Das baden-württembergische Wahlsystem macht nicht nur Wahlabende spannend, sondern trägt, da es keine Listen gibt, auch dazu bei, dass übliche (formale wie informelle) Quotierungsinstrumente nicht greifen. Das wirkt sich u.a. auch auf die Geschlechterquote aus – und reduziert auch generell die Chancen für alle, die nicht dem Typus des populistischen Direktmandatärs entsprechen, in den Landtag einzuziehen.
Schauen wir dazu mal die Abgeordneten im neuen Landtag an, getrennt nach den vier Fraktionen.
- Die CDU entsendet 60 Abgeordnete in den Landtag. Darunter sind gerade mal acht Frauen (wenn ich mich jetzt nicht verzählt habe). Das sind 13% dieser Fraktion.
- Ein bisschen besser – aber auch nicht wirklich gut – sieht es bei uns Grünen aus. In der neuen großen Fraktion mit 36 Abgeordneten beträgt der Frauenanteil 31% (d.h. 11 Abgeordnete).
- Bei der SPD sind es 6 weibliche Abgeordnete bei einer Fraktionsstärke von 35 Sitzen, also 17%.
- Und die FDP hat es tatsächlich geschafft, eine rein männliche 7er-Fraktion in den Landtag zu bringen.
Im Landtag insgesamt kommen wir damit auf einen – auch im Vergleich zu anderen Landtagen in Deutschland – vorsintflutlichen Frauenanteil von 18%.
Ich gehe davon aus, dass das bei der Verteilung der Regierungsposten ein bisschen anders aussehen wird. Wenn mit Kretschmann und Schmid schon ein Männerduo an der Spitze steht, wird es in beiden Parteien meiner Meinung nach schwer durchsetzbar sein, beim weiteren Regierungspersonal weniger als eine Quotierung umzusetzen.
Mir geht es in diesem Artikel allerdings gar nicht nur darum, Frauen und Männer zu zählen und Quoten auszurechnen. Ich sehe den geringen Frauenanteil – der ja selbst in der grünen Fraktion deutlich hinter den üblicherweise in grünen Gremien erwarteten 50% liegt – im Landtag als einen sehr deutlichen Hinweis darauf, dass das baden-württembergische Wahlrecht, dessen Grundlage ja Wahlkreiskandidaturen sind, Struktureffekte hat und dazu beiträgt, einen bestimmten Personentyp – der honorige, örtlich verankerte Politiker (m, d.) – zu bevorzugen. Ich habe dazu jetzt keine Daten, aber ich gehe davon aus, dass das auch bei der Altersverteilung, bei Berufen und definitiv beim Anteil von Abgeordneten mit Migrationshintergrund eine Rolle spielt.
Zum Vergleich vielleicht noch – hier mal nur die Grünen – die Situation bei der Kandidatur. In den landesweit 70 Wahlkreisen sind bei uns 24 Frauen angetreten (34%), also ein etwas höherer Anteil als in der Fraktion. Anders gesagt: die kritische Schwelle scheint gar nicht so sehr die Wahl zu sein, sondern der Schritt davor – das Erringen eines (aussichtsreichen) Wahlkreises.
Die drei Spitzenergebnisse (und Direktmandate) bei den Grünen haben übrigens allesamt Frauen erzielt – Mutherem Aras mit 42,5% in Stuttgart I, Edith Sitzmann mit 39,9% in Freiburg II und Theresia Bauer mit 36,7% in Heidelberg.
Ob die Zusammensetzung des Landtags, die in den letzten Jahren ähnlich war, Auswirkungen auf die dort entstehende Politik hatte oder haben wird, darüber lässt sich streiten. Ich bin nicht der Ansicht, dass Politik sich automatisch ändert, weil sie von Menschen mit weiblichen Geschlechtsteilen gemacht wird. Mir geht es eher darum, dass der Frauenanteil ein Hinweis darauf ist, wie wenig repräsentativ der Landtag für die ganz unterschiedlichen Lebensentwürfe und Alltagssituationen der baden-württembergischen Bevölkerung ist. Und in dieser mangelhaften Abbildung der realen Vielfalt – darin sehe ich auch ein Problem für die dort entstehende Politik.
