Anke Domscheit-Berg, Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen, und heute die Hamburger Grüne Nina Galla sind der Piratenpartei beigetreten. Insbesondere der Piraten-Eintritt von Domscheit-Berg fand auch ein gewisses mediales Echo, so nach dem Motto: „Grüne verlieren ihre Netzkompetenz“ (wobei ich sagen muss, dass Domscheit-Berg innerparteilich bisher so gut wie gar nicht in Erscheinung getreten ist; ihr netzpolitisches Renommee beruht nicht auf ihrem parteipolitischen Engagement). Mal abgesehen davon, dass es weiterhin eine ziemlich große Zahl grüner NetzpolitikerInnen gibt – wir könnten ja auch mal einen offenen Brief oder sowas machen, um zu zeigen, wie viele wir sind – finde ich diese Parteieintritte vor allem deswegen interessant, weil sie nach dem Willen der beiden Neu-Piratinnen genau das sein sollen: Eintritte, aber keine Übertritte, keine Parteiwechsel.
Anders als wohl alle anderen Parteien in Deutschland erlauben die Piraten Doppelmitgliedschaften. Die Bundessatzung von Bündnis 90/Die Grünen schließt Doppelmitgliedschaften in mehreren Parteien dagegen explizit aus – wer grünes Mitglied werden will, darf kein Mitglied einer anderen Partei sein.
Es gab jetzt auf Twitter einen Tweetwechsel nach dem Motto „ändert doch eure Satzung statt mich rauszuschmeißen“. Dass das passiert, halte ich für unwahrscheinlich. Zum einen, weil Änderungen der grünen Bundessatzung zwar häufiger vorkommen, aber doch meist mit einem langen Vorlauf an interner Debatte, und weil sie dann eine Zwei-Drittel-Mehrheit benötigen, also nur bei großer Einigkeit über eine Änderung möglich sind. Insofern glaube ich allein schon aus verfahrenstechnischen Gründen nicht, dass der grüne Bundesparteitag im Herbst Doppelmitgliedschaften erlauben wird.
Aber selbst wenn es diese pragmatischen Hürden nicht gäbe – wäre eine Doppelmitgliedschaft sinnvoll? Diese Frage hat letztlich viel damit zu tun, warum es Parteien als eine dezidierte Organisationsform gibt. Niemand hat ein Problem damit, wenn jemand im BUND und im NABU Mitglied ist, oder wenn jemand im Fußballclub und im Gesangsverein agiert. Es hat wohl auch niemand ein Problem damit, wenn jemand im CCC, in der Digitalen Gesellschaft und – um ein unwahrscheinliches Beispiel zu nennen – im C‑Netz der CDU aktiv wird.
Ausschlüsse von Doppelmitgliedschaften gibt es dagegen nicht nur bei Parteien. Kirchen schließen eine Doppelmitgliedschaft in anderen Kirchen und Religionsgemeinschaften aus, weil sie für die jeweils einzige wahre Lehre stehen (oder das zumindest behaupten). Wer an A glaubt, kann und darf nicht an B glauben, weil A und B beides sich z.T. widersprechende Beschreibungen eines Wirklichkeitsausschnittes sind.
Oder Fußballvereine: Auch da gibt es – sicherlich nicht satzungsgemäß und formal, aber in der alltäglichen Praxis – ein Verbot, Fan mehrerer in der gleichen Liga spielender Fußballvereine zu sein. Ich kenne mich damit ja nicht so aus, aber wenn jemand sowohl dem SC Freiburg folgt als auch glühende Anhängerin von Bayern München ist, wird es bei manchen Spielen schwierig, auf welche Seite sie sich setzen soll, und für welche Tore sie jubeln soll.
Bei Parteien ist das ähnlich – jedenfalls dann, wenn wir mal überlegen, wozu es eigentlich Parteien gibt, welche Funktion sie erfüllen. Spontan fallen mir da – als Nicht-Politikwissenschaftler und Nicht-Jurist – zwei Funktionen ein.
Parteien dienen zum ersten dazu, ähnliche Interessen zu bündeln. Ähnlich wie bei den Kirchen beschreiben sie eine Grundhaltung zu einem Wirklichkeitsausschnitt, die von sich behauptet, zu anderen Beschreibungen dieses Wirklichkeitsausschnittes nicht kompatibel zu sein. Eine Mitgliedschaft ist auch immer eine Zustimmung zum – bei uns heißt das so – Grundkonsens einer Partei. Die Annahme ist plausibel, dass die Meinungsbildung innerhalb einer Partei anhand dieses Haltung (mit allen möglichen internen Differenzen) stattfindet. Das Spektrum der Meinungen in einer Partei sollte im Normalfall näher beeinander liegen als die Positionen zwischen den Parteien.
Wenn es anders wäre, wäre es extrem schwierig, in einer Partei zu einer Meinung zu kommen – und es würde, ist das zweite Argument für die Existenz von Parteien, WählerInnen dann auch nicht die Möglichkeit geboten, zwischen verschiedenen, einigermaßen totalen Sichten auf das, was politisch gestaltbar ist, zu wählen. Parteien, die sich in ihrer Haltung inhaltlich nicht unterscheiden, werden bedeutungslos. Anders gesagt: Parteien reduzieren die Komplexität politischer Fragestellungen auf eine von mehreren Auswahlmöglichkeiten. Was dazu nach innen als Meinungsbildung und Herausbildung einer einheitlichen Haltung erscheint, und von einer entsprechenden Organisationsstruktur unterstützt wird, ist nach außen gewendet die Voraussetzung für Beteiligung in einer repräsentativen Demokratie.
Im Widerspruch zu dem anarchistischen Sprichwort, das Wahlen verboten wären, wenn sie etwas ändern würden, ist die Wahltagsentscheidung (z.B. morgen in NRW) eine Entscheidung mit Folgen – und im repräsentativ-demokratischen System die einzige Entscheidung, bei der die überwiegende Zahl der Bürgerinnen und Bürger überhaupt aktiv mit Politik in Berührung kommt.
Überschlagsmäßig gibt es bundesweit 1,5 bis 2,0 Mio. Parteimitglieder – also sehr viel weniger, als es wahlberechtigte BürgerInnen gibt. Aktiv sind in den Parteien dann noch einmal deutlich weniger. Der übrige Teil der Bevölkerung macht vielleicht – bewusst oder unbewusst – „Subpolitik“ im Alltag, etwa über Konsumentscheidungen, ist aber vom Meinungsbildungsprozess ausgeschlossen.
