Vulkan greift Flugverkehr an!

Eyjafjallajökull
Aus­bruch des Eyja­f­jal­la­jö­kull, Daní­el Örn, CC-BY

Vul­kan­aus­brü­che sind ein gutes Bei­spiel für Natur­er­eig­nis­se, die gro­ße Kon­se­quen­zen für mensch­li­che Gesell­schaf­ten haben, ohne dass es sich dabei um mensch­ge­mach­te Kata­stro­phen han­delt. Oder wer hät­te bis vor kur­zem jemals die Ver­mu­tung geäu­ßert, dass ein Vul­kan­aus­bruch auf Island zu Cha­os in Zügen der Deut­schen Bahn füh­ren könnte?

Ich wür­de ja vor­schla­gen, der­ar­ti­ge Natur­er­eig­nis­se, die mas­si­ve Aus­wir­kun­gen auf die glo­ba­le Infra­struk­tur haben, in Zukunft als „Eyja­f­jal­la­jö­kull Events“ oder als „Eyja­f­jal­la­jö­kull Infra­struc­tu­re Fail­ures“ zu bezeich­nen (kurz: „Eyja­f­jal­la­jö­kull­fail“). Aber das nur nebenbei.

Den ers­ten Hin­weis dar­auf, dass ein Vul­kan Pro­ble­me im Flug­ver­kehr berei­tet, konn­te ich Don­ners­tag mor­gen bei Face­book lesen, als ein Kon­takt von mir „All Lon­don air­ports clo­sed! Bloo­dy vol­ca­no!“ schrieb. Das mach­te mich neu­gie­rig, und nach eini­gem Suchen hat­te ich dann die ent­spre­chen­den Hin­wei­se bei der BBC gefun­den: der Luft­raum wird wegen der Absturz­ge­fahr für Flug­zeu­ge durch die Vul­kan­asche geschlos­sen. Ein paar Stun­den spä­ter haben dann auch die Mas­sen­me­di­en hier berich­tet, und wei­te­re Län­der haben ihren Lauf­raum geschlos­sen. Was dann pas­sier­te, steht hier in der en.wikipedia.

Mei­ne ers­ten Gedan­ken (mal abge­se­hen vom Mit­leid mit den – u.a. bei Twit­ter nach­les­ba­ren – Mil­lio­nen Gestran­de­ten – bis hin zu so kras­sen Fäl­len wie z.B. Inde­rIn­nen bei einem Zwi­schen­stopp in Frank­furt, die ohne Visa den Flug­ha­fen nicht ver­las­sen dür­fen – und einer gewis­sen Scha­den­freu­de hin­sicht­lich all der Inlands­flie­ger, die jetzt nicht von Ber­lin nach Mün­chen oder Köln kamen) war der, „was pas­siert, wenn das jetzt län­ger anhält“? Schon die paar Tage Flug­aus­fall führ­ten zu ziem­lich vie­len Aus­fäl­len von Groß­ereig­nis­sen – sei es in der poli­ti­schen Welt, im Sport oder im Show-Busi­ness. Es zeig­te sich gleich­zei­tig schnell, dass alter­na­ti­ve Ver­kehrs­mit­tel (Bahn, Bus, …) dem Ansturm der „Umbu­cher“ nur bedingt gewach­sen waren. 

Es gibt ja das SF-Gen­re des „Steam­punk“, also eine Mischung aus SF/Cyberpunk und der Zeit der Dampf­ma­schi­nen und vik­to­ria­ni­schen Moral. Ein Nie­der­gang des inter­kon­ti­nen­ta­len Luft­ver­kehrs auf­grund län­ger anhal­ten­der Aus­brü­che könn­te durch­aus ein plau­si­bles Sze­na­rio abge­ben für eine auf Schif­fe, Zep­pe­li­ne und inner­kon­ti­nen­tal Bah­nen set­zen­de Gesell­schaft. Neben der so stark ent­schleu­nig­ten Direkt­be­we­gung stän­de dann eine star­ke Bele­bung von Video­kon­fe­ren­zen und ähn­li­chen Kom­mu­ni­ka­ti­ons­for­men. Da wären wir bei den EU-Luft­fahrts­mi­nis­te­rIn­nen, die sich mor­gen zu einer Video­kon­fe­renz tref­fen. Dazu gleich mehr.

Blue bird
Auch emp­ty skys sind nicht ganz leer …

Der zwei­te Gedan­ke waren dann die Umwelt­fol­gen: frü­he­re Vul­kan­aus­brü­che hat­ten zu Käl­te­ein­brü­chen geführt, dafür ist die­ser ein biß­chen klein, aber wer weiss? Gleich­zei­tig spa­ren die „emp­ty skys“ mas­siv CO2 ein (Net­to­ge­winn: 206 000 t CO2 pro Tag). Und dann gibt es Rück­kopp­lun­gen wie die hier ganz am Schluss erwähn­te: es wird ver­mu­tet, dass auf­grund der glo­ba­len Erwär­mung schmel­zen­des Glet­scher­eis dazu führt, dass die Zahl der Vul­kan­aus­brü­che in Island steigt, weil das auf der Erde las­ten­de Gewicht dort sinkt. Ob das plau­si­bel ist, weiss ich nicht – jeden­falls scheint es hier eini­ge inter­es­san­te Feed­back­ef­fek­te zu geben.