Warum blogge ich das? Als kleinen Hinweis darauf, dass das Wahlrecht in Baden-Württemberg auch in anderer Weise verzerrend wirkt.
P.S.: Jan weist im Kommentar auf eine Übersicht des Statistischen Landesamts hin, in der für alle Parteien aufgeführt ist, wie viele Bewerberinnen überhaupt angetreten sind (bei uns demnach 37% = 26 Frauen statt der von mir oben genannten 34%/24 Frauen; CDU: 15%, SPD: 20%, FDP: 25% unter den BewerberInnen).
@Tobias/46 – nein, ich habe bei Twitter nicht zu einer Feminismusdebatte aufgerufen, sondern zu einer Debatte über die Quote. Und in dem Tweet steckte auch noch ein kleines bisschen Sarkasmus, aber das war vielleicht nicht so klar sichtbar.
Zu:
Les doch mal, was ich oben geschrieben habe. In dem Originalbeitrag. Da steht nämlich, das die Menschen – also die WählerInnen – eben gar nicht die Wahl haben zwischen fähigen und unfähigen Männern und Frauen. Sondern dass die Wahlkreisversammlung je Partei genau eine Person aufstellt – und WählerInnen dann zwar personalisiert entscheiden können, aber wenn sie „grün“ haben wollen, gezwungen sind, diese Person zu wählen, ob sie das nun wollen oder nicht. Also genau nicht so, wie du das hier darstellst.
Zum „Runterrutschen“ von Frauen auf Kommunalwahllisten: In BaWü kannst du bei der Kommunalwahl ziemlich weitgehend kumulieren und panaschieren. Ich weiß nicht, ob es dazu systematische Studien gibt, ich habe aber (zumindest für die größeren Städte) eher den Eindruck, dass das dazu führt, dass die grünen Frauen auf den quotierten Listen weiter nach oben rücken. Jedenfalls sind unsere Gemeinderatsfraktionen deutlich besser quotiert als die Landtagsfraktion. Trotz eines „personalisierten“ Wahlrechts.
Wahnsinn, so kann man das wahrscheinlich nur interpretieren, wenn man ein Parteibuch hat. Wenn in einem Wahlkreis also tatsächlich mehrere Personen gegeneinander antreten und keine Listen, wenn Bürger bei der Wahl nach freiem Willen Personen von Listen streichen oder einzelnen Listen mehr Stimmen geben können (und somit den ersten Personen darauf), dann schränkt das nach Ihrer Sicht also die Möglichkeit ein, zwischen fähigen und unfähigen Personen zu wählen.
Sie können ja gerne für mehr Listenwahlen argumentieren, aber aufzustellen, dass direkte Personenwahlen die Wahl von Personen erschwert, dazu fällt mir nicht mehr viel ein.
@VonFernSeher – sorry, da werde ich falsch verstanden (weil zwei Punkte, auf die ich getrennt eingegangen bin, hier zusammengeworfen werden). Ich bin durchaus dafür, dass WählerInnen einen größeren Einfluss darauf bekommen, welche Personen (einer Partei) in den Landtag einziehen. Diesen Einfluss sehe ich, wenn bei einer Liste kumuliert/panaschiert werden kann, also wie beim Kommunalwahlrecht. Bei einer unveränderbaren Landesliste ist dieser Einfluss gleich null, aber auch bei der Wahl einer Person einer Partei in einem Einpersonenwahlkreis habe ich als Wähler oder Wählerin ja nur die Auswahl zwischen Frau X von den Grünen und Herrn Y von der CDU, aber kann nicht Frau Z von den Grünen wählen. Mit Mehrpersonenwahlkreisen wäre mein Einfluss evtl. größer.
Richtig ist natürlich, dass ich davon ausgehe, dass Wählerinnen und Wähler nicht nur nach „fähig“ entscheiden, sondern auch ein Interesse daran haben, dass eine Person eine bestimmte politische Richtung vertritt. Die Pesonenwahl im baden-württembergischen Landtagswahlrecht suggeriert zunächst mal, dass ich als Wähler bzw. Wählerin unter den antretenden KandidatInnen die Person raussuchen soll, die am fähigsten ist – aber faktisch ist jede Personenstimme eben zugleich eine Parteistimmt. Und wenn ich z.B. das Ziel habe, Kretschmann zum Ministerpräsidenten zu machen, muss ich – im baden-württembergischen Wahlsystem – im Wahlkreis die Grüne oder den Grünen wählen, egal, ob mir die Kandidatin der FDP oder der Kandidat der Piraten besser gefällt. Das meinte ich.