Das macht deutlich, welchen im Verhältnis doch recht großen Einfluss (auch wenn es aus der Innensicht oft nicht so scheinen mag) aktive Mitglieder in Parteien darauf haben, wie sich die Meinungspakete zusammensetzen, die von einzelnen Parteien angeboten werden. (Das soll jetzt nicht heißen, dass das ein Idealzustand ist, sondern die gegenwärtige Situation beschreiben – vielleicht wäre es gut, wenn auch die 60 Mio. wahlberechtigte Nicht-Parteimitglieder eine Chance bekommen, in diese Bündelungen einzugreifen. Vielleicht auch nicht).
Gleichzeitig sind Parteien Organisationen, die den Prozess organisieren, mit dem Einzelne in politische Ämter kommen und Mandate erreichen. Dieser Prozess ist – auch durch die wahlgesetzlichen Vorgaben – auf Exklusivität ausgerichtet; auf Platz 1 der Liste steht genau eine Person; von den x Sitzen im Kommunalparlament oder im Landtag entfallen genau y auf die eine Partei (und eben nicht auf eine der anderen Parteien).
Die Verfahren, wie diese Exklusivitäten zustande kommen – also innerparteiliche Personalentwicklung und Listenbesetzungsverfahren und komplementär dazu die Vorgaben des Wahlrechts auf den jeweiligen Ebenen – mögen sich im Detail stark von Bundesland zu Bundesland und von Partei zu Partei unterscheiden. Eine Gemeinsamkeit bleibt: Wer für eine Partei antritt, kann nicht zugleich für eine andere Partei antreten. Wer für die Piraten in den Bundestag einzieht, kann dort nicht als Grüne sitzen.
So funktioniert repräsentative Demokratie. In deren Kontext erscheint mir eine Doppelmitgliedschaft in zwei konkurrierenden Parteien nicht als sinnvoll. Das hat etwas mit dem Totalitätsanspruch sich widersprechender Weltsichten zu tun (egal, ob es um Kirchen, Fußballvereine oder Parteien geht). Doppelmitgliedschaften würden die eh manchmal schon schwierige Unterscheidung von Parteien weiter verwässern.
Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass damit die relativen Beteiligungschancen einzelner im Vergleich zu allen anderen unangemessen gestärkt würden. Wer bei drei oder vier Parteien Mitglied ist, hat – zumindest in einer ersten naiven Sicht – die dreifachen oder vierfachen Chancen, sein oder ihre Meinung in ein Parteiprogramm einfließen zu lassen, oder sich für eine Liste oder eine Kandidatur aufstellen zu lassen bzw. darüber mitzuentscheiden. Und das erscheint mir – im Kontext des repräsentativdemokratischen Systems – als ein Problem. (Zudem könnte hier ein Anreiz für eine Neigung zur Personalisierung und Ent-Politisierung von Politik vermutet werden).
Könnte eine Doppelmitgliedschaft unproblematisch sein? Im Rahmen des existierenden Systems wäre sie es für mich nur dann, wenn die oben beschriebenen Vorteile – Stimmrecht, das aktive und passive Wahlrecht in einer Partei – auf eine Partei beschränkt wären. Also, Mitarbeit bei den Piraten, aber Stimmrecht und Mitgliedschaft weiter exklusiv grün. Oder andersherum. Das ist letztlich, ohne formale Mitgliedschaft, auch heute möglich. Auf den meisten Ebenen der grünen Partei ist es auch für parteilose Menschen oder sogar für Menschen mit Mitgliedschaft in einer anderen Partei möglich, sich in Debatten einzubringen.
Vorstellbar wäre natürlich ein ganz anderes politisches System – aber (schon wieder so ein Exklusivitätsanspruch …) nicht wirklich im Rahmen des existierenden Systems. Wenn Piraten behaupten, das Betriebssystem updaten zu wollen, dann geht es ja auch um so etwas. Klar können direktdemokratische Elemente gestärkt werden, der starre Fraktionszwang gelockert werden, kann die Meinungsbildung transparenter und partizipativer Verlaufen. Zum Teil sind das ja auch grüne Ziele. Aber ein politisches System, in dem Parteien nicht mehr für Totalitäten stehen, sondern auf einzelne Politikfelder reduziert sind („in der Netzpolitik bin ich Pirat, bei der Umweltpolitik grün, und wenn es um Menschenrechte geht, FDP-Mitglied“), müsste nach komplett anderen Regeln funktionieren als heute. Solange das nicht so ist, solange Parteien per se eine Organisationsform von Konkurrenz ist, passt eine Doppelmitgliedschaft nicht.
P.S.: Historische Ausnahme bei den Doppelmitgliedschaften ist der Gründungsprozess einer Partei, an dem auch Vorgängerorganisationen beteligt sind. Dann macht für eine Übergangszeit eine wechselseitige Doppelmitgliedschaft Sinn.
Warum blogge ich das? Weil mein erster Impuls natürlich der war, Leuten wie Anke und Nina eine Brücke in Form der Doppelmitgliedschaft zu bauen – die mir beim näheren Nachdenken aber als falsch erschien. Wie eben oben ausgeführt.
Nur als Fußnote: Ein Ausweg für junge Fans der Doppelmitgliedschaft ist die Jugendorganisation. JuPis+GRÜNE schliesst sich genausowenig aus wie GJ+Piraten. In Tübingen geht auch Kommunal AL + Land+Bundesweit LINKE (und kommt in mir bekannten Einzelfällen auch vor)
Vorschlag: Man kann ja auch aus beiden Parteien austreten bzw. die. in der man Mitglied ist, und dann in LAGn bei beiden mitarbeiten und auch sonst alles mögliche treiben. Vorteil: man zahlt keinen Mitgliedsbeitrag mehr. Ach ja: die verlorenen Wurzeln der Grünen: es gab mal GRÜNEN-Abgeordnete in Parlamenten, die gar nicht Mitglieder bei den Grünen waren. Lang Lang ists her…Unkonvetionalität ist nicht die Sache etablierter Parteien. Gruß! Arfst
Parteilose Abgeordnete sind eine Sache. Abgeordnete einer Partei, die einer anderen angehören, eine andere. Sowas geht einfach nicht.
