Im Rahmen meiner Diss. interessiert mich der „nachhaltige“ Umgang mit Mobiltelefonen (am Freitag hatte ich dazu schon ganz kurz gebloggt).
Auf der EASST 2010 in Trento habe ich dazu anhand von Interviews, die ich vor ein paar Jahren durchgeführt habe, und in einer praxistheoretischen Rahmung etwas über die Schwierigkeiten, ein Mobiltelefon nachhaltig zu nutzen. Am Donnerstag werde ich im Rahmen der Tagung „Entscheidungen mit Umweltfolgen zwischen Freiheit und Zwang“ der Nachwuchsgruppe ebenfalls noch einmal etwas zu diesem Thema vortragen, mit etwas anderer Akzentuierung. Ein wichtiger Aspekt sind für mich die soziotechnischen „Zwänge“ gegenüber den Spielräumen für eine nachhaltige Nutzung. Grade eben habe ich bei Twitter schon mal rumgefragt; die Antworten passen ganz gut zu dem, was mir momentan so vorschwebt.
Zum einen sind das unterschiedliche Formen der „nachhaltigen Nutzung“ (in der „1. Welt“ – die Debatte um die das Mobiltelefon als Entwicklungsmotor in Entwicklungs- und Schwellenländern ist nochmal ein ganz anderes Thema). Wer die Liste – die keine Aussage über die tatsächliche Umweltwirkung der aufgelisteten Praktiken sein soll, sondern einfach erstmal eine Sammlung, was Menschen unter nachhaltiger Nutzung verstehen – unten kommentieren oder ergänzen möchte, ist herzlich dazu eingeladen.
- Verzicht auf ein Mobiltelefon
- Nutzung eines „geteilten“ Mobiltelefons, Ausborgen in spezifischen Situationen
- Maximierung der Lebenszeit: Benutzung eines alten/gebrauchten Geräts; kleinere Reparaturen; Ersatz eines defekten Akkus; Verzicht auf Vertragsverlängerungsneugeräte etc.
- Weitergabe bzw. Recycling nach Ende der Gebrauchsphase
- Erreichbarkeit auch mit einem älteren Modell möglich, Verzicht auf energieintensive Funktionen wie WLAN, kein Smartphone
- Auswahl eines Geräts mit einem geringen SAR-Wert, Strahlungsarmut
- Auswahl eines Geräts mit „Öko-Design“ – besonders robust und hochwertig; recycelte Kunststoffe; integrierte Solarzellen
- Minimierung der Nutzung: nur in besonderen Fällen im Einsatz, nicht immer angeschaltet, WLAN nicht immer angeschaltet; bewusst Entscheidung für „teurere“ Tarifstruktur/Prepaid
- (Weitgehender) Verzicht auf Anrufe, Nutzung nur für SMS
- Verwendung von Öko-Strom zum Aufladen
- Nutzung als Informations- und Kommunikationsmedium für nachhaltigen Konsum (vom Webbrowser auf dem Smartphone zu besonderen Apps wie etwa Barcode-Reader mit Produktinformationen oder ortsbasierte Dienste zur Information über Umweltfragen)
Aus der Literatur sind dann noch zwei weitere Formen „nachhaltiger Nutzung“ bekannt, von deren Existenz ich aber noch nicht so ganz überzeugt bin. Das eine wäre sowas wie eine Erhöhung der Nachhaltigkeit des eigenen Lebens dadurch, dass das Mobiltelefon energie- und ressourcenintensivere Dienstleistungen und Produkte ersetzt (ein Beispiel wäre das Mobiltelefon als eBook-Reader vs. eigenständiges Gerät vs. gedrucktes Buch) bzw. die Orts- und Zeitflexibilität, die mit dem Gerät verbunden ist, Mobilität vermeiden lässt (vielleicht geht die Abfrage von Onlinefahrplänen via Handy in diese Richtung).
Das andere Modell, noch einen Schritt weitergehend, wäre das Smartphone als ökologische „Optimierungszentrale“, sowas wie eine laufende Berechnung der eigenen Ökobilanz als Entscheidungsgrundlage. Also die Nutzung entsprechender Informationskanäle nicht in Ausnahmefällen, sondern eingebaut in alltägliche Routinen.
Neben diesen nachhaltigen Nutzungsformen, die mehr oder weniger die Spielräume umreißen, stehen die „Zwänge“. Auch dafür eine (sicherlich) unvollständige und eher unsortierte Liste.
- Kaum Einfluss auf den Produktionsprozess, damit kaum Einfluss auf die wichtigsten Nachhaltigkeitsfragen (Herstellungsbedingungen, …)
- Abhängigkeit der Handy-Nutzung von großtechnischer Infrastruktur und deren Betrieb (ob der Netzbetreiber für seine Server Ökostrom verwendet, weiss ich nicht und kann ich nicht beeinflussen)
- Vertrags- und Tarifstrukturen (automatisch neue Geräte, automatische Vertragsverlängerung, …)
- Bestimmte Funktionalitäten nur mit neueren Modellen; stetiger Modellwechsel
- Schlechte Reparierbarkeit, begrenzte Lebensdauer
- Notwendigkeit, erreichbar zu sein (z.B. wegen familiärer Koordination, beruflichen Fragen, politischem Machtgewinn)
- Keine funktionalen Äquivalente für bestimmte Funktionalitäten, z.B. Textnachrichten
- Verknüpfung bestimmter Erwartungen mit dem Mobiltelefon – wer eines hat, soll dieses z.B. auch möglichst immer angeschaltet haben, weil Erreichbarkeit zu den sozial durchgesetzten Eigenschaften der Mobiltelefonnutzung gehört; macht z.B. Minimierungsstrategien oder sharing schwierig
- Peer pressure – z.B. Teenager, Mobiltelefon als Objekt, an dem sich reale soziale Gemeinschaften bilden
- Mit zunehmender Veralltäglichung (inzwischen 80–90% der Haushalte …) des Geräts wird „Mobiltelefonnutzung“ die nicht hinterfragte gesellschaftliche „Standardoption“, Verzicht wird massiv begründungsbedürftig
- Universale Generalisierbarkeit mobiler Kommunikationspraktiken macht Begrenzung auf bestimmte Sphären schwierig
- In die Geräte/Verträge eingeschriebene „Sachzwänge“ (welche wären das?)