@Till
Aber genauso wird doch die Intention derer klar, die dereinst das mit der Personenwahl in die Verfassung gebracht haben. Man wollte wahrscheinlich – grob gesagt – den Fokus vom Parteizirkus weg auf verständige Personen richten. Das klingt doch auch fürs schwäbische oder badische Gemüt sehr plausibel (siehe wer jetzt dementsprechend Teufel zitiert hat).
@Tobias 50: Fällt dir eigentlich nicht auf, dass du deine persönlichen n=1‑Beobachtungen und Interpretationen immer als absolut plausibel und valide hinstellst, gleichzeitig aber alle anderen Beobachtungen, auch wenn sie noch so wissenschaftlich und gut belegt sind, als Nonsens? Sorry, aber auf diese Weise kann man echt nicht sinnvoll diskutieren. V.a. wenn du die vorhandenen wissenschaftlichen Studien dann auch noch immer unzulässig diskreditierst: Die auf zeit.de zitierte Studie arbeitet nämlich keineswegs nur mit 30 Tiefen-Interviews, sondern hatte eine erste, repräsentative Stufe mit über 500 Interviews, was auch klipp und klar in dem Artikel drinsteht. Und: Selbst bei 30 Tiefen-Interviews (mit Peer-Review) wäre das immer noch deutlich fundierter und wissenschaftlicher als die persönlichen Alltagsbeobachtungen einer einzigen Person.
@VonFernSeher: Die Intention sehe ich ja durchaus – nur wirkt das System im Kontext von Parteien, die an allen möglichen anderen Stellen wichtig sind (bei der Fraktionsbildung, bei der Zulassung zur Wahl, bei der Aufstellung der KandidatInnen …) faktisch dann eben ganz anders als intendiert.
Das Problem das der Wähler bei den Grünen hat ist doch genau, dass er nicht darüber entscheiden kann, ob er lieber einen fähigen Mann oder eine unfähige Frau wählen kann. Das Frauenstatut schreibt zwingend vor, dass wir selbst bei der Listenaufstellung gezwungen sind vollkommen unfähige Frauen aufzustellen.
Kumulieren und panaschieren ist schön, aber die Realität ist, dass die wenigsten Wähler die Kandidaten kennen und deshalb nur in geringem Umfang davon Gebrauch machen. Dies machen ausschließlich diejenigen, welche politisch engagiert sind und die Kandidaten kennen. Sonst wären die Ausschläge noch viel größer. Deshalb ist es vielleicht sogar richtig was du zu den Großstädten sagst, müsste man überprüfen. Auf dem Land wo die Leute wesentlich stärker die Kandidaten tatsächlich kennen, da sind die Tendenzen eindeutig. In meinem Heimatlandkreis werden die Frauen immer stark zurückgestuft. (Und auch in anderen Gebieten die ich übersehen kann.) Ist auch kein Wunder bei den Frauen…
Wir haben ganz einfach zu wenig Frauen, aus denen man auswählen könnte. Meist findet man sogar überhaupt keine Frau für einen Posten. Bei der Kommunalwahl wird wirklich jede den Mitgliedern bekannte Frau (die meisten sind nicht einmal Mitglied, sondern Arbeitskolleginnen) massiv bearbeitet und genötigt sich doch auf die Liste schreiben zu lassen.
Und wenn sich tatsächlich eine Frau zu den Grünen findet hat die extrem Häufig auch noch massive psychische Defekte, von Qualifikation nicht zu schreiben. Ja, ich schreibe da aus Erfahrung! Die Mitglieder haben aber nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit zu verhindern, dass diese Frau dann auf die Liste kommt, weil Frauenstatut.
Aber das geht sogar auf Landes- und Bundesebene so weiter!
Wer glaubt denn tatsächlich, dass in einer normalen Partei eine Claudia Roth Parteivorsitzende werden könnte??? Die Frau ist doch einfach nur peinlich! Und warum ist die seit 20 Jahren Parteivorsitzende? Weil es nicht einmal eine Proforma-Gegenkandidatur gibt.