Ich sehe das anders, ich sage immer allen, dass die Grünen nicht 1:1 meine Meinung wiederspiegeln, aber trotzdem am nächsten da dran sind.
Aber gerade die Piraten haben einen ganz anderen Schwerpunkt, nämlich „das Betriebssystem“, „die Strukturen“ .…
dadurch sehe ich nicht automatisch einen Widerspruch, einerseits die Piraten bei der Transparenz toll zu finden und die Grünen wegen den Inhalten.
Und ich bin Fan vom VfB Stuttgart, vom 1FC Köln, Arminia Bielefeld und Greuther Fürth … zwar bei allen nicht Mitglied, aber den Zwiespalt hab ich öfters ;-)
Das mit dem Fußball irritiert mich ;-)
Zum Thema „ganz anderer Schwerpunkt“ – das ändert nichts daran, dass Parteien hier und heute als gegenseitig exklusive, scharf abgrenzte Mengen konstruiert sind – und eben nicht als wolkige Kontinuen oder als Netzwerke.
Mein Fußball-Beispiel sei falsch, höre ich. Mag das mal jemand erläutern?
Ist durchaus üblich, dass Leute Fans von mehreren Mannschaften sind.
Aber wie funktioniert das praktisch?
Man hat mehrere Fanschals, geht zu mehreren Vereinen ins Stadion, ist eventuell sogar bei mehreren Vereinen Mitglied. Die Konkurrenzsituation ist aber auch eine andere. Nicht alle Vereine stehen in Konkurrenz miteinander. Man kann z.B. durchaus Freiburg UND Dortmund-Fan sein. Der eine Verein kämpft um den Abstieg, der andere um die Teilnahme am internationalen Geschäft. Zweimal in der Saison spielt man dann gegeneinander und man ist im Zwiespalt. Aber es gibt ja auch Unentschieden oder Super-Fußballspiele, bei denen das Ergebnis im Endeffekt nicht wichtig ist, weil das Spiel so klasse ist. Oder es geht z.B. um garnichts mehr (z.B. das letzte Dortmund-Freiburg-Spiel) Das ist halt nicht vergleichbar mit Religion (inhaltlicher Ausschluß) oder Politik (immer Konkurrenz, man hat nie Stimmen zu verschenken).
In einigen Punkten stimme ich Deiner Analyse zu, allerdings sehe ich die Problematik als größtenteils aufgelöst, wenn man sich bei verschiedenen Parteien auf unterschiedlichen Ebenen einbringt.
Wer in Partei A auf Kreisebene Politik machen will, weil er deren Ansätze und Personen gut findet, aber dies auf Bundesebene nicht mit seinem Gewissen vereinbaren kann und deshalb dort bei Partei B mitmacht, die aber wiederum auf Kreisebene evtl gar nicht existent ist – wäre das denn so schlimm?
Ich stimme zu, dass man gerade bei Funktionsträgern irgendwo Grenzen ziehen sollte, aber zumindest eine begrenzte Doppelmitgliedschaft finde ich durchaus sinnvoll, solang gewährleistet ist, dass sich beide Mitgliedschaften auf keiner Ebene überlappen ist auch der Exklusivitätsanspruch gewahrt, oder?
Wenn das auf unterschiedlichen Ebenen stattfindet – ok. Nur haben, um vom Abstrakten zum Konkreten zu kommen, sowohl Grüne als auch Piraten (anders als die CSU oder div. Freie Listen) bundesweit den Anspruch, präsent zu sein. Insofern löst dass das Problem nicht.
(Letztlich ist das mit den Ebenen eine Variante meiner Aussage, dass das Stimmrecht exklusiv bei einer Partei bleiben muss, oder?)
Der Denkfehler ist hier mE dass die Ebenen unabhängig gedacht sind. Sind sie aber nicht. Deshalb halte ich auch die Idee von „Freien Wählern“ für ziemlich bescheuert. Landes‑, Bundes- und Kommunalpolitik sind vielfältig abhängig: Wenn ich ein kommunales Ziel verfolge (nehmen wir mal ein piratiges Beispiel: Kostenloser ÖPNV), brauche ich die anderen Ebenen (Im Beispiel: Das Land muß das Kommunalabgabengesetz ändern, um eine Beitragsfinanzierung zu ermöglichen. Da in den Verbünden in der Regel auch die bundeseigenene DB-AG involviert ist, brauche ich eventuell auch die Bundesebene, da Ausschreibungen EU-konform sein müssen und dort vielleicht auch Regelungen drin stehen, die mein politisches Ziel betreffen, brauche ich auch die Europaebene…). Es ist also ganz sinnvoll die unterschiedlichen Ebenen in einer Organisation zu haben.
Das zum grundsätzlichen. Zum pragmatischen: In aller Regel ist ja auch eine Mitarbeit ohne Mitgliedschaft möglich. Auf Kommunaler Ebene sind ja durchaus auch gemeinsame Listen möglich.
Auch hier nur eine Fussnote: Ja, wir brauchen für vieles eine Europaebene – was auch kein Problem ist, weil auf der alles wieder zusammenfliesst: Die European Green Party (EGP)-Parteien der EU bilden eine Fraktion mit den Regionalisten der European Free Alliance (EFA), wozu Schleswig-Holsteins SSW gehört – und mit den Piraten. Da bleibt also die gemeinsame Bemühung in einem gemeinsamen Rahmen, in einer europäischen Fraktion.
Wolfgang, die parlamentarische Kooperation mehrerer bei Wahlen miteinander konkurrierender Organisationen ist etwas ganz anderes als die gleichzeitige Mitgliedschaft einzelner Personen in diesen Organisationen.
Ich finde es gar nicht schlimm, wenn Leute die Partei wechseln oder aus Parteien austreten. In der Regel begründen das die Leute ja inhaltlich ganz gut. Allerdings sehe ich bei Anke Domscheid-Berg eine doch recht spärliche Begründung. Dass man was ändern wolle bei den Piraten – nett. Das gilt für jede andere Partei auch. Mit der Begründung kann ich auch der CDU beitreten…
Und offenbar steckt da auch ein seltsames Verständnis von Politik und Partei dahinter. Das aktuelle Interview mit Anke Domscheid-Berg finde ich besonders schräg, sie schreibt ja „warum kämpft man gegen eine Partei, die einem inhaltlich doch recht nahe steht – näher jedenfalls als andere“. Vielleicht weil Wahlkampf ist? Und man in Konkurrenz um Wählerstimmen steht? Weil man Politik gestalten möchte, weshalb man vielleicht doch ganz gerne in eine Regierung möchte und deshalb auch möglichst viele Stimmen braucht, um das eigene Programm durchzusetzen? Weil man davon überzeugt ist, nicht nur die besseren Programme, sondern eben auch das bessere Personal zu haben? – zumal das ja alles nicht nur Grüns machen, das machen die Piraten doch genauso.
