Nicht alles, was im Studium gelernt wird, lässt sich in Büchern niederschreiben und ordentlich ordnen.
Ich war ja gestern im Landtag. Sogar richtig im Plenum. Und im „Plenum“, mittags. Genauer gesagt: bei der Öffentlichen Anhörung „Plan B(achelor) 2012“ (pdf) von Theresia Bauer MdL (hochschulpol. Sprecherin und stlv. Fraktionsvorsitzende) und der grünen Landtagsfraktion Baden-Württemberg. Theresia will den Bachelor reformieren und damit Baden-Württemberg zum Vorreiterland machen. Und wie das geht, darum ging es bei der – übrigens recht gut und breit besuchten – Anhörung.
Nebenbei bemerkt: Waren wir als Studierende eigentlich auch penetrant darin, eine verfasste Studierendenschaft und mehr studentische Mitbestimmung als Allheilmittel zu verkaufen?
Inhaltlich ging es um die eigentlich recht sinnigen und hehren Ziele der Bologna-Reform, um die Schwächen ihrer tatsächlichen Umsetzung in nationale bzw. baden-württembergische Gesetzgebung und Studienordnungen, und um Ideen, Bachelor und Master besser zu gestalten. Letzeres kam mir allerdings etwas zu kurz.
Hier möchte ich jetzt ein Thema aufgreifen, das wiederholt zu Tage trat. Als Frage formuliert: Ist es in Deutschland überhaupt möglich, eine „Ermöglichungskultur“ umzusetzen?
Soll heißen: vor anderen kulturellen Hintergründen und (hochschul-)politischen Traditionen scheinen Bachelor, Master und die damit im Zusammenhang stehenden Instrumente wie beispielsweise die Akkreditierung von Studiengängen durchaus zu mehr Freiheit, mehr Qualität und Innovation an Hochschulen geführt zu haben. Prof. Ulrich Druwe verwies hier beispielsweise auf die Schweiz, in der sehr viel mehr kommuniziert wurde, um das Studium umzustellen (ist bei einem recht kleinen Land ja vielleicht auch leichter möglich) und auf die guten Ranking-Positionen der Niederlande, der Schweiz und der nordischen Länder. Dr. Susanne Klöpping nannte Finnland als Beispiel für ein Land, in dem Qualitätssicherung – eines der Ziele hinter der Akkreditierung von Studiengängen – nicht als bürokratische Hürde, sondern als unterstützendes Qualitätsaudit umgesetzt wurde.
Die Erfahrungen, die aus Baden-Württemberg berichtet wurden, gehen jedoch eher in eine andere Richtung.
So stellte Santina Battaglia, die Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik die These auf, dass neue Ideen für Lernen und Lehren längst da sind – dass sich nur kaum ein Institut traut, diese Ideen auch umzusetzen. Richtlinien werden als strenge Vorgaben betrachtet, das oberste Ziel bei der Entwicklung von Studienordnungen ist die Rechtsfestigkeit. Im Ergebnis sind Bachelor-Studiengänge dann alles andere als attraktiv. Nicht kompatibel, nicht mobilmachend, stark verschult und häufig wenig studierbar.
Wieso ist das so? Als ein Fazit der Anhörung nehme ich mit, dass es wohl tatsächlich sowas wie eine kulturelle Tendenz der Deutschen zur Bürokratie und juristischer Absicherung gibt. Auch eigentlich anders gedachte Instrumente wie die Akkreditierung werden dann schnell vom „TÜV“ oder der „Stiftung Warentest“ zu einer Art akademischen Steuerfahndung. Das ist nicht verwunderlich. Umso wichtiger erscheint es mir (trotz des Titels), Ideen wie die in der Exzellenzinitiative für die Lehre prämierten Projekte breiter umzusetzen. Auch der Leuphana Bachelor (auf der Anhörung ausnahmsweise mal kein Thema) scheint mir in die richtige Richtung zu gehen. (Nebenbei – vieles von dem, was ich 2004 zu einem konstruktiven Umgang mit BA/MA geschrieben habe, scheint mir weiterhin zu stimmen). Vielleicht ist es ja doch möglich, auch an deutschen Hochschulen und Universitäten einen kulturellen Wandel einzuleiten. Und damit meine ich keinen Wandel hin zu einer Effizienzkultur, sondern hin zu einer Kultur der Fehlerfreundlichkeit und der Ermöglichung individuellen Ausprobierens, eine Kultur der Unterstützung statt der Verhinderung von Zielen.
