts ent­glei­tet“. Dan­ke. Mei­ne Eltern haben einen gemein­sa­men Mail­ac­count. Mei­ne Mut­ter betreut ihn, mein Vater geht eigent­lich nie ran. Sehe ich das als Ver­rat an der Selbst­be­stim­mung? Eher nicht.
    Empi­risch? Ich wär dabei! Und ich den­ke, ich bin kein Son­der­fall. Hier mei­ne Band­brei­te, falls Du mal mehr dar­aus machen möch­test. Vie­le Grüße!

  2. Bei den vier Kon­stel­la­tio­nen han­delt es sich aber streng genom­men um die Gegen­über­stel­lung von ent­we­der roman­ti­schem Ide­al des Paars (1 und 2) oder part­ner­schaft­li­cher resp. fami­liä­rer Arbeits­tei­lung (3 und 4). 1 und 3 mar­kiert zudem die (pri­va­te) Selbst­re­fe­renz, wäh­rend 2 und 4 auf die (öffent­li­che) Fremd­re­fe­renz abstel­len – wem also jeweils die Sozi­al­be­zie­hung Paar oder Partnerschaft/Familie sicht­bar gemacht wer­den soll. Das wäre dann eine Vier­fel­der-Heu­ris­tik für Prak­ti­ken der Orga­ni­sa­ti­on von Paa­ren bzw. Partnerschaften/Familien via der Hand­ha­bung gemein­sa­mer Email-Accounts.

    1. Inter­es­san­ter Hin­weis, dan­ke! Ob ich die Zuord­nung nach Fremd-/Selbst­re­fe­renz so tei­le, ist mir noch nicht so klar. Viel­leicht sind das auch weni­ger Typen als mög­li­cher­wei­se gleich­zei­tig auf­tau­chen­de, sich über­schnei­den­de Kategorien.

  3. Dei­ne Vari­an­ten 1 bis 3 haben je schon einen leicht nega­ti­ven Unter­ton. Ich glau­be halt, bei vie­len hat sich das auch „his­to­risch ent­wi­ckelt“, weil sie vor ein paar Jah­ren dach­ten, so wich­tig sei das nicht und ein Account für zwei rei­che erst mal. Bei eini­gen wird die Mail­kom­mu­ni­ka­ti­on auch wei­ter­hin kei­nen gro­ßen Stel­len­wert ein­neh­men. Da teilt man sich schon mal das Passwort.
    Die Wei­ter­ga­be „mei­nes“ Pass­worts wür­de auch für mich die größ­te emo­tio­na­le Hür­de dar­stel­len, zumal ich gewis­se Ansprü­che an ein eige­nes Pass­wort stel­le. Mei­ne Erfah­run­gen mit von vorn­her­ein für Mul­ti­user­nut­zung ein­ge­rich­te­te Pass­wort­zu­gän­ge zeigt aller­dings, dass sich ein gro­ßer Teil der Invol­vier­ten selbst ein­fachs­te Pass­wör­ter nicht mer­ken können.
    Ande­rer­seits: Vie­le Abge­ord­ne­te machen das doch auch so, dass Mitarbeiter_innen ihren dienst­li­chen Account mit­le­sen, auch auf die Gefahr hin, dass da mal eine pri­va­te Mail landet.
    Din­ge, die man unbe­dingt ver­ber­gen möch­te, in Mails zu set­zen, ist eben ein Risi­ko. So oder so.

    1. Kay, zwi­schen Orga­ni­sa­tio­nen (dazu zäh­le ich auch die selbst­ver­ständ­lich von Mit­ar­bei­te­rIn­nen mit­be­treu­ten Abge­ord­ne­ten­ac­counts – ganz im Sin­ne der Brie­fe, die von Sekre­tä­rIn­nen geöff­net wur­den …) und Paa­ren wür­de ich hier schon unterscheiden.

  4. Mich hat noch eine anony­me Zuschrift erreicht, die ich euch nicht vor­ent­hal­ten will:

    ===
    Los ging es irgend­wann mal, ca. 1998, da gab es pri­mär T‑Online, daher auch die T‑On­line-Adres­se. 1 Adres­se für die Fami­lie. Dann kam irgend­wann der Sohn (ich) mit einer gmx-Adres­se, aber auch die war im glei­chen Mail-Cli­ent mit gespei­cher­tem Pass­wort, d.h. theo­r­ethisch konn­te auch da jeder, der am Fami­li­en­com­pu­ter saß, dar­auf zugreifen.
    Bei mir sel­ber ist es inzwi­schen so, dass ich zig Mail­adres­sen habe, eini­ge davon mit mei­ner Frau geteilt, wenn es eben um gemein­sam­me Auf­ga­ben geht, aber de fac­to hat sie auf alle Zugriff (Pass­wort) und de fac­to bin ich auch der ein­zi­ge, der die gemein­sam­men Accounts ver­wal­tet. Sie hat vor allem ihren eige­nen Account, auf den ich (wenn ich mir das Pass­wort gemerkt hät­te) auch Zugriff hät­te, der mich aber nicht interessiert.
    Also im End­ef­fekt alle dei­ne Typen irgendwie…

    sieh es doch mal anders­rum: In zig ande­ren Sachen war es über Jah­re ganz nor­mal, gera­de als Ehe­paar, unter einer Adres­se erreich­bar zu sein. Post­kar­ten gehen meis­tens an die Fami­lie, Bank­brie­fe eben­so, Kin­der­gar­ten­brie­fe auch und Tele­fon­an­ru­fe sowie­so, … war­um nicht also auch die Mails.
    Es ist also eher eine „Erfin­dung“ der aktu­el­len Zeit, dass jeder sei­ne ganz eige­ne Kon­takt­adres­se hat. Das glei­che kommt ja auch beim Tele­fon (ISDN-Num­mer, jeder hat ein Han­dy), Pake­ten (Paket­sta­ti­on), …

    und dann kommt eben die span­nen­de Aus­sa­ge: „Wenn man nichts zu ver­ber­gen hat“ (wir alle wis­sen, dass dies eine sehr kri­ti­sche Aus­sa­ge ist, aber in einer Bezie­hung und noch mehr in einer Ehe ist eben einer­seits Ver­trau­en sinn­voll, aber eben auch ein gewis­ses Recht vor­han­den zu wis­sen, was der ande­re macht.)
    ===

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