Darüberhinaus kann man trefflich streiten, ob Piraten und Grüne sich tatsächlich näher stehen als andere Parteien, aber das ist ein anderes Thema.
Aber mal von den aktuellen Fällen abgesehen: Ich finde es immer lehrreich, eine Extremwertbetrachtung durchzuführen. Was wäre, wenn alle in allen Parteien Mitglied wären: Dann wären Parteien vollkommen sinnlos. Wäre das wünschenswert? Das hängt davon ab, wie man Politik denkt. Und ich glaube, da gibt es sehr grundlegende Unterschiede zwischen Grünen und Piraten. In der Politik geht es um unterschiedliche Interessen. In der Politik gelingt manchmal ein Ausgleich dieser Interessen, meistens geht das aber nicht. Weil sich unterschiedliche Interessen ausschließen. Das hat sich auch durch das Internet nicht geändert. Auch beim Thema Urheberrecht geht es um Interessen. Auch bei den Netzsperren ging es um unterschiedliche Interessen. Parteien bündeln Interessen. Wenn alle in allen Parteien sind, wie soll dann diese Bündelung noch funktionieren?
Essenz deiner Aussage ist doch, dass man nicht in zwei Parteien aktiv sein kann, weil sie sich nach deiner Definition von Partei diese inhaltlich klar abgrenzen. Somit gerät man in einen, zumindest innerlichen, Konflikt, wenn man zwei Parteien angehört, also zwei klar getrennten Meinungen vertritt. Dies setzt allerdings voraus, wie du des öfteren betonst, dass man in beiden Parteien aktiv ist. Und zumindest Anke ist nach deiner Aussage innerparteilich ja eher ein unbeschriebenes Blatt. Daher scheint mir eine Doppelmitgliedschaft durchaus möglich: Ich versuche mit Partei A meine Meinung zu vertreten und Partei B mit einer eng verwandten Meinung stärke ich durch meine passive Mitgliedschaft. Ich trete also für Meinung X ein, möchte aber zusätzlich die „Meinungsfamilie“, aus der Meinung X entstammt, stärken.
Darüber hinaus siehst du die Piraten als eine deine Definition von Partei genügende Gruppierung an. Ich teile dies nicht, da sie noch kein umfassendes Programm haben. Sie haben also keine totale Beschreibung ihres Wirklichkeitsausschnitts, sondern sind noch mit dessen Fertigstellung beschäftigt. Somit entsprechen sie nicht deiner Definition von Partei. Und da sie noch keine totale Beschreibung haben, ist es legitim, ihnen bei der Beschreibung zu helfen, so lange diese aber noch nicht fertig ist, eine andere, fertige, aber subjektiv weniger passende, Beschreibung zu vertreten.
Die Piraten sind somit eine Partei im Aufbau. Und du schreibst selbst, dass in dieser Phase eine Doppelmitgliedschaft möglich wäre. Wenn ihre Beschreibung/ihr Programm fertig ist, wäre eine Doppelmitgliedschaft, allein begründet auf Basis der Programme, nicht mehr möglich, da man dann zwangsläufig zum inneren Konflikt gelangt, den ich bereits ansprach.
Dies gilt natürlich nur mit der Definition von Partei, wie ich sie bei dir gelesen zu haben glaube.
Vielleicht vorneweg: Ich finde die Doppelmitgliedschaftspläne von Anke und Nina nicht dramatisch, nur falsch.
Dann: Beim Aufbau verstehst du meinen Text anders als ich. Historisches Beispiel: Vereinigung von WASG und PDS zu DIE LINKE. Oder von Bündnis 90 und DIE GRÜNEN zu Bündnis 90/Die Grünen. Oder die Gründungsphase von DIE GRÜNEN, an der mehrere andere Kleinstparteien (AUD, …) beteiligt waren.
Ich sehe nicht, dass wir irgendwann bei einer Fusion der Piraten mit Bündnis 90/Die Grünen – oder dem gemeinsamen Aufgehen in einer größeren Partei – landen werden. Insofern geht es nicht um Aufbauhilfe (und wenn, nicht durch eine Doppelmitgliedschaft, sondern durch Austausch von Know-how, Beratung, …).
Ich würde dir auch widersprechen, dass die Piraten noch keine Partei nach meiner impliziten Definition sind. 2009 mag das gegolten haben. Inzwischen habe ich den Eindruck, dass es da schon etwas gibt, was einer totale Beschreibung eines Wirklichkeitsausschnittes – als einer generellen Haltung, als einer generellen Sicht auf die Welt – nahe kommt.
Auch hier noch eine Anmerkung: Als ich mit Jörg Rupp zusammen beim Landesparteitag der Piraten in Karlsruhe war, haben sie basisdemokratisch darüber abgestimmt, mir Redezeit einzuräumen für eine GRÜNE Gastrede in der ich darauf eigegangen bin warum die Piraten sich nicht an den Grünen abarbeiten sollen sondern gegen die GroKo der Sicherheitsgesetzler vorgehen. Das ist auch umgekehrt meine Position die ich beim Netzpolitik-LA der Grünen (in Pforzheim oder Bruchsal?) vertreten habe: der politische Gegner steht auch für Grüne woanders.
Was die Willensbildung angeht: so wie Piraten bei uns die LAGs oder UAGs entern könnten nach letztem LaVo-Beschluss, so bin ich umgekehrt angemeldeter Nutzer im Piraten-Wiki. Meine Loyalität habe ich dabei aber immer klar gemacht: Ich bin Grüner seit es die Grünen gibt, nie ausgetreten und habe nicht vor zu wechseln. Ich war am grünen Wahlkampf-TShirt auf dem Piraten-LPT weithin erkennbar, bin es auch in meinem Wiki-Profil.