Noch einmal zurück zum Beispiel Akkreditierung. In der Arbeitsgruppe dazu wurde erstens klar, dass das in der Tat ein „technisch“ schwieriges Prozess ist. Die Idee hinter Akkreditierungen von Studiengängen ist die, dass „stakeholder“ (ProfessorInnen aus anderen Bundesländern, aber oft auch VertreterInnen der Wirtschaft bzw. Gesellschaft und zumeist auch Studierende) in Form von Begehungen – d.h. vor allem direkten Gesprächen mit den örtlichen Akteuren, auf der Grundlage von Studiengangsbeschreibungen – feststellen, ob ein Studiengang gut genug ist, um ein amtliches Siegel zu bekommen. Früher war dies – die Genehmigung von Studienordnungen – Aufgabe von MinisterialbeamtInnen in den Wissenschaftsministerien.
Mit „gut“ – meiner Umschreibung für eine Unklarheit – fangen die Probleme mit Akkreditierungen allerdings auch schon an. Es ist nicht so ganz klar, was eigentlich akkreditiert, d.h. bescheinigt, wird: Studierbarkeit? Niveau? Qualität? Formale Erfüllung von Vorgaben?
Und dann entscheiden bzw. empfehlen die GutachterInnen, die akkreditieren, ja auch nicht aus ihrem Gefühl heraus, sondern anhand von Vorgaben. Hinter diesen Vorgaben steckt letztlich die Kultusministerkonferenz (KMK), also die für die Hochschulen zuständigen Ministerien der Länder (damit doch wieder die Politik). Die KMK hat einen Akkreditierungsrat eingerichtet, der Vorgaben entwickelt hat und Beschlüsse fällt. Dieser Rat überwacht – kontrolliert! – die Akkreditierungsagenturen. Das sind gemeinnützige Vereine, die den Akkreditierungsprozess organisieren (der übrigens pro Studiengang etwa 12.000 Euro kostet – auch das kann schon ein K.O.-Kriterium sein, Beispiel Gender-Master in Freiburg). In den Akkreditierungsagenturen empfehlen nun Fachkommissionen anhand der Begehungen einer davon unabhängigen Akkreditierungskommission, ob ein Studiengang „akkreditiert“, „mit Auflagen akkreditiert“, „mit Empfehlungen akkreditiert“ oder „nicht akkreditiert“ werden soll.
Also ein ganz schön bürokratisches Maschinchen. Dass das so bürokratisch ist, wundert allerdings auch nicht – wieder mit dem Verweis auf die Traditionslinie „Hochschulbürokratie“. Die Studiengangszuständigen an den Hochschulen sehen der Akkreditierung letztlich eher ängstlich gegenüber, die Akkreditierungsagenturen haben dafür eine gewisse Angst vor dem hierarchiehöheren Akkreditierungsrat. Eine Professorin fasste dies zusammen zu „alle versuchen, möglichst alles genau richtig zu machen, so dass am Schluss alles falsch ist“. Der realexistierende Akkreditierungsmechanismus soll zwar die Qualität von Studiengängen sicherstellen. Letztlich ist damit aber ein Instrumentarium geschaffen worden, dass vor allem sicherstellt, dass die diesem innewohnenden bürokratischen – und manchmal auch idiosynkratischen („Mödchen“) – Vorgaben garantiert werden.