Natürlich gibt es fähige Frauen (siehe Künast), aber sie kandidieren eben nicht!
Es ist sogar so, dass das Frauenstatut verhindert, dass fähige Frauen aufsteigen!
Die wenigen fähigen Frauen sind überall dermaßen begehrt, dass sie schon auf unterster Ebene dermaßen mit Posten eingedeckt werden, dass sie für höheres keine Kapazitäten mehr frei haben. Dort melden sich dann die absolut unfähigen, weil die sonst niemand haben will und man sie meist als Delegierter nicht kennt und einschätzen kann. Und Mann ist ja gezwungen die einzige Kandidatin zu wählen. Es ist doch ohnehin schon peinlich ständig über Jahre hinweg die Frauenplätze im Vorstand nicht besetzen zu können, weil sich keine Frau findet.
Die grüne Listenaufstellung ist also extrem demokratiefeindlich, weil nicht einmal die Delegierten darüber entscheiden dürfen, wer sie repräsentieren soll und außerdem das passive Wahlrecht der Männer massiv eingeschränkt wird. Und wer als Wähler gerne Grüne wählen will ist vollkommen verzweifelt bei dem Personal, welches er dann zu wählen hat. Dabei gäbe es genügend fähige Männer die den Job auch gerne machen würden, denn es gibt immer erheblich mehr männliche Kandidaten als Männerplätze, welche immer auf aussichtlosen Plätzen landen.
RLP stellt 1 maximal 2 Bundestagsabgeordnete, was automatisch bedeutet, dass man als Mann kaum eine Chance hat. (Dabei ist die Ulrike Höfken sogar eine positive Ausnahme, weshalb sie seit 20 Jahren auch die Liste anführt. Aber was kommt nach ihr? Nur das Grauen! In Hessen haben sie eine 18 Jährige Schülerin in den Bundestag geschickt!!!)
Wollte man es wirklich so gestalten, dass der Wähler maximale Wahlmöglichkeit hat, dann müsste man es so machen:
Jede Partei stellt keine Listen auf, sondern einen Pool an Bewerbern. Der Wähler muss dann aus diesem Pool einer Person seine Stimme geben.
Der Punkt ist bloß, dass hiermit mindestens 90% der Wähler vollkommen überfordert wären. Die wenigsten kennen überhaupt den Unterschied zwischen Erst- und Zweit-Stimme!
Ich beschreibe einmal exemplarisch den Punkt an dem ich endgültig mit dem Frauenstatut gebrochen habe.
Landesdelegiertenversammlung in meinem Wohnort. Bei mir übernachtete eine der Vorstandskandidatinnen. Die war dermaßen struntz doof, dass sie in unserer MännerWG ihre dreckige Damenbinde in den Putzeimer warf, statt in den Mülleimer. Ja, da lag sogar ein Putzlappen drin! Die stellte sich vor die Versammlung mit einem rosa Flauschpulover mit aufgesticktem Teddybär. Ihre Vorstellungsrede beschränkte sich auf das Stammeln ihres Namens und Kreisverbandes. Sie wurde gewählt, weil es für die 3 Frauenposten nur 2 Kandidatinnen gab, aber gleichzeitig sich 10 hochqualifizierte und seit Jahren engagierte Männer um die verbliebenen 3 Männerposten streiten mussten.
Und auch nach der Wahl hat jeder nur vollkommen irritiert auf diese Frau reagiert, wenn man mit ihr in Kontakt kam, z.B. bei den LAG Sitzungen wo sie dermaßen dämliche Fragen stellte und keinen Plan von garnichts hatte, dass selbst hartgesottene Männer nicht mehr wussten was sie sagen sollten. Man versuchte die Termine dann so zu legen, dass die Frau nicht anwesend sein konnte.
Diese Frau ist übrigens seit Jahren hauptamtlich für die Grünen tätig.
Ähnliche Anekdoten kann ich hier endlos wiedergeben!