Danke Till, deinen Überlegungen über die Rolle von Parteien und den Mangel an Sinnhaftigkeit von Mehrfachmitgliedschaften in konkurrierenden Parteien kann ich nur vorbehaltlos zustimmen.
Übrigens bin ich der Ansicht, dass sich grüne Mitglieder, die die Mitgliedschaft einer anderen Partei annehmen damit automatisch selbst aus Bündnis 90/Die Grünen ausschliessen, da im § 3 der Bundessatzung als Vorraussetzung der Mitgliedschaft genannt wird, dass mensch keiner anderen Partei angehört.
Ich bin mir da nicht ganz so sicher, da es ja um Voraussetzung für Erwerb der Mitgliedschaft geht. Ist aber definitiv ein Parteiausschlussgrund im Sinne eines aktiven Werbens für eine konkurrierende Partei.
Der Vollständigkeit halber hier der Auszug aus der grünen Satzung:
und aus der Satzung der Piratenpartei:
Parteien sind nicht konstruiert, sie enstehen aus gesellschaftlichem Wandel heraus. Und sie sind auf keinen Fall komplett totalitär voneinander abgegrenzt.
Der Grund warum Doppelmitgliedschaften (noch) keinen Sinn machen ist die Tatsache, dass „jeder nur ein Kreuz“ auf dem Stimmzettel machen darf. Daher rührt der Zwang sich auch nur für eine Partei entscheiden zu MÜSSEN. Wenn ich mehr als ein Kreuz machen dürfte, wäre das ein grünes und ein orangenes Kreuz. In letzter Zeit erleichtern die Grünen mir diese Wahl aber immer mehr. Mich würde wirklich mal ein Approval Voting Ergebnis einer Bundestagswahl interessieren.
Interessante Perspektive. Das wäre ein Systemwechsel, bei dem dann möglicherweise auch Parteien eine andere Funktion erhalten.
Vor allem würde das das Konkurrenzdenken unter den Parteien minimieren, da sie nicht mehr um diese eine Stimme buhlen müssten.
dann würden auch wirklich mal Inhalte im Vordergrund stehen.
Ein Hoch auf die Empirie – oder ein Gegenbeispiel dafür, dass ein „approval voting“ nicht unbedingt wesentlich andere Ergebnisse bringen muss: in Hamburg wird bei den Bürgerschaftswahlen (Landtag) mit je 5 Stimmen auf dem Landes- und dem Wahlkreisstimmzettel gewählt. Bei der Landesliste haben 71% ausschliesslich (auf einer Liste) kumuliert, im Wahlkreis 49%. Quelle: Drucksache 20/1024 via https://www.buergerschaft-hh.de/parldok/
Es spielt keine Rolle, ob die Menschen mehr als ein Kreuz machen oder nicht.
Allein die Tatsache, dass es möglich ist, reicht aus, um die Konkurrenzsituation der Parteien untereinander zu reduzieren und so auch parteiübergreifende Zusammenarbeit fördern. Dann wären auch Doppelmitgliedschaften kein Problem mehr.
Ich verstehe die Logik nicht: Warum sollte ohne Konkurrenz (um Wählerstimmen) die Kooperation (in Parlamenten) besser funktionieren? Gerade in Wahlkämpfen stehen doch Inhalte im Mittelpunkt.
Ich verstehe das so, dass es dann möglich ist, ein Votum wie „60% Grüne, 30% Piraten, 10% LINKE“ auch tatsächlich auszudrücken, indem entsprechend gewählt wird.
Hallo Till,
wie gestern versprochen, möchte ich mal meine Perspektive darlegen, warm ich eine Doppelmitgliedschaft wünsche und für sinnvoll halte. Zunächst einmal ein großes Danke an Dich, dass Du Dir diese Gedanken gemacht hast in dem Versuch, mir und Anke eine Brücke zu bauen, das schätze ich sehr. Vorangeschickt sei auch, dass auch ich weder Politikwissenschaftlerin, noch Taktikerin, noch ämterversessen bin und dieser Wunsch allein der Zerrissenheit meines politischen Herzens entspringt.
Du argumentierst, und jetzt verkürze ich stark, Doppelmitgleidschaften seien aus Deiner Perspektive falsch, weil Parteien sich klar voneinander abgrenzen und sich widersprechen, eine Meinungsbildung zugunsten beider Parteien sei also nicht möglich.
Nach meinem Kennenlernen der Piraten, das sich nun auch schon über mehrere Monate erstreckt und einem ausgiebigen Programmvergleich auf Landes- und Bundesebene kann ich selbstvertsändlich Unterschiede in der detaillierten Ausgestaltung finden, jedoch nicht in der grundsätzlichen Zielsetzung.
Ich finde es nicht falsch, sondern gerade empfinde ich es als logische Bestätigung meiner Grundhaltung, beide Zielsetzungen zu unterstützen, wenn sie sich nicht widersprechen.
Schon in meinem Blog-Beitrag Anfang April stellte ich mir ja die Frage, warum zwei Parteien, die sich in der Zielsetzung so ähnlich sind, sich als Konkurrenten begreifen müssen. Das Argument des „Wahlkampfs“ erschließt sich dabei nur Politikwissenschaftlern oder Berufspolitikern, aber nicht dem politisch interessierten Durchschnittmmenschen wie mir, dem es um die Sache geht und nicht um die Farbe. Mit dem gleichen Argument würden die Grünen dann ja auch die „Greenpeace-Partei“ bekämpfen, wenn es sie je geben sollte :-) (Wer den Beitrag lesen mag: http://ow.ly/aSohM)
Ich halte die Existenz der Grünen im Segment der Ökologie für unersetzlich und immens wichtig. Ich möchte auf keinen Fall, dass sie Mitglieder verlieren, ihnen Mitgliedsbeiträge entgehen, sie dadurch geschwächt werden und ihre Handlungsfreiheit eingeschränkt wird. Ich sehe, dass ein Teil der Partei sich modernisieren möchte, was ich auch in Zukunft von Herzen unterstützen möchte, daher kann und will ich mich überhaupt nicht nach einem schwarz-weiß Schema von der Partei und ihren Zielen abwenden. Dass ich meinen Arbeitsschwerpunkt dennoch zu den Piraten verlagere, hat ganz persönliche und subjektive Gründe (die für andere gar nicht zutreffen mögen).
