Haushaltsverhandlungen als Gradmesser politischer Nachhaltigkeit

Günterstal landscape with mountains
Zuwachs­fä­hi­ger Ver­dich­tungs­raum oder so

Der stell­ver­tre­ten­de Minis­ter­prä­si­dent von Baden-Würt­tem­berg, Lan­des­chef unse­res Lieb­lings­ko­ali­ti­ons­part­ners SPD und Finanz- und Wirt­schafts­mi­nis­ter, Dr. Nils Schmid, hat ja bekann­ter­ma­ßen kurz vor sei­nem fünf­wö­chi­gen Urlaub noch ein Inter­view gege­ben, in dem wohl unter ande­rem der Satz gefal­len sein muss, dass dann halt im Schwarz­wald mal ein Tal zuwach­se. Sel­ten war danach so gro­ße Einig­keit zwi­schen Grü­nen und Bau­ern­ver­bän­den, Natur­schutz­lob­by und CDU.

Mein ers­ter Gedan­ke, als ich im Urlaub davon las, war so etwas wie „typisch Sozi­al­de­mo­kra­tie“: länd­li­cher Raum, Agrar­po­li­tik, Natur­schutz, Umwelt – alles nicht so wich­tig wie Bil­dung (da besteht ja noch eine gewis­se Einig­keit) und Beton (in dem Arti­kel oben: Schwer­punkt in der „ver­kehr­li­chen Infra­struk­tur“). Und das in einem Land, das ger­ne als „Länd­le“ titu­liert wird, in dem zwar fak­tisch nur ein Drit­tel der Bevöl­ke­rung im hier­zu­lan­de star­ken länd­li­chen Raum wohnt, in dem sich aber etwa zwei Drit­tel mit dem länd­li­chen Raum iden­ti­fi­zie­ren. Je nach Stand­punkt ein kla­res Eigen­tor oder ein kla­rer Bei­trag zur Pro­fil­bil­dung – der SPD schei­nen gro­ße Tei­le des Lan­des nicht so wich­tig zu sein, ganz egal, ob da Wäh­le­rIn­nen wohn­ten oder nicht.

Aber eigent­lich sind das wohl gar kei­ne Äuße­run­gen zum länd­li­chen Raum, zur Wirt­schafts­po­li­tik (die im länd­li­chen Raum mit Tou­ris­mus, Natur­schutz, Land­wirt­schaft und ent­spre­chen­den EU-Mit­teln vor allem auch Poli­tik des grü­nen Minis­te­ri­ums für den länd­li­chen Raum ist) oder zur Lebens­qua­li­tät in Baden-Würt­tem­berg. Eigent­lich sind es, und das ist die Nach­richt hin­ter der Nach­richt, Ansa­gen des Finanz­mi­nis­ters zu den Haus­halts­ver­hand­lun­gen 2013/14.

Bekannt ist, dass Baden-Würt­tem­berg – bei einem Haus­halts­vo­lu­men von etwa 38 Mrd. Euro – ein struk­tu­rel­les Defi­zit im Lan­des­haus­halt von 2,5 Mrd. Euro hat. Das ist zum Teil neu, etwa durch den poli­tisch sehr bewusst gesetz­tes Ver­zicht auf Stu­di­en­ge­büh­ren (0,16 Mrd. Euro), zum gro­ßen Teil aber Erb­schaft einer CDU-Poli­tik, die jah­re­lang auf Sicht gefah­ren ist und kei­ne Rück­la­gen etwa für Pen­sio­nen oder für die „Durch­fi­nan­zie­rung“ viel­fäl­ti­ger Wahl­kreis­för­der­pro­gram­me auf­ge­baut hat.

Laut Sit­zungs­plan (pdf) des Land­tags soll noch in die­sem Jahr der Dop­pel­haus­halt 2013/14 ver­ab­schie­det wer­den. In die­sem sol­len in 2013 0,6 und 2014 0,8 Mrd. Euro ein­ge­spart wer­den. Soweit die Ansa­ge – hin­ter die­sen Zah­len ste­hen mei­nes Wis­sens nach bis­her aber kei­ne hand­fes­ten Einspar­kon­zep­te. Letzt­lich soll alles, was nicht niet- und nagel­fest und unbe­dingt not­wen­dig ist, auf den Prüf­stand gestellt werden. 