Immerhin, Grün-Rot hat das Problem offensichtlich erkannt und will was dagegen tun:
http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.reform-gruen-rot-plant-aenderung-des-landtagswahlrechts.b45441ee-372d-4098–850c-a669a0dc8c3d.html
Ich verstehe nicht ganz, warum man in BaWü nicht einfach auch ein Wahlrecht mit einer Erst- und einer Zweitstimme einführen kann, wie auf Bundesebene. Das kommt mir eigentlich ziemlich sinnvoll vor…
Vermutlich, weil es in Baden-Württemberg immer schwierig ist, irgendwas nachzumachen, was andere vormachen. Wenn schon, muss das Ländle Erfinder, Vorreiter und Erster sein ;-)
Aber etwas ernsthafter: Wenn schon Reform, finde ich Bremen oder Hamburg sehr viel spannender als das Zwei-Stimmen-Modell.
Mmh, habe mir das gerade mal angeschaut in Hamburg und Bremen. In Hamburg hat man also 10 Stimmen, in Bremen 5. Die kann man dann entweder frei auf einzelne Personen verteilen (panaschieren) oder an eine Liste vergeben oder auch auf einzelne Kandidaten kumulieren. Korrekt? An sich klingt so ein System natürlich erstmal sympathisch, weil es dem Wähler sehr viel Freiheit lässt. Andererseits frage ich mich, ob das nicht für einen Großteil der Wähler eine Überforderung darstellen würde. Schon das Zweistimmen-System bei der Bundestagswahl wird ja von einem Großteil der Deutschen nicht wirklich verstanden. Und in einem großen Bundesland wie Baden-Württemberg wäre es deutlich aufwändiger als in Bremen oder Hamburg, die Wähler vorab so zu informieren bzw. fortzubilden, dass sie das Wahlrecht auch wirklich verstehen und korrekt anwenden können.
Was sind denn aus deiner Sicht die wichtigsten Vorteile dieser Systeme, mal abgesehen vom offensichtlichen Vorteil der größen Wahlfreiheit des Wählers? Gibt es denn schon Erfahrungen dazu, ob solche Systeme dabei helfen können, dass es auch innerparteilich zu einer demokratischeren Kandidatenauswahl kommt?
Das mit der Überforderung der Wähler ist eine dieser Behauptung, die sich nicht ziemt. Ob der Souverän sich davon überfordert fühlt fünf oder zehn Kreuze statt einem zu machen, sollte man dem Souverän überlassen. Und genauso funktioniert es in Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz und anderswo ja auch. Man kann ja immer noch ein Kreuz bei der einen Liste machen, wenn man will. Aber man kann halt auch differenzieren, sich für eine Liste entscheiden, aber gegen einen Kandidaten, oder sich für Kandidaten, aber gegen ihre Liste.
Und außerdem kann man das Ganze auch richtig kommunizieren und z.B. schon in der Schule das Panaschieren erklären. Oder die Regeln einfach noch einmal in der Wahlkabine aufhängen. Ich habe jedenfalls noch nie jemanden getroffen, der mir persönlich erklärt hätte, er sei von diesen Wahlmöglichkeiten überfordert – aber schon eine ganze Menge von denen, die andere für überfordert hielten.
@ Till: Hier noch ein aktueller Blog-Beitrag aus dem Zeit-Blog „Zweitstimme“, in dem es auch um das neue Wahlrecht in Bremen geht. Und v.a. genau um den „Zielkonflikt zwischen möglichst großem Einfluss der Wähler auf die Zusammensetzung der Parlamente einerseits, einer einfachen Handhabung und einer hohen Verständlichkeit des Wahlsystems andererseits“, um den es mir ja ging bei meinem letzten Post. Und der nichts mit Arroganz gegenüber dem Souverän tun hat (wie das VonFernSeher wohl verstanden hat), sondern schlicht mit dem Wissen über die „vielen, vielen Studien“, die belegen, dass schon das Zweistimmen-System bei der Bundestagswahl von vielen Wählern nicht verstanden wird. Was keineswegs unproblematisch ist, denn nur wer ein Wahlsystem versteht, kann es auch so anwenden, wie es gemeint ist. Wenn es aufgrund seiner Komplexität hingegen von einem relevanten Teil der Wähler NICHT verstanden wird, dann muss man sich gut überlegen, ob der Zugewinn an Flexibilität für die Wähler, die das System verstehen, diese Einbuße rechtfertigt.