Ich glaube weiterhin, dass es einerseits mehr und mehr Menschen wie mich gibt, die aufgrund der Nähe eine Zerrissenheit spüren, andererseits aber auch wieder nicht so viele Menschen, die wirklich bereit sind, doppelte Mitgliedsbeiträge zu zahlen. Solche Doppelmitgliedschaften sind nur für die interessant, die sich intensiv und mit vollem Herzen der Sache widmen und dafür bereit sind, die Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen. Man denke nur an die e‑Mail Flut der doppelten Mailinglisten, mir graut es jetzt schon davor.
Zu den Nachteilen: Ich sehe das Argument der Ämterhäufung, das sich durch Ausschluss des passiven Wahlrechts jedoch leicht entkräften ließe. Ein Missbrauch bei der parteiinternen Meinungsbildung ist immer und überall möglich, auch bei Mono-Mitgliedschaften, dieser Nachteil hat also nichts mit der Doppelmitgliedschaft zu tun und ist hiermit ebenfalls entkräftet.
Mein Ansatz lautet daher, dass
1. Jeder Landesverband entscheidet im Rahmen seiner LMV, bei welcher Partei Doppelmitgliedschaften erlaubt werden; Entscheidungsgrundlage sind Anträge mit Programmvergleichen, die die inhaltliche Nähe und gleiche Zielsetzung darlegen müssen
2. Die Doppelmitgliedschaft beschränkt sich auf das aktive Wahlrecht, das passive Wahlrecht darf nur für eine Partei wahrgenommen werden
(Die Erfahrung wird zeigen, inwieweit es Sinn macht, Punkt 2 später noch einmal aufzuweichen oder abzuändern auf bestimmte Ämter und Mandate)
Die Vorteile, die ich darin sehe, umfassen
1. die aktive Unterstützung beider Parteien durch quantitative Mitgliedschaft, der aus der Wirtschaft bekannte „brain drain“, also die Abwanderung guter Köpfe wird vermieden
2. die finanziellen Vorteile liegen auf der Hand
3. die Kooperationsfähigkeit sich naher Parteien wird gestärkt, Angriffe dadurch reduziert und somit das öffentliche Bild der Politik und ihrer Akteure wieder verbessert
Insbesondere die letztgenannte psychologische Wirkung halte ich für den größten Vorteil, denn Wahlbeteiligung, Image der Politiker und Parteien und des ganzen „Zirkus“ leiden massiv. Übrigens ja auch einer der Gründe, warum die Piraten mit ihrer Unverkrampftheit und Offenheit so willkommen sind.
Ergibt nach Adam Riese 0:3 für die Doppelmitgliedschaft :-)
Den Einwurf zum approval voting finde ich an dieser Stelle auch spannend – denke aber, dass ein Aufweichen von aktuellen Grenzen im System Schritt für Schritt vollzogen erfolgsversprechender ist und größere Fehler besser vermieden werden können als wenn wir versuchen, mit einem revolutionären Knall die ganze Welt auf den Kopf zu stellen. Kann aber für später im Hinterkopf behalten werden.
Wenn Ihr weitere gute und bisher unerwähnte Nachteile kennt, lasst uns gern konstruktiv überlegen, wie wir auch diese Schwächen noch minimieren können, ich freue mich auf die Debatte, neue Argumente, die ich noch nicht kenne, und derjenige/diejenige, die mich plausibel davon überzeugt, dass meine Idee Unfug ist, kriegt ein Eis.
ganz einfach:
Parteien sind Konkurrenten um Wählerstimmen. Bei allen Überschneidungen gibt es genügend Differenzen und ich würde vorschlagen, mal von den Hamburger Piraten nicht auf alle zu schließen.
Wer konkurriert, hat bestimmte Strategien und Absichten. Wer in konkurrierenden Parteien ist, muss daher von allen strategisch denkenden Gruppen ausgeschlossen werden und was soll man dann noch in einer Partei, wenn man mitdenken möchte?
Und außerdem würde ich es gerne den Parteien selbst überlassen, wen sie da mit einer Doppelmitgliedschaft reinlassen. Und da die Piraten ja kein 2festes Programm“ habne wollen, sondern ein liquides, ist die Aussagekraft ihres Programme und damit die Vergleichbarkeit obsolet.
Hallo Nina,
erst mal danke für deine umfangreiche Antwort. Ganz platt zusammengefasst ist ein Teil deiner Argumentation ja der, dass eh nur wenige die Mühen einer Doppelmitgliedschaft auf sich nehmen sollen. Da aus meiner Sicht die „Kosten“ für eine Partei, eine solche einzuführen, ziemlich hoch sind, stellt sich mir (ohne zu diesem Zeitpunkt auf die anderen Argumente einzugehen – auch gegen eine „Greenpeace Partei“ würden wir übrigens – vermutlich ziemlich aggressiv – Wahlkampf führen), zunächst mal noch eine Frage:
Was kriegst du über eine Doppelmitgliedschaft, dass du über eine „freie Mitarbeit“ in der anderen Partei nicht bekommst? (Oder anders gesagt: Geht es dir wirklich um das aktive Wahl- und Stimmrecht?)
Noch eine Frage an hier mitlesende Piraten (und Piratinnen): Ich habe irgendwo gehört, dass die Doppelmitgliedschaftsregelung laut Satzung (s.o.) nicht für Amts- und Mandatsträger und ‑trägerinnen gilt, konnte das in der Satzung aber nicht finden. Ist das so, und wenn ja, wo geregelt?
@Till: für MandatsträgerInnen ist eine Doppelmitgliedschaft idR gesetzlich ausgeschlossen, da die Wahlgesetzte regelmäßig (ich weiß nicht, ob es da Ausnahmen gibt) eine Versicherung an Eides statt aller BewerberInnen dahingehend verlangen, dass diese versichern nicht Mitglied einer anderen Partei als der den Wahlvorschlag tragenden zu sein.
Danke für die Antwort! Habe auch auf Twitter gefragt, und bin dort ebenfalls auf Parteiengesetz und Wahlgesetze hingewiesen worden – und letztlich im Bundeswahlgesetz, §21, fündig geworden – hier wird festgehalten, dass BewerberInnen in Kreiswahlvorschlägen der Parteien keiner anderen Partei angehören dürfen.
Hallo TillWe,
ich selber bin aus verschiedensten Gründen kein Mitglied einer Partei mehr, war aber 2,5 Jahre Pirat, dies vorweg um mich zu verorten.