Man­che haben den Ein­druck, dass dies vor­wie­gend in den „grü­nen“ Häu­sern (Umwelt, Länd­li­cher Raum, Ver­kehr und Wis­sen­schaft) geschieht. Auf der ande­ren Sei­te sind das – bis auf das Minis­te­ri­um für Wis­sen­schaft, Forch­ung und Kunst, in dem einer­seits sehr viel ver­trag­lich gebun­den ist (Soli­dar­pakt mit den Hoch­schu­len) und ande­rer­seits nie­mand bestrei­tet, dass für die kom­men­den Jah­re mit stei­gen­den Stu­die­ren­den­zah­len und damit eigent­lich einem Mehr­be­darf zu rech­nen ist – alles vom Haus­halts­vo­lu­men her eher klei­ne Minis­te­ri­en, wie der Blick auf die Visua­li­sie­rung des Haus­halts bei openspending.org zeigt (Daten von 2010, die Grö­ßen­ord­nun­gen stim­men aber).

Rich­tig ins Geld – des­we­gen gab es Anfang Juli auch eine hef­ti­ge Debat­te um frei­wer­den­de Leh­rer­stel­len – schla­gen die Per­so­nal­kos­ten in den flä­chen­de­cken­den Berei­chen: Schu­len und Poli­zei – bei­des SPD-Minis­te­ri­en. Aber auch die Inves­ti­tio­nen des Lan­des (Bau und Ver­mö­gen im Minis­te­ri­um für Wirt­schaft und Finan­zen, allg. Finanz­ver­wal­tung) sowie die Kom­mu­nal­mit­tel des Lan­des stel­len rele­van­te Grö­ßen­ord­nun­gen dar.

Wenn Schmid jetzt dar­auf hin­weist, dass ihm die Land­wirt­schaft und der Natur­schutz nicht so wich­tig sind, dann ist das mei­ner Mei­nung nach vor allem eine Aus­sa­ge dazu, wo sei­ner Mei­nung nach die noch feh­len­den Kür­zun­gen im Lan­des­haus­halt her­kom­men sol­len. Die­se Mei­nung erscheint mir aller­dings – alle poli­ti­schen Prio­ri­tä­ten mal bei Sei­te gelas­sen – allein schon rech­ne­risch schwie­rig. Wer das struk­tu­rel­le Defi­zit im Lan­des­haus­halt grund­ge­setz­kon­form abbau­en will, kann dies nicht tun, wenn die größ­ten Minis­te­ri­en und Ein­zel­plä­ne außen vor gelas­sen wer­den. Hier scheint es mir so, als soll­ten Pflö­cke für die nach der Som­mer­pau­se wie­der anlau­fen­den Haus­halts­ver­hand­lun­gen ein­ge­schla­gen wer­den. Ob der Finanz­mi­nis­ter damit Erfolg hat, wer­den wir im Herbst sehen – die „Pro­fil­bil­dung“ des SPD-Lan­des­chefs als Bau­ern­feind und Land­ver­äch­ter ist jeden­falls jetzt schon da. Ob das sein Ziel war?

Aber neben dem poli­ti­schen Klein-Klein steht für mich die Fra­ge, ob es über­haupt mög­lich ist, die­se struk­tu­rel­len Ein­spa­run­gen hin­zu­be­kom­men, die ja Jahr für Jahr bis 2020 noch anstei­gen wer­den, ohne die Leis­tungs­stär­ke der Lan­des­ver­wal­tung und des Lan­des deut­lich zu redu­zie­ren. (Vor allem dann, wenn bei­spiels­wei­se Per­so­nal­kos­ten von vor­ne­her­ein zum „roten“ Bereich erklärt werden).