@VonFernSeher: Wäre schön, wenn wir in der weiteren Diskussion ohne Verweise darauf auskommen könnten, „was sich ziemt“ und was nicht. Man kann ja mit Argumenten auch nicht einverstanden sein, ohne ihnen gleich die Existenzberechtigung entziehen zu müssen… ;-)
@ Till: Hier noch ein aktueller Blog-Beitrag aus dem Zeit-Blog „Zweitstimme“, in dem es auch um das neue Wahlrecht in Bremen geht: http://blog.zeit.de/zweitstimme/2011/05/23/wie-ich-mir-die-wahl-in-bremen-merke-5-stimmen-16-und-17-jahrige-wahler-und-trotzdem-ging-nur-jeder-zweite-zur-wahl/
Und v.a. genau um den „Zielkonflikt zwischen möglichst großem Einfluss der Wähler auf die Zusammensetzung der Parlamente einerseits, einer einfachen Handhabung und einer hohen Verständlichkeit des Wahlsystems andererseits“, um den es mir ja ging bei meinem letzten Post. Und der nichts mit Arroganz gegenüber dem Souverän tun hat (wie das VonFernSeher wohl verstanden hat), sondern schlicht mit dem Wissen über die „vielen, vielen Studien“, die belegen, dass schon das Zweistimmen-System bei der Bundestagswahl von vielen Wählern nicht verstanden wird. Was keineswegs unproblematisch ist, denn nur wer ein Wahlsystem versteht, kann es auch so anwenden, wie es gemeint ist. Wenn es aufgrund seiner Komplexität hingegen von einem relevanten Teil der Wähler NICHT verstanden wird, dann muss man sich gut überlegen, ob der Zugewinn an Flexibilität für die Wähler, die das System verstehen, diese Einbuße rechtfertigt.
@VonFernSeher: Wäre schön, wenn wir in der weiteren Diskussion ohne Verweise darauf auskommen könnten, „was sich ziemt“ und was nicht. Man kann ja mit Argumenten auch nicht einverstanden sein, ohne ihnen gleich die Existenzberechtigung entziehen zu müssen… ;-)
Die Frage ist aber doch, ob das Zweistimmen-System bei der Bundestagswahl (mit der seltsamen Zweitstimme, die wichtiger ist als die erste Stimme) nicht möglicherweise komplexer ist als das Fünfstimmen-System in Bremen.
Also, ich habe jetzt nochmal nachrecherchiert: Wenn ich das richtig sehe, dann ist sowohl in Hamburg als auch in Bremen der Anteil ungültiger Stimmen nach der Umstellung des Wahlsystems deutlich gestiegen. Nämlich von 1 % auf 3% in Hamburg und von 1,3% auf 3,7% in Bremen. Das ist in beiden Fällen also etwa eine Verdreifachung der ungültigen Stimmen. Zudem liegen die Werte auch deutlich über dem Anteil bei der letzten Bundestagswahl (1,7% bei den Erststimmen, 1,4% bei den Zweitstimmen) und der letzten Landtagswahl in Baden-Württemberg (1,4%).
Spricht für mich also schon dafür, dass diese Systeme für einige Wähler zu komplex sind. Ich weiß, das war jetzt jeweils das erste Mal, das auf diese Weise gewählt wurde und außerdem gibt es auch bewusste Ungültigwähler. Letztere dürften allerdings durch die Umstellung des Wahlrechts nicht mehr geworden sein. Aber das „erste Mal“-Argument greift natürlich schon. Man müsste also mal beobachten, wie das in Bremen und Hamburg weitergeht bei den kommenden Wahlen, ob sich da also ein gewisser „Lerneffekt“ einstellt. Würde ich allerdings eher bezweifeln, weil Wahlen ja nur sehr selten stattfinden und viele sich deshalb gerade bei so einem komplexen Wahlsystem vermutlich jedes Mal aufs Neue damit beschäftigen müssen, um nichts falsch zu machen. Aber das ist natürlich nur eine Vermutung.