Ich persönlich finde Doppelmitgliedschaften sinnvoll und realitätsnah, den von Dir beschriebenen Anspruch einer Partei auf Exklusivität hingegen, das ist nicht persönlich gemeint, realitätsfern.
Warum? Nun, bei jeder Partei mit einem Vollprogramm wird eine enorme Bandbreite an Themen abgedeckt, und daß jedes der Zigtausend Mitglieder vollständig hinter jedem stünde ist doch unrealistisch.
Nehmen wir mal den akuten Fall der Piraten und der Grünen. Was mache ich denn wenn mir die Piraten im Bereich Netzpolitik aus der Seele sprechen, die Grünen jedoch beim Thema Ökologie? Was mache ich wenn mir die Einstellung der Piraten beim Thema Geschlechterpolitik besser gefällt, dafür aber die Grünen mir beim Thema Verkehr näher sind? In den Fällen bin ich dann quasi zerrissen, und würde mir mit einer exklusiven Mitgliedschaft in nur einer der jeweiligen Parteien selbst in den Fuß schiessen, weil ich jeweils hinter einem Themenkomplex nicht stehen kann.
Was ist Dein Vorschlag für derartige Situationen?
Ich persönlich sehe sehr wohl daß man in dem Fall eine doppelte Mitgliedschaft eingehen kann, und beide Parteien jeweils im einem näherstehenden Themenkomplex unterstützt. Auch bei Wahlen ist das für mich kein Problem, immerhin hat man ja zwei Stimmen zu vergeben. Oder man wählt mal das eine, mal das andere, je nachdem auf welcher Wahlebene, basierend darauf welches Programm einem auf dieser Ebene näher ist, und welches man konkret unterstützenswerter findet.
Anders sieht es natürlich aus wenn man Parteien als absolute und sich ausschliessende Kontrahenten und Konkurrenten sieht, die um jeden Wähler kämpfen müssen – aber sind sie das? Oder vielmehr: Sollten sie das sein? Ich denke nicht (und wehe das reisst wer aus dem Zusammenhang ;) ), denn das gemeinsame Ziel aller Parteien sollte sein eine vernünftige Politik zu machen, gerecht, Bürger, Land, Welt usw. dienend, und das ist nur möglich wenn man zusammenarbeitet, anstatt gegeneinander. Es sei denn, natürlich, man nimmt von sich an die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben, und alles ganz alleine besser zu machen.
Das kann man natpürlich denken, realistisch wiederum ist es nicht, und hat für mich auch eher pathologische Züge, Größenwahn und so. Es gubt nicht die eine Wahrheit, es gibt viele Wahrheiten, und viele Aspekte und Sichtwinkel zu berücksichtigen. Es gibt niemanden der das alles kann, und es hilft wenn viele Menschen daran arbeiten ein vollständiges Bild zu bauen anstatt ihre Sicht als die allein gültige zu proklamieren und sie (sinnbildlich) mit Feuer und Schwert zu verbreiten.
Natürlich sorgt eine Doppelmitgliedschaft auch für organisatorische Probleme – aber es sorgt für diese sowohl bei den Parteien als auch beim Mitglied. Vorteile erwachsen natürlich daraus auch, aber ebenfalls auf beiden „Seiten“ – womit sich das für mich wieder ausgleicht.
Grüße,
SunTsu
Muss da zum Teil drüber nachdenken, aber ein wichtiger Punkt in meiner Argumentation ist ja, dass ich von der gesellschaftlichen Funktion von Parteien aus argumentiere, und zunächst mal nicht von der Situation der einzelnen Menschen/Parteimitglieder. Und von dieser gesellschaftlichen Funktion der Meinungsbildung, der Organisation von Wahllisten und der Zurverfügungstellung von Alternativen bei Wahlen her sind Parteien in diesem unseren Land als konkurriende Organisationen konstruiert (vgl. auch die ersten paar Paragrafen im Parteiengesetz).
Dass sich diese vermutete Totalität (und die Milieubindung, nebenbei gesagt) auflöst, je mehr Parteien nicht eine große Ideologie vertreten, sondern eine Reihe von einzelnen Lösungen zu unterschiedlichen Themenfeldern, die zusammen kein Ganzes ergeben, ist mir auch klar. Nur passt dann die Organisationsform einer maßgeblich über Parteien gebündelten Wahl von RepräsentantInnen nicht mehr.
Bei der Wahl zum Bundestag oder Landtag musst du dich ja immer noch entscheiden, ob du deine (relevante) Zweitstimme der Partei A (wegen der konservativen Haltung zur Geschlechterpolitik) oder der Partei B (wegen der guten Umweltpolitik) oder der Partei C (wegen dem Innovationsimpuls) gibst. Auf kommunaler Ebene (und bei einigen wenigen Landtagswahlen) ist das mit Kumulieren und Panaschieren etc. zum Teil anders. Aber die Organisation von Parteien samt Mitgliedschaft orientiert sich eben in erster Linie an Bundes- und Landtagswahlen, würde ich sagen.
Nina schreibt:
Die Vorteile, die ich darin sehe, umfassen
„1. die aktive Unterstützung beider Parteien durch quantitative Mitgliedschaft, der aus der Wirtschaft bekannte »brain drain«, also die Abwanderung guter Köpfe wird vermieden
2. die finanziellen Vorteile liegen auf der Hand
3. die Kooperationsfähigkeit sich naher Parteien wird gestärkt, Angriffe dadurch reduziert und somit das öffentliche Bild der Politik und ihrer Akteure wieder verbessert“
ad 1.) Das Gegenteil ist richtig aus Sicht der Grünen. Der Brain Drain wird verstärkt. Die Offenheit erlaubt Gelegenheiten ins andere Lager zu wechseln, sich auf beiden Seiten auf Parteiposten und Listenplätze zu bewerben. Wenn es auf der einen Seite klappt, kann man die andere dann „schweren Herzens“ fallen lassen.
ad 2.) Der derzeitige Erfolg der Piraten wird viele Grüne anziehen. Die netzpolitischen Ziele ließen sich auch allesamt innerhalb der Grünen umsetzen; es gibt eine starke Fraktion innerhalb der Partei, deren Meinungslage sich nicht groß von denen der Piraten in netzpolitischen Dingen unterscheiden. Andere Politikfelder dürften wohl irrelevant sein, da bei den Piraten kaum ausgeprägt entwickelt. Den Einstieg zu den Piraten zu erleichtern, wird mittelfristig zu einem gewissen Exodus bei den Grünen führen. Dass eine Person langfristig doppelt Mitgliedsbeiträge entrichtet, halte ich für illusorisch.
ad 3.) Das Bild der Politik wird von härteren Faktoren geprägt, Einkommen, Umweltschutz, Regulation der Finanzmärkte, Netzpolitik. Doppelmitgliedschaften dürften auf der Kriterienlist des Elektorats nicht zu finden oder eine irrelevante Rolle spielen. Und die Kooperationsfähigkeit der Parteien ist nicht gefährdet, Koalitionen sind weiterhin möglich.