Von der pop­kul­tu­rel­len Ebe­ne will ich jetzt gar nicht anfan­gen – von „ash­tags“ und Wit­zen mit „ash/cash“ bis hin zum nor­we­gi­schen Pre­mier­mi­nis­ter, in den USA gestran­det, der behaup­tet, sein Land jetzt per iPad regie­ren zu wol­len. Gewis­ser­ma­ßen pop­kul­tu­rell auch der Ein­trag im Blog von Charles Stross, in dem die­ser Sci­ence-Fic­tion-Autor berich­tet, dass er jetzt in Japan festsitzt.

In den Kom­men­ta­ren zu die­sem Blog­ein­trag fand ich dann auch ers­te Hin­wei­se zu Ver­schwö­rungs­theo­rien – und dar­auf, dass das Vol­ca­nic Ash Advi­so­ry Cent­re (auch sowas, des­sen Exis­tenz mir bis­her nicht bekannt war) gar nicht misst, son­dern sich auf Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen ver­lässt. So heißt es jeden­falls sei­tens der Luft­fahr­ge­sell­schaf­ten (z.B. hier) – die natür­lich ein gro­ßes Inter­es­se dar­an haben, Flug­hä­fen wie­der auf­zu­ma­chen. Alles nur Panik­ma­che und Über­re­ak­ti­on? Hier kom­men jetzt auch die Luft­fahrt­mi­nis­te­rIn­nen wie­der ins Spiel, die ver­su­chen wer­den, eine euro­päi­sche Lösung zum Umgang mit Vul­kan­asche­pro­ble­men in der Luft­fahrt zu finden.

(Ande­re Din­ge, die zu Tage tre­ten, die mir bis­her nicht bekannt waren: Mas­hups des Flug­ver­kehrs durch Freiwillige)

Um zum Schluss zu kom­men: was ich sehr span­nend fin­de, ist die dis­kur­si­ve Rah­men­ver­schie­bung des Ereig­nis­ses. War es in den ers­ten Stun­den noch eine Natur­ka­ta­stro­phe, die ziem­lich direkt dem Vul­kan zuge­rech­net wer­den konn­te, haben sich in den Tagen danach immer mehr Aktan­ten ins Spiel eingeschaltet. 

Aus Vul­kan­aus­bruch – Asche – kein Flug­ver­kehr ist so in der Bericht­erstat­tung der letz­ten Tage ein Akteurs­netz­werk gewor­den, an dem auch das Vol­ca­nic Ash Advi­so­ry Cent­re, Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen über die Ver­tei­lung von Vul­kan­asche, Luft­fahrt­ge­sell­schaf­ten, Test­pi­lo­tIn­nen, poli­ti­sche Ent­schei­dungs­gre­mi­en, Mas­sen­me­di­en, gestran­de­te Urlau­be­rIn­nen, … teilnehmen. 

Gleich­zei­tig ver­än­dert sich die Deu­tung der Wis­sens­grund­la­ge. Hin­ter der War­nung steck­te so unge­fähr die Aus­sa­ge „wir haben siche­res Wis­sen dar­über, dass Vul­kan­asche gefähr­lich ist, weil es schon meh­re­re Bei­nah-Abstür­ze gege­ben hat“. Die­se Wis­sens­grund­la­ge ist jetzt umkämpft. Ein­zel­ne Flug­ge­sell­schaf­ten berich­ten von Test­flü­gen, die pro­blem­los waren. Die Rele­vanz von Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen wird in Fra­ge gestellt. Es wird auf mög­li­cher­wei­se exis­ten­te alter­na­ti­ve Umgangs­wei­sen mit Vul­kan­asche­pro­ble­men auf ande­ren Kon­ti­nen­ten hin­ge­wie­sen. Aus dem siche­ren wis­sen­schaft­li­chen Wis­sen als poli­ti­sche Ent­schei­dungs­grund­la­ge wird so ein unsi­che­res und poli­ti­sier­tes Wis­sen/­Nicht-Wis­sen, das jetzt mit dem Ruf nach poli­ti­schen Ent­schei­dun­gen über die Gül­tig­keit bestimm­ter Wis­sens­be­stän­de ver­knüpft wird. 

Die­se Ent­wick­lung passt ganz gut zu Latours Aktor-Netz­werk-Theo­rie (Latour) und zu Aus­sa­gen zum Sta­tus wis­sen­schaft­li­chen Wis­sens in der refle­xiv gewor­de­nen „zwei­ten Moder­ne“ aus dem Umfeld von Beck. Als Hand­lungs­trä­ger der lee­ren Luft­räu­me über Euro­pa erscheint jetzt nicht mehr der Glet­scher­vul­kan Eyja­f­jal­la­jö­kull, son­dern ein Hybrid aus wis­sen­schaft­li­chem Wis­sen, Luft­ver­kehrs­kon­troll­be­hör­den, Com­pu­ter­si­mu­la­tio­nen und bestimm­ten Sicher­heits­po­li­ti­ken. Und das ist tech­nik­so­zio­lo­gisch betrach­tet hochspannend.