Vielleicht hat ja jemand Lust, mit mir darüber nachzudenken, ob die beiden Listen – die nicht der Inhalt, aber eine Grundlage meines Vortrags am Donnerstag sein werden – so sinnvoll sind.
Warum blogge ich das? Zur intersubjektiven Vermeidung blinder Flecken.
Nur ein paar Hinweise, ungeordnet, aus dem hohlen Bauch heraus: Mir fehlt der Aspekt „berufliche“ und „private“ Nutzung, nicht nur von „Freiberuflern“ und Außendienstmitarbeitern.
Das sind zwei verschieden Welten.
Interessant wäre eine Studie einer Öko-Bilanz (Kupfer, Glasfaser)- Festnetz vs. Funknetz. Für mich stünde da noch lange nicht der Gewinner fest, auch in Bezug auf Kabelverlegung, Kabelpflege, Erdarbeiten, Landschaftsverbrauch…
Der Aspekt: Kann ein Smartphone ein Notebook ersetzen wird immer realistischer. Ist bei mir eindeutig so, ich lese damit Zeitung (Du erwähntest dies bereits), lese eBooks, schreibe damit, siehe http://bit.ly/9EaUlm , blogge live http://bit.ly/bMtQsr, twittere, benutze es als Navi am Fahrrad und beim Orientieren in fremder, städtischer Umgebung (ein immer wichtiger werdender Aspekt), bearbeite auch einen großen Teil meiner Mailkommunikation damit, höre Radio / ogg-mp3-Musik, führe meinen Terminkalender in der Cloud. Die Ökobilanz ist bestimmt besser als ein Notebook, ich lasse dazu auch vermehrt den stationären Rechner aus.
Interessant wäre auch eine Gender-Untersuchung. Welchen Stellenwert messen Alleinerziehende z.B. einem Handy bei? Welche Freiheiten im Umgang mit Kindern durch Erreichbarkeit werden dabei erst realisiert, wie wirkt sich dies negativ/positiv auf die Nachhaltigkeit der Lebensgestaltung aus?
sowas…
1. Ein Smartphone kann viele Aufgaben, wie z.B. Surfen im Internet, mit einem viel geringeren Stromverbrauch erledigen als ein PC. Natürlich kann man aufgrund der geringen Display-Größe vieles auch nur am PC erledigen. Aber es gibt ja auch noch Tablets wie das iPad, die ebenfalls mit sehr stromsparenden ARM-Prozessoren ausgestattet sind.
2. Mit einem Smartphone kann man sehr gut „tote Zeit“ füllen, wie sie bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel anfällt, daher wird es u.U. attraktiver, öffentliche Verkehrmittel zu benutzen.
Danke euch beiden für die Hinweise zur „Dematerialisierung“ durch das Smartphone – bin aber immer noch skeptisch, ob das (bis auf den ÖPNV-Punkt …) wirklich ökologisch aufwändigere Infrastrukturen ersetzt*, oder ob es sich nicht um größtenteils zusätzliche Umweltverbrauche handelt (z.B. fällt ja die Produktion für PC/Netbook/Notebook/… nicht weg, nur weil zeitweise ein Smartphone eingesetzt wird).
Aus Facebook noch: „Gerade wenn man das Mobiltelefon mit als handlichen Terminkalender und Datenspeicher nutzt ist das „Flugzeug-Profil“ (keine Signale, damit auch weniger Stress und geringerer Akuverbrauch) z.B. für Konferenzen ein angenehmer Helfer.“
* Wenn das Smartphone auf Cloud-Dienste zurückgreift, würde ich fast vermuten, dass zumindest die Energiebilanz für z.B. das Schreiben eines Textes damit schlechter ausfällt als lokal an einem Low-End-PC. Aber das ist Spekulation.
Ich halte das für eine akademische Diskussion. Es mag einige wenige Leute geben, die Nachhaltigkeit und Ökologie so wichtig nehmen, die Mehrzahl jedoch nicht. Hier heißt es: Bequemlichkeit ist Trumpf.
Die ökologische Wende klappt nur über regenerative Energie.
@Christian: die lösen aber leider längst nicht alle Probleme. Klar ist das eine akademische Diskussion, geht ja auch meine Diss.; die dahinter stehende Frage ist vielleicht die, wieso Bequemlichkeit siegt. Und ganz allgemein: wie bestimmte Formen von alltäglichem Handeln zustande kommen und sich etablieren – und wie(so) nicht. Und da sind dann doch wieder eine ganze Reihe Bezüge zur Nachhaltigkeitsdebatte da, insbesondere dann, wenn unter Nachhaltigkeit auch Lebensstiländerungen verstanden werden.
(Oder, um’s etwas plastischer zu machen: ich halte es durchaus für relevant, dass und warum z.B. Recyclingaktionen von Netzbetreibern nur auf geringe Ressonanz stoßen. Und ich könnte mir vorstellen, dass sowas wie ein „Fair-Öko-Label“ für Handys durchaus bei einer nicht ganz kleinen Gruppe von Menschen – 20–30% – mit kaufentscheidend sein könnte.)