Etwas wei­ter gefasst: Wie gut muss ein Land wirt­schaf­ten kön­nen? Und ist die – platt gesagt – kauf­män­ni­sche Buch­hal­tung einem Län­der­haus­halt ange­mes­sen? Oder muss noch ein­mal über die Umsetz­bar­keit der in der Ver­fas­sung ver­an­ker­te Schul­den­brem­se nach­ge­dacht wer­den? Pas­sen die Bund-Län­der-Finanz­be­zie­hun­gen zu die­sem Ziel? (Im Bil­dungs­be­reich gibt es da ja eben­so­wie wie bei Hoch­schu­len und For­schung durch­aus Beden­ken). Und was soll ein Land tun, wenn nicht beein­fluss­ba­re Rah­men­be­din­gun­gen – etwa die Steu­er­ge­setz­ge­bung auf Bun­des­ebe­ne – dazu füh­ren, dass letzt­lich poli­ti­sche Schwer­punkt­set­zun­gen in der Lan­des­po­li­tik nur noch im Nega­ti­ven mög­lich sind?

Im grü­nen Dis­kurs um Nach­hal­tig­keit wird oft und ger­ne die „finan­zi­el­le Nach­hal­tig­keit“ ange­führt. Gemeint ist damit, dass Staats­schul­den die Hand­lungs­spiel­räu­me zukünf­ti­ger Gene­ra­tio­nen extrem ein­schrän­ken. An die­sem Punkt einer finan­zi­ell nicht nach­hal­ti­gen Poli­tik sind wir heu­te defi­ni­tiv angelangt. 

Die gro­ße Fra­ge ist aber – und da kommt ein lebens­fä­hi­ger und lebens­wer­ter länd­li­cher Raum als gesell­schaft­li­che Lebens­grund­la­ge wie­der mit ins Spiel – was pas­siert, wenn sozia­le, wirt­schaft­li­che und vor allem öko­lo­gi­sche Nach­hal­tig­keit dar­an schei­tern sol­len, dass Schul­den­ab­bau die Prio­ri­tät 1 bekommt. Das kann es dann ja – ganz unab­hän­gig von Koali­ti­ons­que­re­len zwi­schen „roten“ und „grü­nen“ Häu­sern – auch nicht sein, oder?

War­um blog­ge ich das? Als ganz vor­sich­ti­gen Ein­blick in das poli­ti­sche Uhr­werk der grün-roten Koali­ti­on unter Haushaltsvorbehalt.

3 Antworten auf „Haushaltsverhandlungen als Gradmesser politischer Nachhaltigkeit“

  1. Das ist jetzt ein biss­chen scha­de, dass gra­de die­ser Arti­kel so ein biss­chen igno­riert wird, denn die Fra­ge, ob das ewi­ge Man­tra vom Schul­den­ab­bau einer nach­hal­ti­gen (grü­nen) Poli­tik tat­säch­lich ange­mes­sen ist, wür­de ich schon lan­ge mal ger­ne dis­ku­tie­ren… Ich habe da schon lan­ge mei­ne Zweifel.

  2. Das The­ma ist ja nicht neu – neu ist, dass Grü­ne auch auf Lan­des­ebe­ne Ver­ant­wor­tung tra­gen – und zwar feder­füh­rend und nicht als „Kell­ner“. Grü­ne Kom­mu­na­los ste­hen ja vor ähn­li­chen Pro­ble­men, ziem­lich ähn­li­chen, denn wie auch die Lan­des­ebe­ne haben wir wenig Mög­lich­kei­ten auf der Ein­nah­me­sei­te irgend­was zu ändern. Es hilft daher nur bei jedem Pos­ten zu fra­gen, ob eine Kürzung/Streichung/Nichtangemessene Erhö­hung auf Kos­ten nach­hal­ti­ger Poli­tik geht. So ist z.B. klar, dass die Nicht­durch­füh­rung von wert­erhal­ten­den Maß­nah­men – und dazu gehört auch der Unter­halt von Stra­ßen und Inge­nieur­maß­nah­men – nicht unbe­dingt nach­hal­tig ist. Das poli­ti­sche Pro­blem ist, dass sich die Fol­gen in vie­len Berei­chen nicht so leicht wie im Bau­we­sen abschät­zen lassen.

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