War­um blog­ge ich das? Um den Begriff „Eyja­f­jal­la­jö­kull­fail“ zu popularisieren.

7 Antworten auf „Vulkan greift Flugverkehr an!“

  1. Die­ser wirk­lich inter­es­san­te Arti­kel hat mir vor allem auch wie­der gezeigt, dass es doch noch eini­ge Men­schen mehr auf die­sem Erd­ball gibt, die ein biss­chen wei­ter und anders den­ken und das ist doch immer wie­der sehr beruhigend.

  2. Das Ver­hal­ten der Flug­zeug­ma­na­ger wird in mei­nen Augen immer ver­ant­wor­tungs­lo­ser. Gera­de lese in Spie­gel online den Arti­kel „Luft­fahrt­ver­band wütet gegen Euro­pas Regie­run­gen“. Ist es denn wirk­lich so weit, dass das Geld alles bestimmt. Was macht es denn aus, dann die Leu­te lie­ber einen Tag spä­ter heim­flie­gen. Die Flug­zeug­ma­na­ger ver­die­nen doch genug Geld. Das wird immer bedenklicher.

  3. Klei­ne Nach­trag: hier bei Tele­po­lis wird ganz infor­miert beschrie­ben, war­um „Simu­la­tio­nen“ deut­lich mehr sind als bloß irgend­wel­che Abschät­zun­gen. Außer­dem fin­de ich es – im Sin­ne des poli­ti­schen „Out­puts“ – inter­es­sant, dass die Vul­kan­asche wohl auch das EP in die­ser Woche lahm­legt.

  4. Sehr spa­ßig dazu (wie enroll­ment funk­tio­niert und wie sta­bi­le Alli­an­zen auch wie­der bestrit­ten wer­den) auch die Kom­men­ta­re von DWD bei SPON. Wenn gera­de die Air­lines ver­su­chen, empi­ri­sche Wis­sen­schaf­ten als Akteu­re ins Netz zu bin­den, indem ihre „Nicht­be­ach­tung“ the­ma­ti­siert wird („Da ist nicht ein Wet­ter­bal­lon auf­ge­stie­gen“), kann genau dar­über auch wie­der alter­na­ti­ves enroll­ment pas­sie­ren: Wet­ter­bal­lons sind die fal­sche Metho­de („genau­so gut hät­te man einen Kin­der­bal­lon auf­stei­gen las­sen“). Inter­es­se­ment fehlgeschlagen…

  5. Die gan­ze Auf­re­gung kann ich auch nicht wirk­lich nach­voll­zie­hen – klar ist es mehr als ärger­lich, wenn man irgend­wo am Flug­ha­fen fest­sitzt, ohne zu wis­sen, wann und wie es wei­ter­geht (wobei ein Bekann­ter von mir via Face­book bereits den Vul­kan geprie­sen hat, weil er dadurch eini­ge Tage mehr bei und mit sei­ner Freun­din ver­brin­gen kann), aber irgend­wie fin­de ich, dass uns so eine Aus­zeit viel­leicht auch mal ganz gut tut. Viel­leicht ist es nicht schlecht, sich auch mal Alter­na­ti­ven aus­den­ken zu müs­sen – wenn bei­spiels­wei­se ein­zel­ne Fir­men sowie­so schon zuge­ben, dass Video­kon­fe­ren­zen manch­mal auch aus­rei­chen und sowie­so güns­ti­ger sind, wie­so macht man das nicht öfter, auch wenn alle Flug­zeu­ge regu­lär flie­gen? Und wenn man sogar gan­ze Staa­ten per iPad regie­ren kann… ;)
    Dei­nen Bezug zu Latours Theo­rie fin­de ich in dem Zusam­men­hang im Übri­gen sehr spannend.
    Irgend­wie kommt mir das Gan­ze momen­tan wie ein gro­ßes Gedan­ken­ex­pe­ri­ment à la „Was wäre, wenn…“ vor. Und da die nächs­te Rei­se erst im Juni geplant ist, fol­ge ich dem noch äußerst gelassen. :)

  6. Die­se Hys­te­rie erin­nert an den medi­en­ge­fros­te­ten Win­ter 2010.… schein­bar kapi­tu­liert zwi­schen­zeit­lich ein Groß­teil der wirt­schafts­för­dern­den Gesell­schaft vor den „Cha­os­ta­gen“ von Mut­ter Natur :-)

  7. Bin gra­de nur mobil online, des­we­gen kein Link – aber allein schon der heu­ti­ge Spon-Arti­kel zum Ver­kehrs­aus­schuss wäre eine Ana­ly­se zum Ver­hält­nis Poli­tik und Natur wert (geht um Frei­ga­be von Flü­gen auf­grund von Lücke im Regel­werk bei gleich­blei­ben­dem Sachverhalt).

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