Ein bei der Tagung anwesendes Mitglied einer Akkreditierungsagentur führte diese Bürokratieprobleme darauf zurück, dass der erste Vorsitzende des Akkreditierungsrats ein Jurist gewesen sei, der bei der Formulierung von Vorgaben vor allem auf Rechtssicherheit wert gelegt hätte. Ich glaube, dass das ein bißchen erklärt, dass es aber auch unter anderen Umständen zu ähnlichen Folgen gekommen wäre. Denn letztlich schafft das Akkreditierungsverfahren ein Vorgabenmonopol beim Akkreditierungsrat. Studiengangsbeschreibungen, Modulhandbücher und Studienordnungen werden an den vermuteten Erwartungen dieses Monopolisten ausgerichtet, nicht an dem der (böses Wort) studierenden „KundInnen“. In der Praxis führt dass dann dazu, dass jede irgendwie durchgesickerte Anweisung wörtlich genommen wird. Zu groß wäre das Risiko, den Studiengang nicht genehmigtakkreditiert zu bekommen, umsonst 12.000 Euro gezahlt zu haben. In Passung zu diesen Erwartungen wird dann Antragslyrik formuliert. Entsprechend ist es wichtig, dass ein Bachelor-Studiengang 300 Kreditpunkte umfasst, dass jedes Modul in nachvollziehbarer Weise prüffähig ist und dass haarklein angegeben wird, was in den nächsten zehn Jahren angeblich gelehrt werden könnte. ((Die Anpassung der internen Operationen der Organisation Hochschule an die gekoppelte Umwelt Bürokratie lässt sich vermutlich auch sehr schön systemtheoretisch formulieren …))
Zum System Hochschule gehört aber auch, dass diese Passung nur teilweise durchschlägt. Die Qualität der Studiengänge richtet sich in ihrer offiziellen Formierung zwar an diesen Erwartungen und Gerüchten über „amtliche“ Vorgaben aus. Und zwar in der vorsichtigsten und weitgehendsten Interpretation. Ob die so entstehenden Modulbeschreibungen etwas damit zu tun haben, was dann in diesen Modulen tatsächlich gemacht wird – das dürfte von Fach zu Fach und von Hochschule zu Hochschule unterschiedlich sein.
Insofern ist, etwas zugespitzt formuliert, die Akkreditierung eines Studiengangs heute vor allem eine Aussage darüber, dass die tatsächlichen und vermuteten Erwartungen des Akkreditierungsrates, der Agentur und der akkreditierenden KollegInnen formal erfüllt worden. Über Studierbarkeit, Studienniveau und Qualität sagt die Akkreditierung eher wenig aus.
Vielleicht sind diese Probleme tatsächlich eher Kinderkrankheiten auf dem Weg zu einem kulturellen Wandel an den Hochschulen. So ganz überzeugt bin ich davon nicht. Und auch der Schritt von der Programm-Akkreditierung (jeder Studiengang wird akkreditiert) zur System-Akkreditierung (einer Hochschule wird bescheinigt, selbst gut kontrollieren zu können, welche Qualität ihre Studiengänge haben ob ihre Studiengänge den Vorgaben der Akkreditierungsagenturen entsprechen), der derzeit diskutiert bzw. erprobt wird, muss dieses Problem – dass nachher die buchstabengetreue Erfüllung einer Vorschrift mehr zählt als Engagement und Innovation – nicht aus der Welt schaffen.
Letztendlich frage ich mich, was denn passieren würde, wenn auf Akkreditierungen komplett verzichtet würde und es der studentischen Nachfrage (und entsprechenden Rankings, Ratings und anderen Informationen) überlassen bliebe, zwischen stark nachgefragten und weniger stark nachfragten Studiengängen zu sortieren. Damit das richtig funktioniert, müssen allerdings Studierende in der Lage sein, zu wechseln, wenn sich abzeichnet, dass ein Studiengang nicht gut ist. Die „Marktvolatiliät“ ist allerdings eher niedrig, und vielfach werden Studiengänge auch nach inhaltsfremden Kriterien (wie Wohnortnähe, Studiengebühren etc.) ausgesucht.
Damit wäre es im Sinne des „Verbraucherschutzes“ trotzdem sinnvoll, formale Mindeststandards für Studiengänge festzuhalten. Dann würde ich aber dafür plädieren, diese Funktion („Überprüfung formaler Mindeststandards“, „TÜV“) von der Qualitätssicherung und ‑entwicklung zu trennen. Wenn eine Institution für beides zuständig ist, leidet – so vermute ich – automatisch die Qualitätsorientierung. Warum keine staatliche oder halbstaatliche Stelle, die von sich aus die Qualität von Studiengängen untersucht („Stiftung Warentest“) und besonders gute Studiengänge auszeichnet?
Warum blogge ich das? Um ein paar interessante Sachen aus der Anhörung festzuhalten.
Hi Till, schwer kommentierbar, weil soooo umfassend. Bist morgen auch bei Gregory? Besser als textlich ist vielleicht ‑live- !
AndiLex
Werde nachher kurz vorbeischauen, aber wohl vor offiziellem Partybeginn. Ich nehme aber auch gerne textliche Kommentare entgegen, die sich nur auf Teilaspekte beziehen.