Domscheit-Berg wendet, bewußt oder nicht, die Taktik an, mit der Merkel es weit gebracht hat: Optionsmaximierung. Wenn’s mit den Piraten hoch weiter geht: bestens; wenn nicht: bleiben die Grünen.
Ich fände es durchaus denkbar und überlegenswert, für verschiedene Themenschwerpunkte auch jeweils einzelne „Themenparteien“ zu haben und in mehreren davon Mitglied sein zu können. Dazu passend sollte man dann allerdings bei Wahlen zehn Stimmen haben.
Übrigens bin ich als 12-Jähriger aus der Kirche ausgetreten, der ich qua Geburt angehörte – meine Begründung gegenüber dem Pfarrer damals: so lange ich nicht gleichzeitig evangelisch und katholisch sein kann, möchte ich in gar keiner Kirche Mitglied sein …
Ich kann ja das Unbehagen mit Parteien verstehen und es dürfte wohl auch kein Parteimitglied geben, das mit allen Programmpunkten einer Partei einverstanden ist. Nur, wenn man eine Partei sucht, mit der man hundertprozentig übereinstimmt, dann bräuchten wir in Dtl. wohl schlappe 70 Mio. Parteien.… Oder wie viele Wahlberechtigte gibt es gerade?
Der Clou an Parteien ist, dass Meinungen und Einstellungen konsolidiert und gerankt werden. „Themenparteien“ – ohne zumindest perspektivischen Anspruch auf Gesamtprogrammatik – lösen dieses Problem nicht, sondern schieben es auf. Politik ist nun mal eine mühsame Angelegenheit, die wenig Platz für manichäische Gemüter lassen. Umweltschutz und Arbeitsplätze, Sicherheit und Datenschutz, Menschenrechtspolitik und Ablehung bewaffneter Eingriffe – manchmal lassen sich die Widersprüche vielleicht auflösen oder zumindest abmildern, doch oftmals sind Entscheidungen gefragt. Und in der Parteiendemokratie sind die Parteien die erste Instanz, in denen eine solche Abwägung stattfindet. Nur im Parlament das Ranking und Konsolidieren vorzunehmen, wäre deutlich abgehobener als die Diskussionen innerparteilich zu führen.
dass mitgliedschaft in mehreren parteien einfluss linear anhäuft stimmt so nicht. bei piraten wird commitment in anderen parteien als argument genommen diese person nicht als volle piratin zu akzeptieren auch wenn das formal erwünscht oder geduldet ist. ähnliches gilt bei ex-parteimitgliedschaften, wenn man sie nicht glaubwürdig erklären kann.
ich stimm dir nur soweit zu dass passives wahlrecht nur dann in anspruch genommen werden können sollte wenn man parteiisch ist. soweit ich weiß ist das auch im wahlgesetz klar ausgeschlossen. beim aktiven wahlrecht seh ich das aber nicht so. kaum jemand wird sich einer wertegemeinschaft vollumfänglich anschließen können, vielmehr sind alle parteien zwangsläufig kompromissvereine. und das is auch gut so. ich sehe schlicht keine gefahr darin wenn menschen zwischen den welten leben – im gegenteil. brücken stellen bereicherungen und keine gefahr für parteien dar
noch ne anmerkung: ich glaub nicht dass es ein zufall ist dass es zwei frauen sind um die es hier geht. ich glaube vielmehr dass diese „wir oder ihr“ konkurrenzauschlussdenke für viele ein grund ist in _keine_ partei einzutreten. im wissen jetzt klischees zu verbreiten sehe ich auch strukturelle gegebenheiten wie diese ausschlussgrüppchenbildung als einen grund (unter vielen anderen) an warum tendenziell weniger frauen als männer auf parteipolitik lust haben.
Eine Frage:
Du führst Anke als Beispiel für eine Doppelmitgliedschaft auf.
Das kann aber eigentlich nicht sein, da sie ja jetzt auf der Liste zur BTW bei den Piraten steht. Das Bundeswahlgesetz schließt ja in dem Fall aus, dass jemand noch einer anderen Partei angehört.
Der Text ist aus dem Mai diesen Jahres – inzwischen wohl anders. Aber ein gutes Beispiel dafür, wie schnell eine Doppelmitgliedschaft absurd würde.
Ich kann nicht verstehen, dass du Parteien lediglich als Konkurenz verstehen willst. Im Gegenteil, in einer parlamentarischen Demokratie, in der seit Jahrzehnten keine absolute Mehrheit für eine Partei erreicht wurde, ist die Zusammenarbeit verschiedener Parteien unabdingbar notwendig. Sich persönlich in verschiedenen Prozessen zu integrieren, die an der grundgesetzlichen „Willensbildung des Volkes“ mitwirken ist doch nur demokratisch sinnvoll. Bei der Auswahl der Prozesse an denen man sich beteiligen will, sich auf eine Partei zu beschränken ist kleinbürgerlich und hat mit einer modernen Gesellschaft wenig zu tun. Die Möglichkeit der Einflussnahme ist wesentlich stärker durch Geld und Zeit „natürlich“ beschränkt als durch formales Stimmrecht, welches man so oder so nur in seltenen Fällen wirklich ausüben kann. Wir brauchen also ein BGE um die Geld und Zeit Einschränkung für alle „demokratisch“ gleich nach oben auszuweiten und sicher nicht die Fortführung des Parteienkonkurenzdenkens, bei der dem armen, kleinen Themenfetischisten die Begrenzung der demokratische Einflussnahme bei einer zweiten Partei noch entzogen wird.
Gruß von einem grünen Piraten der sich als piratiger Grüner versteht