Ich bin auch gar nicht kategorisch gegen die Einführung solcher Wahlsysteme bzw. bin ich sogar sehr für eine Änderung des Wahlrechts in BaWü. Nur sollte man meiner Meinung nach dabei schon auch immer daran denken, ob das neue System nicht eventuell aufgrund der vielen Wahl- und Kombinationsmöglichkeiten zu komplex ausfällt und die Vorteile deshalb durch einen großen Nachteil (höherer Anteil ungültiger Stimmen) geschmälert werden. Sinnvoll wäre aus meiner Sicht ein System, das eine Art Mittelweg zwischen den Systemen in Hamburg und Bremen und dem System in BaWü geht. Warum nicht z.B. nur einen Wunschkandidaten plus eine Parteistimme? Ich persönlich bräuchte jedenfalls nicht fünf oder mehr Kandidaten wählen zu können, das wäre auch für mich eher eine Überforderung, weil ich so viele gar nicht kenne.
So, und zum Schluss noch zwei interessante Kommentare zum Thema Bremer Wahlrecht, einmal Pro und einmal Contra:
http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Politik/Wahl/382904/Die-Zweifel-sind-geblieben.html?id=382908
http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Politik/Wahl/382896/Verantwortung-ernst-nehmen.html?id=382908
P.S.: Natürlich sind die ungültigen Stimmen nicht die einzige Möglichkeit, wie sich ein „Nichtverstehen“ des Wahlrechts auswirken kann. Es kann ja auch sein, dass man das Wahlrecht nicht versteht, aber trotzdem einen gültigen Stimmzettel abgibt. Das zeigt sich ja immer wieder in den Befragungen zum Wahlrecht bei den Bundestagswahlen. Da kommen ja immer wieder sehr hohe Prozentzahlen von Leuten heraus, die die Erststimme für wichtiger halten als die Zweitstimme. Also deutlich mehr Leute als dann tatsächlich ungültig wählen. Diese Art von „Falschverstehen“ müsste man also eigentlich auch noch mit in die Kalkulation einbeziehen, wenn es um das Pro und Contra bei Wahlrechtsreformen geht. Und ich könnte mir gut vorstellen, dass der Anteil von Leuten, die das Bremer oder Hamburger Wahlrecht genau richtig verstehen, deutlich geringer ist (und auch bleibt) als das z.B. beim Wahlrecht in Baden-Württemberg der Fall ist. (Obwohl es natürlich sehr schwerfällt, zu definieren, was ein „Verstehen“ des Wahlrechts genau umfasst, also z.B. nur die Stimmabgabe oder auch die Stimmauszählung.) Das heißt wiederum nicht, dass ich das Wahlrecht in BaWü gut oder vorbildlich finde, aber es hat eben einen großen Pluspunkt: Man kann kaum etwas falsch machen beim Wählen. Was ich angesichts fünfjähriger Legislaturperioden und sinkender Wahlbeteiligungen schon nicht ganz unwichtig finde.
Sorry, nochmal ich: Habe gerade noch einen weiteren Kommentar zum Thema gefunden, der einen aus meiner Sicht wirklich relevanten Punkt anspricht, nämlich die Verstärkung sinkender Wahlbeteiligungen durch zu komplizierte Wahlsysteme: http://hamburger-freiheit.blogspot.com/2011/01/sie-haben-20-stimmen.html
So, das war jetzt aber erstmal genug Senf von mir. ;-)
@Jan
Das sollte auch nicht als persönlicher Angriff, sondern vielmehr als Imperativ verstanden werden. Schade, dass es nicht so ankam.
Denn wenn die deutschen Wahlberechtigten trotz Erklärung auf dem Beipackzettel und in der Kabine unsere doch vergleichsweise einfachen Wahlverfahren nicht verstehen, dann darf man das natürlich nicht dem einzelnen Wähler zuschreiben, sondern muss dann doch vorher in die politische/gemeinschaftskundliche Bildung investieren.
Vielleicht ist es ja nur Glück, dass man mir die verschiedenen Verfahren schon früh in der Schule erklärt hat und ich so schon vor dem ersten Mal Wählen genau wusste, was auf mich zukam. Dann muss man aber doch eher gemeinschaftlich daran arbeiten, dass genau das eben keine Glückssache ist, dass es ausreichend Bildung dazu und eine Kultur des Nachfragens und Helfens gibt. Und bitte nicht umgekehrt diese schönen Wahlfreiheiten einschränken, weil man es nicht jedem beibringen will.